Nachhaltige Mobilität
Die Herausforderungen einer Verkehrswende
Thorsten Koska
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Rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verursacht der Verkehr, größtenteils durch Benzin- und dieselbetriebene Autos und Lkws. Klimafreundlicher sind Bahn, öffentlicher Nahverkehr, Fuß- und Radverkehr, Sharing-Mobilität sowie Elektrofahrzeuge. Eine Verkehrswende macht ihre Nutzung attraktiver und fördert zudem die Vermeidung von Verkehr.
Im Verkehrssektor sind die Herausforderungen für den Klimaschutz besonders groß. Im Jahr 2019 hat der Verkehr 165 Mio Tonnen (t) CO2 ausgestoßen. Damit liegen die Emissionen nahezu auf dem gleichen Niveau wie 1990 und machen rund ein Fünftel der energiebedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland aus. 2020 sind die Treibhausgasemissionen auf 145 Mio t CO2 gesunken, denn durch die Corona-Pandemie ist der Verkehr zurückgegangen. Ein Teil dieser Effekte, u.a. durch mehr Homeoffice und weniger Dienstreisen, ist auch 2022 noch zu beobachten. Allerdings bedeutet dies noch keine generelle Trendwende: 2022 sind die Emissionen im Verkehr wieder leicht gestiegen, auf nun 148 Mio t CO2. (UBA 2023a) Damit wird das Jahresziel des Klimaschutzgesetzes um 9 Mio t überschritten. Bis 2030 ist nach den dort rechtlich verbindlich festgelegten Klimazielen ein Rückgang auf 85 Mio t notwendig. Damit ist in einem Jahrzehnt nahezu eine Halbierung der Emissionen nötig, nachdem diese drei Jahrzehnte lang nicht zurückgegangen sind. Dies macht die Größe der Herausforderung einer Verkehrswende deutlich.
Ursache für die hohen Emissionen ist das größtenteils mit Erdöl betriebene, von Auto und Lkw dominierte Verkehrssystem. 96 % der Treibhausgasemissionen des Verkehrs in Deutschland macht der Straßenverkehr aus – knapp 61 % entfallen auf Pkw, fast 36 % auf Lkw. Dazu kommen erhebliche Emissionen des grenzüberschreitenden Luftverkehrs von rund 31 Mio t CO2, die in der nationalen Klimabilanz nicht auftauchen. Anders als Luftschadstoffe wie Feinstaub oder Stickoxiden lässt sich das Treibhausgas CO2 nicht aus dem Abgas "herausfiltern" – je verbranntem Liter Kraftstoff entsteht bei jedem Verbrennungsfahrzeug eine konstante Menge CO2.
Zudem ist der Verkehrsaufwand, also die zurückgelegten Kilometer je Person oder Tonne im Güterverkehr, in den letzten Jahren immer weiter gewachsen, die Fahrleistungen von Pkw und Lkw stiegen zwischen 1990 und 2018 um rund 30 %, der besonders klimaschädliche Luftverkehr ist allein in den letzten 10 Jahren um rund 40 % gewachsen. Zwar werden die Fahrzeuge technisch effizienter und verbrauchen weniger Kraftstoff. Jedoch werden diese Effizienzgewinne größtenteils durch das Verkehrswachstum "aufgefressen", so dass die Emissionen insgesamt kaum zurückgehen. Immer größere, schwerere und PS-stärkere Pkw, insbesondere SUV tragen dazu bei, dass der Kraftstoffverbrauch der Autos nicht deutlicher sinkt. Zwischen 2008 und 2018 haben sich die Zulassungszahlen von SUV und Geländewagen mehr als vervierfacht, inzwischen machen sie rund ein Drittel der Neuzulassungen aus. Im Zeitraum von 1995 bis 2020 ist der spezifische Kraftstoffverbrauch von PKW im Schnitt von 8,8 auf 7,4 Liter zurückgegangen (Umweltbundesamt, 2022). Allerdings ist zu beachten, der Verbrauch im realen Fahrbetrieb um 39 % (Stand: 2017) höher liegt als die angegebenen Testverbräuche, welche im Labor ermittelt werden und für die Kaufentscheidung sowie die Flottenverbrauchsermittlung maßgeblich sind (Tietge et al., 2019).
Elektrofahrzeuge machen einen zunehmenden Anteil der Fahrzeugzulassungen aus – fast 30 % der in Deutschland neu zugelassenen Autos sind – etwa zu gleichen Teilen - reine batterieelektrische Fahrzeuge oder Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge, die sowohl einen elektrischen als auch einen Verbrennungsantrieb haben. Am Gesamtbestand der Pkw in Deutschland machen sie allerdings erst jeweils 1,3 % aus (Statista GmbH, 2022). Elektroautos verursachen deutlich geringere Treibhausgasemissionen als Verbrenner. Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge verursachen bei vorwiegend elektrischer Nutzung zwar ebenfalls relativ wenige Treibhausgasemissonen, in der tatsächlichen Nutzung werden sie jedoch häufig als Verbrennerfahrzeuge genutzt und sparen keine Emissionen ein.
Das EU-Parlament hat Mitte Februar 2023 beschlossen, ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrenner-Motoren mehr in der EU zuzulassen (EP 2023). Wenn zunehmend Verbrauchssektoren künftig mit Strom, statt mit fossilen Energieträgern betrieben werden sollen – wie zum Beispiel E-Autos oder auch Wärmepumpen, nimmt der Interner Link: Energiesektor eine Schlüsselrolle ein. Denn dieser wird somit zur Grundvoraussetzung auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Dominanz des Straßenverkehrs: Kaum Veränderung bei genutzten Verkehrsmitteln
An der Verteilung des Verkehrs auf die einzelnen Verkehrsmittel, dem so genannten "Modal Split", hat sich in den letzten 20 Jahren wenig verändert. Der "Motorisierte Individualverkehr" (dazu zählen neben dem Auto auch Motorräder und Motorroller) dominiert mit einem Anteil von 75 % der Personenkilometer, im Güterverkehr macht der Lkw mehr als 70 % der Tonnenkilometer aus. Der Bahnverkehr und der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) haben zwar in den Jahren vor der Pandemie Anteile hinzugewonnen, diese in der Corona-Krise jedoch wieder eingebüßt. Auch der Radverkehr wächst – allerdings nur langsam und auf niedrigem Niveau. So werden zwar mit dem Rad rund 11 % der Wege zurückgelegt – da diese jedoch in der Regel kürzer sind als mit dem Öffentlichen Verkehr oder dem Auto, macht der Radverkehr nur 3 % des Verkehrsaufwands in Personenkilometern aus.
Gründe für Verkehrsentwicklung
Die Gründe für das ungebrochene Wachstum und für die Dominanz von Pkw und Lkw sind vielfältig: räumliche Zersiedlung, weitere Pendelwege und die Zunahme von Flugreisen sorgen für mehr Personenverkehr. Gesteigerte Warenproduktion und Handel sowie stärker regional und global verflochtene Produktionsketten sind Treiber für den wachsenden Güterverkehr. Dass Pkw und Lkw weiter dominieren, ist Ergebnis einer pfadabhängigen Entwicklung, die den Autoverkehr über Jahrzehnte hinweg priorisiert hat. So wurden Straßen und Autobahnen stark ausgebaut, während das Schienennetz geschrumpft ist. Damit setzt eine Art Teufelskreis ein: Weil die Nutzung des Autos aufgrund schneller Verbindungen komfortabler wurde und zudem durch geringe Steuern auf Kfz-Haltung und Kraftstoffe kostengünstig blieb, ging die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsmitteln zurück – daraufhin wurden Verbindungen ausgedünnt.
Abgelegene Regionen sind daher schlecht an den ÖPNV angebunden, was die Autonutzung weiter begünstigt. Autogerecht ausgebaute Städte mit schlechten Radwegenetzen erschweren es, Wege mit dem Rad oder zu Fuß zurückzulegen. Einmal eingeübte Routinen festigen zudem das Verkehrsverhalten – selbst wenn sich die Bedingungen für nachhaltige Mobilität zwischenzeitlich verbessert haben. Gesunkene Kosten durch Effizienzgewinne haben zudem besonders im Güter- und Flugverkehr das Verkehrswachstum weiter gefördert – es "lohnt" sich heute eher, Güter über weite Strecken zu transportieren und private Fernreisen zu machen.
Strategien nachhaltiger Verkehrspolitik
Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine Verkehrswende notwendig. Nachhaltige Mobilität hat jedoch weitere positive Wirkungen. Sie ist aktiver Gesundheitsschutz, weil sie die Belastung mit Luftschadstoffen und den Verkehrslärm verringert und für mehr Verkehrssicherheit sorgt – während heute noch jährlich über 2500 Menschen auf deutschen Straßen sterben (Statistisches Bundesamt, 2022). Sie ist sozial gerecht und inklusiv, denn ein gut ausgebauter öffentlicher Verkehr und barrierefreie Fußwege ermöglicht soziale Teilhabe auch für Menschen ohne Auto. Und schließlich ist die Verkehrswende volkswirtschaftlich sinnvoll: Die externen Kosten des Straßenverkehrs durch Unfälle, Umwelt- und Klimabelastung summieren sich in Deutschland auf 141 Mrd € jährlich (Bieler & Sutter, 2019).
Erreichen lässt sich eine Verkehrswende durch die Kombination verschiedener Stategieansätze:
Verkehr, der gar nicht erst entsteht, ist per se am klima- und umweltfreundlichsten. Verkehrsvermeidung bedeutet die Reduzierung von Wegen – zum Beispiel durch die in der Pandemie eingeübte Nutzung von Homeoffice oder Videokonferenzen. Dazu gehört aber auch die Verkürzung von Wegen: Wer beim gut sortierten Supermarkt um die Ecke einkaufen kann, verursacht weniger Verkehr als mit einer Fahrt zum Einkaufscenter am Stadtrand. Verkehrsvermeidung schränkt daher Mobilität nicht ein, sondern zielt darauf ab, die gleichen Bedürfnisse mit weniger Verkehr befriedigen zu können.
Bei der Verlagerung geht es darum, auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen: vom Auto aufs Rad, vom Flugzeug auf die Bahn oder vom Lkw auf den Güterzug oder das Binnenschiff. Diese Verlagerung von Wegen (oder auch nur Teilstrecken) zu klima- und umweltfreundlichen Fortbewegungsarten gelingt am besten mit aufeinander abgestimmten Push- und Pull-Maßnahmen, d.h. durch einen guten Mix an Anreizen ("pull") für den Umweltverbund und Einschränkungen ("push") für den motorisierten Individualverkehr (MIV), um so die Nutzung des eigenen Autos weniger attraktiv zu machen. Das kann aber nur gelingen, wenn die unterschiedlichen infrastrukturellen Bedingungen in der Stadt und auf dem Land berücksichtigt werden.
Zur Strategie der Verbesserung zählen auch fahrzeugseitige Maßnahmen, die die Effizienz erhöhen – sprich: weniger Kraftstoff oder Strom pro 100 km verbrauchen und entsprechend weniger CO2 emittieren. Auf europäischer Ebene haben die CO2-Emissionsstandards Grenzwerte für die Flotte eines jeden Herstellers gesetzt, die hierfür Anreize setzen – doch aufgrund von Lücken dieser Regelung hinkt die tatsächliche Effizienzentwicklung den Werten auf dem Papier um mehr als 30 % hinterher. Ein wichtiges Instrument der Verbesserung der Fahrzeugtechnik ist eine Antriebswende: weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien beim Fahrzeugantrieb.
Antriebswende durch E-Mobilität: wichtig, aber nicht die alleinige Lösung
Fast alle aktuellen Studien sind sich dabei einig, dass die Elektromobilität die effizienteste und umweltschonendste Alternative zu den konventionellen Antrieben darstellt. Je nach Fahrzeuggröße und Betrachtungszeitraum stoßen Elektroautos in Europa bei Neuzulassung schon heute wesentlich weniger Treibhausgase aus als Diesel- oder Benzinfahrzeuge – in der Kompaktklasse ist es eine Einsparung von mehr als 60%. Dabei sind die Emissionen im gesamten Lebenszyklus eines Elektrofahrzeugs bereits einbezogen, einschließlich der energieintensiven Batterieproduktion und dem Aufladen mit dem üblichen deutschen Strommix (ICCT, 2021). Je stärker der Anteil von Wind- und Solarenergie bei der Stromproduktion in den nächsten Jahren steigt, umso stärker sinken die Emissionen von E-Autos.
Auch im Vergleich mit anderen alternativen Antrieben liegen Elektrofahrzeuge vorn: Die Energie wird hierbei dreimal so effizient verwertet wie bei Brennstoffzellen-Fahrzeugen, die Wasserstoff tanken, und mehr als 6 mal so effizient wie bei synthetischen Kraftstoffen, die mit erneuerbarer Energie erzeugt werden (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 2021). Die Wende zur E-Mobilität ist daher in vollem Gange: In China deutet sich ein Verbot von neuen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 an, Kalifornien hat dies für 2035 ebenfalls beschlossen, Norwegen will bereits 2025 keine Verbrenner mehr zulassen. Doch so wichtig die Wende hin zum Elektrofahrzeug ist, sowenig wird sie ausreichen, um die Klimaziele rechtzeitig einzuhalten. Der Umstieg hilft dem Klima nur, wenn auch der Ausbau der Erneuerbaren Stromerzeugung beschleunigt wird. Würde die heutige Verkehrsleistung im Straßenverkehr nur auf E-Mobilität umgestellt, würde sehr viel kostbarer erneuerbarer Strom benötigt, der auch für alle anderen Sektoren noch gebraucht wird. Deutlich effizienter ist es daher, auch auf die Strategien der Verkehrsvermeidung und –verlagerung zu setzen und das Mobilitätssystem umzubauen. Zudem können nur so die anderen negativen Auswirkungen des MIV wie die hohe Flächeninanspruchnahme und kompromittierte Verkehrssicherheit gelöst werden.
Um die genannten Strategien umzusetzen, sind verschiedene Instrumente notwendig, die miteinander kombiniert werden müssen, um die Strukturen von Verkehrssystem und Mobilitätsnachfrage ändern zu können. Nachfolgend werden einige dieser Ansatzpunkte genannt – mit einem Fokus auf den Personenverkehr.
Raumstrukturen verändern
Je kürzer Wege sind, um Ziele zu erreichen, desto eher verliert der motorisierte Individualverkehr seine zeitlichen Vorteile gegenüber dem Umweltverbund und desto "konkurrenzfähiger" werden insbesondere auch nicht-motorisierte Fortbewegungsarten. Eine "Stadt der kurzen Wege", in der Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten nah beieinander liegen, werden durch eine integrierte Stadt- und Verkehrsplanung gefördert. Zu einer dichten Stadtentwicklung gehört auch, das weitere Wachstum der Vororte zu stoppen. Doch auch im ländlichen Raum können durch eine Neuentwicklung lokaler Versorgungsinfrastrukturen wie Schulen, Ämter und Geschäfte weite Anfahrtswege vermieden werden.
Bus und Bahn als Alternativen zum Auto stärken
Wenn die Verkehrswende gelingen soll, müssen die Alternativen zum Auto attraktiver werden. Ein dichtes Netz im öffentlichen Verkehr mit häufigeren, pünktlichen Fahrten und bequemen Verkehrsmittel ziehen Fahrgäste an. Hierzu zählt die Ausweitung des Schienennetzes in Regionen, in denen bislang kein Zug fährt, die Digitalisierung des Bahnnetzes durch das elektronische Zugleitsystem ETCS, um die Züge in dichterem Takt fahren lassen zu können, und ein sogenannter "Deutschlandtakt", bei dem das Umsteigen ohne langes Warten möglich wird, weil wichtige Züge zeitgleich am Bahnhof ankommen und erst nach einer Umsteigezeit weiterfahren.
Mit Bürgertickets oder günstigen Flatrates nach dem Vorbild des 365-Euro-Ticket in Wien kann auch die ökonomische Rationalität der Verkehrsmittelwahl verändert werden – wer sein bereits bezahltes Auto vor der Tür stehen hat, steigt schließlich eher dort ein, als für eine Einzelfahrt im ÖPNV zu zahlen. Städte wie Wien zeigen, welche Anziehungskraft ein hochwertiger ÖPNV hat: Dessen Anteil an allen zurückgelegten Wegen stieg dort von 29 % im Jahre 1993 auf 38 % heute (Wiener Linien, 2020). Tallinn hat durch seinen Ticketlosen ÖPNV 14 % an Fahrgästen gewonnen (Cats et al., 2017).
Straßenraum umverteilen und den Radverkehr fördern
Kurze Wege bis zu 10 km können mit dem Rad zurückgelegt werden, heute wird hier noch überwiegend das Auto genutzt. Durch eine Umverteilung des Straßenraums kann das Radfahren und zu Fuß gehen attraktiver werden. Der größte Anteil des Straßenraums steht heute noch dem Auto zu. Breitere Radwege in lückenlosen Radnetzen machen es bequemer, schneller und sicherer, mit dem Rad zu fahren – auch für Kinder und Senioren. In Kopenhagen, wo dies umgesetzt wurde, sind Unfälle mit dem Rad deutlich seltener als in Deutschland und es werden rund 30 % der Wege mit dem Rad zurückgelegt. In großen deutschen Städten wie Berlin und Hamburg liegt dieser Wert bei 15 %, Bremen als Spitzenreiter schafft es auf 24 % (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2019).
Doch nicht für jeden Weg ist das eigene Rad, der Bus oder die Bahn geeignet – oft gibt es Lücken auf der "letzten Meile" bis vor die Haustür, es gibt etwas zu transportieren, oder der Fahrplan passt nicht zu den Mobilitätsbedarfen. Eine wichtige Ergänzung eines multimodalen Verkehrssystems sind daher Sharing-Angebote: Carsharing, Fahrradverleihsysteme oder ausleihbare Lastenräder, die nach Bedarf genutzt werden können. Angebote wie das sogenannte Ridepooling können den öffentlichen Verkehr dort ergänzen, wo das Netz nicht dicht genug ist: Beim Ridepooling werden die individuell gebuchten Fahrtwünsche digital koordiniert und gebündelt. Auf diese Weise verbinden die Angebote die Vorteile von ÖPNV (hoher Besetzungsgrad, geringer Raum- und Energieverbrauch) und Taxi (Mobilität von Tür zu Tür). Mobilstationen können schließlich als räumliche Verknüpfungspunkte all diese Angebote zusammenführen.
Wichtig ist es, dass bei der Mobilitätswende unterschiedliche physische Bedürfnisse von beispielsweise Menschen mit Behinderungen, älteren Menschen oder Familien berücksichtigt werden. Auch für den Wirtschaftsverkehr sind maßgeschneiderte Lösungen wichtig – etwa E-Lastenräder oder Güter-Straßenbahnen.
Den Autoverkehr nachhaltiger gestalten
Die Gestaltung der Städte, aber auch der gesetzliche Rahmen von der Straßenverkehrsordnung bis zum Dienstwagenprivileg bevorzugen das Auto systematisch: Der knappe öffentliche Raum in Städten kann durch Anwohner*innen nahezu kostenlos zum Parken genutzt werden, Dieselkraftstoff und die Nutzung von Dienstwagen werden steuerlich subventioniert, jede Einschränkung des Verkehrsflusses von Autos – durch Tempolimit oder durch die Einrichtung einer Fahrradspur – ist mit rechtlichen Hürden verbunden. Wenn diese Vorteile für das Auto abgebaut werden, erhalten auch andere Verkehrsmittel größere Chancen.
Bei Tempo 30 auf den Straßen können auch Achtjährige allein mit dem Rad zur Schule fahren, und Busse kommen auf einer eigenen Spur schneller ans Ziel. Ein Tempolimit auf Autobahnen senkt den Verbrauch und die CO2-Emissionen deutlich (UBA 2023b), und ein Verzicht auf weiteren Straßenneubau kann das Autofahren weniger attraktiv machen. Wenn Autofahren teurer wird, bildet der höhere Preis die tatsächlichen Kosten für Klima, Umwelt und Gesundheit ab – und zugleich entstehen Anreize dafür, ohne eigenes Auto mobil zu sein. Um dies sozial verträglich umzusetzen, ist es jedoch notwendig, die Alternativen zum Auto auszubauen – das zeigt, wie wichtig eine Integration der verschiedenen Maßnahmen ist.
Aktuelle Verkehrspolitik in Deutschland
Die Verkehrspolitik in Deutschland nutzt verschiedene Instrumente, um den Verkehr in Deutschland zu gestalten. Obwohl sie sich aktuell im Wandel befindet und nachhaltige Mobilität einen größeren Stellenwert erhält als früher, wird weiterhin der Verkehr von Pkw und Lkw begünstigt. Ein wichtiges Instrument ist dabei der Externer Link: Bundesverkehrswegeplan Dieser enthält für einen Zeitraum von 10-15 Jahren alle wichtigen Infrastrukturprojekte, darunter den Bau von Autobahnen und Schienenverbindungen. Für den Straßenbau sind dort mit 133 Mrd. Euro weiterhin die meisten Mittel vorgesehen, für den Schienenausbau steht mit 112 Mrd weniger Geld zur Verfügung.
Mit dem Masterplan Schiene plant die Bundesregierung, den Bahnverkehr deutlich zu verbessern. Bis 2030 sollen die Fahrgastzahlen verdoppelt werden, hierzu soll neben Netzausbau und -digitalisierung auch ein Deutschlandtakt (s.o.) beitragen. Auch die Einführung des Externer Link: bundesweiten 49-Euro-Tickets zum 1. Mai 2023 kann ein wichtiges Instrument sein, die Attraktivität der Bahn zu erhöhen (Bundesregierung 2023). Allerdings ist bereits das bestehende Bahnnetz stark erneuerungsbedürftig, und der geplante Ausbau kommt nur langsam voran. (Tagesschau 2023)
Im Öffentlichen Nahverkehr, der von den Bundesländern und Kommunen verantwortet wird, hat der Bund seine Zuschüsse in den letzten Jahren deutlich erhöht. Jedoch reichen diese Mittel nur für einen mäßigen Ausbau des Netzes, viel Geld ist für die Instandhaltung und Renovierung bestehender Strecken und Fahrzeuge nötig. Hier werden weitere Mittel benötigt – in Kombination mit Angebotsstandards, die ein gutes ÖPNV-Angebot in der Breite garantieren.
Den Radverkehr fördert die Bundespolitik mit dem Nationalen Radverkehrsplan. Dort enthalten sind unter anderem Fördermittel für Radschnellwege und die Beratung von kommunalen Verkehrsplanern. Das bestehende Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung stehen dazu jedoch im Widerspruch. Sie verhindern eine Priorisierung des Radverkehrs, die Schaffung von mehr Straßenraum für Rad- und Fußverkehr oder die Einrichtung von Tempo-30 in Städten.
Zur Förderung alternativer Antriebe tragen insbesondere die europäischen Flottengrenzwerte für CO2-Emissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen bei. Die seit Jahren immer strenger gesetzten Grenzwerte verpflichten die Hersteller, die CO2-Emissionen ihrer verkauften Fahrzeuge im Schnitt immer weiter zu senken – bis die Fahrzeuge 2035, so der aktuelle Plan der EU-Kommission, keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen. Damit geben die Grenzwerte den entscheidenden Anreiz, schrittweise mehr Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen. Vergangene Bundesregierungen haben die Verschärfung der Grenzwerte in der Vergangenheit häufig gebremst, die aktuelle Regierung will den schärferen Grenzwerten zustimmen. Zudem fördert der Bund E-Fahrzeuge mit einer Kaufprämie von bis zu 9.000 Euro (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 2022).
Einen Einfluss auf Kaufentscheidungen und Nutzung von Fahrzeugen nimmt die Bundespolitik zudem durch die jährlich zu zahlende Kraftfahrzeugsteuer. Diese ist nach CO2-Emissionen gestaffelt, das Niveau ist mit wenigen 100 Euro jährlich jedoch zu niedrig, um eine Lenkungswirkung zu erreichen. In anderen europäischen Ländern wie Dänemark, Norwegen oder die Niederlande gelingt dies durch eine einmalige Neuzulassungssteuer, die stark nach Emissionen differenziert ist und mehrere 10.000 Euro betragen kann. Zudem sind mit dem "Dienstwagenprivileg" in Deutschland Firmenfahrzeuge steuerlich begünstigt – die Regelung bietet einen Anreiz, größere Fahrzeuge anzuschaffen, als dies eigentlich nötig wäre. So werden beispielsweise über 70 % der Plug-In-Hybride gewerblich zugelassen (Kraftfahrt-Bundesamt, 2022) und gleichzeitig nur zu 11-15 % elektrisch gefahren (Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, 2022), was Energieverbrauch und Emissionen deutlich gegenüber den Angaben der Hersteller erhöht. Nach der kurzfristigen Nutzung als Dienstwagen stellen diese großen Fahrzeuge anschließend auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen großen Teil des Angebots.
Fazit: Es braucht eine tiefgreifende Transformation der Mobilitätsbranche
Dieser Überblick über die Perspektiven der Verkehrswende zeigt, an wie vielen Elementen des Verkehrssystems Veränderungen ansetzen und wo die Politik aktuell steht. Die Herausforderung besteht darin, diese Veränderungen klug aufeinander abzustimmen: Nur wenn die Alternativen zum Auto gestärkt werden, können auch Beschränkungen des Autoverkehrs funktionieren – und nur so kann auch eine breite Akzeptanz für die Verkehrswende gesichert werden.
Dies erfordert langfristig vorausblickende, thematisch umfassende und zwischen den politischen Ebenen in Bund, Ländern und Kommunen koordinierte Weichenstellungen. Sie entscheiden über die Zukunft der Mobilität, müssen aber heute in die Wege geleitet werden, damit wir klimafreundlicher, entspannter und gerechter unterwegs sein können. Viele Städte und Länder weltweit haben mit der Verkehrswende bereits begonnen – auch in Deutschland wird es Zeit, aktiv zu werden.
Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie (MA); Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut. Forschungsschwerpunkte: Politikinstrumente für nachhaltige Mobilität, Verkehrswende in Städten, Radverkehrsförderung, Elektromobilität, Sharing-Mobilität, Mobilstationen
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