Klimawandel in den Medien
Zwischen konstruktiver Debatte und Polarisierung
Michael BrüggemannLouisa Pröschel
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Der Klimawandel ist eine besondere Herausforderung für den Journalismus. Welche Hindernisse gibt es in der Klimakommunikation? Und wie können diese überwunden werden?
In Zeiten multipler Krisen wächst das Gefühl der Unsicherheit. Es entsteht ein steigender Bedarf an Orientierungswissen, um aktuelle Geschehnisse einordnen und fundierte politische Entscheidungen treffen zu können. Ein Thema, bei dem komplexe Wissenschaft, heikle politische Fragen und dringende Handlungsnotwendigkeiten zusammenlaufen, ist der Klimawandel – eine Herausforderung, auch für den Journalismus. Trotz des Interner Link: langjährigen wissenschaftlichen Konsenses über die Existenz des von Menschen verursachten Klimawandels und damit verbundener Risiken, kämpfte sich dieser oft nur sporadisch und punktuell in die Schlagzeilen.
Medien in der Verantwortung
Um die Komplexität des Klimawandels und seiner Folgen exemplarisch zu illustrieren, reicht ein Blick in die Berichte (Assessment Reports) des Interner Link: Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC): Pro Bericht tragen Forscherinnen und Forscher tausende Seiten wissenschaftlichen Wissens zusammen. Selbst die Zusammenfassungen der Berichte liegen weit über der Länge eines kompakten Zeitungsartikels, der morgens in der Bahn überflogen werden kann. Um die Kluft zwischen der Komplexität des Themas und etwa der kurzen Aufmerksamkeitsspanne (digitaler) Mediennutzung zu überbrücken, braucht es einen Journalismus, der sich dem Dilemma der Klimaberichterstattung stellt: Er muss vereinfachen und verkürzen und dennoch dem Stand der Wissenschaft und der Komplexität des Gegenstands gerecht werden.
Konkret zeigt sich das nicht nur in der Wissenschaftskommunikation, sondern auch in gesellschaftspolitischen Diskussionen, etwa um den Ausbau Interner Link: Erneuerbarer Energien oder dem Interner Link: Tempolimit auf Autobahnen. Doch auch Debatten um beispielsweise den Austragungsort von Fußballmeisterschaften oder die Vorstellung eines neuen Smartphones haben eine klimapolitische Dimension, die durch journalistische Berichterstattung hervorgehoben oder übersehen werden kann.
Allerdings gibt es nicht die eine gute Klimakommunikation. Jedes Publikum erwartet und verträgt ein unterschiedliches Maß an Komplexität. Es wäre also unsinnig, von der Berichterstattung einer Boulevard-Zeitung das gleiche Maß an Tiefe und Detailgenauigkeit zu erwarten, wie vom Wissenschaftsteil einer seriösen Wochenzeitung. In der Klimakommunikation geht es um mehr als um die bloße Übersetzung wissenschaftlicher Befunde. Denn der Klimawandel ist kein rein naturwissenschaftliches Phänomen, sondern auch eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft.
Obwohl in der digitalvernetzten Medienlandschaft eine zunehmende Vielfalt von Informationsquellen um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wetteifert, setzen Mediennutzende noch immer auf traditionelle journalistische Medien. Mediennutzende in Deutschland gaben in einer Studie vor allem den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Hauptinformationsquelle über Klimawandel und -politik an (Guenther et al., 2022).
Dabei vermitteln Nachrichtenmedien mit ihrer Berichterstattung nicht nur die Wichtigkeit eines Themas (Agenda-Setting), sondern auch mögliche Deutungsmuster dazu (Framing). Berichten die Medien aber tatsächlich intensiv und kontinuierlich über den Klimawandel und klimapolitisch relevante Fragen?
Muster der Berichterstattung zum Thema Klimawandel
Während die mit dem Klimawandel verbundenen Probleme und Risiken wachsen und auch die Forschung dazu stetig voranschreitet, steigt die mediale Aufmerksamkeit keineswegs kontinuierlich an. In den Jahren 2007 bis 2009 gab es eine Phase hoher Aufmerksamkeit. Ursachen dafür waren Externer Link: der Vierte Sachstandsbericht des Weltklimarats, der Film „Eine unbequeme Wahrheit“ (engl. „An Inconvenient Truth“) von Al Gore sowie der Friedensnobelpreis, den der Weltklimarat und Al Gore gemeinsam für ihr Klimaschutz-Engagement 2007 bekamen. Diese Phase endete abrupt mit dem Interner Link: Scheitern des UN-Klimagipfels in Kopenhagen (Dezember 2009), als kein globaler Klimavertrag zustande kam. Ein starker und dauerhafter Rückgang der globalen Berichterstattung folgte, während der erstrebte Externer Link: Klimavertrag erst 2015 in Paris zustande kam. Erst im Jahr 2018 stieg die mediale Aufmerksamkeit wieder an, aufgrund starker Dürren und Hitzewellen, wissenschaftlichen Warnungen und – vor allem – den globalen Klimaprotesten („Greta-Effekt”) (Abbildung 1, siehe auch Abbildung 2 zur „Tagesschau“-Berichterstattung).
Studien zufolge führen „Focusing Events“ zum Anstieg der medialen Aufmerksamkeit für ein Thema (Birkland, 1998). Beim Klimawandel können das beispielsweise medienwirksame Proteste, Publikationen des Weltklimarats und vor allem die Interner Link: jährlichen UN-Klimakonferenzen sein (Meyer et al., 2023, siehe auch: Hase et al., 2021; Wozniak et al., 2021). Doch in welchem Verhältnis steht die Berichterstattung über den Klimawandel zu anderen Themen auf der Nachrichtenagenda?
Während in Abbildung 1 nur die absoluten Häufigkeiten von Artikeln gezählt werden, lässt das keine Bewertung darüber zu, welchen Anteil der Klimawandel an der gesamten Berichterstattung hat. Forschende der Universität Zürich fanden heraus, dass sich in den Jahren 2006 bis 2018 nur 0,2 Prozent (etwa jeder 500. Artikel) der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeine Zeitung substantiell mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzten (Hase et al., 2021).
Auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeichnet sich ein eher ernüchterndes Bild ab. Wird nur die Erwähnung des Wortes „Klima“ im Gesamtprogramm von ARD, ZDF, WDR in den Jahren 2007 bis 2022 gezählt, sind es durchschnittlich etwa zwei Prozent der Sendeminuten, in denen dieses erwähnt wird. Die Acht-Uhr-Tagesschau erwähnte zwar an einzelnen Tagen (z.B. während der Weltklimakonferenzen) „Klima“ häufiger – an wesentlich mehr Tagen aber gar nicht. Auch hier zeigt sich, dass Klima-Aspekte in den Jahren 2009 bis 2018 meistens übersehen wurden und eine Randerscheinung waren. Wie aus einer Inhaltsanalyse der Tagesschau für den genannten Zeitraum hervorgeht, wurde in der Summe der Tage etwa acht Jahre lang über den Klimawandel geschwiegen. Seit 2018 hat die Klima-Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zwar zugenommen, bleibt aber im Vergleich zu anderen großen Themen weiterhin ein Nischenthema (Tschötschel et al. 2022).
Jetzt könnte man einwenden, dass häufiger von Klimawandel die Rede ist, ohne das Wort „Klima“ zu erwähnen. Die Messung mit dem simplen Suchwort „Klima“ erweist sich aber im wissenschaftlichen Test als recht präzise, was man durch sogenannte Recall- (89 Prozent) und Precision- (94 Prozent) Tests überprüft: Es werden also nur 11 Prozent der relevanten Fälle übersehen und nur 6 Prozent inkorrekt mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht, obwohl es eigentlich um ein anderes Thema ging.
Zudem ist die mediale Aufmerksamkeit von starken Schwankungen geprägt. So gab es im Spiegel Magazin schon Mitte der 1980er Jahre das alarmistische Titelblatt, auf dem der Kölner Dom tief unter Wasser steht, während vor der „Klima-Katastrophe“ gewarnt wird. Danach wurde das Thema aber wieder schnell vom politischen Tagesgeschäft verdrängt.
Diese Dynamiken lassen sich auf die Arbeitsweisen und Logiken des journalistischen Nachrichtensystems zurückführen: der Journalismus ist immer auf der Suche nach News, nach dem Neuen. Hierbei bestimmen sogenannte Nachrichtenfaktoren, welche Themen es auf die journalistische Tagesordnung schaffen. Je höher Journalistinnen und Journalisten den Nachrichtenwert einschätzen, desto wahrscheinlicher wird die Berichterstattung. Kriterien für die Auswahl von Klima-Themen können etwa Konflikte (z.B. in den Debatten um den Ersatz klimaschädlicher Heizungen), Schäden (z.B. Überschwemmungen und Waldbrände) oder räumliche Nähe (z.B. lokale Auswirkungen von Überschwemmungen und Dürren) sein. In der Realität wird der Klimawandel aber noch oft als ein Phänomen beschrieben, das räumlich weit weg und zeitlich in der fernen Zukunft liegt: „Not here, not now, not me“ (Guenther & Brüggemann, 2023). Menschen bekommen damit das Gefühl, dass sie das eigentlich nichts angeht.
Klima-Aspekte werden im News-Alltag immer wieder übersehen. Denn der Klimawandel ist ein strukturelles Problem und seltener ein Ereignis mit Nachrichtenwert. Es mangelte häufig an medial interessanten Akteurinnen und Akteuren, zumindest bevor Greta Thunberg oder Luisa Neubauer die öffentliche Bühne betreten haben. Zudem ist es ein fachübergreifendes Thema, das quer zu den journalistischen Ressorts wie Politik, Wirtschaft oder Kultur liegt.
Ein weiteres Problem ist das Phänomen des „Indexing“: Medien verhalten sich tendenziell eher passiv und verbreiten die Äußerungen von Politikerinnen und Politikern, als selbst Themen zu setzen (Bennett & Livingston, 2003). Ein aktiverer Journalismus, der kritisch Missstände auf die Agenda bringt, wie ein mögliches Versagen beim Klimaschutz, entspricht aber nicht dem dominanten Leitbild des neutralen Beobachters unter deutschen Journalistinnen und Journalisten (Hanitzsch et al., 2019).
Klimawandel, gesellschaftliches Wissen und die Rolle von Desinformation
Vor allem junge Menschen wünschen sich weltweit mehr Aufmerksamkeit für den Klimawandel (Newman et al., 2022). Laut Umfragen zeigt sich in Deutschland über alle Altersgruppen hinweg der Wunsch nach ausführlicherer Berichterstattung und Erklärungen zu klimapolitischen Fragen (De Silva-Schmidt & Brüggemann, 2019).
Zwei Probleme sind hier zu unterscheiden: (1) das Fehlen von Wissen, das zu Fehleinschätzungen oder zur Weitergabe von Falschinformationen führen kann (Misinformation) und (2) Interner Link: Desinformation: die bewusste strategische Weitergabe von Falschinformation.
Die Daten aus einer regelmäßigen repräsentativen Befragung der Universität Hamburg zeigen: seit der Pariser Klimakonferenz 2015 ist das Bewusstsein darüber, dass es sich beim Klimawandel um eines der zentralsten Probleme handelt, zunächst in der deutschen Bevölkerung kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2021 sahen 41 Prozent der Befragten den Klimawandel sogar als eines der beiden wichtigsten Probleme, denen Deutschland gegenübersteht (2015: 15 Prozent, 2018: 30 Prozent, 2019: 39 Prozent). In der aktuellen Umfrage von 2023 gaben dies allerdings nur noch 22 Prozent der Befragten an. Grundlegendes Klimawissen ist im Zeitverlauf relativ konstant - jedoch auf niedrigem Niveau: Nur 14 Prozent wussten in 2023, dass die Pro-Kopf-Emissionen in Indien niedriger ist als in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Deutschland. Nur 18 Prozent wussten, dass die weltweiten Emissionen heute etwa um die Hälfte höher sind als noch 1990 (Reif et al., 2024).
Das mangelhafte Klimawissen ist ein ernüchterndes Fazit für die Klimaberichterstattung. Zwar führt ein Mehr an Wissen nicht gleich zu einem Mehr an Klimaschutzaktivitäten der Menschen – das wäre eine naive Annahme, die in der Wissenschaft mit dem Schlagwort „Information Deficit Model“ beschrieben wird (Suldovsky, 2017). Aber umgekehrt kann nicht sinnvoll zu Sachfragen Stellung bezogen werden, wenn die Fakten nicht bekannt sind.
Interner Link: Desinformation über den Klimawandel ist vor allem in den soziale Medien (Schäfer et al., 2020) und auf sogenannten „alternativen Nachrichtenseiten“ im Web verbreitet, auf denen neben der Leugnung des Klimawandels auch populistische, anti-wissenschaftliche Propaganda und Verschwörungserzählungen kursieren (Nordheim & Kleinen-von Königslöw, 2021).
Damit Bürgerinnen und Bürger Desinformationen leichter erkennen können, hilft eine kontinuierliche Klimaberichterstattung. Studien zeigen, dass eine vorausgehende Aufklärung über Desinformationskampagnen wie eine „Impfung“ wirken kann (van der Linden et al., 2017). Dabei kann Desinformation die verschiedensten Formen annehmen (siehe Infobox).
Vom Leugnen des Klimawandels zum Verschieben von Klimapolitik
Statt den Klimawandel zu leugnen, nutzen Gegnerinnen und Gegner von umfassenden Klimaschutzmaßnahmen mittlerweile auch Narrative der Verzögerung („Narratives of Delay”) (Lamb et al. 2020): Gemeint sind damit diskursive Strategien, die nicht die Existenz des Klimawandels in Frage stellen. Stattdessen wird beispielsweise angezweifelt, dass der Klimawandel eine gravierende Gefahr für Ökosysteme und Gesellschaften darstellt oder dass jetzt sofort weitgehende Maßnahmen zur Eindämmung notwendig sind. Ignoriert werden die Kosten der Klimawandelfolgen, stattdessen wird auf die Kosten von Klimaschutz hingewiesen. Oder es wird behauptet, dass Maßnahmen nicht effektiv seien. Andere Anliegen seien jetzt gerade wichtiger. Häufig wird dann betont, dass „wir“ ja nur marginal zum Klimawandel beitragen – dabei wird bewusst unterschlagen, dass Deutschland pro Kopf durchaus viele Emissionen beiträgt und dies schon viele Jahrzehnte länger als andere Staaten tut. Schließlich wird die Lösung auf technische Innovationen in der Zukunft verlagert. Was diese Narrative zusammenhält, ist die Schlussfolgerung: Wir müssen jetzt nichts (oder nicht viel) verändern. Andere müssen es tun oder zu einem späteren Zeitpunkt. Das ist politische Interessenpolitik, lässt sich aber auch sozialpsychologisch erklären.
Polarisierende Klimadebatten
Klimadebatten sind geprägt von Verdrängung – als Reaktion auf den Widerspruch zwischen unserem Wissen über die negativen Auswirkungen unserer Lebensweise auf das Klima und dem ausbleibenden Handeln.
Dies kann unter anderem zu einer Reizbarkeit führen, die in einer „diskursiven Polarisierung“ mündet (Brüggemann & Meyer, 2023). Nicht nur gehen die Meinungen in Debatten zunehmend auseinander, auch stehen sich die Kontrahentinnen und Kontrahenten am Ende zunehmend unversöhnlich gegenüber. Das ist im Interesse derer, die Klimaschutz vertagen wollen. Wenn die konstruktive Kommunikation zusammenbricht, wird es schwer zu politischen Beschlüssen zu kommen.
Debatten ums „Heizungsgesetz“
Am 1. Januar 2024 soll Externer Link: das geänderte Gebäudeenergiegesetz in Kraft treten. Bekannt wurde es als Interner Link: sogenanntes „Heizungsgesetz“. Der Bundestag verabschiedete es am 8. September 2023, der Bundesrat stimmte ihm am 29. September 2023 zu. Ziel des Gesetzes ist es, dass deutlich weniger fossile Energie aus Öl, Kohle oder Erdgas zum Heizen und Kühlen von Gebäuden genutzt wird.
Vor der Verabschiedung des Gesetzes gab es darum eine kontrovers geführte öffentliche und regierungsinterne Debatte. Im Frühjahr 2023 veröffentlichte die „Bild“-Zeitung Informationen aus dem Referentenentwurf des Gesetzes. Diese waren versehen mit der Schlagzeile, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Interner Link: Bündnis 90/Die Grünen) ab 2024 Öl- und Gas-Heizungen verbieten wolle, obwohl der Entwurf Übergangsfristen für den Austausch von Heizungen beinhaltete und es nicht vorgesehen war, funktionierende Heizungen zu verbieten.
Die Regierungspartei FDP lehnte daraufhin den Entwurf öffentlich ab. Nach Anpassungen kündigte sie im Mai an, dem Gesetz im Bundestag weiterhin nicht zuzustimmen. Sie forderte unter anderem Wasserstoff und Biomasse als erneuerbare Energieform stärker zu berücksichtigen. Kritik gab es ebenfalls von den Oppositionsparteien.
Schließlich einigte sich die Koalition im Juni auf einen Entwurf, der die kommunale Wärmeplanung stärker mit einbezieht. Ab 2024 muss mindestens 65 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Diese Regelung gilt aber zunächst nur für neue Heizungen in Neubaugebieten.
Das Gesetz ist ein Klimaschutzvorhaben der aktuellen Bundesregierung. Externer Link: Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken sollen. Für den Gebäudesektor heißt das: Die Emissionen müssen in diesem Bereich fast halbiert werden. Die Debatte um das „Heizungsgesetz“ war demnach ein Gradmesser für die Bereitschaft Deutschlands, konkrete Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen.
Journalismus muss nicht selbst politisch extrem sein, um – unwillentlich – Polarisierung Vorschub zu leisten. Gerade das passive und vermeintlich neutrale Weitergeben von Statements politischer Akteure kann polarisieren, wenn Journalismus vor allem den extremeren Statements Sichtbarkeit verschafft und unkritisch Frames (Perspektiven auf Themen) übernimmt, die vielleicht gar nicht sachgerecht sind, sondern einem politischen Zweck dienen.
Ein Beispiel dafür ist die Medienberichterstattung Interner Link: über die Klimaproteste der „Letzten Generation“. In Inhaltsanalysen konnten Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass auch politisch liberale und eher links-orientierte Redaktionen die Frames rechts-populistischer Akteure übernommen haben: während in der Debatte um Interner Link: Fridays for Future nur rechtsextreme und -populistische Boulevardmedien die Protestierenden als Kriminelle, Terroristen oder Extremisten geframt haben, so haben in der Debatte um die Letzte Generation auch liberale und linke Medien aus dieser Perspektive über die Proteste berichtet. Worüber dann nicht mehr diskutiert wurde: der Frame „globale Klimagerechtigkeit“, der das eigentliche Anliegen der verschiedenen Klimaproteste darstellt (Meyer et al., 2023).
Alternative Konzepte für Journalismus und Klimakommunikation
Manche Journalistinnen und Journalisten „naturalisieren“, was sie tun. Sie sind der Meinung, dass professioneller Journalismus nur so und nicht anders möglich ist. Dem lässt sich entgegenhalten, dass ein anderer Journalismus natürlich denkbar und möglich ist und auch bereits existiert. Neue Berufsauffassungen und Muster der Berichterstattung müssen alte dabei nicht ersetzen, sondern können diese auch ergänzen.
Das Konzept des „transformativen Journalismus“ meint etwa Journalismus, der sich aktiv selbst verändert, um die gesellschaftlichen Debatten über die nötigen umfassenden sozio-ökologischen Transformationsprozesse besser kritisch-konstruktiv begleiten zu können (Brüggemann et al., 2022). Gemeint ist damit kein Journalismus, der bestimmte politische Parteien favorisiert, sich aber dennoch zu einem gesellschaftlichen Allgemeininteresse (hier also: Umwelt- und Klimaschutz) bekennt. Ein solches Bekenntnis steht in einem Spannungsverhältnis zum klassischen Rollenselbstbild, einfach nur ein „neutraler Berichterstatter“ zu sein. Daher wird ökologisch-engagierten Journalisten und Journalistinnen dann zuweilen vorgeworfen, dass sie Aktivisten seien, was als Gegensatz zum professionellen Journalismus gestellt wird.
Ein Beispiel für transformative Praktiken wäre zum Beispiel ein Bekenntnis zu mehr Klimaberichterstattung und die Stärkung fachlicher Expertise in der Redaktion: Die über 500 internationalen Medienangebote, die in der Initiative Externer Link: „Covering Climate Change Now“ kooperieren und sich zu intensiverer Klimaberichterstattung bekennen, erreichen ein Publikum von bis zu zwei Milliarden Menschen. In Deutschland hat es sich beispielsweise die Initiative Externer Link: „Klima vor acht“ seit 2020 zur Aufgabe gemacht, auf die Notwendigkeit von mehr und regelmäßiger Klimaberichterstattung zur Prime Time hinzuweisen. Mit der plakativen Forderung nach einer täglichen Sendung „Klima vor acht“ konnte die Initiative Aufmerksamkeit generieren und inspirierte den TV-Sender RTL zur Einführung eines „Klima Updates“.
Ein potentiell problematischer Aspekt intensivierter Klimaberichterstattung ist der nur schwer vermeidbare Fokus auf negatives und bedrohliches, das zu Ängsten, Depressionen und Nachrichtenvermeidung führen kann (Hornsey & Fielding, 2020). Konstruktiver Journalismus als eine andere Form alternativer Berichterstattung will dagegen steuern und nicht nur Probleme benennen, sondern auch Lösungsvorschläge und existierende Initiativen thematisieren (Aitamurto & Varma, 2018). Denn Menschen kommen nur dann ins Handeln, wenn sie für sich individuell oder für uns als Gesellschaft kollektiv auch Handlungsmöglichkeiten sehen („Selbstwirksamkeit“) (Bandura, 1977).
Im Gegensatz zu sozialen Netzwerken, auf denen es noch keine etablierten Mechanismen der Qualitätskontrolle gibt, gibt es im Journalismus eine lebendige Debatte und Konkurrenz unterschiedlicher Medien und Ideen, was Journalismus sein kann und darf. Neue Konzepte, die den Klimawandel konsequent in den Fokus rücken, können klassische Muster des Journalismus ergänzen und maßgeblich dazu beitragen, den umfassenden Herausforderungen der öffentlichen Kommunikation der Klimakrise zu begegnen.
Michael Brüggemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg. In seiner Forschung untersucht er den Wandel von Journalismus- und Wissenschaftskommunikation aus einer vergleichenden Perspektive. Publikationen: Externer Link: www.bruegge.net.
Louisa Pröschel ist Masterstudentin und Mitarbeiterin der Universität Hamburg im Bereich Kommunikationswissenschaft. In ihrer Forschung untersucht sie Klimaproteste und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft aus intermedialer Perspektive.