Im Interview mit bpb.de analysiert der Politikwissenschaftler und Protest-Forscher Sebastian Haunss von der Universität Bremen die gesellschaftspolitischen Hintergründe der aktuellen Klimabewegung.
Tobias Brück: Wie schätzen Sie den aktuellen Stand der Klimabewegung in Deutschland ein?
Sebastian Haunss: Sie hat ihr Ziel, nämlich die deutsche Politik der Einhaltung des 1,5 Grad Ziels näher zu bringen, noch nicht erreicht. Die Protestlandschaft im Bereich Klima hat sich Interner Link: seit 2018 mit dem ersten Aufkommen von „Fridays for Future“ deutlich ausdifferenziert. Es gibt viel mehr verschiedene Protestakteure, die nebeneinander existieren. Der Mobilisierungshöhepunkt der Massenproteste von Fridays for Future ist im September 2019 gewesen. Nach der Corona-Pandemie sind so große Teilnehmerzahlen nie wieder erreicht worden.
Tobias Brück: Woran liegt es, dass die Klimabewegung derzeit nicht mehr so große Mobilisierungen erreichen kann?
Sebastian Haunss: Das liegt an der Themenkonkurrenz und auch daran, dass es sich um ein langfristiges Thema handelt. Fridays for Future ist 2019 folgendes mit einem Framing gelungen: Menschen hatten auf einmal ein Bewusstsein dafür, dass das Klimathema dringend ist und unbedingt angegangen werden muss.
Es gab schon lange vorher Klimaproteste. Die begannen in den 1990er- und 2000er-Jahren. Interner Link: Die internationalen Klimaabkommen waren immer von Protest begleitet. Auch die Proteste gegen den Kohleabbau gingen Fridays for Future lange voraus. Aber Fridays for Future ist es gelungen, die Konfliktkonstellation anders zu framen, als es die Klimaproteste vorher gemacht haben. Davor hieß es, der Klimawandel ist ein großes globales langfristiges Problem. Interner Link: Wir müssen aktiv werden, weil Menschen im globalen Süden schon jetzt von den Folgen betroffen sind. Das war ein Solidaritätsproblem, was irgendwie weit weg erschien. Fridays for Future hat gesagt, der Klimawandel findet jetzt und hier statt, betrifft uns und unsere eigene Zukunft. Die Regierung hier im Land ist der Adressat, der etwas ändern muss. Das hat viele Menschen aufgerüttelt, auf die Straße gebracht und wesentlich zu dieser Massenmobilisierung beigetragen.
Aber danach kamen wieder andere Themen auf die Agenda. Interner Link: Das erste war Corona. Da waren erstmal keine Demonstrationen mehr möglich. Dann kamen andere Themen, wie die mit der Pandemie einhergehende Wirtschaftskrise, Interner Link: der Ukraine-Krieg und Interner Link: zuletzt wieder Migration – das 2019 von den Klimaprotesten vom ersten Platz der politischen Agenda verdrängt worden war. All diese Themen stehen in Konkurrenz zur Aufmerksamkeit für das Klimathema. Das hat dafür gesorgt, dass die Massenproteste zurückgegangen sind.
Tobias Brück: Der Klimaaktivismus hat seitdem vielfältige Formen angenommen. In welchem Verhältnis stehen die verschiedenen Protestformen zueinander?
Sebastian Haunss: Das ist ein Nebeneinander, aber keine Konkurrenz. Externer Link: Wir haben aus dem Institut für Protest- und Bewegungsforschung mehrfach die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fridays for Future-Demonstrationen befragt. Bei der letzten Befragung, dieses Jahr im März, haben wir explizit gefragt, wie sie zu den Protestformen der anderen Klimaprotestgruppen stehen, wie die der „Letzten Generation“, „Extinction Rebellion“ oder „Ende Gelände“. Dabei konnte man deutlich sehen, dass diese Aktionen, abgesehen von Anschlägen auf Kunstgegenstände, auf sehr viel Zustimmung gestoßen sind. Es gab relevante Teile, die entweder schon bei den Aktionen anderer Gruppen teilgenommen haben oder sich dies zumindest sehr gut vorstellen konnten.
Das heißt aus der Perspektive der Aktivistinnen und Aktivisten ist es kein Konkurrenzverhältnis. Es sind ja auch sehr unterschiedliche Aktionsformen. Während die Straßendemonstrationen darauf angewiesen sind, dass sehr viele Menschen sich daran beteiligen, können andere Aktionsformen auch von kleinen Gruppen gemacht werden. Dabei sieht man durchaus eine Dynamik, vor allem bei der Letzten Generation. Als einzelne kleine Gruppe angefangen, hat sie inzwischen – zumindest sagt sie das selber – in zahlreichen Städten lokale Gruppen, die diese in der Mobilisierung weniger aufwendige Aktionsform der Verkehrsblockaden durchführen.
Tobias Brück: Wodurch unterscheidet sich die neue Klimabewegung von der alten Umweltbewegung?
Sebastian Haunss: Sowohl die alte Umweltbewegung als auch die neue Klimabewegung sind sehr divers. Zudem gibt es durchaus relevante Überschneidungsbereiche. Wenn Sie heute auf eine Klimademonstration gehen, dann werden Sie dort garantiert die Fahnen des „BUND“ und von „Greenpeace“ sehen, also die klassischen Organisationen der alten Umweltbewegung. Die alte Umweltbewegung, die ab den 1970er-Jahren in Westdeutschland entstanden ist, hatte einerseits einen Flügel, dem es eher um Naturschutz aus einer konservierenden Haltung heraus ging. Interner Link: Andererseits hatte sie die Anti-AKW-Bewegung, die in vieler Hinsicht dem aktionsorientierten Flügel der heutigen Klimabewegung ähnelt, wie zum Beispiel Ende Gelände.
Tobias Brück: Wie werden die aktuellen Klimaproteste in der Gesellschaft wahrgenommen und welche Konfliktlinien gibt es diesbezüglich?
Sebastian Haunss: Während Fridays for Future extrem hohe Zustimmungswerte genossen hat, gilt das für die aktuellen Proteste, insbesondere die der Letzten Generation, nicht. Man sieht in den Bevölkerungsumfragen, dass sie keine mehrheitliche Zustimmung mehr bekommen. Das hat natürlich mit der Wahl des Aktionsmittels zu tun. Die Verkehrsblockaden stoßen offensichtlich nicht auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Dadurch hat sich die politische Ausgangssituation für Klimaproteste verschoben. Man sieht, das Klimathema ist doch kein gesellschaftliches Konsensthema. Wenn es darum geht tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen, die die Erderwärmung begrenzen, treten Konfliktlinien zutage, die man 2019 vielleicht ein bisschen vergessen hat.
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Klimapolitik ist nicht nur eine Fortschrittserzählung, bei der es dann allen besser geht. Sie erfordert Einschnitte, so dass es auch Verlierer gibt, die bisher einen sehr CO2-intensiven Lebensstil gepflegt haben.
Tobias Brück: Wie bewerten Sie den Diskurs um die Klimabewegung in Deutschland und wie ist der rechtliche, mediale und politische Umgang einzuordnen?
Sebastian Haunss: Da kommen verschiedene Dynamiken zusammen. Das eine ist eine Mediendynamik, die Skandalisierung der Proteste. Dazu kommt eine politische Dynamik: Das rechte und konservative politische Lager, auch das wirtschaftsnahe Lager, von Interner Link: CDU und Interner Link: FDP zur Interner Link: AfD machen eine politische Konfliktlinie auf und versuchen klimapolitisch zu bremsen. Dazu kommen Dynamiken, die eigentlich mit dem Thema Klima und den Protesten selbst nicht unbedingt etwas zu tun haben, wie beispielsweise Landtagswahlkämpfe. Zuletzt wurde besonders in Bayern eine scharfe Linie gegen die Klimaproteste gefahren, weil die CSU sich die Grünen als Hauptgegner Interner Link: in der bayerischen Landtagswahl ausgeguckt hatte.
Tobias Brück: Manche Beobachter:innen gehen davon aus, dass die Klimaproteste sich radikalisiert hätten. Wo sehen sie die Grenzen des Klimaaktivismus?
Sebastian Haunss: Ich halte den Begriff der Radikalisierung der Situation für nicht angemessen. Bei den Aktionsformen der Letzten Generation wird der Verkehr blockiert, es kommt niemand materiell zu Schaden, es werden keine Personen angegriffen, es werden keine Gegenstände zerstört, wie zu Zeiten der Anti-AKW-Bewegung als teilweise Strommasten gesprengt worden sind.
Debatten um die „Letzte Generation“
Seit mehr als zwei Jahren macht die Letzte Generation (LG) von sich reden: Aus Protest gegen mangelnde Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung kleben Aktivistinnen und Aktivisten sich an Straßen fest, blockieren Kreuzungen, ketten sich an Ministerien an, begehen Hausfriedensbruch, überschütten Flugzeuge mit Farbe oder bekleckern Kunstwerke mit Lebensmitteln.
Nachdem die Gruppe erstmals im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 mit einem Hungerstreik in Erscheinung trat, um die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien zu einem Gespräch über Klimaschutz zu bewegen, fallen die sogenannten „Klima-Kleber“ mit ihren Sitzblockaden oder Aktionen in Kunstmuseen und Flughäfen auf. Sie beschmierten auch das Grundgesetz-Denkmal und das Brandenburger Tor mit Farbe.
Vehemente Kritik bis hin zu offenem Hass und Gewalt schlägt den Aktivistinnen und Aktivisten entgegen. Der Vorwurf: Sie unterwanderten den demokratischen Prozess, in dem sie der Bevölkerung mit illegalen Aktionen und der Inszenierung moralischer Überlegenheit ihren Willen aufzwinge. Gerichte verhängen zum Teil monatelange Haftstrafen gegen Aktivistinnen und Aktivisten. Im Mai 2023 gab es eine bundesweite Razzia gegen die LG. Im Kontext mehrerer Beschwerden von Mitgliedern der LG wegen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen, Externer Link: bestätigte Ende November 2023 das Landgericht München I den Anfangsverdacht einer kriminellen Vereinigung.
Sebastian Haunss: Es findet eine relativ milde Überschreitung des gesetzlichen Rahmens statt, und zwar in Formen, die lange in sozialen Bewegungen und Protesten etabliert sind. Deshalb finde ich es übertrieben in dem Rahmen von einer Radikalisierung zu sprechen, insbesondere auch weil die Forderungen der Letzten Generation und Fridays for Future sich kaum unterscheiden. In beiden Fällen sind diese sehr moderat: Beide Gruppen fordern im Kern die Einhaltung eines bereits beschlossenen internationalen Vertrages sicherzustellen.
Tobias Brück: Der Soziologie Nils Kumkar spricht angesichts des Widerstands gegen die Gruppe „Letzte Generation“ von einer Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung. Was halten Sie davon?
Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung
Externer Link: Der Soziologe Nils Kumkar sprach in „Soziopolis“ von einer Radikalisierung der Radikalisierungsbehauptung: Diejenigen, die der Letzten Generation (LG) radikales Verhalten vorwerfen, radikalisierten sich selbst, bis hin dazu, dass sie Gewalt gegen Aktvistinnen und Aktivisten legitimierten. So fragte die „Bild“-Zeitung, ob man „Klimaklebern eine kleben“ dürfe. Gegen die LG wird als vermeintlich kriminelle Vereinigung ermittelt. Rechte und Konservative beschwören seit längerem eine „grüne RAF“ herauf.
Sebastian Haunss: Es gab einen Akteur aus der Klimabewegung, Tadzio Müller, der in einem Spiegel-Interview das Schreckgespenst der „grünen RAF“ an die Wand gemalt hat. Das ist natürlich gerne von Konservativen und der Boulevardpresse aufgegriffen worden. Auch der Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) warnte vor einer kriminellen Vereinigung und dem Übergang zum Terrorismus. Das ist in der Tat ein völlig von den Aktionen und politischen Forderungen losgelöster Diskurs.
Tobias Brück: Halten Sie Praktiken des zivilen Ungehorsams angesichts der Klimakrise für legitim?
Sebastian Haunss: Ja. Das heißt aber nicht, dass ich die Praktiken, die von der Letzten Generation angewendet werden immer für besonders schlau halte. Ich sehe dabei das Problem, dass die Aktionen teilweise nur in einem sehr losen Zusammenhang mit dem eigentlichen Ziel stehen. Das war am Anfang besonders deutlich, wo es um Lebensmittelrettung ging und Straßen blockiert wurden. Es war völlig unklar, wie eigentlich die Aktion mit der Forderung zusammenhängt. Inzwischen gehen die Forderungen auch auf die Verkehrspolitik ein, aber diese ist nicht der zentrale CO2-Hebel.
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In der Geschichte sozialer Bewegungen waren Aktionen zivilen Ungehorsams immer dann besonders wirkungsvoll und sind auf Sympathien gestoßen, wenn nicht viel erklärt werden musste.
Wenn sofort klar war, warum und an welcher Stelle diese Gesetzesübertretung begangen wird, beispielsweise als die Friedensbewegung die Tore des Pershing-Depots in Mutlangen blockiert hat. Die Qualität der Aktionen zivilen Ungehorsams macht aus, dass sie einerseits das Gesetz übertreten und andererseits eine symbolische Message senden, die für sich verständlich sein sollte. Das weist die Letzte Generation aktiv zurück. Sie sagt, ihr geht es nur darum, den Alarm auszulösen. Also für Aufmerksamkeit zu sorgen, aber mit der Aktion selber keinen diskursiven Beitrag zu leisten, der das Problem deutlich macht.
Was ist ziviler Ungehorsam?
Unter zivilem Ungehorsam versteht man eine Widerstandspraxis, die Rechtsbrüche in Kauf nimmt, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Dabei setzen sich diejenigen, die zivilen Ungehorsam ausüben, bewusst über das geltende Recht hinweg, da sie dieses als Ausdruck sozialer und politischer Ungerechtigkeiten wahrnehmen. Ihre eigene Moral widerspricht den Gesetzen, so dass sie den Widerstand dagegen als legitim bezeichnen.
Das Konzept, wie es seit der Antike in der politischen Theorie diskutiert wird, verweist auf eine Beteiligungsform, bei der die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Gewissensgründen gegen staatliche Gesetze verstoßen, zum Beispiel durch Steuerverweigerung, Sitzblockaden, Besetzungen von Gebäuden, Gelände und Grundstücken oder wilde Streiks. Populär wurde die Protestform durch die indische Unabhängigkeitsbewegung, die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung, den Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika sowie die neuen sozialen Bewegungen der 1960er- bis 1980er- Jahre. In diese Tradition reihen sich Globalisierungskritiker/-innen, Klimaaktivist/-innen, NGOs und Gewerkschaften ein.
Tobias Brück: Wie schätzen Sie im Gegenzug dazu die Proteste im Hambacher Forst oder in Lützerath ein?
Sebastian Haunss: Diese Aktionen würde ich ganz anders einschätzen. Bei den Externer Link: Besetzungen im Hambacher Forst und in Lützerath ist völlig klar, warum das gemacht wird. Die Proteste entsprechen deutlich eher den Kriterien sich selbst vermittelnder Aktionen zivilen Ungehorsams.
Tobias Brück: Viele Aktivist/-innen sind frustriert, weil die Regierung aus ihrer Sicht immer noch viel zu wenig tut, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen. Haben Sie dafür Verständnis?
Sebastian Haunss: Ja, das kann ich gut verstehen. Gleichzeitig ist es aus der analytischen Außensicht des Forschers so, dass soziale Bewegungen, die große gesellschaftliche Fragen adressieren, in der Regel lange dauern. Die damit verbundenen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse sind nicht mit einer einfachen Entscheidung vom einen auf den nächsten Tag getan.
Das galt in Deutschland auch für die Anti-AKW-Bewegung, die von ihren Anfängen bis zum Ausstiegsbeschluss über 40 Jahre Aktivität hinter sich gebracht hat. Aber auch für andere Bewegungen, die große gesellschaftliche Fragen adressiert haben, Interner Link: die Arbeiterbewegung, Interner Link: die Frauenbewegung oder Interner Link: die Schwulenbewegung. All diese Bewegungen existierten über lange Zeiträume und brauchten einen langen Atem, um am Ende für gesellschaftlichen Wandel zu sorgen.
Das wird vermutlich bei der Klimabewegung auch so sein. Nichtsdestotrotz kann ich die Frustration gut verstehen. Natürlich muss dringend etwas getan werden. Der Missstand ist da und er wird von den wenigsten Menschen in Deutschland in Frage gestellt. Trotzdem passiert sehr wenig, was diesen Missstand wirklich aus der Welt schaffen könnte.
Tobias Brück: Was macht denn so ein langer Atem konkret aus?
Sebastian Haunss: Bewegungen müssen dafür sorgen ihre Strukturen zu erhalten. An einzelnen Orten haben sich Fridays for Future Gruppen aufgelöst, aber es gibt nach wie vor weit über 200 Gruppen vor Ort. Diese Gruppen, die lokal arbeiten, diskutieren, mobilisieren sind die zentrale Struktur sozialer Bewegungen. Deren Arbeit ist in der Regel überhaupt nicht sichtbar.
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Soziale Bewegungen sind wie ein Eisberg: Die Demonstrationen sind die Spitze, darunter findet die alltägliche Arbeit statt. Dafür braucht es den langen Atem.
Leute, die bei der Stange bleiben und die nicht öffentlich sichtbare Arbeit der Bewegung machen. Natürlich braucht es auch Bündnispartner. Die Gewerkschaften sind relevante Akteure. Gleichzeitig sah man bei den Versuchen mit ihnen zusammenzugehen, wie groß die Differenzen bei den Forderungen sind. Für die Gewerkschaften schlägt am Ende das Arbeitsplatzargument alles, während klimapolitische Forderungen negative Auswirkungen haben können, zumindest in einigen Branchen.
Tobias Brück: Was halten Sie von der Annahme, dass der Klimaaktivismus die Polarisierung der Gesellschaft verstärke?
Sebastian Haunss: Ich glaube nicht, dass man von Polarisierung sprechen sollte, sondern von einer Konfliktdimension.
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Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens darüber, was getan werden sollte, um das allgemein diagnostizierte Problem anzugehen. Darüber wie Klimapolitik konkret aussehen sollte, wird es gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Kämpfe geben.
Darauf weist auch der Klimaprotest hin: Es handelt sich um ein Konflikt- und nicht um ein Konsensthema.
Tobias Brück: Welche Errungenschaften hat die Bewegung zu verzeichnen?
Es werden Regelungen getroffen, aber doch viel weniger, in viel geringerem Umfang und viel langsamer, als sich das die Protestierenden erhofft hatten. Der Erfolg ist gerade bei so einem komplexen Thema nicht leicht einem Akteur eindeutig zuzuschreiben, zumal ja Interner Link: die Umweltverbände schon lange vor Fridays for Future das Klimathema politisch adressiert haben.
Die Bundesregierung hat das Interner Link: Pariser Klimaabkommen unterzeichnet, da war es als relevantes Thema bereits bei der Politik auf höchster Ebene angekommen. Dann bei einzelnen Maßnahmen zu sagen, wer ist jetzt eigentlich genau für den Erfolg oder Misserfolg verantwortlich, ist extrem schwer zu sagen.
Tobias Brück: Was müsste die Politik tun, um den von den Klimaaktivist/-innen formulierten Anliegen stärker gerecht zu werden?
Sebastian Haunss: Sie müsste klarere politische Maßnahmen treffen, die tatsächlich zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes führen und nicht Interner Link: wie zum Beispiel im Verkehrssektor einen Anstieg des CO2-Ausstoßes in den letzten Jahren zulassen. Wenn sie das tun würde, das hat man am „Heizungsgesetz“ gesehen, gehen damit politische Widerstände einher: Menschen, die diesen Weg so deutlich nicht mitgehen wollen, werden ihren Widerspruch äußern.
Debatten ums „Heizungsgesetz“
Am 1. Januar 2024 soll Externer Link: das geänderte Gebäudeenergiegesetz in Kraft treten. Bekannt wurde es als Interner Link: sogenanntes „Heizungsgesetz“. Der Bundestag verabschiedete es am 8. September 2023, der Bundesrat stimmte ihm am 29. September 2023 zu. Ziel des Gesetzes ist es, dass deutlich weniger fossile Energie aus Öl, Kohle oder Erdgas zum Heizen und Kühlen von Gebäuden genutzt wird.
Vor der Verabschiedung des Gesetzes gab es darum eine kontrovers geführte öffentliche und regierungsinterne Debatte. Im Frühjahr 2023 veröffentlichte die „Bild“-Zeitung Informationen aus dem Referentenentwurf des Gesetzes. Diese waren versehen mit der Schlagzeile, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Interner Link: Bündnis 90/Die Grünen) ab 2024 Öl- und Gas-Heizungen verbieten wolle, obwohl der Entwurf Übergangsfristen für den Austausch von Heizungen beinhaltete und es nicht vorgesehen war, funktionierende Heizungen zu verbieten.
Die Regierungspartei FDP lehnte daraufhin den Entwurf öffentlich ab. Nach Anpassungen kündigte sie im Mai an, dem Gesetz im Bundestag weiterhin nicht zuzustimmen. Sie forderte unter anderem Wasserstoff und Biomasse als erneuerbare Energieform stärker zu berücksichtigen. Kritik gab es ebenfalls von den Oppositionsparteien.
Schließlich einigte sich die Koalition im Juni auf einen Entwurf, der die kommunale Wärmeplanung stärker mit einbezieht. Ab 2024 muss mindestens 65 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Diese Regelung gilt aber zunächst nur für neue Heizungen in Neubaugebieten.
Das Gesetz ist ein Klimaschutzvorhaben der aktuellen Bundesregierung. Externer Link: Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken sollen. Für den Gebäudesektor heißt das: Die Emissionen müssen in diesem Bereich fast halbiert werden. Die Debatte um das „Heizungsgesetz“ war demnach ein Gradmesser für die Bereitschaft Deutschlands, konkrete Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen.
Tobias Brück: Wie könnte die Klimabewegung die Gesellschaft effektiver mitnehmen und die gesellschaftliche Mehrheit, die es für den Klimaschutz gibt, mobilisieren?
Sebastian Haunss: Da habe ich kein Patentrezept. Soziale Bewegungen brauchen gesellschaftliche Mehrheiten, damit sie erfolgreich sind. Sie brauchen Alliierte, die am Ende dafür sorgen, dass die von ihnen gestellten Forderungen durchgesetzt werden. Soziale Bewegungen agieren aus einer Position struktureller Schwäche. Sie sind selbst nicht in der Lage, dass was sie ändern wollen, auch selbst zu ändern. Sie sind nicht an der Regierung, sie verfügen nicht über die notwendige ökonomische oder politische Macht, um ihre Forderungen direkt durchzusetzen. Sie müssen also politische Akteure überzeugen.
Diese Überzeugungsarbeit ist Fridays for Future am Anfang besser gelungen. Allerdings ist auch da die Frage: Wie lässt sich das auf Dauer stellen? Auf Dauer große Massendemonstrationen zu realisieren, gelingt normalerweise nicht. Das funktioniert immer nur zu einzelnen Ausnahmesituationen. Die Letzte Generation trägt mit ihren vielen kleinen und oft als nervig empfundenen Protesten durchaus dazu bei, dass das Thema zwischendrin nicht in Vergessenheit gerät.
Sebastian Haunss ist Professor für Politikwissenschaft am SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen soziale Bewegungen, Protest und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Er ist Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.
Tobias Brück studierte Soziologie und Politikwissenschaft in Rostock, Bremen, Prag, Berlin und Paris. Zudem arbeitete er u. a. für Belltower.News, die Berliner Zeitung, Jungle World und taz sowie die Bundeszentrale für politische Bildung, den Unrast Verlag und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er ist als freier Journalist und Autor tätig.
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