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Alles unter Kontrolle? - Video-Überwachung der Staatsfeinde Sendung vom 6. Februar 1990
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Hier finden Sie das Sendungsmanuskript zum "Kontraste"-Beitrag vom 6. Februar 1990.
Alles unter Kontrolle, Kameras in Aktion. Die Staatssicherheit ist zwar abgeschafft. Doch die Überwachung geht weiter. Hier und heute.
Berlin Alexander in diesen Tagen. Vertreter der SPD stellen den DDR-Innenminister am Runden Tisch zur Rede.
Markus Meckel, SPD
„Gestern hatten wir eine Kundgebung auf dem Alexanderplatz. Es wurde beobachtet, dass die Kameras, die oben auf dem Haus für Elektronik sind, und auch gestern benutzt wurden. Ich möchte nachfragen: ‚Wer saß dahinter? Wo kam dieses Material hin?‘
Innenminister Lothar Ahrendt, Generalleutnant
„Ich darf Ihnen hier wirklich versichern, die dienen nicht der Überwachung und haben nie gedient von irgendwelchen Leuten, sondern die dienen ausschließlich der Beurteilung der Lage in bezug auf die Lösung von polizeilichen Aufgaben.“
Sein Vorgänger, schon unter Ulbricht, danach unter Honecker im Amt, wird konkreter:
Ehemaliger Innenminister Friedrich Dickel, Armeegeneral a. D.
„Das war im wesentlichen Verkehrsüberwachung. Auch die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt waren dort auch, um, wie sagt man, verkehrslenkende Maßnahmen durchzuführen.“
Frage: „Gab es auch andere Nutzungen dieser Anlagen?“
„Nein, also, das kann, soviel ich die Dinge kenne, nicht.“
Kontrolle des Straßenverkehrs und sonst gar nichts. Das ist die Unwahrheit. Denn die Kameras sind beweglich, einsetzbar auch für andere Zwecke.
Kontraste liegt der Beweis vor: Ein Videoband, gefunden im Ministerium für Staatssicherheit in der Ostberliner Normannenstraße, dokumentiert die Überwachung des Alexanderplatzes am 7. September.
Hier im Zentrum von Ostberlin fanden schon vor der Wende spontane Demonstrationen statt.
Die Aufnahmen liefen zusammen im Präsidium der Volkspolizei.
Und von hieraus gingen sie über direkte Leitung zur Staatssicherheit.
Karl-Heinz Wagner, ehemaliger stellvertretender Innenminister, Generaloberst a. D.
Frage: „Das ging aber auch problemlos, dass die Volkspolizei da mit der MfS zusammengearbeitet hat?“
„Das ging problemlos. Warum nicht? Es war eine gemeinsame staatliche Aufgabe, die zu lösen war. Da wurde nicht zusammengearbeitet, das war einfach, die Leitungen waren geschaltet und da konnten sie die Bilder übernehmen.“
In der Zentrale der Stasi wurden die Bilder empfangen und bei Bedarf den einzelnen Mitarbeitern in die Arbeitszimmer geschaltet. So auch dem Stasi-Chef Mielke und seinem Stellvertreter, Generaloberst Mittig.
Rudi Mittig, Generaloberst a. D.
Frage: „Wurden auch Demonstrationen auf dem Alexanderplatz, zum Beispiel gegen die Wahlfälschung beobachtet?“
„Nein. Ist mit, ist mir nicht bekannt.“
Doch das Videoband belegt: Der Stasi-Mann sagt die Unwahrheit. Am Nachmittag des 7. September 1989 wurde eine Demonstration gegen Wahlfälschung in der DDR unter die Lupe genommen.
Rudi Mittag
Frage: „Wurden Kamerateams, z. B. das ZDF, beobachtet, bei ihren ganz normalen Aktivitäten zu filmen?“
„Nein.“
Frage: „Das können Sie hier ganz genau sagen?“
„Das kann ich sagen, jawohl.“
Auch diesmal lügt der stellvertretende Minister. Gezielt wird das Fernsehteam des ZDF observiert.
Und als sich Korrespondenz Michael Schmitts und sein Kameramann an die Arbeit machen wollen, ist über Funk schnell eine Polizeistreife herbeigerufen. Die Öffentlichkeit soll nichts erfahren vom Protest gegen die Wahlfälschung. Dem Fernsehteam wird verboten, den Alexanderplatz zu betreten. Die Journalisten sollen nicht Zeugen werden von dem, was auf dem Alexanderplatz geschieht. In den Kommandozentralen von Stasi und Polizei ist man genau im Bilde.
Und so gibt es den Befehl, die unerwünschten Fernsehleute endlich aus dem Verkehr zu ziehen.
Stasi-Mitarbeiter agieren als aufgebrachte Bürger und verhindern die Dreharbeiten.
Polizei und Stasi arbeiten Hand in Hand. Die Technik im Polizeipräsidium erleichtert ihnen die Koordination der Einsätze.
Günther Singer, Leiter Abteilung Nachrichten der VP, Oberleutnant
Frage: „Dann hat hier ein Volkspolizist gesessen und die Bilder auch für die Staatssicherheit gesteuert?“
„Die hat nicht für die Staatssicherheit gesteuert, sondern die Staatssicherheit war zeitweiliger Mitbenutzer.“
Frage: „Und hat sie dann Wünsche geäußert, was gefilmt werden soll?“
„Bei bestimmten Anlässen gab es auch Wünsche, dass mal dieser, dieses Bild oder jenes Bild gebracht wird.“
Frage: „Wie war das denn bei Demonstrationen auf dem Alex, z. B. am 7. September, bei der Demonstration gegen Wahlfälschung. Wer hat denn da hier die Kameras bedient?“
„Na, selbstverständlich meine Mitarbeiter haben die Kamera bedient.“
Frage: „Und was haben Sie da z. B. dann für Zwecke verfolgt?“
„Na, zu kontrollieren und zu beobachten, wie sich die Personenbewegungen vollziehen, welche Einschränkungen das auf den Straßenverkehr und auf andere Bewegung hat.“
Frage: „Haben Sie da gezielt einzelne Personen auch verfolgt?“
„Das können wir mit diesen Mitteln überhaupt nicht. Sie können mit dieser Anlage einzelne Personen nicht verfolgen.“
Wieder eine Lüge. Das Videoband vom 7. September zeigt auch die Überwachung einzelner Personen. Was sie tun, wohin sie gehen. Jeder, der ein Plakat tragen könnte, ist verdächtig und wird verfolgt.
Genau wird beobachtet, wo Ansammlungen entstehen.
Und über Funk gibt es die Einsatzbefehle zum Zugriff. Die sogenannten Störer werden festgenommen. Ruhe als erste Bürgerpflicht – das war der Grundsatz der SED über Jahrzehnte.
Auch heute noch wird die Überwachungstechnik im Polizeipräsidium angewendet. Die Mitarbeiter sind die alten. Für KONTRASTE eine Sondervorführung des ‚Operativen Fernsehens‘ – so der offizielle Name.
„Können Sie nochmal näher auf den Brunnen?“
„Weiter geht nicht.“
‚Weiter ‚ran geht nicht‘, erklärt der Mann am Steuerhebel, obwohl er es besser weiß und, wie an den Videobildern vorher bewiesen, oft praktiziert hat.
Nach wie vor ist es möglich, die Kamera so zu steuern, dass Personen genau observiert werden können. Die technischen Anlagen wurden nicht verändert.
Günther Singer, Leiter Abt. Nachrichten der VP (Oberstleutnant)
Frage: „Machen Sie denn jetzt noch Aufzeichnungen?“
„Selbstverständlich machen wir auch jetzt Aufzeichnungen über bestimmte Ereignisse.“
Jörg Bachmann, Leiter ‚Operatives Fernsehen‘ der VP (Oberleutnant)
Frage: „Machen Sie noch bei Demonstrationen Aufzeichnungen?“
„Ja, zum Teil auch. Das ist auch eine Frage, wie der Herr Singer das schon sagte, der Größenordnung der Demonstration, welche Auswirkungen hat das auf den Straßenverkehr, die übrige polizeiliche Lage, insbesondere auch kann es möglicherweise zu Personenbewegung kommen, die polizeilich unter Kontrolle gehalten werden muss.“ Frage: „Die neu gegründete Sozialdemokratie hatte ja hier kürzlich eine Demonstration. Haben Sei sowas zum Beispiel aufgezeichnet?“
„Da werden zum Teil auch Aufzeichnungen gemacht, um einen Überblick zu haben, was passiert wann. Also einen zeitlichen Überblick, wenn etwas vorfällt, dass man für Ermittlungen bzw. für Maßnahmen auch sagen kann, dann ist das und das passiert. Das hat aber keinerlei Bedeutung für kriminalistische Arbeit. Diese Aufzeichnungen gehen auch nicht aus diesem Bereich raus. Es sei denn, es gibt eine Anforderung über Staatsanwalt oder ähnliches.“
Ähnliches, das war bis vor kurzem die Staatssicherheit.
Ihre direkten Anschlüsse wurden Ende Dezember gekappt. Doch es gab und gibt noch andere Kunden.
Eine direkte Leitung nebst Fernsprecheinrichtung geht bis heute in das Dienstzimmer des Innenministeriums.
Jörg Bachmann
Frage: „Kann man denn jetzt noch die Fernsehbilder auch im Ministerium des Innern sehen?“
„Ja, der Teilnehmer existiert noch.“
Frage: „Warum?“
„Das ist eine Anforderung durch den, durch unseren Minister und wird weiterhin praktiziert.“
Wird hier nun die Arbeit der Stasi gemacht? KONTRASTE wollte nachfragen und bemühte sich seit 14 Tagen vergeblich um ein Interview mit dem Innenminister.
‚Er habe keinen Termin frei‘, teilte uns die Pressestelle mit.
Der Minister hüllt sich in Schweigen. Die Fernsehtechnik funktioniert weiter. Die Kameras sind in Betrieb.
Lothar Ahrend, DDR-Innenminister
„Die dienen nicht der Überwachung und haben nie gedient von irgendwelchen Personen.“
Mit freundlicher Genehmigung des Rundfunk Berlin-Brandenburg