Lokal international
Kurzporträts des Lokaljournalismus in anderen Ländern
Tina Bettels
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Wie lokal ist Journalismus in anderen Ländern? Was beschäftigt die lokalen Medien? Eine Übersicht.
Das Externer Link: European Journalism Observatory ist ein Netzwerk zum Austausch von Wissenschaft und Praxis in Europa und den USA. Der Zusammenschluss verschiedener internationaler Medienrechercheinstitute beobachtet die Entwicklungen der Pressefreiheit ebenso wie die Rolle des Qualitätsjournalismus. Für bpb.de richtet das in zurzeit zwölf Ländern angesiedelte EJO in vier Kurzporträts den Blick auf lokale Medienlandschaften: auf die USA als Vorboten vieler medialer Entwicklungen - sowohl in Bezug auf Innovationen als auch auf Rückschläge; auf Großbritannien, dessen Zeitungsmarkt auf europäischer Ebene nach wie vor als einer der bedeutendsten Märkte gilt. Zudem auf das bis in die 80er Jahre zentralistisch geprägte Gründungsmitglied der Europäischen Union Frankreich. Und auf Rumänien als eines der jüngsten Beitrittsländer der EU.
USA
Lokale Medien können in den USA auf eine lange Tradition zurückblicken. Britische und deutsche Einwanderer gründeten fleißig Zeitungen, um ihre Städte für neue Siedler interessant zu machen und um beispielsweise ihre religiösen Gedanken weiterzuverbreiten. So wurden 1860 in den USA allein 27 Tageszeitungen in deutscher Sprache gedruckt, um die deutschen Siedler ins Land zu locken und ihre Gemeinschaft zu stärken. Angetrieben wurde dies zu Anfang des 20. Jahrhunderts auch durch die Entwicklung des Schnelldruckverfahrens. Jeder Person, die über einige Hundert Dollar und eine Druckpresse verfügte, war es nun möglich, eine eigene Zeitung herauszugeben. Heute allerdings sind gerade die US-amerikanischen Print-Lokalredaktionen akut von Stellenstreichungen betroffen, Schätzungen zufolge haben von 2001 bis Ende 2009 etwa 15.000 Printjournalisten - das ist etwa ein Drittel aller Printjournalisten in den USA - ihren Job verloren, hält das 'Pew Research Center’s Project for Excellence in Journalism‘ (PEJ) in seinem Jahresbericht 2011 fest. Manche Redaktionen stellten sogar ihren Betrieb ein: In Seattle zum Beispiel haben innerhalb der vergangenen fünf Jahre zwei lokale Tageszeitungen geschlossen: Das King County Journal im Jahr 2007, der Post-Intelligencer stellte zwei Jahre später seine Erscheinungsweise als erste Zeitung der USA komplett auf online um; 25 Redaktionsmitglieder wurden für die Online-Ausgabe übernommen, die anderen 140 wurden entlassen. Der Grund dieser Entwicklungen, so formuliert das PEJ, seien nicht nur sinkende Auflagenzahlen oder vergebliche Bemühungen um neue Finanzierungswege, sondern auch die generelle Verschiebung des Rollen- und Kräfteverhältnisses im digitalen Newsmarkt.
Dem US-amerikanischen Lokalfernsehen geht es indessen deutlich besser als den lokalen Printmedien: Laut der Studie "The State of the News Media 2011" des PEJ konnte das Lokalfernsehen 2011 auf das beste Jahr seit Bestehen zurückblicken. Dank eines Anstiegs der Autowerbung um 77 Prozent und über zwei Milliarden Dollar aus dem politischen Wahlkampf stieg der Umsatz um 17 Prozent.
Während viele lokale Print-Medien in den USA ums Überleben kämpfen, schießen sogenannte lokale 'Online-Only‘-Angebote aus dem Boden. Eine der erfolgreichsten lokalen Nachrichten-Websites ist 'Baristanet.com‘, die rund um New Jersey berichtet; mit nur drei Redakteuren – und der Unterstützung tausender Leserreporter. "User-generated + hyperlokal" lautet hier die Formel des Erfolgs. 'Baristanet.com‘ greift das Geschehen vor der Haustür auf und berichtet nah und detailliert aus den Gemeinden und Vereinen.
Auch der Internet-Konzern AOL hatte das Potential der hyperlokalen Nachrichten erkannt: Seit 2009 betreibt er die Seite 'Patch.com‘, die mittlerweile zu einem Konglomerat von 860 Websites in mehr als 20 US-Bundesstaaten angewachsen ist. Neben sublokalen Nachrichten mit einem Schwerpunkt auf Kriminalität und Verkehr finden sich auf den Seiten unter anderem Blogs, Videos, Nutzerkommentare und von den Lesern generierte Veranstaltungskalender. Inzwischen zückt AOL aber den Rotstift. Wie der Branchendienst 'Business Insider‘ berichtete, sollen etwa 200 Vertriebsmitarbeiter entlassen werden. Patch.com soll 2011 einen Verlust von etwa 150 Mio. US-Dollar eingefahren haben. Die Beispiele zeigen, dass die lokale Presse in den USA kein Alleinrecht mehr auf die lokale Berichterstattung hat. Befürworter der neuen Entwicklung betrachten den Einfluss von Bloggern und Bürgerjournalisten als Beitrag zur Demokratie, Kritiker dagegen sehen die Wachhund-Funktion des Lokaljournalismus in Gefahr. Zwar könnten viele lokale Aspekte von Amateuren abgedeckt werden, aber würden professionelle Journalisten weiterhin gebraucht, um beispielsweise ein wachsames Auge auf lokale Behörden zu haben.
Besonders kritisch wird die hyperlokale Seite 'Everyblock.com‘ des US-Nachrichtensenders MSNBC gesehen, die bereits für 19 große US-Städte verfügbar ist. Sie generiert keine eigenen Inhalte, sondern macht sich eine Software-Automatik zunutze, die unter anderem Fotos von Flickr, Anzeigen von Craigslist, Texte von diversen Blogs und Zeitungswebsites sowie öffentliche Informationen von Behörden zusammenstellt. Die Frage, die sich hierbei stellt: Ist das noch Lokaljournalismus oder nur eine Simulation?
Zeitungsleser in der Londoner U-Bahn. (basi_16816/flickr.com) Lizenz: cc by-nc-sa/2.0/de
Großbritannien hat nach wie vor den Ruf ein klassisches Zeitungsland zu sein. Die überregionale "The Times" wurde zum Vorbild für viele europäische Zeitungen. Auch das britische "Tabloid"-Format, ursprünglich den kleinformatigen Blättern der Regenbogenpresse vorbehalten, hat den internationalen Zeitungsmarkt beeinflusst. Und tatsächlich ist die Lokalzeitung zwar nach wie vor das beliebteste Printprodukt der Briten – sie wird laut Angaben der 'Newspaper Society‘, dem britischen Interessenverband regionaler und lokaler Zeitungen, von etwa 33 Millionen wöchentlich gelesen und jede Minute werden mehr als 6.100 Lokalzeitungen pro Minute verkauft bzw. verteilt. Aber auch hier hat die Presse mit Auflagenrückgängen zu kämpfen. Zudem haben von etwa 1.200 regionalen und lokalen Zeitungen in den vergangenen fünf Jahren 146 Publikationen ihren Betrieb einstellen müssen, die meisten davon allerdings Gratiszeitungen. In den letzten Jahren ist auf dem britischen Markt eine erhöhte Konzentration bei den Regionalzeitungen zu beobachten. 20 Verlage kontrollieren inzwischen 85 % der täglich regional verkauften Auflage. Die "Trinity Mirror Group" etwa besitzt 250 Titel, die "Newsquest Group" mehr als 200. Lokale Online-Angebote hingegen haben auch in Großbritannien ihre Nische gefunden, die von den traditionellen Medien nicht abgedeckt werden kann. Eines der erfolgreichsten Beispiele ist 'Pits n Pots‘ in Stoke-on-Trent. Zwei Bürger – der eine politikinteressiert, der andere technikinteressiert – haben die Website 2008 ins Leben gerufen, um Diskussionen über die Politik der 239.000-Einwohner-Stadt in Staffordshire anzuregen. Mittlerweile ist sie zu einer der bekanntesten politischen Websites Großbritanniens avanciert, die regelmäßig von den etablierten Medien zitiert wird. Lokale Online-Angebote von großen Medienunternehmen scheinen in Großbritannien allerdings nicht so großen Erfolg wie in den USA zu haben. Das 2010 gestartete Bürgerjournalismus-Experiment 'Guardian Local‘ der überregionalen Zeitung 'The Guardian‘ mit Plattformen in Cardiff, Leeds und Edinburgh ist zumindest ein Jahr später wieder eingestellt worden. Um weiterhin im Dialog mit seinen Lesern zu bleiben und lokale Elemente zu stärken, hat der 'Guardian‘ daraufhin das 'Cutswatch‘-Projekt ins Leben gerufen. Die Leser werden hier dazu aufgefordert, finanzielle Einschnitte in ihrer Gemeinde zu beobachten und der 'Guardian‘-Redaktion zu berichten, wo gespart wird, zum Beispiel in Kindergärten, an Schulen und Universitäten, im Transportwesen, im kulturellen Leben oder an sozialer Betreuung. Auf einer interaktiven Karte werden die beobachten Sparmaßnahmen der jeweiligen Gemeinde angezeigt.
Im Überregionalen ist diese Art von "Datenjournalismus" nichts Neues in Großbritannien. Seitdem der 'Guardian‘ 2010 mit der Aufbereitung der Wikileaks-Kriegstagebücher für Furore sorgte, erzählen immer mehr britische überregionale Medien Geschichten mit Daten. Nun sehen auch Lokaljournalisten in Großbritannien ein großes Potenzial im Datenjournalismus, gibt es doch gerade im Lokalen zahlreiche Informationen, die mit Ortsdaten verknüpft sind. Konkurrenz gibt es aber auch hier von Seiten nicht-journalistischer Angebote: So können auf der Website 'Fill That Hole‘ Bürger Schlaglöcher und andere Straßenschäden melden. Die Meldungen sollen die lokalen Verwaltungen dazu bringen, schneller auf Straßenschäden zu reagieren als bisher. Seit 2007, wurden 64.688 Straßenschäden gemeldet und 31% davon behoben.
Die französische Lokal- und Regionalpresse trägt traditionell sehr stark zur regionalen Identifikation ihrer Leser bei. Die meisten Regionen Frankreichs waren schon immer Einzeitungskreise, die jeweilige Lokal- bzw. Regionalzeitung hat dort ein Monopol. Es gibt so gut wie keine Konkurrenz, das heißt oftmals nur Berichterstattung aus einem Blickwinkel. Statt eigenständiger Verlage konzentrieren sich auch hier die Besitzverhältnisse stärker auf wenige große Konzerne. So versorgt beispielsweise die Regionalzeitung 'Ouest France‘, die mit einer Auflage von knapp 800.000 die meistverkaufte Zeitung Frankreichs ist, im Westen Frankreichs die Regionen Basse-Normandie, Bretagne und Pays de la Loire mit Informationen aus ihren drei Regionalausgaben mit über 40 Lokalbeilagen. Mit 200.000 Exemplaren hat die im Südwesten erscheinende Regionalzeitung 'Dépêche du Midi‘ dagegen eine vergleichsweise niedrige Auflage; sie erscheint aber auch in der gesamten Region Midi-Pyrénées und den Departements Aude und Lot-et-Garonne mit 17 Lokalausgaben (Zum Vergleich: die Aufgaben der überregionalen Tageszeitungen 'Le Monde‘ und 'Le Figaro‘ liegen bei etwa 300.000). Zudem gibt es in Frankreich eine umfangreiche Interner Link: Presseförderung durch den Staat, 600 Millionen Euro wurden für die Printmedien für den Zeitraum von 2010 bis 2013 eingeplant. Neben unzähligen direkten Förderungsprogrammen finden sich auch indirekte Maßnahmen wie Steuervergünstigungen. Staatlich subventioniert wurde beispielweise die örtliche Hauszustellung, von der vor allem Regionalzeitungen profitierten. Aber auch diese Maßnahme führte nur zu einer geringen Steigerung des klassischen Abonnements. Der Kioskverkauf bleibt der wichtigste Vertriebsweg. Die Regionalpresse wird auch in Frankreich als nützliches Instrument des täglichen Lebens gesehen und nimmt eine starke Service-Funktion ein: Sie ist das einzige Medium, das über Alltägliches informiert, inklusive örtlichem Kulturprogramm, Öffnungszeiten der Apotheken und Todesanzeigen. Zwar sinken auch in Frankreich die Auflagen, die Regionalzeitungen sind aber aufgrund ihrer eingesessenen Monopolstellung nicht so drastisch von der Zeitungskrise betroffen wie die überregionalen Zeitungen. In Frankreich hat die gedruckte Zeitung noch einen höheren Stellenwert als beispielsweise in Großbritannien oder den USA, wo die digitalen Medien sich inzwischen zu beliebteren Informationslieferanten als die Printprodukte entwickeln.
Dies liegt auch daran, dass französische Zeitungsverlage jahrelang nicht ins Internet investierten und die meisten französischen Journalisten große Anfangsschwierigkeiten hatten, das Internet zu verstehen. Viele folgen auch heute noch dem Prinzip 'copy and paste‘, wenn es um die Inhalte ihrer Website geht - zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über den Webauftritt der südfranzösischen Regionalzeitung La Dépêche du Midi: Die Redaktion entwickele weder neue Texte noch neue Formate für das Internet, stellen die Autoren Nikos Smyrnaios und Franck Bousquet fest. Überregional aber konnten sich neu gegründete Online-Medien wie das erfolgreiche Mediapart und rue89 in der Zwischenzeit mit einem neuen Konzept beweisen. Das defizitäre französische Traditionsblatt "France Soir" aber konnte selbst mithilfe eines radikalen Umbruchs nicht mehr gerettet werden: Das Blatt erschien seit Dezember 2011 nur noch online, wurde wenige Monate später aber komplett eingestellt.
Von 1949 bis 89 war Rumänien, seit 1965 unter der Diktatur Ceauşescus, eine kommunistische Volksrepublik. Erst 1991 trat die demokratische Verfassung, die auch die Pressefreiheit garantiert, in Kraft. Sie hatte einen regelrechten Boom von Neugründungen zur Folge. Das stetige Wachstum der Branche endete allerdings 2008 mit dem Beginn der Wirtschaftskrise: Seitdem wurden 60 Zeitungen geschlossen, davon 40 allein 2010, auch die überregionalen Zeitungen ‚Gardinual‘, ‚Ziua‘ und ‚Cotidanul‘ waren davon betroffen, ‚Citidanul‘ erscheint noch online.
Insgesamt stellt sich die Lage der rumänischen Presse als prekär da. Nach einem Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2004 lesen nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung Zeitung. Hauptinformationsquelle seien die elektronischen Medien, besonders das Fernsehen. Ein Studie des Rumänischen Instituts für Bewertung und Strategie (IRES) bestätigt dies im Jahr 2012: Für mehr als 80 Prozent der Bürger ist das Fernsehen die wichtigste Informationsquelle, obwohl sie gleichzeitig kaum Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Nachrichtenstationen setzen.
Der rumänische Medien- und Pressemarkt ist zudem fest im Griff der jeweiligen Besitzer. Die Unternehmer kontrollieren ihre Medien, indem sie Einfluss auf die redaktionellen Leitlinien ausüben. Oftmals sind wichtige Unternehmer, Politiker und Medienbesitzer ein- und dieselbe Person, besonders auf lokaler Ebene. Beispielsweise besitzt der Bürgermeister der Hafenstadt Constanta nicht nur die größten Firmen und Medien der Region, sondern außerdem auch die private Vertriebsgesellschaft für Printerzeugnisse. Diese – zumeist lokalen – Tendenzen der Monopolisierung sind Ergebnisse des Privatisierungsprozesses, der in Rumänien unter rechtlich unterregulierten Bedingungen stattgefunden hat. Zahlreiche Vertreter der ehemalig kommunistischen Medieninstitutionen haben sich in den frühen 1990er Jahren als Eigentümer ehemaliger Partei- und Staatszeitungen eintragen lassen und die Infrastruktur dieser Pressebetriebe gleich mit in ihren Besitz überführt. Die Beteiligung ausländischer Medienunternehmen an der rumänischen Presse ist im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern verhältnismäßig gering.
Die rumänische Organisation Active Watch, eine Partnerorganisation von ‚Reporter ohne Grenzen‘ kritisiert die Lage der Medien in Rumänien in ihren Jahresberichten zur Freiheit der Presse regelmäßig: Die strukturellen Probleme der Presselandschaft und des Medienmarktes in Rumänien würden die Unabhängigkeit von Journalisten stark einengen. Die Medien würden so zum Spielball wirtschaftlicher und politischer Interessengruppen.
In den lokalen Medien könnte es auch schon einmal passieren, dass Journalisten mit einer Gehaltserhöhung „ruhig gestellt“ werden, wenn sie nur ansatzweise ihre Funktion als Wachhunde wahrnehmen sollten, heißt es in der Studie „Zwischen Propaganda und Kommerz“ – Medien(un)freiheit in Südost-, Mittelost- und Osteuropa“ des ‚Netzwerk Recherche‘. Es muss aber auch gar keine Gehaltserhöhung sein – in vielen Fällen wollen die Journalisten einfach nur ihren Job behalten.
Tina Bettels ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der Technischen Universität Dortmund und Redakteurin der deutschen Website des European Journalism Observatory (Externer Link: www.ejo-online.eu)