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Medien als Inhalte- und Wertevermittler?

Dagmar Hoffmann

/ 18 Minuten zu lesen

Medienjournalismus dient der Orientierung, der Informations- und Wertevermittlung sowie Meinungsbildung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zur Ausgewogenheit verpflichtet, um Meinungspluralität zu erzeugen.

Regieraum der Tagesschau während einer Sendung. Im Jahr 2023 fielen gut 40 Prozent der Sendezeit von Das Erste und ZDF auf Informationsangebote wie Magazine, Reportagen, Dokus und Nachrichten. (© picture-alliance/dpa, Marcus Brandt)

Die Frage danach, welche Werte Menschen haben und vertreten, wird immer dann relevant, wenn diese bedroht werden oder gefährdet zu sein scheinen. Nicht selten gehen Diskussionen um Werte mit bedrohlichen, angstbesetzten Themen oder außergewöhnlichen Geschehnissen einher wie gewalttätige Übergriffe auf Migrant:innen, Amokläufe, Berichte über verstärkten Antisemitismus, Rechtsextremismus, über Armut oder Kriege. Im Fernsehen, in den Zeitungen und Magazinen und nicht zuletzt in den Sozialen Online-Netzwerken, reiht sich ein Ereignis und Thema an das andere, sodass weit reichende und nachhaltige Wertediskurse oftmals kaum möglich sind. Zudem geht es in den medienöffentlichen Auseinandersetzungen selten um einen einzelnen Wert, sondern steht hinter jeder Debatte ein dynamischer Konflikt von Werten. Werte sind kontingent, also nicht absolut oder universal gültig, sondern abhängig von verschiedenen (kulturellen, gesellschaftlichen, historischen, …) Umständen, und damit nicht widerspruchsfrei. Werteverhandlungen unterliegen vor allem in einer Gesellschaft, deren Öffentlichkeiten sich durch Vielstimmigkeit auszeichnen , zuweilen unvorhersehbaren und eigenwilligen Spannungen und Konjunkturen.

Die Verständigung über Werte und Meinungsbildung erfolgt im sozialen Umfeld, über Institutionen und über verschiedene Medien. Medienjournalismus dient klassischerweise der Orientierung, der Informations- und Wertevermittlung sowie Meinungsbildung. Im Fall von politischen Skandalen, Terroranschlägen, Umweltkatastrophen, Kriegen oder schweren Unfällen wird erwartet, dass Medien die Bevölkerung möglichst schnell und faktenbasiert über die Ereignisse informieren. Etablierte Medien stehen in den letzten Jahren vermehrt in der Kritik, weil sie aus Sicht vieler Akteure ihrem Informationsauftrag nicht ausreichend gerecht werden: Es wird unter anderem bemängelt, dass sie zu spät und teilweise zu zurückhaltend informieren; es werden Informationen zurückgehalten, da sie nicht bestätigt sind, obgleich sie längst in Netzöffentlichkeiten und auf Messenger-Diensten kursieren. In Zeiten von Liveticker und Echtzeitjournalismus, Video-Streams und nutzergenerierten Inhalten auf Instagram, TikTok, YouTube, WhatsApp, Facebook und X (vormals Twitter) steigen die Anforderungen an den etablierten Journalismus und entfacht sich ein Ringen um Meinungsfreiheit, Deutungshoheiten und Wahrheiten. Erwartet werden in diesem Zusammenhang u.a. eine Neujustierung des Interner Link: öffentlich-rechtlichen Rundfunks und komplementäre Formatentwicklungen, die vor allem jüngere Menschen ansprechen sollen, die immer schwerer über lineare Informations- und Nachrichtenangebote zu erreichen sind.

Permanente Änderungen bei den Informationsangeboten

Generell lässt sich beobachten, dass sich die Bandbreite an Informationsangeboten kontinuierlich verändert und somit auch das Rezeptionsverhalten sowie die Aneignung von Information und Wissen. Es gilt im Folgenden herauszuarbeiten, was etablierte Medien vor dem Hintergrund des Strukturwandels von Öffentlichkeiten (noch) leisten (können). Vor allem Medienöffentlichkeiten transformieren sich als Folge der Digitalisierung und Plattformisierung. Es verschmelzen vormals getrennte Mediengattungen und auch Formate. Damit verschwimmen auch die Grenzen zwischen Individual-, Gruppen- und Massenkommunikation, zwischen privaten Postings, die viral gehen, und klassischen Medienbeiträgen, die in vernetzten Öffentlichkeiten (z.B. Sozialen Medien) kommentiert, manchmal entkontextualisiert (also aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgenommen) oder auch verfälscht weitergegeben werden. Interner Link: Algorithmisierte Informationen können die Wissensaneignung und Meinungsbildung beeinflussen. Sie können eine Verstärkung gleichgerichteter Meinungen zur Konsequenz haben und Meinungsvielfalt gegebenenfalls behindern.

Den professionellen Informationsmedien kommt eine besondere Bedeutung bei der Sicherung Interner Link: demokratischer Legitimation zu. Sie sollen auf die Vielfalt von Interessen, Bildung und Erfahrungen der Bevölkerung hinweisen und diese abbilden sowie Druck auf die Politik ausüben. Inwieweit dies noch gelingt, wird im Folgenden zunächst anhand des Angebots entsprechender Meinungsbildungsformate erläutert. Weiterhin liefern Studien zum Medienvertrauen seitens der Bevölkerung und der Einschätzung von Glaubwürdigkeit der medienvermittelten Informationen Hinweise, inwieweit der Interner Link: öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag genügend erfüllt. Abschließend soll in diesem Beitrag geklärt werden, wie angesichts der beschriebenen Transformationen und weiter zu erwartenden Dynamiken im journalistischen Feld Wertevermittlung und Meinungsbildung in Deutschland die Leitkonzepte im Journalismus infrage stellen und mitunter modifizieren.

Der Bildungs- und Informationsauftrag des Rundfunks

Öffentlich-rechtliche Anbieter haben die Aufgabe, die Grundversorgung der gesamten Bevölkerung mit Informationen zu gewährleisten. Grundversorgung meint die technische und inhaltliche Sicherung einer umfassenden Berichterstattung. Es soll ein an die Allgemeinheit gerichtetes, inhaltlich vielfältiges Programm sowie eine möglichst flächendeckende Übertragung sichergestellt werden. Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks leitet sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ab, der die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit regelt, und ist im Medienstaatsvertrag (MStV; vormals Rundfunkstaatsvertrag) ausgestaltet.

Grundgesetz Artikel 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Quelle: Bundesministerium für Justiz: Externer Link: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html

Unter Rundfunk wird „ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst“ verstanden. Er ist „die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans mittels Telekommunikation“. Der 2020 inkraftgetretene Medienstaatsvertrag versucht dem Medienpluralismus Rechnung zu tragen und befasst sich nun mit der Regulierung von Rundfunk und rundfunkähnlichen Telemedien nun auch mit einfachen, journalistisch-redaktionellen Telemedien, Medienintermediären und Benutzeroberflächen. Für den öffentlich-rechtlichen und privaten Interner Link: Rundfunk gilt weiterhin, dass er „der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie Meinungsvielfalt verpflichtet“ ist und somit „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen hat“.

Im Medienstaatsvertrag wird im ersten Abschnitt § 6 auf die Sorgfaltspflichten der Rundfunkanbieter verwiesen. So haben Berichterstattung und Informationssendungen „den anerkannten Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.“ Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben – so heißt es weiter – „in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Aufgabe, ein Gesamtangebot für alle zu unterbreiten“.

Lineare und nicht-lineare Bewegtbildnutzung

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zur Ausgewogenheit verpflichtet, um Meinungspluralität zu erzeugen. Geboten ist insofern stets eine unabhängige, sachliche und überparteiliche Berichterstattung. Die vermittelten Informationen müssen aktuell, nachhaltig, abgesichert und glaubwürdig sein. Um eine Ausgewogenheit zu erzielen, heißt es auf der praktischen Ebene etwa, dass Kommentare und Meinungen von Nachrichten getrennt gesendet bzw. Kommentare als solche kenntlich gemacht werden. Außerdem gilt es, in politischen Talkshows die Gäste möglichst so auszuwählen, dass sie alle für den Konflikt oder das Themenfeld relevanten Gruppen und zugehörigen Positionen repräsentieren.

Video: Tagesreichweiten 2023 in Prozent

Deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren; n= 2000

Video gesamtGesamt14-29 J.30-49 J.50-69 J.ab 70 J.
Das laufende Fernsehprogramm64%48%53%78%90%
Fernsehsendungen, Videos in Mediatheken oder auf YouTube18%28%23%14%6%

Quelle: ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2023, zitiert nach Kupferschmidt & Müller (2023), S. 11.

Wenngleich sich das Medienspektrum und Informationsangebot ausgeweitet hat und deutlich unübersichtlicher geworden ist, bleibt laut ARD/ZDF-Langzeitstudie das Fernsehen nach wie vor das in der Gesamtbevölkerung meistgenutzte tagesaktuelle Medium (siehe Tab. Video: Tagesreichweiten 2023 in Prozent). Im Jahr 2023 nutzen fast zwei Drittel der Bevölkerung an einem durchschnittlichen Tag das laufende Fernsehprogramm, entweder über die klassischen Verbreitungswege oder über den Livestream im Internet. Fernsehsendungen, Videos in Mediatheken oder auf YouTube werden von 18 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung gesehen. Die Nutzungsweisen variieren allerdings in den Altersgruppen stark. Generell ist die Dauer der Zuwendung zum linearen Fernsehen und auch die nicht-lineare Bewegtbildnutzung in den vergangenen Jahren bei den Bevölkerungsgruppen bis 70 Jahre etwas rückläufig. Vor allem die jüngeren Zuschauer:innengruppen bevorzugen Fernsehsendungen und Videos in Mediatheken oder auf YouTube. War während der Covid19-Pandemie (2020 bis 2023) die TV-Nutzung für weite der Bevölkerung äußerst bedeutsam, so erfordert nun die wieder abnehmende Zuwendung „nicht nur einen Ausbau der Präsenz in Mediatheken, bei YouTube und sozialen Medien, sondern auch die verstärkte Entwicklung dafür konzipierter Inhalte“.

Was für die Fernsehnutzung allgemein gilt, zeigt sich laut Reuters Institute Digital News Report 2023 ebenso im Hinblick auf die Nachrichtennutzung insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen : Langzeitbetrachtungen weisen darauf hin, dass das Interesse an Nachrichten bei Internetnutzenden in Deutschland zurückgeht und der Anteil derjenigen steigt, die Nachrichten zu vermeiden versuchen, inde m sie sie möglichst ignorieren, weiterscrollen oder umschalten, wenn Nachrichten gezeigt werden. Auch räumen einige Befragte ein, bestimmte Nachrichtenthemen möglichst aktiv auszuweichen.

Im Jahr 2023 standen hier an erster Stelle der Krieg in der Ukraine, gefolgt von Nachrichten über Prominente und aus dem Bereich der Unterhaltung, über Gesundheitsthemen und Sport. Andererseits hat sich der Rezeptionstyp des Doomscrollers ausgebildet.

Zitat

Unter Doomscrollern versteht man Nutzende, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, ständig durch soziale Medien und Newsfeeds zu scrollen auf der Suche nach (neuen) schlechten bzw. negativen Nachrichten.

Diese Suche kann zwanghaft werden und zu depressiven Stimmungen führen, da Nachrichten oftmals negativ sind („Only bad news are good news“), um so die Aufmerksamkeit vor allem in Zeiten des Information Overloads (der Informationsüberflutung) zu steigern. Anders als ältere Generationen rezipieren jüngere Menschen auch eher keine ganzen Nachrichtensendungen, sondern oftmals nur einzelne themenspezifische Beiträge u.a. über das Content-Netzwerk von ARD und ZDF funk (hier etwa über den integrierten Kanal MrWissen2go), Instagram, YouTube sowie TikTok.

TV-Informations- und Nachrichtenangebote auf dem Prüfstand

Prinzipiell sind die Informations- und Nachrichtenangebote eher unübersichtlich. Neben die klassischen Medien sind sogenannte Interner Link: Medienintermediäre als Vermittler von Inhalten und Werten getreten. Medienintermediäre sind zum Beispiel Suchmaschinen, Sprachassistenten und auch soziale Netzwerke. Bei den Medienintermediären übernehmen Algorithmen die Aufgabe, „Informationen zu sammeln, zu strukturieren, zu gewichten und zu aggregieren“. Algorithmen weisen Inhalten eine besondere Relevanz zu und sorgen dafür, dass bestimmte journalistisch-redaktionelle Informationen auffindbar sind. Auf diese Weise benehmen sie im Prinzip Interner Link: Gatekeeper-Funktionen. Medienintermediäre orientieren sich aber primär an den Nutzer:innenbedürfnissen und ihren Präferenzen für Inhalte und nicht an journalistischen Qualitätskriterien. Dieses Verfahren wird im Hinblick auf die Gewährleistung von Meinungsvielfalt und etwaiger Diskriminierungen kritisch betrachtet. Algorithmenbasierte Diskriminierungen können z.B. dadurch entstehen, dass Nutzer:innen bestimmte Inhalte vorenthalten oder übermäßig oft angezeigt werden. Nutzer:innen wissen oftmals nicht oder beschäftigen sich nicht im Einzelnen damit, wie ihre Daten und zu welchem Zweck im Hintergrund verarbeitet werden. Sie können entsprechend kaum nachvollziehen, nach welchen Kriterien Inhalte aggregiert, selektiert und ihnen präsentiert werden, wenngleich die Medienintermediäre zur Interner Link: Kenntlichmachung des Einsatzes von Algorithmen verpflichtet sind, was wiederum im Medienstaatsvertrag geregelt worden ist.

Zitat

Nutzer:innen sind in ihrem Informationsmanagement folglich sehr gefordert. Sie müssen lernen, sich in einem breiten Angebotsspektrum zurechtzufinden und sich auch durch die Schnelllebigkeit von Informationen nicht verunsichern zu lassen.

Wesentliche Lernaufgaben sind

  • die Relevanz von Informationen einschätzen und

  • zwischen Experten- und Laienwissen unterscheiden zu können ebenso wie

  • zwischen seriösen und unglaubwürdigen Informationen sowie

  • Realität und Inszenierungen.

Die Ergebnisse der AGF-Programmcodierung zeigen (Tab. Journalistische Informationsformate 2023), dass 2023 in Das Erste und im ZDF gut 40 Prozent der Sendezeit auf Informationsangebote wie Magazine, Reportagen, Dokus und Nachrichten fielen. Im Kontrast dazu liefern die privaten Fernsehprogramme den Zuschauer:innen nur zwischen 18,1 und 24,7 Prozent journalistische Informationen.

Journalistische Informationsformate 2023

Zeitanteil in %

* Ansprachen, Übertragungen etc.;
Das ErsteZDFRTLVOXSat.1ProSieben
Journalistische Information41,044,024,721,519,218,1
Nachrichtensendungen8,98,43,71,21,61,0
Magazinsendungen23,124,218,31,514,614,6
Reportagen, Dokumentationen5,38,62,618,82,82,4
Interview- und Talkformate3,52,70,10,00,20,1
Sonstige journalistische Formate*0,30,0----0,0--
Restliches Programm59,056,075,378,580,881,9
Gesamt100,0100,0100,0100,0100,0100,0

Quelle: AGF-Programmcodierung, ARD, zitiert nach Rühle (2023), S. 5.

Für die Meinungsbildung relevant sind aber nicht alleinig Informationen, sondern auch Einschätzungen und Positionen zu bestimmten Themen, zu gesellschaftlichen Herausforderungen und Problemen. Meinungsbildung setzt Strukturwissen voraus und korrespondiert mit Werthaltungen sowie politischen Einstellungen. Wer kontinuierlich am Weltgeschehen teilnimmt, sich umfassend und nicht selektiv politisch informiert, dem fällt es allgemein leichter, einen kritischen Sachverhalt zu beurteilen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Nachrichtensendungen

Zur Vermittlung politischer Informationen vor allem in Form von Faktenwissen stehen verschiedene Formate bereit, wobei die Interner Link: Nachrichtensendungen wie Tagesschau (ARD) oder heute (ZDF) mit Abstand die am stärksten frequentierten sind. Die Sendungen haben eine lange Tradition, wobei sie sich von der Anmutung und Gestaltung her im Laufe der Zeit geändert haben. Laut der repräsentativen ARD-Trend-Befragung sind Nachrichtensendungen das wichtigste Genre für die Zuschauer:innen im Fernsehen. Die durchschnittliche Sehdauer von Fernsehnachrichten beträgt circa 13 Minuten pro Tag. Während Nachrichtensendungen in der kurzen Sendezeit (15 bis maximal 20 Minuten) primär Kerndaten und zentrale Statements zu politischen Ereignissen berichten, bemühen sich die Nachrichtenjournale wie tagesthemen (ARD) und heute journal (ZDF) durch redaktionelle Beiträge ergänzende Informationen, übergeordnete Zusammenhänge und Hintergrundinformationen beizutragen.

Zuschauer in Millionen der Nachrichtensendungen von ARD, ZDF sowie RTL und Sat.1

eigene Darstellung
Nachrichtensendungen 2005 2010 2015 2023
Tagesschau (täglich 20:00 Uhr)9,769,149,029,46
heute (täglich 19:00 Uhr)4,743,973,773,67
RTL aktuell (täglich 18:45 Uhr) 3,773,913,102,71
Sat.1 Nachrichten (täglich 19.55 Uhr) 2,301,901,360,79
ProSieben Newstime (täglich 18:00 Uhr) 1,360,940,770,40

Quelle: AGF/GfK Fernsehforschung, Media Perspektiven Basisdaten 2015, S. 73, sowie Zubayr/Haddad/Kupferschmitt 2024, S. 4. Online abrufbar unter http://www.ard-werbung.de/media-perspektiven/publikationen/basisdaten/.

Unter den Nachrichtensendungen ist die Tagesschau (20 Uhr-Ausgabe) die meistgesehene Sendung im deutschen Fernsehen. Sie verfügt im Jahr 2023 mit 9,46 Millionen im Ersten, fünf Dritten Programmen, 3sat, Tagesschau24, ARD-alpha und Phoenix über einen bedeutsamen Reichweitenvorsprung gegenüber den Konkurrenzformaten. Die Nachrichtensendung heute (ZDF, einschließlich 3sat) wird durchschnittlich von 3,67 Millionen gesehen, RTL aktuell von 2,71 Millionen, die Sat.1 Nachrichten von knapp 800.000 und ProSieben Newstime von circa 400.000 Zuschauer:innen. Wie die Zahlen in Tabelle 1 verdeutlichen, wendet sich das Nachrichtenpublikum in den vergangenen Jahren immer mehr von den klassischen TV-Nachrichtenformaten – die Tagesschau seit 2015 ausgenommen – ab. Besonders betroffen sind die Nachrichtenangebote des privaten Rundfunks (hier ohne Berücksichtigung der Nachrichtensender ntv und Welt). Im Vergleich zu 2010 sehen fast ein Drittel weniger Zuschauer:innen RTL aktuell; auch die Sat.1 Nachrichten und ProSieben Newstime verzeichnen einen signifikanten Rückgang bei den Zuschauer:innenzahlen, die sich mehr als halbiert haben. Dieser Trend lässt sich nicht allein mit einer allgemein zu beobachtenden Nachrichtenabstinenz erklären, sondern zudem mit der mobilen Nutzung von Nachrichten über Internet-Newsportale und Pushnachrichten, die im Laufe des Tages bereits über das Smartphone gestreut worden sind. Der tägliche Nachrichtenkonsum gerade jüngerer Menschen beschränkt sich häufig auf Apps, aggregierte News und vor allem soziale Netzwerke. Bedingt durch den soziodemografischen Wandel verringert sich auch das Publikum, das habitualisiert (gewohnheitsgemäß) ferngesehen und die Abendgestaltung nach den Nachrichtensendungen ausgerichtet hat.

Politmagazine

Neben den Nachrichtenprogrammen existieren Interner Link: Politmagazine wie Panorama (ARD), Monitor (ARD) oder frontal (ZDF) sowie Berlin direkt (ZDF), die für investigativen und zeitkritischen Journalismus stehen. Sie standen in der Vergangenheit allerdings in der Kritik, weil sie hinsichtlich der Gestaltung und Moderation zu monoton wären und zudem nicht politisch genug, keine längerfristige Recherchestrategie erkennbar wäre und es überhaupt an eigenen Recherchen mangele. Dies muss man für die jüngste Zeit aber themenspezifisch genauer analysieren, wo oftmals im Verbund mit anderen Rechercheteams zusammengearbeitet worden ist. So kooperierten z.B. die Süddeutsche Zeitung (SZ), WDR und NDR 2023 im Fall der Vorwürfe gegen den Sänger Till Lindemann der Band Rammstein, wo sie zu Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie recherchiert hatten. Außerdem beteiligte sich das Team der SZ, des WDR und NDR 2017 zusammen mit zahlreichen Journalist:innen anderer internationaler Medien an der Aufklärung von weltweit illegalen Geldgeschäften und Steuerhinterziehung, den sogenannten Externer Link: Paradise Papers.

Vor allem unabgeschlossene Ereignisse machen eine kritisch-distanzierte Perspektive im Journalismus erforderlich. Interner Link: Investigativer Journalismus, häufig auch als Qualitätsjournalismus bezeichnet, soll den Zweck der Information und Orientierung erfüllen sowie politische Positionierungen erlauben. Er konzentriert sich

  1. auf Themen, die von großer sozialer und gesellschaftspolitischer Relevanz sind,

  2. die Themenaufbereitung erfolgt auf der Basis ausgesuchter, verifizierter Informationen, die nicht jedem ohne Weiteres zur Verfügung stehen und

  3. die Berichterstattung beruht auf gründlichen und sorgsamen Recherchen.

Polit-Talkshows

Nicht zuletzt greifen Polit-Talkshows brisante Themen und Werteverhandlungen auf und können somit der politischen Meinungsbildung dienen. Gemeint sind hier die Gesprächssendungen Caren Miosga (ARD, Sonntag, seit 2024), Hart aber fair (ZDF, Montag), Maischberger (ARD, Dienstag und Mittwoch) und maybrit illner (ZDF, Donnerstag). Auf Dauer angelegte Talkshows wie bei ARD und ZDF, die zur politischen Meinungsbildung angedacht sind, werden von den Privatsendern nicht angeboten. Obgleich vielen Menschen die politische Meinungsbildung wichtig ist, verringern sich die Reichweiten populärer Talksendungen. In der Vergangenheit wurden Stimmen lauter, die beklagten, dass das Format zu oberflächlich und populistisch wäre, es sich überlebt habe. Es richtet sich stark an der politischen Wochenaktualität aus, Themen reihen sich aneinander und mäandern dahin, ohne dass die Zuschauer:innen mit einem Wissenszuwachs und einer klaren Orientierung zurückgelassen werden. Zuweilen ist die dargelegte Angemessenheit der Faktentiefe fraglich und ob diese das Publikum überhaupt nachvollziehen kann. Ein weiterer, häufig vorgetragener Kritikpunkt ist die Auswahl der eingeladenen Gäste. Es wird unter anderem die Ausgewogenheit der Beteiligten hinsichtlich ihres politischen Standpunktes bezweifelt („false balance“). Außerdem hat das Publikum den Eindruck, dass einige Expert:innen und Politiker:innen gehäuft eingeladen werden („Dauergäste“). Bei anderen Gästen wird ihre Expertise, also Sachkenntnis, hinterfragt (etwa bei Schauspieler:innen, wenn sie sich zum russisch-ukrainischen Krieg äußern sollen). Nicht zuletzt haben Zuschauer:innen den Eindruck, dass immer die gleichen oder zu lange die gleichen Themen von Sendung zu Sendung ‚durchgereicht‘ werden. Bestimmt ein Thema dauerhaft die Interner Link: Medienagenda, so wird es in der Regel auch als besonders dringlich wahrgenommen. Eine Dauerthematisierung kann aber auch ein abnehmendes Problembewusstsein und eine Abkehr des Publikums zur Konsequenz haben. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass Polit-Talkshows – wenn auch qualitativ auf unterschiedlichem Niveau – das Nachrichtenangebot sinnstiftend ergänzen können.

Sendungsbezogene Kommunikation

Die Bedeutung der Talkshows lässt sich nicht nur an der Themenauswahl, den Gästen und Zuschauer:innenquoten festmachen, sondern auch an der Kommunikation während der und nach den Sendungen. Während der Sendungen findet ein Austausch in den sozialen Netzwerken (wie Facebook) und dem Mikrobloggingdienst X/vormals Twitter (Stichwort Interner Link: Second Screen und Interner Link: Social TV) statt. Es werden vornehmlich Aussagen und die Inszenierungen der Gäste sowie der ‚Schlagabtausch‘ kommentiert. Die Nutzer/innen verhandeln die aufgerufenen Themen, reflektieren sie auf einer gesellschaftlichen Ebene. Es mag den Anschein haben, dass sie das primär unter sich – also in ihrer Community – tun, allerdings sind Kommunikationsaktivitäten auf X weitgehend öffentlich, d.h. von allen Internetnutzer:innen lesbar. Von daher lässt sich die Reichweite und die daran anschließende Diskussion auf der Encounter-Ebene quantitativ nur schwer einschätzen.

Ebenen der Kommunikation

Kommunikation findet auf (mindestens) drei verschiedenen Ebenen statt; die starren Grenzen lösen sich insbesondere durch das Internet zunehmend auf:

  • Encounter-Ebene: alltägliche, spontane Kommunikation zwischen zufällig aufeinandertreffenden, gleichberechtigten Personen

  • Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit: stärker organisierte Kommunikation mit verteilten Rollen zu bestimmten Anlässen und an bestimmten Orten

  • Medienöffentlichkeit: von technischer Infrastruktur geprägte, oft professionalisierte Kommunikation mit hoher Reichweite und Professionalisierung sowie klar verteilten Rollen.

Des Weiteren werden in den Folgetagen oftmals von gewöhnlichen Nutzer:innen, politischen Social Influencern oder Externer Link: Watchdogs (Aufpasser) Videoausschnitte in den sozialen Netzwerken oder über X gestreut, die es weiter zu diskutieren gilt und die mitunter für Kontroversen sorgen. Es schließt sich manchmal ein Interner Link: Faktencheck an, d.h. eine Prüfung der Aussagen, die in der Talkshow von bestimmten Gästen getätigt worden sind. Diese Videoschnipsel geben aber nicht den Sendungs- und Diskussionsverlauf wieder. Sie sind – je nach Länge – aus dem Zusammenhang gerissen, können einerseits dazu führen, dass eine Medienperson mit ihrer Aussage positiv bewertet oder andererseits vorgeführt, ihre Position verunglimpft wird. Aber auch die Gäste wissen zuweilen das Format strategisch für sich und die Platzierung ihrer politischen Positionen zu nutzen, legen es auf Selbstinszenierung an, die sie eigennützig die nächsten Tage über ihre sozialen Medienkanäle kommunizieren können. So versuchte z.B. der Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der CDU in Hamburg, Christoph Ploß, sein Anliegen gegen gendersensible Sprache in staatlichen Einrichtungen 2021 medienöffentlich zu platzieren. Am 24.05.2021 berichtet u.a. welt.de darüber, einen Tag später (25.05.) erörtert Ploß seine Bemühungen um ein Verbot in der Talkshow Markus Lanz (ZDF). Den Videomitschnitt mit seiner Forderung streut er am 27.05.2021 u.a. über seinen Twitter-Account (jetzt: X) und versieht ihn mit Kurztext und den Hashtags #Gendersprache und #Genderzwang. Weiterhin postet er Artikel, die das Thema aufgreifen, bedankt sich via Twitter bei seinen Unterstützer:innen, festigt das Thema auf Medienagenda und befeuert so die Debatte.

Anschlusskommunikation wird in den Tagen nach der Ausstrahlung der Talksendungen aber auch ganz klassisch über die journalistischen Diskurse hergestellt. In den Qualitätszeitungen wird über die vorgebrachten Argumente der Gäste (Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Publizist:innen u.a.) berichtet. Es wird nicht selten Kritik an der Moderation geübt, aber auch an dem Benehmen der Gäste, dem Verlauf der Diskussion und dem zumeist geringen Informations- und Erkenntnisgewinn. Der normative Anspruch an politische Talkshows,

  • politische Diskussionen für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen,

  • der Öffentlichkeit Argumentationshilfen anzubieten,

  • die politische Meinungsbildung zu unterstützen sowie

  • zur politischen Partizipation anzuregen,

kann nicht in jeder Hinsicht zuverlässig eingelöst werden. Politische Talkshows entfalten vor allem eine positive Wirkung, wenn sie Themen behandeln, von denen die Zuschauer:innen noch nicht viel wissen und wenn diese Themen abwechslungsreich präsentiert und diskutiert werden. Einige Zuschauer:innen wollen aber lediglich in ihrer Meinung nochmal bestärkt werden und ihren Standpunkt mit dem einen oder anderen Argument anreichern. Gibt es keine neuen Erkenntnisse, ist das Publikum zumeist enttäuscht. Es ärgert sich zudem über inhaltsarme, überlange Monologe der Teilnehmenden und eine strukturarme Moderation.

Werte- und Politikvermittlung und Meinungsbildung

Die Medienvielfalt, die Ökonomisierung und die neuen Dynamiken der Nachrichtenproduktion fordern den Journalismus heraus. Dieser ist für die Selbstbeobachtung der Gesellschaft sowie Bewusstseins- und Meinungsbildung zuständig. Journalist:innen produzieren die dafür notwendigen Inhalte, deren Distribution die Medien übernehmen. Medien sind auf Technologien angewiesen und agieren nach bestimmten Geschäftsmodellen, die wiederum auch die Leistungen des Journalismus (Aktualität, Glaubwürdigkeit, Investigation) beeinflussen und ihn in seiner Autonomie letztlich auch einschränken können. Eine weitere Einflussgröße ist das Publikum, das sofortige Berichterstattungen einfordert, dann aber auch Kritik an (zu schnellen) Berichterstattungen übt. Medienverantwortliche und Journalismus stehen unter Druck und müssen sich zunehmend für die Programmgestaltung, Vorgehensweise und die Berichterstattung rechtfertigen sowie sich öffentlich hinter ihre Nachrichtensprecher:innen und Moderator:innen stellen.

Beschleunigung durch Internet-Informationen

Die Erwartungshaltung, unmittelbar und kontinuierlich über alles informiert werden zu wollen, rührt daher, dass es kaum noch Ereignisse in der Welt gibt, zu denen nicht sofort Bilder geliefert werden können. Diese werden nicht nur von Nachrichtenagenturen selektiert und angeboten, sondern auch von Beobachter:innen, Beteiligten und Unbeteiligten vor Ort, die mit ihren Smartphone-Kameras Fotos oder Videos von Tatorten, Verletzten, Rettungskräften etc. anfertigen. Mitunter werden diese Bilder und Videos (unzensiert und häufig kommentarlos) ins Netz gestellt oder über die sozialen Netzwerke verteilt. Die Bilder und Videos sind sofort präsent, lange bevor überhaupt Erklärungen und Einordnungen eines Geschehens von Polizist:innen, Journalist:innen und Politiker:innen vorgenommen werden können. Auch durch die neuen medienstrukturellen Bedingungen, gemeint sind die Freischaltung von

  • Breaking-News (Eilmeldungen),

  • Push-Nachrichten (automatisch eingeblendete Textfenster),

  • Snippet-Nachrichten (Textauszüge von längeren Beiträgen) sowie

  • unmittelbar geschalteten News-Livetickern

zu vielfältigen Ereignissen – nicht allein für die Agenturen, sondern für die allgemein interessierte Öffentlichkeit – haben sich die Menschen an ein bestimmtes Tempo gewöhnt (Stichwort: Echtzeitjournalismus). Anlassbezogen fordern Teile des Publikums Programmunterbrechungen, Sondersendungen sowie Live-Berichterstattungen des Fernsehens ein und verlangen sie sofortige Information und Aufklärung.

Nachrichtenwert als Kriterium

Bilder und Videos sind noch keine Nachricht, sondern zunächst nur eine Information, die auf ihren Nachrichtenwert grundsätzlich hin überprüft werden muss. Dafür gibt es bestimmte Selektionskriterien : Eindeutigkeit und Glaubwürdigkeit des Geschehens, Bedeutsamkeit für Politik und Bevölkerung, Beteiligung von Eliten (Nationen und/oder Personen) am Ereignis, Betroffenheit sozialer Gruppen, Gefahrenpotenzial des Ereignisses. Journalisten machen die Auswahl der Nachrichten abhängig von eigenen Kognitionen und Einstellungen, ihrem (Alltags-)Wissen, von vorhandenen Medienhandlungsschemata und nicht zuletzt ihrem Gefühl für ihr Publikum. Sie stellen sich Fragen:

  • Wie wichtig ist das Ereignis?

  • Welches gesicherte Wissen steht darüber zur Verfügung?

  • Reichen die Informationen und das Wissen aus, um eine Nachricht zu verbreiten?

  • Wie lässt sich die Nachricht gestalten mit Text und passendem Bildmaterial?

  • Können relevante Personen Aufklärung leisten und Stellung beziehen?

Im Journalismus ist der Informationsanspruch selbstverständlich, der aber mit der im Presserecht verankerten publizistischen Sorgfaltspflicht in Einklang zu bringen ist. Die publizistische Sorgfaltspflicht besagt, dass alle Nachrichten vor ihrer Veröffentlichung auf Herkunft, Inhalt und Wahrheitsgehalt überprüft werden müssen. Sie dürfen nicht sinnverzerrt oder verfälscht dargestellt werden. Sollte es sich um Gerüchte handeln oder unbestätigte Meldungen, so sind diese zu kennzeichnen. Auch die Verwendung von Symbolfotos muss deutlich gemacht werden. Ferner gilt es, allgemeine Persönlichkeitsrechte zu wahren. Die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Interesse der Öffentlichkeit müssen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht abgewogen werden. Diese Interner Link: Abwägungsprozesse sind geboten bei der Auswahl von Fotos, die Kriege, Verletzte, Opfer, Täter oder Tatorte darstellen.

Nur auf der Basis abgesicherter Informationen kann man sich eine Meinung bilden, die man auch überzeugend vertreten und mit der man mit anderen Menschen in die Diskussion gehen kann. Eine Meinungsbildung bedarf nicht nur der Aneignung von Fakten zu einem Sachverhalt, sondern im Grunde ebenso der von Hintergrundwissen und die Kenntnis verschiedener Argumentationen. Andernfalls fällt es in der Regel schwer, eine Meinung souverän zu vertreten. Sind die angebotenen Lösungen für einen Konflikt jedoch einfach, so können sie eher als Deutungsmuster übernommen werden als wenn sie komplex, ambivalent und vielschichtig sind. Gerade in der Diskussion um die Aufnahme von Geflüchteten, geschlechtergerechte Sprache und Sozialpolitik werden von den Kritiker:innen oftmals simplifizierende Sichtweisen geäußert.

Fazit und Ausblick

Die klassischen Fernsehformate wie Nachrichtensendungen, Polit-Magazine und politische Talkshows haben trotz der Ausdifferenzierung der Medien und der erweiterten Angebote des Internets bislang nicht an Bedeutung verloren. Nachrichtensendungen erfüllen nach wie vor die Funktion der Informationsbereitstellung und gewähren die Aneignung von Informationen. Sie sind eine wichtige und verlässliche Referenz, was sich nicht zuletzt während der COVID-19-Pandemie gezeigt hat. Über die Sendungen hinaus verweisen die Nachrichtensprecher:innen und Moderator:innen häufig auf weitere Hintergrundinformationen, Interviews in voller Länge und Kommentare auf ihren Webseiten. Faktenchecks habe sich etabliert. Damit reagieren Medienverantwortliche auf veränderte Mediennutzungsweisen und regen dazu an, sich weiter mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen. Oftmals nehmen dieses Angebot aber nur die besser gebildeten und von jeher politikinteressierten Zuschauer:innen wahr (Stichwort Wissenskluft). Die Bereitstellung, kontinuierliche Abrufbarkeit und Aktualisierung von Nachrichten im Fernsehen sowie über Apps, Webseiten und Mediatheken kann als hinreichend bezeichnet werden, wobei die Zugänglichkeit und Usability immer wieder moniert wird.

Die Polit-Magazine und Talksendungen dienen vor allem der Vermittlung von weiteren Informationen und zusätzlichen Erkenntnissen sowie der Sichtbarmachung verschiedener Positionen zu einem politischen Geschehen und Sachverhalt. Sie sollen den öffentlichen Diskurs aufgreifen und widerspiegeln. In unterschiedlicher Weise wird das Publikum im Saal oder via Internet eingebunden (z.B. über Gästeforen) und werden die eingeladenen Talkgäste mit den Ansichten der Bürger:innen, mit ihren Meinungen konfrontiert. Dies suggeriert mitunter eine Begegnung auf Augenhöhe, trägt zur Meinungs- und kollektiven Bewusstseinsbildung bei. Zuschauer:innen fühlen sich gehört und nicht alleingelassen mit ihrer Ansicht.

Die hier vorgestellten Informationssendungen, Magazin- und Talk-Formate erfüllen ihre Aufgabe in unterschiedlicher Weise. Sie stehen unter Beobachtung, sind von verschiedenen Seiten immer wieder der Kritik ausgesetzt und müssen sich kontinuierlich legitimieren. Generell richten sich die Polit-Magazine und Talksendungen an ein eher bildungsorientiertes und fernsehaffines Publikum, sie sind nur zum Teil Interner Link: barrierefrei über HbbTV live beispielsweise in Gebärdensprache oder über Audiodeskription verfolgbar, aber nicht in leichter Sprache. Diese Bedingungen schränken die Reichweite ein. Auch wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen damit seinem Informations- und Bildungsauftrag bedauerlicherweise nicht in Gänze gerecht.

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Thomas et al. 2024.

  2. Vgl. u.a. Legrand, Linden & Arlt 2023.

  3. Vgl. Eisenegger 2021.

  4. Medienstaatsvertrag §2, Abs. 1.

  5. Präambel des Medienstaatsvertrags.

  6. Medienstaatsvertrags §26, Abs. 1.

  7. Medienstaatsvertrag §6.

  8. Ebd.

  9. Kupferschmitt & Müller 2023, S. 12.

  10. Ebd., S. 19.

  11. Behre, Hölig & Möller 2023.

  12. Ebd., S. 11f.; siehe auch Hasebrink, Hölig & Wunderlich 2021.

  13. Behre, Hölig & Möller 2023, S. 16.

  14. Satici et al 2023.

  15. Dogruel et al. 2020, S. 140.

  16. Vgl. ebd.

  17. Haddad/Kupferschmitt/Zubayr 2023.

  18. Vgl. Gäbler 2015.

  19. Drepper, Daniel (2023): „Unsere Recherchen zum Fall Rammstein“, Externer Link: https://www.journalist.de/werkstatt/werkstatt-detail/unsere-recherchen-zum-fall-rammstein/.

  20. Vgl. Ludwig 2016.

  21. FAZ.NET/epd: Externer Link: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/talkshows-von-ard-und-zdf-verlieren-publikum-quoten-2023-gesunken-19410869.html.

  22. Müller & von Nordheim 2024, S. 56.

  23. Buschkow, Schneider & Ueberheide 2015, S. 147ff.

  24. Bause 2021.

  25. Welt.de: Externer Link: https://www.welt.de/regionales/hamburg/article231342157/Sprache-Hamburgs-CDU-Chef-will-staatlichen-Stellen-das-Gendern-verbieten.html

  26. Vgl. Roth 2016.

  27. Vgl. u.a. Roth 2016; Girnth & Michel 2015.

  28. Roth 2016, S. 203.

  29. Vgl. Altmeppen 2012, S. 45.

  30. Vgl. Maier et al. 2018.

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Weitere Inhalte

Dr. Dagmar Hoffmann ist Professorin für Medien und Kommunikation/Gender MediaStudies an der Universität Siegen. Sie forscht im Kontext des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ und des Verbundprojekts „Digitales Deutschland“ über Sensormedien, Medien- und Datenpraktiken sowie digitale Kompetenzen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind zudem Mediensozialisation, Kommunikation/Interaktion in sozialen Netzwerken, Körperpraktiken und visuelle Kultur, politische Partizipation.