Rundfunk- bzw. Medienunabhängigkeit ist kein Selbstzweck. Ihren elementaren Wert erlangt sie aus zwei Gründen:
In Bezug zu anderen normativen Konzepten wie „Meinungsbildung“, „demokratische Öffentlichkeit“ und „öffentlichem Auftrag“, denn nur unabhängige Medien sind in der Lage, diese normativen Konzepte auch in der Praxis umzusetzen.
Die Definition von Unabhängigkeit erfordert eine dezidierte Auseinandersetzung mit Abhängigkeiten, wie sie auf institutioneller, aber auch auf inhaltlicher Ebene vorzufinden sind.
Der folgende Beitrag bietet einen kurzen Überblick über die Unabhängigkeit des Interner Link: öffentlich-rechtlichen Rundfunks entlang dieser zwei Definitionslinien. Sie wird zum einen gegenüber der im deutschen Grundgesetz festgelegten Kommunikationsfreiheiten, zum anderen gegenüber den funktionalen Erwartungen der Demokratietheorie abgewogen. Mit welchen Abhängigkeiten diese normativen Konzepte in der öffentlich-rechtlichen Praxis kollidieren, wird in diesem Beitrag ebenfalls deutlich gemacht. Auch wenn hier vor allem vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) die Rede ist, so beziehen sich Grundsätze wie auch Praxis auf die öffentlich-rechtlichen Medien (ÖRM), weil es sich beim ÖRR längst nicht mehr nur um Fernsehen und Hörfunk handelt, sondern die Anstalten ein breites Angebot an Online-Medien machen, und ihre Inhalte über viele digitale Ausspielwege – vor allem die Mediatheken, aber auch Apps und Social Media – präsentieren.
Rechtliche Grundlagen als Basis für freie Medien in einer Demokratie
Die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, in dem alle Medien gleichgeschaltet und dem staatlichen Propaganda-Apparat untergeordnet waren, prägten maßgeblich die Etablierung des Rundfunksystems in der Bundesrepublik Deutschland. Um staatliche Instrumentalisierung in der Zukunft zu vermeiden, entschieden sich die Gesetzgeber unter Aufsicht der Alliierten für den Aufbau eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach britischem Vorbild (British Broadcasting Corporation, BBC). Dem Interner Link: Föderalismusprinzip zufolge wurde jedem Bundesland eine eigene Rundfunkanstalt zugeordnet, deren Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Interessen gewährleistet werden sollte.
Verfassungsrechtliche Kommunikationsfreiheiten
Einen zentralen Ausgangspunkt für die rechtliche Ausgestaltung der Rundfunkordnung bilden die verfassungsrechtlichen Kommunikationsfreiheiten. So werden das individuelle Grundrecht auf Meinungsbildung und die Rundfunkfreiheit im Grundgesetz festgehalten Interner Link: Art. 5 Abs. 1 GG. Die konsequente Auslegung dieser Wechselbeziehung durch die Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts hat die Entwicklung des Rundfunksystems bestimmt. In den letzten 70 Jahren musste das Bundesverfassungsgericht immer wieder die Verfassungskonformität von rundfunkpolitischen Ansätzen und Entwicklungen überprüfen. Hieraus entstand eine Reihe von Rundfunkurteilen, die die verfassungsrechtlichen Kommunikationsfreiheiten zeit- und kontextgemäß interpretierten und diese auf die rundfunkpolitische Praxis übertrugen. Normative Konzepte, beispielsweise Staatsferne und Rundfunkunabhängigkeit, sind das Ergebnis dieses Auslegungsprozesses:
Diesem Gedankengang zufolge wird die Rundfunkfreiheit als eine dienende Freiheit verstanden. Der freie Rundfunk wird somit der gesellschaftlichen Aufgabe verpflichtet, durch sein vielfältiges Programmangebot zur freien Meinungsbildung beizutragen.
Aufgrund seiner Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft schreibt das Bundesverfassungsgericht dem Rundfunk eine Sonderrolle im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung zu. Der Betrieb öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird daher als eine öffentliche Aufgabe aufgefasst, die von staatlichen Aufgaben klar abzugrenzen ist. Dies besagt der vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bekräftigte Grundsatz der Staatsfreiheit. Demnach obliegt dem Staat nicht nur die Aufgabe, den Rundfunk vor staatlicher Einflussnahme zu schützen, sondern auch vor den Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen wie zum Beispiel politischer Parteien, Wirtschaftsunternehmen oder Religionsgemeinschaften. Die öffentliche Verwaltung und Finanzierung der Rundfunkanstalten werden somit durch den Gesetzgeber rechtlich abgesichert.
Verwaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Die Interner Link: Landesmediengesetze regeln Funktion und Zusammensetzung der jeweiligen Rundfunkgremien, die die Pluralität der Gesellschaft widerspiegeln sollen. Jedes dieser Gesetze legt die gesellschaftlich relevanten Gruppen fest, die ihre Vertreter in die Rundfunk- und Fernsehräte der öffentlich-rechtlichen Anstalten entsenden dürfen. Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Wirtschafts- und Kunstverbände werden z. B. als gesellschaftlich relevante Gruppen aufgeführt. Länder, Bund und politische Fraktionen sind in den Aufsichtsgremien ebenfalls vertreten.
Zu den Hauptfunktionen der Rundfunk- und Fernsehräte zählen unter anderem die Überwachung der Erfüllung des gesetzlich festgelegten Programmauftrags, die Genehmigung des Haushalts und die Wahl des Intendanten. Die pluralistische Zusammensetzung der Aufsichtsgremien soll somit einer pluralistisch angelegten Kontrollfunktion zugutekommen, bei der die Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt werden können.
Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Der Externer Link: Medienstaatsvertrag und der Externer Link: Rundfunkbeitragsstaatsvertrag regeln die öffentliche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine zentrale Rolle in diesem Prozess spielt die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), die den angemeldeten Finanzbedarf der Rundfunkanstalten nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überprüft. Daraus leitet sie die Höhe des Externer Link: Rundfunkbeitrags (vor 2013 Rundfunkgebühr) ab.
Dieses durch ein unabhängiges Gremium geleitete Beitragsfestsetzungsverfahren ist das Ergebnis des achten Rundfunkurteils des Bundesverfassungsgerichts, das einen gefährlichen Zusammenhang zwischen der Festlegung der Finanzausstattung und der Programmautonomie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten feststellte. Im staatlich geregelten Beitrags- (damals: Gebühren-)festsetzungsverfahren erkannte das Gericht das Potenzial politischer Einflussnahme auf das publizistische Angebot und sprach sich für eine staatsunabhängige Gebührenfestsetzung aus.
Die Wirtschaftsferne ist eine weitere Dimension der Unabhängigkeit, die eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weitgehend unabhängig vom ökonomischen Markt und damit vom Verhalten der Programmnachfrager und Werbeanbieter gewährleisten soll. Der Rundfunkbeitrag soll absichern, „dass sich das Programm an publizistischen Zielen, insbesondere an dem der Vielfalt orientiert, und zwar unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen“.
Interpretation, Bedeutung und Zweck der Unabhängigkeit des Rundfunks
Medien sind prägend für die Gestaltung öffentlicher Kommunikation. Sie stellen den Bürgern ihre Beobachtungen zur Verfügung, auf deren Grundlage diese ihre eigene Meinung bilden können. Je unvoreingenommener und vielfältiger die Beobachtungen der Medien sind, desto demokratischer ist der Prozess der Meinungsbildung: So lautet die demokratietheoretische Auffassung von Medienfreiheit und -unabhängigkeit. Durch eine machtpolitisch oder wirtschaftlich motivierte Einflussnahme auf Medien lässt sich der Prozess der öffentlichen Meinungsbildung einschränken, das öffentliche Interesse wird Gruppeninteressen untergeordnet.
Befangene Medien können ihren demokratischen Funktionen nicht gerecht werden, weil die kritische Distanz zum Machthaber oder Geldgeber nicht mehr vorhanden ist. Diese ist wiederum wesentlich, wenn es darum geht, politische oder wirtschaftliche Gruppen und ihre Interessen als Gegenstand der Berichterstattung möglichst objektiv darzustellen und kritisch zu beobachten. Somit führt politische oder wirtschaftliche Einflussnahme zu einer oftmals gewollten Verzerrung der medial vermittelten, öffentlichen Meinungsbildung.
Vor diesem Hintergrund sind die unabhängigen und somit funktionsfähigen Massenmedien „ein öffentliches Gut, von dessen Befindlichkeit die Identität moderner demokratischer Gesellschaften wesentlich abhängt“. Damit der Rundfunk (und vor allem das Fernsehen) seine besondere Funktion im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung erfüllen kann, hat der Gesetzgeber besonders hohe Anforderungen an seine Qualität, Unabhängigkeit und Kontrolle gestellt, ebenso wie an die Unabhängigkeit seiner Finanzierung. Dies galt zu Zeiten des Monopols des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, es gilt in der Interner Link: dualen Rundfunkordnung, und es gilt umso mehr angesichts der Unübersichtlichkeit der zahllosen Online-Angebote. Denn kommerzielle Rundfunksender ebenso wie Online-Plattformen sind per se den Gesetzen des Marktes und damit wirtschaftlichen Interessen stärker unterworfen als öffentlich verantwortete und finanzierte. In der Online-Welt, die nicht nur von Angebotsvielfalt und Informationsüberflutung geprägt wird, sondern auch von Mis- und Interner Link: Desinformationen, sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Plattformen und Anbietern umso intransparenter.
Die institutionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten bedingt auch die Erfüllung ihres Interner Link: Programmauftrags. Hierzu gehört es, „die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen“.
Auch in der Multimedia-Umwelt hat ein öffentlich verantwortetes Kommunikationsangebot – weiterentwickelt als public service media, d. h. öffentlich-rechtliche Multimedia-Angebote – seinen Platz. Denn man könnte zwar argumentieren, dass es angesichts der Fülle der Informations- und Unterhaltungsangebote im Netz öffentlich-rechtlicher Angebote nur dort bedürfe, wo Defizite bestehen. Doch mit der vom Bundesverfassungsgericht verfügten Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist der Grundsatz formuliert, dass das Prinzip der unabhängigen öffentlichen Forumsfunktion auch in der Online-Kommunikation von Bedeutung ist. Die Erweiterung des Programmangebots auf neue Kommunikationskanäle wie das Internet ist für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unabdingbar, wenn er alle Zielgruppen ansprechen und seine demokratischen Funktionen auch in der Zukunft erfüllen will.
Die Realität der Unabhängigkeit
In der jüngeren Zeit wird das historisch belastete Wort von der „Lügenpresse“ auch auf die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angewendet. Mit diesem Begriff behaupten Vertreter*innen der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und anderer rechtspopulistischer Kräfte, es herrsche eine einseitige Berichterstattung, die einer Propaganda der etablierten Parteien entspreche. In der Tat gab es in der Vergangenheit einzelne Fälle, die zeigten, dass die zuvor genannten Ideale der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Realität einen schwierigen Stand haben. Der bekannteste ereignete sich im Zweiten Deutschen Fernsehen, dem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2013 bescheinigt hatte, dass hier der Einfluss politischer Akteure besonders groß war. Dies war deshalb so, weil die Vertreter der sogenannten Staatsbank (gemeint sind hier die Vertreter vom Bund, Ländern und den politischen Fraktionen) allein schon in starker Anzahl in den Aufsichtsgremien vertreten waren. Auch in den ARD-Anstalten treten einzelne Fälle des Versuchs politischer Einflussnahme auf, doch finden sie aufgrund ihres regionalen Zuschnitts nicht solch eine bundesweite Beachtung.
Gegenüber dem Postulat der AfD ist hier jedoch zu unterscheiden, ob einzelne Versuche politischer Einflussnahme zu konstatieren sind, oder ob der Vorwurf der systematischen Ausrichtung ganzer Sender an bestimmten politischen Positionen aufrechterhalten werden kann. Die Pluralität der Aufsichtsgremien und vor allem das journalistische Ethos der Medienschaffenden machen diesen Vorwurf gegenstandslos.
Fallbeispiele RBB und NDR
Gegen die Intendantin des RBB, ihren Ehemann und den Verwaltungsratsvorsitzenden hat die Berliner Generalstaatsanwaltschaft Anfang August 2022 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Untreue eingeleitet. Vorangegangen waren Enthüllungen der Plattform „Business Insider“, nach denen es zwischen der Intendantin und dem RBB-Verwaltungsratsvorsitzenden ein „System der Gefälligkeiten“ gegeben habe, von dem wiederum der Gatte profitiert habe.
Der Direktorin des Landesfunkhauses Hamburg des NDR wurden nach Recherchen der Plattform „Business Insider“ des Medienkonzerns Springer mögliche Einflussnahmen auf das Programm und die Einräumung von Vorteilen für die PR-Agentur ihrer Tochter bei der Berichterstattung des Landesfunkhauses Hamburg vorgehalten.
Beide Fälle haben erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit der Intendantin bzw. der Direktorin geweckt und nicht nur vielfältige Untersuchungen nach sich gezogen, sondern auch die Einsetzung eines „Rats für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, der eine langfristige Perspektive für die Öffentlich-Rechtlichen über das laufende Jahrzehnt hinaus entwickeln und damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz sichern sollte. Dass das Thema der Unabhängigkeit in dem abschließenden 40seitigen Bericht keine prominente Rolle spielt, sondern lediglich Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Mitarbeiter*innen empfohlen werden, deutet daraufhin, dass das Expertengremium dieses Prinzip weitgehend abgesichert sieht. Stattdessen wurden konkrete Empfehlungen gegeben, wie Compliance und Governance, also die regelorientierte Leitung und Aufsicht über die Anstalten garantiert werden sollen. Bedeutend an diesen Empfehlungen, die sinnvoll und ausreichend sind, ist, dass die zum Teil schon bestehenden Regelungen vereinheitlicht und einem höheren Standard angepasst werden.
Fallbeispiel Erhöhung des Rundfunkbeitrags
Während die Ermittlungen im Fall RBB noch anhängig sind, hat die Untersuchung zu den Vorgängen im NDR keine Hinweise auf systematische oder bewusste Verstöße gegen die Programmgrundsätze des NDR ergeben. Doch ist in der Folge die Diskussion um die Legitimität der öffentlich-rechtlichen Medien und vor allem die Höhe ihrer Finanzierung heftig entbrannt. Schon eine Erhöhung im Jahr 2020 war vom Land Sachsen-Anhalt entgegen dem üblichen KEF-Verfahren erst blockiert, dann aber im Zuge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes durchgesetzt worden. Auch im schon erwähnten Bericht des Zukunftsrates wird an der Beitragspflicht der Haushalte festgehalten, weil sie die Unabhängigkeit von staatlicher Einflussnahme besser gewährleiste.
Im Rahmen der Vorbereitung der gegenwärtigen (möglichen) Beitragserhöhung zeichnet sich ein Angriff auf die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Systems ab, der von mehreren Ministerpräsidenten der Bundesländer ausgeht. Während das KEF-Verfahren die Zustimmung der Länderparlamente zu dem Vorschlag der KEF erfordert, die derzeit eine Beitragserhöhung von 58 Cent für notwendig erachtet, haben sich die Voten von Ministerpräsidenten gemehrt, einer Beitragserhöhung nicht zustimmen zu wollen. Dies wird von zivilgesellschaftlichen Mitgliedern der Aufsichtsgremien aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als eine Aushöhlung des rechtsstaatlich festgelegten Verfahrens kritisiert, und setzt die Politikferne des Verfahrens aufs Spiel. In einem weiteren Sinne wird damit auch die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschädigt, weil die Entscheidungen über die Höhe der Finanzen der öffentlich-rechtlichen Anbieter verfassungsgemäß ja gerade nicht von einzelnen politischen Akteuren abhängig sein soll.
QuellentextFallbeispiel Nikolaus Brender
Als im Frühjahr 2010 die Verlängerung des Vertrages von Chefredakteur Nikolaus Brender auf der Tagesordnung des Verwaltungsrates stand, stimmte dieser der Verlängerung nicht zu. 2010 war ein Jahr, in dem Landtagswahlen und die Bundestagswahl anstanden. Brender galt als unbeugsamer Journalist, der den Wert journalistischer Unabhängigkeit hoch schätzte. Diese Entscheidung fiel mit der Stimmenmehrheit der Verwaltungsratsmitglieder, die dem Umfeld der CDU zuzuordnen sind. Sie fachte breite politische und rechtliche Diskussionen an, im Zuge derer verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Zusammensetzung der ZDF-Gremien formuliert wurden, welche dann auch zu einer Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht führten (siehe unten) .
Verhältnis zwischen Politiker*innen und Journalist*innen
Die Frage der Unabhängigkeit von Journalist*innen stellt sich besonders im Umgang mit Politiker*innen. Allerdings stellt die Forschung hier eher ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis als eine einseitige Beeinflussung fest. Während in der Forschung zunächst davon ausgegangen wurde, dass Politiker*innen und ihre PR den Journalismus (erfolgreich) instrumentalisieren, dominieren heute Beobachtungen, die grundsätzlich von einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis (interdependenten Beziehungen) ausgehen. So wird in einer jüngeren Studie eine informelle Kommunikationskultur beschrieben, die einerseits das schwierige Verhältnis zwischen Politiker*innen und Journalist*innen entkrampft und für gegenseitiges Vertrauen sorgt, die aber andererseits demokratietheoretische Probleme der Unabhängigkeit hervorruft.
Nun lässt sich die Tauschbeziehung zwischen Politiker*innen und Journalist*innen – Publizität wird gegen Information getauscht: politische Eliten bestimmen die Agenda, Journalist*innen stellen die Agenda dem Publikum zur Verfügung – weder mit aufwendigen Studien noch bei den einzelnen Akteuren aufspüren: Denn im Verhältnis zwischen ganzen Organisationen – z. B. zwischen den Parteien und den Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – lassen sich solche einzelnen Tauschbeziehungen kaum nachweisen. Doch ist es nicht abwegig festzustellen, dass ARD und ZDF, wiewohl sie einen unbestreitbaren Verdienst um die Herstellung politischer Öffentlichkeit haben, für die Parteienpolitik notwendig sind: Sie bieten ihr ein Forum. Dafür profitieren sie aber auch von der Parteienpolitik, solange diese die medienpolitischen Rahmenbedingungen für die weitere Existenz der öffentlich-rechtlichen Sender verteidigt. Die zunehmenden Angriffe der AfD auf das öffentlich-rechtliche System – sowohl von außen als auch aus den Gremien, wenn dort AfD-Vertreter*innen präsent sind –, lassen befürchten, dass dies einen Einfluss der Berichterstattung der Sender über die rechtspopulistische Partei haben könnte. Die Tatsache, dass die Staatsverträge über die öffentlichen Medien von Ministerpräsidenten gekündigt werden können, stellt ebenfalls ein erhebliches Problem für die Sicherung der Unabhängigkeit der Sender dar.
Kontrollgremien als Spiegel der Zusammensetzung der Gesellschaft oder der Macht der politischen Parteien?
In der Folge der „Causa Brender“ wurde vom Land Rheinland-Pfalz und vom Stadtstaat Hamburg eine Verfassungsklage gegen den ZDF-Staatsvertrag eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht sollte nun prüfen, ob dieser genügend Staatsferne der Senderaufsicht garantiert. Am 25. März 2014 erklärten die Verfassungsrichter den ZDF-Staatsvertrag für verfassungswidrig und dies aufgrund des überproportionalen staatlichen Einflusses in den Aufsichtsorganen (Anzahl der staatsnahen Vertreter im Fernseh- und Verwaltungsrat). Die Ministerpräsidenten waren nun gezwungen einen neuen, verfassungskonformen Staatsvertrag zu verabschieden, der die staatsnahen Vertreter in den Gremien auf ein Drittel begrenzt. Am 01.01.2016 trat der neue ZDF-Staatsvertrag in Kraft, der die Zahl der Vertreter der Staatsbank auf ein Drittel begrenzt. So soll dem Einfluss politischer Akteure auf das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Einhalt geboten werden.
Leitsätze
Gebot der Vielfaltssicherung.
Einbeziehung von Personen mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens.
Konsequentere Beachtung des Gebots der Staatsferne für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Die Frage, wie das Gebot der Staatsferne der öffentlich-rechtlichen Medien eingehalten und der politische Einfluss niedrig gehalten werden kann, ist mit der Frage der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eng verbunden. In einer Untersuchung, die von den Neuen deutschen Medienmachern in Auftrag gegeben wurde, kam der Autor zu dem Schluss, dass 147 von insgesamt 542 Mitgliedern in den untersuchten Gremien sich dem staatlichen oder staatsnahen Bereich zuordnen lassen und damit einen durchschnittlichen Anteil von 27,1 Prozent ausmachen – schwankend von Anstalt zu Anstalt. Mit Berücksichtigung der Vertretungen von Landkreistagen, Städtebund, einzelnen Gemeinden und Städten, die parteipolitisch gebunden sein können, lässt sich ein immer noch relevanter Anteil von Politiker*innen in den Gremien feststellen. Zusammen mit ihnen dominieren Vertretungen von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Abgesandte der beiden großen Kirchen die Gremien. Viele andere Gruppen und insbesondere marginalisierte Menschen haben auch in den Rundfunkräten nur eine schwache Stimme: Menschen mit Behinderung, Eingewanderte und ihre Nachkommen, queere Menschen, Muslim*innen und viele mehr. Ihre stärkere Präsenz in den Gremien würde zur Attraktivität des Programms bei bisher vernachlässigten Zielgruppen beitragen.
Unabhängigkeit als Teil der Zukunftsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien?
Die Frage der Zusammensetzung der Gremien in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bettet sich in eine größere Debatte um deren Legitimität und Zukunftsfähigkeit ein. Die Mitglieder des Zukunftsrates, die in ihrem Bericht die aktuellen Auseinandersetzungen aufgreifen und dabei sowohl Erkenntnisse einer Artikelreihe in den Jahren 2007/2008 im Fachdienst epd-Medien zur Professionalisierung der Gremien aufgreifen als auch darüber hinausgehen, fordern unter anderem eine Schärfung des Auftrags der Öffentlich-Rechtlichen sowie eine neue Organisation und zeitgemäße Gremien sowie die Weiterentwicklung der Führungs- und Organisationskultur. Unabhängigkeit wird hier also gestärkt, indem sie in den Kontext der Bedingungen gestellt wird, die sie ermöglichen.
Vor- oder Nachteile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im europäischen Vergleich der Mediensysteme
In der Europäischen Rundfunkunion (Externer Link: EBU) haben sich 115 öffentlich-rechtliche Medien in 56 europäischen Ländern (und weitere 31 Mitglieder in der ganzen Welt) zusammengeschlossen, die gemeinsamen Werten folgen, welche den Kern der ÖRM ausmachen: Unabhängigkeit ist dabei neben Universalität, Exzellenz, Vielfalt, Rechenschaftspflicht und Innovation zentral. Die Konkretisierung des Prinzips von Unabhängigkeit, das durch die strikte Trennung zwischen Leitungs- und Aufsichtsorganen realisiert werden soll, sieht von Staat zu Staat durchaus unterschiedlich aus:
In Frankreich hat der starke Zentralismus dazu geführt, dass der dortige Service Public (= öffentlich-rechtlicher Rundfunk) immer nah an der Staatsmacht angesiedelt war und ist – z. B. über das Recht des Präsidenten, den Direktor von France Television zu ernennen. Jüngst wurde die Beitragsfinanzierung der Sender durch eine Steuerfinanzierung ersetzt, was die politische Abhängigkeit noch erhöhen wird. In Deutschland würde so ein Modell erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen.
In Großbritannien kämpfte der öffentliche Rundfunk seit Langem mit einer feindlich gesinnten Regierung und sieht sich mit einem zunehmend skeptischen Publikum konfrontiert. Konservative Premierminister versuchten immer wieder, die BBC auf Regierungskurs zu bringen, doch sind die Angriffe vor allem unter der Regierung von Boris Johnson beispiellos massiv gewesen. Der Regierung ist es gelungen, das BBC-Management weitgehend mit Tory-Vertretern zu besetzen. Es ist zu befürchten, dass auch nach dem erfolgten Regierungswechsel diese Abhängigkeit bestehen bleibt.
Die starke Abhängigkeit der öffentlichen Sender in Portugal und Spanien sowohl von Werbeeinnahmen als auch von staatlichen Zuwendungen hat zugleich ein deutliches Absinken der Qualität und eine größere politische Einflussnahme herbeigeführt.
In den Staaten des Westbalkan kann man beobachten, wie fragil die Umwandlung vom Staatsrundfunk zum öffentlichen Rundfunk ist. Die Regierungen dieser Länder hatten und haben den Ehrgeiz, ein mächtiges Instrument zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in der Hand zu behalten, und machten den öffentlichen Rundfunk zu einem Instrument der Besitzstandswahrung und nicht des öffentlichen Interesses.
Wenn öffentliche Kontrolle zu staatlicher Kontrolle degeneriert – wie zum Beispiel bis vor kurzem in Polen und massiv in Ungarn –, ist der öffentliche Diskurs auf Dauer gestört.
In der Slowakei hat die Regierung den öffentlich-rechtlichen Sender im Juli 2024 per Gesetz aufgelöst und durch ein Staatsmedium ersetzt.
Im Externer Link: European Media Freedom Act hat die EU zwar Regelungen aufgenommen, die die Unabhängigkeit öffentlicher Medienanbieter absichern sollen, doch bleibt abzuwarten, inwieweit ihre Implementierung politisch durchsetzbar ist.
Fazit
Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland haben mit ihrer juristisch mehrfach abgesicherten Unabhängigkeit eine einzigartige Stellung in Europa. Kaum ein anderes Konstrukt des öffentlichen Rundfunks in der EU ist so gewissenhaft darauf bedacht, Staats- und Wirtschaftsferne herzustellen. Dazu gehören
das Prinzip der Vertretung der Zivilgesellschaft durch die Entsendung der Vertreter der sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen,
die geteilte Kontrolle durch Rundfunk- und Verwaltungsräte,
der mehrfach gestufte Prozess der Entscheidung über die Höhe des Rundfunkbeitrages und die öffentliche Finanzierung der Anstalten durch den vom Staat abgekoppelten Rundfunkbeitrag,
der hohe Stellenwert der redaktionellen Autonomie der Sender.
Doch haben selbst diese differenzierten Strukturen nicht vollständig verhindern können, dass politische Einflussnahme und die Versuche, durch die Besetzung der Rundfunkgremien parteipolitische Engführungen in die Aufsicht zu bringen, festzustellen sind.
Die Bereitstellung von unabhängig erstellten Inhalten, die durch einen öffentlich-rechtlichen Anbieter erfolgt, ist gerade angesichts der Überfülle und Unübersichtlichkeit von Content im Internet und in den sogenannten sozialen Medien ein für die Demokratie notwendiges Ziel, auf das immer wieder aufs Neue hingearbeitet werden muss. Sie hat damit Konsequenzen für die medienpolitische Praxis: Medienunabhängigkeit erfordert eine ständige offene und gezielte Auseinandersetzung mit machtpolitischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten im Bereich der öffentlich-rechtlichen Medienanbieter. Die Unabhängigkeit dieser Medien zu stärken, heißt, die Kompetenz der Gremien zu stärken und ihre plurale Zusammensetzung jenseits der Parteipolitik auszubauen.