"Das war ein ganz gezielter Schuß" – Die Staatsführung auf der Anklagebank
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk
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Die ehemaligen Mitglieder des SED-Politbüros müssen sich in einem Prozess vor dem Berliner Landgericht für die Erschossenen an der innerdeutschen Grenze verantworten. Kontraste zeigt die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung des Unrechts mit rechtsstaatlichen Mitteln.
Noch 1990 leitete die Generalstaatsanwaltschaft der DDR aufgrund von Anzeigen Untersuchungen ein, um Funktionäre des SED-Regimes wegen persönlicher Bereicherung anzuklagen. Das verlief zumeist ebenso im Sande wie die Arbeit einer noch im Herbst 1989 von der nicht frei gewählten DDR-Volkskammer eingesetzten Untersuchungskommission. Die Bürger und Bürgerinnen der DDR verlangten nach einer strafrechtlichen Verfolgung jener Verantwortlichen, die für Unrecht und Missstände in der DDR zuständig waren.
Auch nach der deutschen Einheit änderte sich an der Rechtspraxis wenig. Insgesamt wurden zwischen 1990 und 2000 lediglich 52 frühere Funktionäre wegen Amtsmissbrauch und Korruption angeklagt. Es kam dabei nur zu sechs Freiheitsstrafen ohne Bewährung, während fast die Hälfte aller Verfahren eingestellt oder gar nicht erst eröffnet wurden bzw. mit Freisprüchen endeten. So wurden zum Beispiel aus unterschiedlichen Gründen Prozesse gegen SED-Generalsekretär Erich Honecker, Ministerpräsident Willi Stoph oder SED-Politbüromitglied und Wirtschaftslenker Günter Mittag nie zu Ende geführt. Selbst MfS-Minister Erich Mielke musste sich lediglich in einer Gerichtsposse für zwei Morde verantworten, die er 1931 begangen hatte. Dafür erhielt er 1993 sechs Jahre Gefängnis, konnte aber bereits im Sommer 1995 aus Altersgründen die Haftanstalt verlassen. Für seine Tätigkeit als MfS-Minister ist er niemals strafrechtlich belangt worden.
Die ehemaligen Mitglieder des SED-Politbüros müssen sich in einem Prozess für die Erschossenen an der innerdeutschen Grenze verantworten. KONTRASTE zeigt die Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung.
Da der Rechtsstaat ganz offenbar die Unrechtstaten der SED-Diktatur juristisch nicht ausreichend belangen konnte, kam dem so genannten Politbüro-Prozess eine besonders hohe juristische, politische und auch moralische Funktion zu. Er begann 1995 und endete 1997 mit einer Haftstrafe zum Beispiel für Egon Krenz, den letzten SED-Generalsekretär. In diesem Prozess ging es um die Frage, wer für die etwa 1.000 Toten an der Berliner Mauer, an der innerdeutschen Grenze sowie im sonstigen weitgespannten Grenzregime der DDR politisch verantwortlich war. Makaber an dem Verhalten besonders von Egon Krenz war, dass er stets leugnete, dass es einen Schießbefehl an der Grenze gegeben habe. Denn zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere Soldaten für das Schießen auf Flüchtende verurteilt worden. Krenz als hochrangiger Funktionär des SED-Staates lehnte dafür jede Verantwortung und behauptete, die DDR habe ihre Grenzen nur wie jeder andere souveräne Staat zu schützen gesucht. Letztlich aber zeigte sich in all diesen Prozessen, dass die Rede von der angeblichen "Siegerjustiz" der Bundesrepublik jeder Grundlage entbehrte und der Rechtsstaat sehr behutsam – manchen viel zu behutsam – und ohne jede Rache seinen militanten Feinden gegenüber auftrat.
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