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Wandel durch Handel galt früher – und nun? | Globaler Handel | bpb.de

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Wandel durch Handel galt früher – und nun?

Jürgen Matthes

/ 7 Minuten zu lesen

Die Hoffnung, der Handel mit Russland oder China werde diese Staaten demokratisieren, wurde enttäuscht. Welche Lehren daraus für die Handelspolitik, analysiert der Ökonom Jürgen Matthes.

(© picture-alliance, ROPI | Michailidis/EUC)

Am deutlichsten gescheitert ist das Konzept „Wandel durch Handel“ sicherlich mit Blick auf China und Russland. Anders als erhofft haben sich beide Länder nicht zu demokratischen Marktwirtschaften entwickelt. Stattdessen ist China ein autokratischer Staatskapitalismus mit einer Einparteienregierung geblieben. Gewisse Reformtendenzen hat spätestens Interner Link: Xi Jinping weitgehend erstickt, der seit 2013 immer autokratischer regiert. Und Russland hat sich in den vergangenen Jahren endgültig zu einer oligarchisch geprägten Autokratie entwickelt, deren Wirtschaft immer abhängiger von Rüstungsausgaben und Rohstoffexporten wird.

Dabei hatte es durchaus Anlass zur Hoffnung und auch historische Vorbilder gegeben. So sind die westlichen Demokratien auch deshalb entstanden, weil im 18. und 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika aufgrund eines dynamischen Wirtschaftswachstums eine bürgerliche Mittelschicht, aber auch eine organisierte Arbeiterbewegung entstanden, die demokratische Mitbestimmung einforderten. Der zunehmende Wohlstand war nicht nur auf die industrielle Revolution zurückzuführen, sondern auch auf mehr Handel und Wirtschaftsöffnung.

Die Einsicht, dass eine Marktöffnung ein Wohlstands- und Demokratietreiber sein kann, leitete sich auch aus weiteren Erfahrungen der Wirtschaftshistorie ab:

  • Zwischen den Weltkriegen kam es zu einem gravierenden protektionistischen Rückschlag und starken wirtschaftlichen Einbußen auf allen Seiten. Diese fatale Erfahrung führte nach 1945 zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Das Prinzip der allmählichen Handelsliberalisierung und des Zollabbaus im Rahmen des Interner Link: GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) trug mit dazu dabei, den wirtschaftlichen Wohlstand zurückzubringen.

  • Die Rückkehr der Bundesrepublik auf den Weltmarkt war ein Mitgrund für das westdeutsche Wirtschaftswunder der 1950er Jahre. Der Begriff „Wandel durch Annäherung“ wurde im Zuge der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung unter Willy Brandt (SPD) geprägt. Er bezog sich zum Beispiel auf den Bau von Pipelines zum Import von Erdgas aus Russland in den 70er Jahren und die damit verknüpfte Hoffnung, dass der Warenaustausch die Spannungen im Kalten Krieg abbauen werde.

  • Auch in zahlreichen vormaligen Entwicklungsländern setzte sich die Ansicht durch, dass eine dosierte Marktöffnung Wachstum und Wohlstand fördert. Das galt zunächst für Japan und die asiatischen „Interner Link: Tigerstaaten“ wie Südkorea und Taiwan – und nach und nach für immer mehr Staaten. In China war Interner Link: Deng Xiaopings Öffnungspolitik ab 1978 auch dadurch motiviert.

  • Auch später setzte sich diese Entwicklung fort, da nach der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) auf dem Fundament des GATT im Jahr 1995 bis heute immer mehr Entwicklungsländer zu Mitgliedern wurden.

Abschottung ist kein Erfolgsrezept

Im Jahr 2001 ließen die USA, die EU und die anderen WTO-Mitglieder auch China beitreten. Zuvor hatte es Bedenken gegeben, ob die Volksrepublik sich auch an die WTO-Regeln halten würde. Die Integration Chinas in die Weltwirtschaft sollte dort Wohlstand schaffen – und damit auch Demokratisierung. Doch diese damals nicht ganz unbegründete Hoffnung erwies sich letztlich als naiv. Man hatte wohl die unterschiedlichen politischen Vorprägungen unterschätzt– also vor allem das Fehlen demokratischer Strukturen in China, Russland und anderen Staaten. Außerdem nutzen autokratische Staaten wie die Volksrepublik ausgeklügelte Kontrollmechanismen, um Demokratisierungsprozesse gezielt zu unterdrücken.

Auch wenn sich „Wandel durch Handel“ in dieser Hinsicht als unrealistisch erwies, bleibt doch als Lehre aus der Wirtschaftshistorie, dass Abschottung kein Erfolgsrezept ist. Diese Ansicht ist aktuell auch für die USA unter Donald Trump relevant, wo wirtschaftliche Einbußen durch den neuen US-Protektionismus befürchtet werden. Dagegen setzt die EU zurecht weiter grundsätzlich auf das Prinzip offener Märkte.

Gegenseitige Abhängigkeiten sind keine Garantie für Frieden

Als fragwürdig gilt inzwischen auch die Überzeugung, dass sich durch intensive gegenseitige Handels- und Wirtschaftsverflechtungen auch der Frieden garantieren lässt, wie es noch der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hoffte: „Externer Link: Wer miteinander Handel treibt, der schießt nicht aufeinander“. Zu groß, so das Kalkül, sind die wirtschaftlichen Einbußen der Entkoppelung bei einem militärischen Konflikt.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat diese Hoffnung hinfällig gemacht. Trotz erheblicher Abhängigkeiten Russlands von der EU und drohender Wirtschaftssanktionen hat Russland brutale militärische Gewalt angewendet. Etwa zehn Prozent der Arbeitsplätze in Russland hingen 2018 direkt oder indirekt am russischen Export in die EU. In diesem Konflikt hat sich gezeigt: Erstens erweisen sich Sanktionen oft als umgehbar, zweitens kann eine autokratische Regierung möglichen Widerstand in der Bevölkerung leichter unterdrücken als Demokratien.

Noch gravierender war, dass sich umgekehrt Europas Abhängigkeit von russischem Gas als Achillesferse erwies und Ansatzpunkt für russische Erpressungsmanöver bot. Dass gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten nicht verlässlich vor Krieg schützen, sondern sogar zu Verwundbarkeiten werden können, ist wohl die wichtigste ökonomische Einsicht der Zeitenwende nach dem russischen Invasionskrieg.

Auch die Abhängigkeiten China sind in den Blick der EU geraten. Hier schwebt die Gefahr eines Konflikts um Taiwan oder im Südchinesischen Meer über den Wirtschaftsbeziehungen, die aus deutscher Sicht deutlich wichtiger als jene zu Russland sind. Entsprechend größer sind auch die Verwundbarkeiten durch mögliche kritische Abhängigkeiten etwa wichtigen chinesischen Produkten und Rohstoffen. Daher hat die Politik die Strategie des De-Risking ausgerufen, bei der es darum geht, solche kritischen Abhängigkeiten abzubauen. Beim importseitigen De-Risking gibt in Deutschland bislang aber kaum nennenswerte Fortschritte.

Werte-Export durch Handelspolitik schafft Probleme

Auch der zwischenzeitlich stark eskalierte Handelskonflikt zwischen den USA und China gehört in diesen Kontext. Die extrem hohen Zollsätze von zeitweilig bis zu 145 Prozent auf US-Einfuhren aus China und von 125 Prozent auf chinesische Importe aus den USA hätten wohl zu einem weitreichenden Decoupling dieser beiden Länder geführt. Weil das beiden Seiten stark geschadet hätte, einigte man sich Mitte Mai 2025 auf geringere Zölle. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass gegenseitige Abhängigkeit de-eskalierend wirken kann - trotz der Erfahrung mit Russland.

Auch eine weitere Strategie, in der sich das Prinzip von „Wandel durch Handel“ niederschlug, gerät aktuell immer Stärker in die Kritik. Das gilt für wichtige Aspekte der EU-Handelspolitik. Denn sie wurde bei Freihandelsabkommen in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend überfrachtet mit anderen Zielen als die reine Handelsöffnung. Weil die EU lange Zeit als attraktiver Markt galt, haben Europas Handelspolitiker die Öffnung des EU-Markts bei Verhandlungen über Freihandelsabkommen zunehmend als Hebel eingesetzt, um europäische Werte und Standards in andere Länder zu exportieren. Diese Strategie hat es der EU erschwert, Freihandelsabkommen mit wichtigen Schwellenländern abzuschließen, etwa mit Indonesien, Malaysia und lange auch den südamerikanischen Staaten des Mercosur.

Verschiedene Gründe haben dazu beigetragen. So hat die EU die Abkommen dazu genutzt, ihre Vorstellung von Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards in Partnerländern durchzusetzen. Zunehmend wurde versucht, die Einhaltung dieser Standards sogar durch handelspolitische Einschränkungen zu sanktionieren, sei es in bilateralen Abkommen oder im Rahmen einseitiger Regulierungen wie der EU-Entwaldungsverordnung. Dieser Ansatz stößt viele größere Schwellenländer vor den Kopf - und daher auf starken Widerstand.

Denn Länder wie Brasilien, Indien und Indonesien sind immer selbstbewusster geworden. Sie wollen sich von der EU nicht bei er Setzung von Werten und Standards hereinreden lassen, auch wenn es in der Regel durchaus relevante Gemeinsamkeiten und Ansätze für konstruktive Kooperation gibt. Zudem hat das relativ schwache Wirtschaftswachstum Europas dazu beigetragen, dass die wirtschaftliche Attraktivität des EU-Marktes – und damit auch die Hebelwirkung für die Durchsetzung europäischer Standards – geringer geworden ist. Die Kombination von hohen Forderungen und geringerer Attraktivität erschwert es erheblich, Verhandlungen zu einem zügigen und produktiven Abschluss zu bringen. Ein Beispiel dafür ist der jahrelange Streit um das Abkommen mit der südamerikanischen Staatengemeinschaft Mercosur.

Es bedarf daher einer Umorientierung der EU-Handelspolitik und der Einsicht, dass die EU nicht mehr am längeren Hebel sitzt. In der neuen multipolaren Welt, in der einige größere Schwellenländer zu immer wichtigen globalen Akteuren werden, sollte die EU auf diese Länder zugehen und sie als geostrategische Partner gewinnen. Dies gilt umso mehr, als der Umgang mit China unter Xi Jinping schwieriger geworden ist. Denn China ist immer weniger Partner und stattdessen zunehmend Systemrivale sowie harter (und teils unfairer) Wettbewerber. Und es gilt seit kurzem auch deshalb, weil US-Präsident Donald Trump an den Grundfesten der transatlantischen Beziehungen rüttelt und einen Handelskonflikt mit der EU anzettelt. Die Diversifizierung der Handelsbeziehung ist daher das Gebot der Stunde und dafür sind FHA essenziell. Denn derzeit bestehen noch relativ hohe gegenseitige Handelsbarrieren, die deren Vertiefung erschweren.

Um Freihandelsabkommen zu erreichen, muss die EU-Handelspolitik pragmatischer und kompromissfähiger werden. Sie sollte geostrategische und ökonomische Interessen wieder stärker priorisieren. Die Einhaltung von Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards bleibt wichtig, sollte aber nicht zur Grundvoraussetzung gemacht werden. Vielmehr geht es darum, ambitionierte Abkommen zügig zu erreichen. Auf dieser Basis sollte die EU mit den neuen Partnern durch kooperative Ansätze auf Augenhöhe eine anhaltende Verbesserung dieser Standards anstreben.

Weitere Inhalte

Der Diplom-Ökonom Jürgen Matthes ist Leiter des Clusters Internationale Wirtschaftspolitik, Finanz- und Immobilienmärkte am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln.