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Das deutsche Rundfunk- und Medienrecht | Medienpolitik | bpb.de

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Das deutsche Rundfunk- und Medienrecht

Thomas Vesting

/ 18 Minuten zu lesen

Der Übergang zur Kultur der Netzwerke fordert das deutsche Rundfunk- und Medienrecht heraus. Ein Medienrecht der Zukunft bedeutet Erhaltung der Durchlässigkeit der vielen Teilforen und Netzöffentlichkeiten für eine „Hintergrundkultur“, auf die sich alle Bürger beziehen können.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts eröffnet am 16.05.2018 die mündliche Verhandlung ob der Rundfunkbeitrag für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zulässig ist. (© picture-alliance/dpa, Uli Deck)

Die Ordnungsstrukturen des Medienrechts – darunter wird hier vor allem das deutsche öffentliche Medienrecht verstanden – sind nicht leicht zu erschließen. Der Bedeutungszuwachs intelligenter Computernetzwerke und der wirtschaftliche Erfolg der großen US-amerikanischen Tech-Unternehmen haben sich in jüngerer Zeit in einem starken Wachstum und einer gleichzeitig zunehmenden Komplexität und Unübersichtlichkeit des Medienrechts bemerkbar gemacht. Bildete lange Zeit das Rundfunkrecht den Schwerpunkt des Medienrechts in Deutschland (und hier insbesondere die Ausgestaltung des Interner Link: öffentlich-rechtlichen Rundfunks), nehmen die digitalen Dienste inzwischen eine immer größere Aufmerksamkeit sowohl im deutschen wie im Interner Link: europäischen Medienrecht ein.

Um angesichts des schnellen technologischen und gesellschaftlichen Wandels nicht die Orientierung zu verlieren, empfiehlt es sich, Sinn und Systematik des Medienrechts vor dem Hintergrund seiner geschichtlichen Entwicklung zu veranschaulichen. Deshalb werden in diesem Beitrag zunächst einige historische Daten und Zusammenhänge in Erinnerung gerufen, bevor eine ausführlichere Darstellung der aktuellen Verhältnisse erfolgt.

Der Austausch von Meinungswissen als Fundament liberaler Öffentlichkeit

Für das Medienrecht ist der Bezug auf ein „Meinungen-System“ konstitutiv, das im öffentlichen Raum, in einer Sphäre der Öffentlichkeit, angesiedelt wird. Im Zentrum dieses System steht der Begriff der „Meinungsbildung“. Damit ist die Freiheit eines kollektiven Prozesses gemeint, der durch Beiträge zu einer zivilen Form öffentlicher Kommunikation in Bewegung gehalten wird. Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung können von Individuen verfasst werden, beispielsweise von einzelnen Bürgern, Schriftstellern, Wissenschaftlern oder Journalisten, sie können aber auch organisierten (Rechts-)Subjekten wie etwa öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder Medienunternehmen zugerechnet werden.

Das „Meinungen-System“ als Fundament liberaler Öffentlichkeit ist vor allem dadurch charakterisiert, dass es an die Stelle feststehender Wahrheiten den Austausch eines wahrscheinlichen Wissens setzt, eines Wissens, das die Menschen selbst herstellen und nicht mehr einfach von Gott empfangen. Darauf ruht bereits John Lockes Gesetz der (öffentlichen) Meinung. Für dieses ist charakteristisch, dass es das Meinungswissen in die Nähe des probabilistischen (sich an der Wahrscheinlichkeit orientierenden) Wissens rückt und gegenüber strengen philosophischen Wahrheitsansprüchen verteidigt.

Ein „Meinungen-System“ und eine Öffentlichkeit haben sich in (West-)Europa seit der frühen Neuzeit herausgebildet. Sie entstehen in unterschiedlichsten Formen. Dazu gehört schon früh eine Art „virtueller“ literarischer Öffentlichkeit, die durch den Austausch von Briefen, Büchern oder Zeitschriftenbeiträgen zwischen Gelehrten getragen wird. Stabile Präsenzöffentlichkeiten, in denen sich Prozesse freier Meinungsbildung zwischen sich als gleichberechtigt erfahrenden Individuen vollziehen, gibt es dann seit dem 18. Jahrhundert in großen Städten wie London und Paris. In London bildeten sich sogar schon im 17. Jahrhundert erste Rudimente einer freien Rede in öffentlichen Räumen jenseits des königlichen Hofes heraus, zum Beispiel in Kaffeehäusern. Das „Meinungen-System“ und die liberale Öffentlichkeit gehen anders gesagt aus Prozessen der gesellschaftlichen (städtischen) Selbstorganisation hervor. Zu dieser Form gehörte immer auch der Austausch von praktischem und nützlichem Wissen, zum Beispiel in Gestalt von Ratschlägen bei der Verwirklichung von waghalsigen Projekten wie dem Bau großer Brücken. Die liberale Öffentlichkeit fungierte also keineswegs nur (und nicht einmal in erster Linie) als Ort des politischen Sprechens beziehungsweise des politischen Räsonnements, worauf Jürgen Habermas‘ in seinem Buch über den Interner Link: Strukturwandel der Öffentlichkeit den Akzent gelegt hat. Die politische Kommunikation war hier immer nur Teil einer umfangreicheren gesellschaftlichen Kommunikation.

Obwohl die historischen Fakten eine andere Sprache sprechen, hat sich im deutschen Medienrecht der Nachkriegszeit ein Verständnis von öffentlicher Meinungsbildung durchgesetzt, das Habermas‘ Politikzentrierung durchaus verwandt ist. In diesem Verständnis rücken die Institutionen des pluralistischen Staates, die politischen Parteien, Wahlen und Abstimmungen, in das Zentrum der Prozesse öffentlicher Meinungsbildung. Dadurch wird die für die Öffentlichkeit relevante Kommunikation letztlich auf der politischen Willensbildung vorgelagerte Prozesse verkürzt, wohingegen die breite gesellschaftliche Verankerung des „Meinungen-Systems“ und die damit verbundene Orientierungsleistung der gesellschaftlichen Wissensbestände – der Kultur – vernachlässigt wird.

Von der „Gesellschaft der Individuen“ zur „Gesellschaft der Organisationen“

Die liberale Öffentlichkeit ist eine bürgerliche Öffentlichkeit in dem Sinne, dass sie in einer „Gesellschaft der Individuen“ entsteht. Demgegenüber ist das sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herausbildende Presserecht bereits stark durch das Paradigma der „Gesellschaft der Organisationen“ und einer durch sie geprägten Öffentlichkeit bestimmt. Organisierte Subjekte, große Presseunternehmen, Verbände und Vereine aller Art, politische Parteien und andere Gruppen und Organisationen, erbringen jetzt eine eigenständige kulturelle (wissensförmige) Orientierungsleistung neben den Individuen und werden sowohl für die öffentliche Meinungsbildung wie für die Rechtsbildung relevant.

So entwickelt sich das Presserecht vornehmlich im Kontext einer auflagenstarken Massenpresse. Ihre Grundlage bildet der Vertrieb von Pfennig-Magazinen, Zeitschriften und Tageszeitungen, das heißt von Presseerzeugnissen, die durch große Verlagshäuser professionell hergestellt und vertrieben werden. Dieser Prozess wurde in ganz Europa von einer Lockerung und Aufhebung eines teilweise schikanösen staatlichen Konzessionszwangs begleitet, wie er auch für die deutschen Territorialstaaten bis weit in das 19. Jahrhundert hinein üblich war: Jeder publizierende Verlag benötigte eine behördliche Genehmigung, das heißt, die Publikation von Zeitschriften oder Büchern unterlagen der (staatlichen) Vorzensur.

QuellentextReichs-Gesetzblatt No 16

(Nr. 1003.) Gesetz über die Presse. Vom 7. Mai 1874.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

I. Einleitende Bestimmungen.

§. 1.
Die Freiheit der Presse unterliegt nur denjenigen Beschränkungen, welche durch das gegenwärtige Gesetz vorgeschrieben oder zugelassen sind.

§. 2.
Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sowie auf alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift, und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen.

Was im Folgenden von "Druckschriften" verordnet ist, gilt für alle vorstehend bezeichneten Erzeugnisse.

§. 3.
Als Verbreitung einer Druckschrift im Sinne dieses Gesetzes gilt auch das Anschlagen, Ausstellen oder Auslegen derselben an Orten, wo sie der Kenntnißnahme durch das Publikum zugänglich ist.

§. 4.
Eine Entziehung der Befugniß zum selbständigen Betriebe irgend eines Preßgewerbes oder sonst zur Herausgabe und zum Vertriebe von Druckschriften kann weder im administrativen, noch im richterlichen Wege stattfinden.

Im Uebrigen sind für den Betrieb der Preßgewerbe die Bestimmungen der Gewerbeordnung maßgebend.

§. 5.
Die nichtgewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druckschriften kann durch die Ortspolizeibehörde denjenigen Personen verboten werden, welchen nach §. 57 der Gewerbeordnung ein Legitimationsschein versagt werden darf.

Zuwiderhandlungen gegen ein solches Verbot werden nach §. 148 der Gewerbeordnung bestraft.

Quelle: Externer Link: de.wikisource.org / Gesetz über die Presse
Abbildung unter: Externer Link: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8e/Deutsches_Reichsgesetzblatt_1874_016_065.jpg

Die Institution einer freien Presse setzte sich in Deutschland später als etwa in England oder Frankreich durch. Erst im Reichspressegesetz von 1874 wurde die Freiheit und Unabhängigkeit der Presse vom Staat prinzipiell anerkannt. Die jetzt auch förmlich gesicherte Pressefreiheit trieb die Entwicklung von Pressemärkten voran sowie eine durch eine Vielfalt von Presserzeugnissen und -formaten bestimmte Form der öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung. Die Presse wurde so zu einem zentralen „Intermediär“ (Vermittler) der Selbstbeobachtung der Gesellschaft und zu einem eigenständigen Faktor öffentlicher Kritik und Kontrolle, die weit über die bloße Repräsentation des Monarchen hinausging. Schon Wilhelm II. galt als „Medien-Kaiser“, mit allen damit einhergehenden Ambivalenzen: Zwar konnte Wilhelm die Presse einerseits für seine politischen Zwecke und Strategien nutzen, andererseits aber wurde seine Herrschaft bereits von einer Fülle von Skandalen begleitet, die die Presse „aufdeckte“, wie etwa den sogenannten Externer Link: Eulenburg-Skandal, in dem der Monarch mit dem Verdacht homosexueller Neigungen konfrontiert wurde.

Diese und ähnliche Erfahrungen lösten seit dem späten Kaiserreich eine wachsende „kulturkritische“ Einstellung gegenüber der Presse und anderen Massenmedien aus, die auch in der Weimarer Republik präsent blieb. Die wachsende Abhängigkeit der organisierten (staatlichen) Willensbildung von einem durch Presse, Radio und Kino-Wochenschauen bestimmten Prozess öffentlicher Meinungsbildung veranlasste besonders Carl Schmitt, den späteren „Kronjuristen“ der Nationalsozialisten, zu der Annahme, dass die parlamentarische Demokratie ihre Zeit hinter sich habe. Der Parlamentarismus, so Schmitt bereits im Jahr 1923, beruhe auf einem freien und rationalen Austausch von Argumenten und dieser auf der Buchdruckerkunst. Mit dem Aufstieg einer neuartigen, von Zeitungsartikeln und anderen Massenmedien getragenen Propaganda – einer „plakatmäßig eindringliche(n) Suggestion“ – hätten Öffentlichkeit, Diskussion und Parlamentarismus ihren Sinn verloren.

Das Argument, dass der Parlamentarismus seinen Sinn verloren habe, wird von einer wenig überzeugenden Übersteigerung politischen Denkens getragen, wie sie in Deutschland noch heute weit verbreitet ist. Einmal davon abgesehen, dass der Austausch von Meinungen zwischen Individuen in England schon bei John Locke in einer probabilistischen Epistemologie (Wissenschaftstheorie) verankert wird, die sich mit der Wahrscheinlichkeit von Richtigkeitsunterstellungen begnügt, übersieht Schmitt, dass die historische Entwicklung des englischen Parlamentarismus nicht primär vom freien und rationalen Austausch von Argumenten getragen wurde, sondern von der Blüte einer „civil and commercial society“, wie Adam Smith die vor seinen Augen entstehende bürgerliche und kommerzielle Gesellschaft genannt hat. Gefestigte Demokratien gibt es auch heute nur in Ländern mit einer breiten „bürgerlichen“ Mittelklasse, die am technologischen Fortschritt und wirtschaftlichen Wohlstand der modernen Gesellschaft partizipiert.

Die private Presse und das Modell einer „negativen Ordnung“

Das Presserecht, das sich seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelt, ist in seinem Kern Interner Link: ordnungsrechtlich strukturiert. Es schützt die gesellschaftliche Institution einer freien Presse. Das soll heißen, dass „Freiheit“ im Modell des Presserechts als privatautonome gesellschaftliche Freiheit vorausgesetzt wird. Die Grenze des Informationsinteresses der Presse wird erst gezogen, wenn presseförmiges Verhalten erkennbare Schäden hervorruft. Die Schadensgrenze verweist wiederum auf verallgemeinerbare gesellschaftliche Erfahrungen, die nur durch ein allgemeines Gesetz festgelegt werden können; im Übrigen wird der Pressemarkt seiner eigenen Rationalität, dem „Kampf“ um Auflagen, Aufmerksamkeit und Werbeerlöse, überlassen.

In genau diesem Sinn findet die „negative Ordnung“ der Pressefreiheit ihre Grenzen in Gestalt allgemeiner Gesetze – und nirgends sonst. Zwar unterlag die journalistische Kritik im monarchischen Deutschland noch besonderen Einschränkungen, beispielsweise durch den weit gefassten Tatbestand der Interner Link: Majestätsbeleidigung. Doch konnte die Presse schon im späten 19. Jahrhundert weitgehend unabhängig von staatlichen Ziel- und Zweckvorgaben agieren. Diese Grundsätze gelten auch heute noch: Die Presse und ihre Akteure (Verleger, Journalisten, Autoren etc.) können ihre Sicht auf das sozio-kulturelle oder politische Geschehen grundsätzlich frei wählen, solange dabei nicht Rechte anderer verletzt werden und solange das presseförmige Handeln keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.

An diesem Modell „negativer Ordnung“ sind nicht nur die Pressegesetze der Länder – von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Interner Link: Pressesubventionierung) – orientiert, sondern auch die Rechtsprechung der deutschen Gerichte. Auch im Medienverfassungsrecht, das an Artikel 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz anknüpft, ist die Pressefreiheit als Institutionenschutz konzipiert: Sie schützt die privatrechtliche Betätigungsfreiheit von Verlegern als „Institution“.

Grundgesetz Art. 5

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich dieser Freiheitsschutz in erster Linie auf die Presse als Medium öffentlicher Meinungsbildung. Letztere dient wiederum dem Schutz der demokratischen Institutionen des pluralistisch gedachten Staates – und nicht einer rein wirtschaftlich zu verstehenden Entscheidungsfreiheit der Kapitaleigner von Presseunternehmen. Mit der Wahl dieses Bezugspunktes – Schutz der Reproduktion einer politischen Öffentlichkeit – wird die Pressefreiheit zwar auf einen Primat des Politischen verpflichtet, der dem Verfassungsgericht die Begründung einer öffentlichen Aufgabe der Presse ermöglicht. Die Presse wird dadurch aber nicht auf die Vorstrukturierung von Meinungsbildungsprozessen für die organisierte (staatliche) Willensbildung verpflichtet. Sie kann auch reine Unterhaltungspresse sein.

An der freien Wahl der Themen und Formen wird in der presserechtlichen Variante institutioneller Freiheit also letztlich nicht gerüttelt. Es ist in diesem Modell aber auf eine nicht unproblematische Weise denkbar, dass der Gesetzgeber Maßnahmen zum Schutz einer kommunikativen Infrastruktur ergreift, die für intakte öffentliche Meinungsbildungsprozesse als notwendig erachtet werden. Dies erlaubt dann auch Eingriffe in Rechte Dritter, etwa in Gestalt einer gesetzlichen Beschränkung presseförmiger Berichterstattung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (§§ 27 Abs. 1, 30 Abs. 7 Medienstaatsvertrag).

§§ 27 Abs. 1, 30 Abs. 7 Medienstaatsvertrag

§ 27 Angebote

(1) Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind Rundfunkprogramme (Hörfunk- und Fernsehprogramme) und Telemedienangebote nach Maßgabe dieses Staatsvertrages und der jeweiligen landesrechtlichen Regelungen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann programmbegleitend Druckwerke mit programmbezogenem Inhalt anbieten.

§ 30 Telemedienangebote

(7) Die Telemedienangebote dürfen nicht presseähnlich sein. Sie sind im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton zu gestalten, wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf. Angebotsübersichten, Schlagzeilen, Sendungstranskripte, Informationen über die jeweilige Rundfunkanstalt und Maßnahmen zum Zweck der Barrierefreiheit bleiben unberührt. Unberührt bleiben ferner Telemedien, die der Aufbereitung von Inhalten aus einer konkreten Sendung einschließlich Hintergrundinformationen dienen, soweit auf für die jeweilige Sendung genutzte Materialien und Quellen zurückgegriffen wird und diese Angebote thematisch und inhaltlich die Sendung unterstützen, begleiten und aktualisieren, wobei der zeitliche und inhaltliche Bezug zu einer bestimmten Sendung im jeweiligen Telemedienangebot ausgewiesen werden muss. Auch bei Telemedien nach Satz 4 soll nach Möglichkeit eine Einbindung von Bewegtbild oder Ton erfolgen. Zur Anwendung der Sätze 1 bis 5 soll von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Spitzenverbänden der Presse eine Schlichtungsstelle eingerichtet werden.

Quelle: Externer Link: Medienstaatsvertrag (MStV) in der Fassung des Dritten Staatsvertrags zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge (Dritter Medienänderungsstaatsvertrag) in Kraft seit 01. Juli 2023.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das Modell einer „positiven Ordnung“

Wie das Presserecht ist auch das – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehende – rundfunkrechtliche Modell einer „positiven Ordnung“ ein Rechtsmodell der „Gesellschaft der Organisationen“. Dieses Modell war anfänglich ausschließlich auf das System öffentlich-rechtlicher (Landes-)Rundfunkanstalten zugeschnitten, wie sie noch unter der Kontrolle der Alliierten in den westlichen Bundesländern entstanden sind. Während sich das Presserecht aber in klarer Distanz zum Staat entwickeln konnte, spielte dieser im Rundfunkrecht von Anfang an eine sehr viel stärkere Rolle. Historisch lässt sich das staatliche Engagement bis zur Bereitstellung der technischen Übertragungswege des Rundfunkbetriebs durch den preußischen Militärstaat zurückverfolgen.

Rundfunkrecht

Auf der Grundlage einer umfassenden Restrukturierung der Medienlandschaft durch die Alliierten

  • stützt sich das Rundfunkrecht einerseits auf staatliche und grundgesetzliche Vorgaben,

  • hat es andererseits starke Elemente einer staatsunabhängigen Selbstregulierung (teilweise nach dem Vorbild der britischen BBC) adaptiert.

Das rundfunkrechtliche Modell der „positiven Ordnung“ wechselt zwischen zwei Polen: Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen eines unkontrollierten Staatsinterventionismus insbesondere in der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus zielt die „positive Ordnung“ einerseits auf die Sicherung der Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber dem Staat und den mit ihm verbundenen Kräften, vornehmlich gegenüber den Parteien. Andererseits heißt „positive Ordnung“ auch und gerade, die kulturellen, wissensförmigen und politischen Integrationsleistungen organisierter Subjekte für den Rundfunk zu nutzen und die großen politischen Parteien, die (christliche) Kirche und einflussreiche soziale Verbände wie Gewerkschaften und Unternehmervereinigungen in der Rundfunkorganisation und im Programm selbst zur Geltung zu bringen.

Dadurch verändern das „Meinungen-System“ und die Öffentlichkeit ihren Charakter. Beide werden nicht mehr als aus einer Menge von unterschiedlichen und aufeinander reagierenden individuellen Meinungen zusammengesetzt gedacht, sondern als Ergebnis der Repräsentation von gebündelten gruppenbezogenen Meinungen. Die „positive Ordnung“ sollte anfangs vor allem sicherstellen, dass die Vielfalt der in der Nachkriegsgesellschaft vorhandenen Meinungsströme, die Weltbilder und Zukunftsansichten der großen Gruppen, insbesondere die als mitgliederstark gedachten (Volks-)Parteien, im Rundfunksystem hinreichend repräsentiert waren.

Im Modell der „positiven Ordnung“ wurde mit anderen Worten versucht, ein „publizistisches Gleichgewicht“ zwischen allen relevanten gesellschaftlichen Kräften im Programm herzustellen: Die Ströme öffentlicher Meinungsbildung sollten gewissermaßen durch die Rundfunkanstalten hindurchfließen. Jedenfalls sollte das Programm den in der Gruppenöffentlichkeit vorhandenen Meinungspluralismus abbilden. Deshalb sollten alle gesellschaftlich relevanten Kräfte, wie es schon im Externer Link: ersten Fernsehurteil hieß, im Gesamtprogramm – nicht in jeder einzelnen Sendung – „zu Wort kommen“.

Zentral für dieses Modell ist daher, dass der Gesetzgeber die „positive Ordnung“ durch Organisation und Verfahren und nicht nur durch die heute beliebte Vorgabe von „Aufträgen“ realisiert. Die „positive Ordnung“ konnte so auf die Verwirklichung und Aufrechterhaltung von Programmvielfalt durch die Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen an einem für alle ausgestrahlten Gesamtprogramm (Interner Link: Integrationsrundfunk) angelegt werden. Im gruppenpluralistischen Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war es vor allem die Funktion der Rundfunkräte, die entsprechend ihres sozialen Gewichts auch in den Sendeanstalten vertreten waren, die Vielfalt der Meinungen in einem Programm sicherzustellen. Die Rundfunkräte waren es auch, die die Rundfunkordnung fortlaufend an den Wandel der technologischen und gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen sollten.

Der private Rundfunk und das duale Rundfunksystem

Nachdem der Konsens über das öffentlich-rechtliche Rundfunkmonopol auch aufgrund des Aufkommens neuer Technologien (wie etwa der grenzüberschreitenden Satellitenkommunikation) zerbrochen war, wurde das öffentlich-rechtliche Monopol seit den 1980er Jahren durch die Zulassung privater Radio- und Fernsehangebote abgeschafft. Darauf haben zunächst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und – daran anknüpfend – auch die Mediengesetzgebung mit der Konstruktion eines „Interner Link: dualen Rundfunksystems“ reagiert. Dazu wurde die am Gruppenpluralismus der alten Bundesrepublik abgelesene Vielfaltsvorstellung auf die marktförmigen Strukturen des privaten Rundfunks mit dem Ziel übertragen, diese in die „positive Ordnung“ zu integrieren.

Nach dieser Konzeption muss der Gesetzgeber, wenn er dem privaten Rundfunk einen Entfaltungsraum geben will, einen gesetzlichen Rahmen zur Verfügung stellen (der heutige Medienstaatsvertrag), zu dem eine begrenzte Staatsaufsicht gehört (die heutigen Landesmedienanstalten). Umgekehrt bedürfen private Rundfunkveranstalter einer staatlichen Zulassung, sie unterfallen, im Unterschied zur Presse, dem verwaltungsrechtlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Und weil auch im System des privaten Rundfunks die bestehende gesellschaftliche Meinungsvielfalt im Programm zur Darstellung gelangen muss, schließt sich an die Zulassung privater Veranstalter eine konzentrationsrechtliche Überprüfung an. Auch programmlich werden private Rundfunkprogramme auf ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung verpflichtet (§§ 59 ff. MStV).

Sicherung der Meinungsvielfalt

§ 59 Meinungsvielfalt, regionale Fenster

(1) Im privaten Rundfunk ist inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im Wesentlichen zum Ausdruck zu bringen. Die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen müssen in den Vollprogrammen angemessen zu Wort kommen; Auffassungen von Minderheiten sind zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, Spartenprogramme anzubieten, bleibt hiervon unberührt.

(2) Ein einzelnes Programm darf die Bildung der öffentlichen Meinung nicht in hohem Maße ungleichgewichtig beeinflussen.
[…]

§ 60 Sicherung der Meinungsvielfalt im Fernsehen

(1) Ein Unternehmen (natürliche oder juristische Person oder Personenvereinigung) darf in Deutschland selbst oder durch ihm zurechenbare Unternehmen bundesweit im Fernsehen eine unbegrenzte Anzahl von Programmen veranstalten, es sei denn, es erlangt dadurch vorherrschende Meinungsmacht nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen.

(2) Erreichen die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 vom Hundert, so wird vermutet, dass vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist. […]

(3) Hat ein Unternehmen mit den ihm zurechenbaren Programmen vorherrschende Meinungsmacht erlangt, darf für weitere diesem Unternehmen zurechenbare Programme keine Zulassung erteilt oder der Erwerb weiterer zurechenbarer Beteiligungen an Veranstaltern nicht als unbedenklich bestätigt werden. […]

Quelle: Externer Link: Medienstaatsvertrag (MStV) in der Fassung des Dritten Staatsvertrags zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge (Dritter Medienänderungsstaatsvertrag) in Kraft seit 01. Juli 2023

Bei einer näheren Betrachtung erweist sich die Idee eines dualen Rundfunksystems aber eher als Wunsch denn als Wirklichkeit. Die Diskrepanz zwischen normativen Erwartungen und programmlicher Wirklichkeit wird vor allem dadurch verursacht, dass der private Rundfunk in seinem Handeln viel unmittelbarer spezifisch medienwirtschaftlichen und kulturökonomischen Zwängen folgen muss, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk es unter Monopolbedingungen je musste. Sowohl die Abhängigkeit des privaten Rundfunks von der Werbefinanzierung als auch die ihn unmittelbar treffenden Zwänge des Kampfs um Aufmerksamkeit, der immer nur wenige Gewinner und viele Verlierer kennt, haben sein Verhalten von Anfang an geprägt. Das hat nicht zuletzt zu einem hohen Anteil an Unterhaltungssendungen und einem geringen Anteil an politischen Informationssendungen oder Dokumentationen geführt.

Die Destabilisierung und Auflösung des Modells der „positiven Ordnung“

Die Zulassung des privaten Rundfunks musste deshalb erhebliche Rückwirkungen auf das Modell der „positiven Ordnung“ haben. War die „positive Ordnung“ ursprünglich in einer binnenpluralen Organisationsstruktur verankert, die auch das ausgewogene Zu-Wort-Kommen der repräsentativen gesellschaftlichen Kräfte im Programm garantierte, wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als ein von „besonderen normativen Erwartungen“ bestimmtes System beschrieben. Dieses Vertrauen des Gerichts in die eigenen normativen Konstruktionen ist gerade deshalb erstaunlich, weil die Anforderungen an die organisatorische Ausgestaltung des dualen Rundfunksystems darin ebenso wenig Beachtung finden wie die inzwischen erreichte Komplexität der digitalen Medienwelt.

Das hat dazu geführt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur noch als von besonderen Erwartungen getragenes Idealmodell wahrgenommen wird. Es wird aber nicht berücksichtigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einem einheitlichen Rundfunkmarkt agiert und damit in einer unmittelbaren Wettbewerbsbeziehung zum privaten Rundfunk steht. Der Wettbewerb zwischen den Systemen kann daher nicht zu einem rein publizistischen Wettbewerb um die qualitativ besten Angebote erklärt werden. Denn die medienökonomischen und spezifisch medienkulturellen Parameter haben schon lange dazu geführt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Programm weitgehend den Zwängen einer ereignisbasierten Unterhaltungsöffentlichkeit und ihrer Quotenlogik angepasst hat. Dies schlägt sich einerseits in hohen Ausgaben für Sportrechte nieder und andererseits in der Zunahme von Unterhaltungsprogrammen, etwa in der Form immer neuer Krimiserien, deren Schauplätze inzwischen von Lissabon bis Istanbul reichen.

In jüngerer Zeit kommt ein weiteres Phänomen hinzu: die tiefgreifenden Umbrüche im Parteiensystem. Der Bedeutungsverlust der großen Volksparteien, der (christlichen) Kirche und sozialen Verbände und die damit einhergehende Tendenz zur Fragmentierung und Polarisierung der politischen Kräfte treibt die Destabilisierung des Modells der „positiven Ordnung“ weiter voran – mit weitreichenden Konsequenzen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das hat unter anderem zu einer Schwächung und Auflösung der gruppenpluralistischen Kontrollmechanismen geführt. Damit wurden nicht nur die Finanzskandale im Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) (mit-)ermöglicht, die 2022 bekannt wurden, sondern auch ein tendenziöser und moralisch aufgeladener Journalismus hervorgebracht. Externer Link: Daraus resultiert auch ein Problem der programmlichen Ausgewogenheit. Viele Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks pflegen einen eher pädagogisch aufgeladenen journalistischen Stil, der dazu neigt, die Zuschauer auf den politisch richtigen Weg bringen zu wollen, ein Weg, der sehr oft mit den politischen Vorstellungen der grün-linken Parteien und ihrer kulturellen Milieus deckungsgleich ist.

Der Aufstieg der informationstechnologischen Kultur und die „Telemedien“

Die Herausforderungen des (deutschen) Medienrechts verschärfen sich weiter, wenn man die Digitalisierung und die damit einhergehende Entstehung einer informationstechnologischen Kultur in den Blick nimmt.

Schon im dualen Rundfunksystem ersetzte eine Vielzahl von (Unterhaltungs)-Angeboten und Programmschienen das Gesamtpublikum im Sinn des alten „Integrationsrundfunks“. Das hat zuerst das öffentlich-rechtliche Radio verändert. Die einstigen Gruppenöffentlichkeiten, die immer auch über überlappende Zonen gemeinsamen Wissens verfügten, begannen sich in Zielgruppen aufzulösen. Mit dem Bedeutungszuwachs intelligenter Computernetzwerke verzweigen sich die Kommunikationsströme noch stärker: An die Stelle des Programmrundfunks tritt eine Vielzahl von neuartigen Informations- und Unterhaltungsangeboten, von Streaming-Diensten, Social-Media-Plattformen, Suchmaschinen, Spiel- und Wettangebote usw. Das hat auch die Konsumgewohnheiten radikal verändert: Die individuelle Auswahl einzelner Sendungen aus einer Mehrheit linearer Programmangebote wird durch eine durch künstliche Intelligenz gesteuerte „Kuratierung“ abgelöst, die die Zuschauer mit ständig neuen Empfehlungen aufgrund bisheriger Abrufgewohnheiten versorgt. Dadurch wird es zumindest zu einer offenen Frage, ob man künftig überhaupt noch eine am Programm ansetzende besondere Rundfunkregulierung rechtfertigen kann.

Der Mediengesetzgeber hat auf den informationstechnologischen und gesellschaftlichen Wandel in einem ersten Schritt mit der Unterscheidung von linearem Programmrundfunk und Interner Link: Telemedien reagiert. Mit dem eigenartigen Kunstwort „Telemedien“ wurde der frühere Rundfunkstaatsvertrag (RStV) um ein weiteres Regulierungsregime ergänzt und praktisch in drei Säulen aufgespalten: Die Telemedien (als Teil der Internetkommunikation) wurden einer presseähnlichen Regulierung nach dem Vorbild einer „negativen Ordnung“ unterworfen, also einer rechtlichen Rahmenordnung, die primär das Wachstum der neuen Dienste ermöglichen sollte, so wie auch die E-Commerce-Richtlinie der EU zunächst primär eine Förderung der digitalen Kommunikations- und Geschäftsformate angestrebt hatte. Das Telemedienregime knüpfte daher ursprünglich eher an die Tradition der presserechtlichen (Minimal-)Regulierung als an das herkömmliche Rundfunkrecht an und ist zu Recht als Beispiel für eine experimentell angelegte „Risikovorsorge“ interpretiert worden.

Der neue Medienstaatsvertrag (MStV)

Am Paradigma einer „Risikovorsorge“, die den Unternehmen allerdings immer komplexere Regulierungslasten auferlegt, orientieren sich auch große Teile der neu hinzugefügten Vorschriften des MStV. Vor allem in den Abschnitten über Medienintermediäre (§§ 91-96 MStV), Video-Sharing Diensten (§§ 97-99 MStV) sowie Medienplattformen und Benutzeroberflächen (§§ 78-90 MStV) beschränkt sich die Regulierung auf unternehmensbezogene Anforderungen wie Pflichten zur Transparenz und Diskriminierungsfreiheit, ohne Tech-Konzerne wie Google oder Facebook einem Zulassungsvorbehalt oder einer medienspezifischen Konzentrationskontrolle zu unterwerfen. Noch ausgeprägter folgt die jüngste europäische Mediengesetzgebung diesem Paradigma. Insbesondere der Interner Link: Digital Services Act (DSA) verpflichtet private Unternehmen zu teilweise äußerst komplizierten Vorsorge-Maßnahmen, mit denen die Europäische Union vor allem (politische) Desinformation bekämpfen und die Kommunikation im Internet neu regeln will. Es bleibt jedoch ein – im Regelwerk des DSA – ungelöstes Problem, wie die (supra-)staatliche Regulierung von (politischen) Desinformationen mit der für eine liberale Ordnung unverzichtbaren Institution der Freiheit der öffentlichen Meinungsbildung vereinbar sein soll.

Der Medienstaatsvertrag suggeriert eine Kontinuität und Einheitlichkeit der Mediengesetzgebung, die es unter informationstechnologischen Bedingungen nicht mehr gibt. Denn wie früher die Presse oder der Rundfunk eine eigene kulturelle und wissensförmige Orientierungsleistung erbracht haben, zu der auch die Hervorbringung eigener normativer Regeln gehörte (etwa journalistische Sorgfaltspflichten), erbringen die sozialen Medien inzwischen ebenfalls eine eigenständige kulturelle und wissensförmige Orientierungsleistung, die ihre eigenen Institutionen und Regeln schafft.

Der Medienstaatsvertrag kann daher allenfalls als eine Art „Mantelvertrag“ qualifiziert werden, mit dem sehr unterschiedliche Regulierungsregime zusammengefasst werden. Das wirft auch neue Fragen auf, beispielsweise die Frage nach dem legitimen Inhalt und Umfang von durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten bereitgestellten Telemedienangeboten. Sind diese Teil der durch die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Bestands- und Entwicklungsgarantie? Oder kann man diese am Leitbild des linearen Rundfunkprogramms gewonnenen Grundsätze gerade nicht auf die neue informationstechnologische Architektur des Internets und dessen Medien übertragen, an der nun auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk partizipieren will?

Die Aufgabe eines netzwerkgerechten Medienrechts

Wenn man Kultur als Symbol für ein gesellschaftlich geteiltes (gemeinsames) Wissen versteht, kann man sagen, dass das „Meinungen-System“ seit dem 18. Jahrhundert ein öffentliches Forum bereitgestellt hat, auf dem ein solches Wissen zirkulieren und in Gestalt eines kollektiven Bestandes von Themen und Formaten geteilt werden konnte. Das ist auch für die politische Kultur der westlichen demokratischen Staaten immer von außerordentlicher Bedeutung gewesen. Die größte Herausforderung für ein Medienrecht der Zukunft dürfte daher im Ausloten der Möglichkeiten der Erhaltung einer „Hintergrundkultur“ liegen, auf die sich weiterhin alle beziehen können. Dazu gehört beispielsweise auch eine gemeinsame Sprache mit allgemeinverbindlichen Regeln – und nicht deren Auflösung in immer neue Kleingruppendialekte.

Die in jüngerer Zeit stärker werdende Polarisierung der Gesellschaft und der politischen Gruppen wirft mit anderen Worten die Frage auf, wie ein gemeinsames Wissen über gesellschaftliche Entwicklungen, die alle betreffen, erhalten werden kann. Nur dann können komplexe Entscheidungen über die Zukunft unserer (westlichen) Lebensform weiterhin einigermaßen sinnvoll im öffentlichen Raum diskutiert werden. Von hier aus ließe sich vielleicht ein tragfähiger normativer Ansatzpunkt gewinnen, der den Umbau der Medienverfassung leiten und zur Institutionalisierung der digitalen Kommunikation in einer „Rechtsverfassung der Internetkommunikation“ beitragen könnte. Dazu würde auch gehören, den Verlust der gruppenpluralistischen Komponenten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch neue institutionelle Lösungen – und nicht nur durch freischwebende „Aufträge“ – zu kompensieren. So ist in der Literatur beispielsweise vorgeschlagen worden, für das herkömmliche Rundfunkprogramm sowie für programmähnliche Dienste eine unabhängige externe Expertenaufsicht einzuführen, die den Verlust der binnenpluralen Vielfaltskontrolle kompensieren müsste, indem sie etwa die Anteile an innovativen Programmformaten prüft. Diese Expertenaufsicht könnte sich am Modell der Regulierung der britischen Interner Link: BBC durch die OFCOM orientieren. Letztere ist durch die Royal Charter der BBC ermächtigt worden, einen operativen Rahmen zu entwickeln, der die Regulierung der Leistungen der BBC, die Einhaltung programmlicher Standards und die Auswirkungen auf den Wettbewerb umfasst. Darüber hinaus müsste man über Institutionen nachdenken, die die Kommunikationsflüsse im Internet stärker auf zivile und meinungspluralistische Formate einstellen. Dies könnte etwa in Form einer von Bund und Ländern zu finanzierenden „Internetstiftung“ geschehen.

Quellen / Literatur

Carvalho, Julio/Negócio, Ramon: Wer macht die Regeln? Zur emergenten Normativität der digitalen Plattformen. In: Rechtswissenschaft, 4, 2021, S. 452 ff.

Cornils, Matthias: Vielfaltssicherung bei Telemedien. In: AfP, 5, 2018, S. 377 ff.

Fumaroli, Marc: The Republic of Letters. In: Yale University Press, 2018.

Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt am Main, 1990.

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Wetters, Kirk: The Opinion System. Impasses of The Public Sphere from Hobbes to Habermas, New York, 2018.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kirk Wetters, The Opinion System. Impasses of The Public Sphere from Hobbes to Habermas, New York 2008, S. 188 (der Begriff „Meinungen-System“ stammt von Georg Christoph Lichtenberg).

  2. Vgl. nur Karl-Heinz Ladeur, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Krise? Deutschland, Europa, Nord- und Südamerika, Tübingen 2021, S. 74.

  3. Vgl. Kirk Wetters (Fn. 1), S. 125 ff., 131 ff.

  4. Marc Fumaroli, The Republic of Letters, New Haven/London: Yale University Press, 2018.

  5. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (1962), Frankfurt am Main, 1990.

  6. Näher Karl-Heinz Ladeur, Die Zukunft der Medienverfassung, in: Ladeur/Ingold/Graber/Wielsch, Die Zukunft der Medienverfassung 2021, 20 ff.; vgl. auch Thomas Vesting, Die Veränderung der Öffentlichkeit durch künstliche Intelligenz, in: S. Unger/A. von Ungern-Sternberg (Hrsg.), Demokratie und künstliche Intelligenz, Tübingen 2019, S. 33 ff.

  7. Vgl. Ladeur, Medienverfassung (Fn. 6), S. 24 ff.

  8. Quellentext Reichs-Gesetzblatt No 16.

  9. Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1926), Berlin 1985, S. 58, 62 f.

  10. BVerfGE 10, 118, 121 (ständige Rechtsprechung).

  11. BVerfGE 57, 295, 320.

  12. BVerfGE 12, 205 ff. – Adenauer-Fernsehen.

  13. BVerfGE 57, 295, 319 ff.

  14. BVerfGE 12, 205, 262.

  15. Zur Aufgabe der Rundfunkräte vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 25. März 2014, 1 BvF 1/11, Rn. 38 ff.

  16. BVerfGE 74, 297, 325 ff.

  17. Vgl. Ladeur, Verfassungsgerichtsbarkeit (FN. 2), S. 97 ff.

  18. BVerfGE 119, 181, 217.

  19. Laut 24. Bericht der KEF vom Februar 2024, S. 255 ff. (Tabn. 211, 212, 213), haben ARD und ZDF im Jahr 2022 ca. 856 Millionen € für Erstsendeminuten in der Sparte Sport ausgegeben. Davon dürfte mindestens die Hälfte auf den Erwerb von Lizenzen bzw. Übertragungsrechten entfallen. Das ist – mit Ausnahme der Dritten Programme der ARD – der größte Kostenblock nach den Kosten für Fernsehfilme und Serien. In diesem Zusammenhang hat die KEF die hohen Kosten für Sportrechte in früheren Berichten wiederholt angemahnt.

  20. Ladeur, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 2), S. 99 ff.

  21. Vgl. Jürgen Falter in einem Interview mit dem Münchner Merkur Externer Link: https://www.merkur.de/politik/ard-zdf-oeffentliche-meinung-spd-gruene-cdu-talkshow-zr-92654851.html; vgl. auch die (nicht-repräsentative) Umfrage zu den politischen Präferenzen von Volontären der ARD im Mai 2020 Externer Link: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1184876/umfrage/sonntagsfrage-ard-volontaere/; danach wählen 92,2 % Die Grünen, Die Linke oder die SPD, während die CDU 2,6 % der Stimmen erhält. Siehe hierzu auch journalist.de: Wie divers ist der ARD-Nachwuchs? Externer Link: https://www.journalist.de/startseite/detail/article/wie-divers-ist-der-ard-nachwuchs, Tanjev Schultz: Journalisten sind linker und grüner als die Bevölkerung. Ist das ein Problem? Externer Link: https://uebermedien.de/91079/journalisten-sind-linker-und-gruener-als-die-bevoelkerung-ist-das-ein-problem/ und Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen: Externer Link: https://medienvertrauen.uni-mainz.de/.

  22. Näher Albert Ingold, Digitalisierte Öffentlichkeiten und ihre Regulative, in: Digitale Transformation der Öffentlichkeit (hrsg. von Jan Phillip Kruse und Sabine Müller-Mall), 2020, S. 163 ff.

  23. Ausführlicher Thomas Vesting/Ricardo Campos, Content Curation. Medienregulierung für das 21. Jahrhundert, KritV 2022, S. 3 ff.

  24. Vgl. Matthias Cornils, Vielfaltssicherung bei Telemedien, AfP 2018, S. 377 ff., 383.

  25. Vgl. Alexander Peukert, Desinformationsregulierung in der EU – Überblick und offene Fragen, JZ 7 (2023), S. 278 ff.

  26. Vgl. nur Julio Carvalho/Ramon Negócio, Wer macht die Regeln? Zur emergenten Normativität der digitalen Plattformen, Rechtswissenschaft 2021, S. 452 ff.; Ladeur, Medienverfassung (Fn. 6), 26 ff.

  27. Vgl. Ladeur, Medienverfassung (Fn. 6), S. 46.

  28. Vgl. Ladeur, Medienverfassung (Fn. 6), S. 64 f.

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Dr. Thomas Vesting war ordentlicher Professor am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er war Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Recht und Theorie der Medien. Neben Forschungsschwerpunkten im öffentlichen Recht und im Medienrecht arbeitete Thomas Vesting vor allem an Formen der Verknüpfung von Kulturtheorie, Medientheorie, Gesellschaftstheorie und Rechtstheorie.