Die SPD wurde im 19. Jahrhundert als Milieu- oder Klassenpartei der Arbeiterschaft gegründet. In der Bundesrepublik stellte sie bisher insgesamt 21 Jahre lang den Bundeskanzler.
Als älteste und traditionsreichste Partei Deutschlands hat die SPD vier politische Systeme überdauert. Im Kaiserreich ist sie 1875 als Zusammenschluss des von Ferdinand Lassalle 1863 begründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) mit der sechs Jahre später gebildeten, von August Bebel und Wilhelm Liebknecht angeführten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) entstanden. Ihren heutigen Namen "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" (SPD) trägt sie seit 1890.
Bezogen auf ihre gesellschaftliche Basis war die SPD bis in die 1950er-Jahre eine Milieu- oder Klassenpartei; zugleich stellte sie den Prototyp einer nach demokratischen Prinzipen aufgebauten Massenpartei dar. Beides hing eng miteinander zusammen. Um ihre fehlende Macht im Staat auszugleichen, mussten die Sozialdemokraten erst eine gesellschaftliche Macht werden, die ihre Anhänger aus der Arbeiterschaft umfassend integrierte und so eine klar unterscheidbare Identität ausbildete. Die marxistische Ideologie bestärkte sie in dem Glauben, dass das Recht auf ihrer Seite war und die Geschichte sich naturgesetzlich in Richtung Sozialismus entwickeln würde. Die daraus erwachsende moralische Stärke förderte den raschen Aufbau einer schlagkräftigen Organisation; gleichzeitig half sie der SPD über die Diskriminierungen hinweg, die sie durch das Sozialistengesetz und die sie stark benachteiligenden Wahlrechtsregelungen im Kaiserreich erfuhr.
Dennoch gab es in der Partei ideologische Gegensätze und Streit über den richtigen Kurs (Walter 2018: 31 ff.). Während der revolutionäre Flügel um Karl Kautsky auf Klassenkampf setzte und im Einklang mit Marx und Engels die Überwindung der kapitalistischen Ordnung und Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft beschwor, wollten die von Eduard Bernstein angeführten "Revisionisten" die Lage der Arbeiterschaft durch soziale Reformen schrittweise verbessern, was eine möglichst effektive Arbeit in den Parlamenten voraussetzte. Beginnend mit dem Erfurter Programm von 1891 gelang es der SPD, diese konträren Vorstellungen so erfolgreich in sich zu vereinen, dass sie bis 1912 zur stärksten politischen Kraft aufstieg und ihre Mitgliederzahl 1914 erstmals die Millionenmarke überschritt.
1917 kam es in der Auseinandersetzung um die Kriegskredite zur Spaltung der Partei. Während sich die radikalen Kräfte in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) sammelten, aus der später die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hervorging, wurden die Mehrheitssozialdemokraten zur staatstragenden Partei der Weimarer Republik, deren ersten Reichspräsidenten sie mit Friedrich Ebert stellten. Anders als in Preußen, das sie von 1919 bis 1932 ununterbrochen regierte, konnte die SPD ihre Vormachtstellung auf der Reichsebene aber nur für kurze Zeit verteidigen. Nachdem die von ihr angeführte "Weimarer Koalition" mit dem Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) die Mehrheit bereits 1920 verloren hatte, ging sie ab 1922 zurück in der Opposition. Die von ihrem letzten Reichskanzler Hermann Müller gebildete "Große Koalition" mit der konservativen Deutschen Volkspartei (DVP) zerbrach 1930 nach zwei Jahren. Das anschließende Präsidialkabinett unter dem Zentrum-Politiker Heinrich Brüning duldeten die Sozialdemokraten gegen heftigen Widerstand aus den eigenen Reihen, um das größere Übel des Nationalsozialismus zu verhindern (Walter 2018: 99 ff.).
Im Unterschied zu den bürgerlichen Abgeordneten stimmte die SPD am 23. März 1933 geschlossen gegen das Ermächtigungsgesetz; drei Monate später wurde sie verboten. Der Parteivorstand ging Anfang 1934 ins Exil. Aktivisten und Funktionäre wurden von den Nazis verfolgt, viele starben in Konzentrationslagern und Zuchthäusern. Aus dem Untergrund beteiligte sich eine Minderheit am aktiven Widerstand gegen das Hitler-Regime. Auch die übrigen Mitglieder blieben gegen die NS-Ideologie größtenteils resistent.
Mit dem Godesberger Programm zur Volkspartei und Kanzlerschaft
Die Spaltung der Arbeiterbewegung, die Hitler in die Hände gespielt hatte, wurde im geteilten Deutschland nach 1945 überwunden. Während es in der Sowjetischen Besatzungszone zur Zwangsvereinigung von KPD und SPD unter kommunistischer Führung kam, war die KPD im Westen marginalisiert, bis das Bundesverfassungsgericht sie 1956 ganz verbot. Auch die ihr 1968 nachfolgende Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und sonstige linksextremistische Gruppierungen kamen in der Bundesrepublik über den Status von unbedeutenden Kleinparteien nie hinaus. Die SPD blieb daher bis zum Aufkommen der Grünen die einzige relevante Repräsentantin des linken Lagers.
Nach ihrer Wiedergründung in den Westzonen knüpfte die SPD an die Traditionen der Klassenpartei an. Die Bedingungen dafür waren jedoch erschwert. Zum einen hatten die Nationalsozialisten die Milieustrukturen der Arbeiterbewegung zum Teil zerstört, zum anderen führte das Wirtschaftswunder dazu, dass der Sozialstaat seit den 1950er-Jahren rasch ausgebaut werden konnte und wachsende Bevölkerungsteile am Wohlstand partizipierten. Die von Kurt Schumacher auf einen harten Oppositionskurs eingeschworene Partei weigerte sich trotz ihrer Wahlniederlagen beharrlich, den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft zur Kenntnis zu nehmen. Erst als sie ihren marxistischen Ideen im Godesberger Programm (1959) entsagten und die von Adenauer durchgesetzte Westbindung der Bundesrepublik akzeptierten, konnten die Sozialdemokraten zum bürgerlichen Lager aufschließen (Jun 2018: 469 f.). Maßgeblich vorangetrieben wurde ihr Wandel zur Volkspartei durch den späteren Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner. 1966 musste sich die SPD als Regierungspartei noch mit der Rolle des Juniorpartners in einer Großen Koalition begnügen, 1969 bildete sie eine kleine Koalition mit der FDP unter Kanzler Willy Brandt.
In den ersten Jahren der sozial-liberalen Regierung veränderte sich die innere Struktur der Partei nachhaltig. Die Aufbruchstimmung, die von der neuen Ostpolitik und den innenpolitischen Reformplänen der Koalition ausging, ließ viele neue, zumeist akademisch gebildete Mitglieder zur SPD hinzustoßen, die sich dadurch verjüngte, aber auch radikalisierte. Der überragende Sieg bei der Bundestagswahl 1972, als die SPD zum ersten Mal vor der Union stärkste Partei wurde, täuschte darüber hinweg, dass die von Brandt erfolgreich umworbene "neue Mitte" seither wieder bröckelte (Walter 2018: 213 ff.). Unter der Kanzlerschaft Helmut Schmidts (1974 bis 1982) erforderte die Integration der Parteibasis und Zusammenführung der Wählerschaft einen immer breiteren Spagat: Auf der rechten Seite geriet die Sozialdemokratie durch die sich verschlechternde Wirtschaftslage unter Druck, auf der linken Seite setzte ihr der gesellschaftliche Protest gegen die Atomenergie und Sicherheitspolitik (NATO-Doppelbeschluss) zu, der zur Entstehung einer neuen Partei - der Grünen - führte. Damit war der Regierungsverlust vorprogrammiert.
Rivalisierende Parteiflügel in der Opposition und unter Kanzler Schröder
In den 1980er-Jahren orientierte sich die SPD zunächst stärker in Richtung der postmaterialistischen Wählerschichten. Das 1989 beschlossene Berliner Programm nahm vom alten Wachstumsdenken Abstand. Durch die Bildung von Koalitionen mit den Grünen in den Ländern zeichnete sich zu dieser Zeit die Möglichkeit einer Wiedergewinnung der Mehrheit auch auf Bundesebene ab. Dass es dazu erst 1998 kam, hing nicht nur mit der deutschen Vereinigung zusammen, die die SPD gegenüber der Union und ihrem "Kanzler der Einheit" Helmut Kohl ins Abseits stellte. Die Partei litt zugleich unter personellen Problemen. Die Troika Wehner - Brandt - Schmidt war in den 1960er- und 1970er-Jahren ein Glücksfall gewesen. Die Generation, die in den 1980er-Jahren nach der Macht griff, rivalisierte dagegen offen um die Führungsposition. In der 16 Jahre währenden Ära Kohl verschliss die SPD insgesamt fünf Parteivorsitzende und ebenso viele Kanzlerkandidaten. Eine Klärung trat erst nach dem Regierungswechsel 1998 ein, als sich der neue Kanzler Gerhard Schröder im innerparteilichen Machtkampf gegen den Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine durchsetzte.
Die deutsche Einheit brachte die SPD auch in struktureller Hinsicht ins Hintertreffen. Die Erwartung der im Osten als Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP) im Oktober 1989 wiedererstandenen Partei, das einstige Stammland der Sozialdemokratie in Mitteldeutschland im Selbstlauf zurückerobern zu können, entpuppte sich als Trugschluss. Die Traditionen, auf die sie dabei abstellte, kehrten sich sogar gegen die SPD, indem dieser für den gescheiterten Sozialismus der DDR eine Mitschuld gegeben wurde. Die Sozialdemokraten waren gegenüber der Konkurrenz überdies organisatorisch im Nachteil. Während CDU und FDP auf die Ressourcen der Blockparteien zurückgreifen konnten, kam für sie eine Zusammenarbeit mit den SED-Nachfolgern schon aus historischen Gründen nicht in Frage. Spätestens seit dem Wiedererstarken der Postkommunisten entwickelten sich die neuen Bundesländer für die SPD zu ausgesprochenen Problemgebieten. Nur bei einer Bundestagswahl (2002) gelang es ihr hier, ein besseres Ergebnis als im Westen zu erzielen.
So nützlich die Arbeitsteilung zwischen dem "Modernisierer" Schröder und "Traditionalisten" Lafontaine für die Erringung des Wahlsiegs 1998 war, so wenig hilfreich erwies sie sich für die anschließende Arbeit der Regierung. Der nach Lafontaines Rücktritt als Finanzminister und Parteivorsitzender (März 1999) eingeleitete Strategiewechsel hin zu einer stabilitätsorientierten Konsolidierungspolitik wurde durch die hohe Arbeitslosigkeit durchkreuzt, die zu steigenden Kostenbelastungen für die öffentlichen Haushalte und Sozialversicherungen führte. Auf der Habenseite der Koalition standen ihre gesellschaftspolitischen Reformen (Zuwanderungs- und Lebenspartnerschaftsgesetz) und der Atomausstieg, die die schwache wirtschaftspolitische Bilanz aber nicht aufwiegen konnten (Wolfrum 2013). Dass SPD und Grüne die Bundestagswahl 2002 knapp gewannen, verdankten sie zwei glücklichen Zufällen - der Oderflut in Ostdeutschland, die es dem Kanzler ermöglichte, sich als tatkräftiger Krisenmanager zu inszenieren, und der Diskussion über den von den USA geplanten Irakkrieg. Dass Schröder dessen Ablehnung zum zentralen Bestandteil seiner Kampagne machte, war insofern bemerkenswert, als Rot-Grün mit der Zustimmung zu den Militäreinsätzen im Kosovo (1999) und in Afghanistan (2001) zuvor selbst eine Zäsur in der deutschen Außenpolitik herbeigeführt hatte (Fischer 2005: 110 ff.).
"Agenda 2010" und Verlust der Kanzlerschaft
In Schröders zweiter Amtszeit wurde das Ruder in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik um 180 Grad herumgerissen. Die im März 2003 verkündete "Agenda 2010", die das Kanzleramt ohne Einbeziehung der Partei entwickelt hatte, stieß in der SPD auf erhebliche Vorbehalte (Spier / Alemann 2013: 445). Ihre umstrittensten Elemente waren die Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf dem geringeren Niveau der Sozialhilfe und die Schaffung eines Niedriglohnsektors zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Ähnlich unpopulär geriet die unter sozialdemokratischer Federführung durchgesetzte Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre in der Regierungszeit der Großen Koalition, über die die SPD ihre Wähler im Wahlkampf ebenso im Unklaren gelassen hatte wie über die von ihr ursprünglich kategorisch abgelehnte Mehrwertsteuererhöhung. Die Reformmaßnahmen zogen eine Serie von Landtagswahlniederlagen und - langfristig bedeutsamer - die Abspaltung einer gewerkschaftsnahen Konkurrenzpartei nach sich (Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative, WASG), deren späterer Zusammenschluss mit der ostdeutschen PDS ausgerechnet vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine betrieben wurde. Um dem innerparteilichen Widerstand die Spitze zu nehmen, gab Schröder den Parteivorsitz 2004 an Franz Müntefering ab. Nach der Abwahl der letzten verbliebenen rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (Mai 2005) trat der Kanzler die Flucht nach vorne an, indem er den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachte (Sturm 2009: 207 ff.).
Absturz in der Wählergunst, Große Koalitionen und Opposition
Mit der Bundestagswahl 2005 endeten Schröders Kanzlerschaft und die rot-grüne Regierung, nicht jedoch die sozialdemokratische Regierungsbeteiligung. Dass die SPD wesentlich besser abgeschnitten hatte als erwartet, versetzte sie am Wahlabend in Euphorie, obwohl die Gründe dafür primär in der missglückten Kampagne der Union lagen. Tatsächlich markierte die Wahl mit der Etablierung der gesamtdeutschen Linkspartei einen tiefen Einschnitt, dessen Folgen die SPD erst später richtig zu spüren bekommen sollte. Die SPD arbeitete in der Großen Koalition professionell, zeigte sich aber ansonsten zerstritten. Nicht nur, dass die Parteivorsitzenden bis 2009 in noch kürzerer Folge wechselten. Es fehlte auch an einer klaren programmatischen Alternative zur Union und realistischen Machtperspektive. Das Debakel bei der Bundestagswahl 2009, bei der ein erheblicher Teil der vormaligen Stammwähler der SPD den Rücken kehrten und sie mit ihrem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegszeit erzielte, war unter diesen Bedingungen vorgezeichnet.
Die Rückkehr der SPD in die Opposition nach elfjähriger Regierungszeit zog einen abermaligen Wechsel an der Parteispitze nach sich. Sigmar Gabriel löste Müntefering ab. Unter seiner Führung vermittelte die Partei nach außen hin wieder ein attraktiveres Bild, das sich in den Landtagswahlergebnissen niederschlug. In Nordrhein-Westfalen (2010), Hamburg, Baden-Württemberg (2011), Schleswig-Holstein (2012) und Niedersachsen (2013) gelang es der SPD allein oder zusammen mit den Grünen, CDU-geführte Regierungen abzulösen. Auf der Bundesebene blieb ihre Ausgangslage 2013 dagegen genauso ungünstig wie 2009 und wurde durch die unvorbereitet wirkende Kanzlerkandidatur Peer Steinbrücks nicht gerade verbessert, dessen betont wirtschaftsfreundliche Positionen sich mit der Mehrheitsmeinung der Partei nur zum Teil deckten. Das enttäuschende Wahlergebnis (25,7 Prozent) stellte die SPD vor die schwierige Frage, ob sie erneut als Juniorpartner in eine Große Koalition eintreten sollte. Gabriel fing die Bedenken dadurch auf, dass er die Zustimmung zum Koalitionsvertrag von einem Mitgliederentscheid abhängig machte. Dessen klares Ergebnis - bei einer überraschend hohen Beteiligung von 78 Prozent stimmten 76 Prozent mit Ja - stärkte die Machtbasis des Vorsitzenden, der mit der gleichzeitigen Übernahme der Ämter des Vizekanzlers und Wirtschaftsministers jetzt zur unbestrittenen Führungsfigur der SPD aufstieg (Spier / Alemann 2015: 64 ff.).
Obwohl die SPD in der Koalition zentrale Vorhaben wie die Rente nach 45 Beitragsjahren und den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen konnte, konnte sie diese Erfolge in der öffentlichen Wahrnehmung nicht für sich nutzen. In der Euro- und Flüchtlingspolitik agierte sie nach außen hin zwar geschlossener als die Union, zeigte sich innerlich aber genauso zerrissen. Gabriels Neigung zu kurzfristigen Positionswechseln, die die Stimmung an der Parteibasis in sensiblen Fragen wie der Freihandelspolitik oder Vorratsdatenspeicherung überging, enttäuschte die in den Vorsitzenden gesetzten Hoffnungen auf einen integrativeren Führungsstil.
Zu Beginn des Wahljahres 2017 überraschte Gabriel Öffentlichkeit und die eigene Partei, als er nicht nur eine mögliche Kanzlerkandidatur, sondern auch den Parteivorsitz an Martin Schulz abgab, der bis kurz vorher Präsident des Europäischen Parlaments gewesen war. Unter Schulz kam es zu zahlreichen Neueintritten und einem abrupten Aufschwung in den Umfragen, der aber im Zuge der für die SPD enttäuschend verlaufenden Landtagswahlen im Saarland (März 2017), Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen (beide Mai 2017) rasch wieder abflachte, sodass die Ausgangsposition für die Bundestagswahl Mitte 2017 ähnlich ungünstig war wie vier Jahre zuvor. Besonders schmerzlich geriet die Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, der man selbst eine Signalfunktion für die Wahl im Bund zugemessen hatte.
Widerwillige Neuauflage der Großen Koalition
Die erneut fehlende Machtperspektive, die zusätzliche Konkurrenz der AfD und die ungünstig verlaufende Wahlkampagne führten dazu, dass die SPD bei der Bundestagswahl 2017 ihr bisher schlechtes Resultat von 2009 noch einmal unterbot und nur auf 20,5 Prozent der Stimmen kam. Der von der Parteiführung noch am Wahlabend verkündete Gang in die Opposition erschien vor diesem Hintergrund folgerichtig und stieß unter den Funktionären und an der Basis auf einhellige Zustimmung. Entsprechend groß war der Widerstand, als die Partei nach dem Scheitern der Gespräche über ein Jamaika-Bündnis von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (den sie im Jahr zuvor als ihren Kandidaten für dieses Amt durchgesetzt hatte) angehalten wurde, die Koalition mit den Unionsparteien fortzusetzen. Obwohl die SPD in den folgenden Verhandlungen wie 2013 viele ihrer Forderungen durchsetzen konnte und mit dem Finanz-, Arbeits- und Außenministerium drei Schlüsselressorts erhielt, fiel die Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit 66 Prozent Ja-Stimmen geringer aus als 2013. Um sie nicht zu gefährden, musste Martin Schulz seine öffentliche Ankündigung, anstelle von Sigmar Gabriel als Außenminister in die Regierung einzutreten, zurücknehmen. Schulz hatte zuvor bereits den Verzicht auf den Parteivorsitz erklärt, den ab April 2018 die neue Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles (mit) übernahm. Finanzminister und Vizekanzler wurde Olaf Scholz. Schulz‘ Vorgänger Sigmar Gabriel ging bei der Ämterverteilung leer aus; seine Nachfolge im Auswärtigen Amt trat der bisherige Justizminister Heiko Maas an.
Die Neuauflage der Großen Koalition stand von Beginn an unter einem schlechten Stern. Das unionsinterne Zerwürfnis über die Flüchtlingspolitik brachte die Regierung bereits drei Monate nach ihrem Amtsantritt an den Rand des Scheiterns. Dies zog auch die SPD weiter in den Keller, was die Kritiker des erneuten Regierungseintritts als Bestätigung auffassten. Das wenig konsequente Agieren der durch eine Serie von verpatzten öffentlichen Auftritten unter Druck geratenen Vorsitzenden Nahles bei der Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen quittierten die Wähler mit Stimmenverlusten bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sowie historisch schlechten Umfragewerten. Nachdem die SPD bei der Europawahl im Mai 2019 im Vergleich zur Bundestagswahl nochmals um 4,7 Prozentpunkte absackte, gab Andreas Nahles entnervt ihren Rücktritt von allen Ämtern bekannt und zog sich ganz aus der Politik zurück.
Im Fraktionsvorsitz folgte ihr Rolf Mützenich. Für die Neubesetzung des Vorsitzendenamtes betrat die Partei Neuland, indem sie zum ersten Mal die Wahl einer geschlechterparitätisch besetzten Doppelspitze ermöglichte. Dem formellen Votum des Parteitags im Dezember 2019 ging dabei - zum zweiten Mal nach 1993 - eine Mitgliederbefragung voraus, die sich über mehrere Monate hinzog. In der Stichwahl unterlag das von der Parteiführung favorisierte Duo aus Finanzminister Olaf Scholz und der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Klara Geywitz überraschend dem früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans und der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken. Letztere hatten sich in ihrer Kampagne skeptisch gegenüber einem weiteren Verbleib in der Regierung geäußert und waren darin vor allem von den Jungsozialisten unterstützt worden.
Hoffnungen auf einen baldigen Regierungsaustritt wurden wegen des zu erwartenden Widerstandes der Fraktion und SPD-Minister von den neuen Vorsitzenden rasch gedämpft. Sie standen spätestens nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht mehr zur Debatte. Stattdessen bemühten sich Walter-Borjans und Esken jetzt um ein möglichst einvernehmliches Auftreten der Führungsspitze. Obwohl sich dies im gemeinsamen Krisenmanagement der Regierung gut bewährte, trug es der SPD im Unterschied zur Union kaum verbesserte Umfragewerte ein. Symptomatisch für das weiter bestehende Führungsvakuum war, dass ausgerechnet Olaf Scholz, dessen Ablösung als Finanzminister nach der verlorenen Vorsitzendenwahl schon fast besiegelt schien, sich jetzt wieder Chancen auf die Kanzlerkandidatur ausrechnen konnte. Seine einstimmige Nominierung durch Präsidium und Vorstand erfolgte bereits im August 2020, mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl.
Krieg in der Ukraine fordert Kanzler Scholz und SPD heraus
Lag die SPD in den Umfragen bis zu Beginn des Wahlkampfes scheinbar abgeschlagen auf Platz drei hinter den Union und den Grünen, so gelang es ihr völlig überraschend, beide Konkurrenten bis zum Wahltag zu überholen und zum ersten Mal seit 2002 wieder stärkste Kraft zu werden. An der Spitze einer Ampelkoalition mit Grünen und FDP zog Olaf Scholz als vierter sozialdemokratischer Regierungschef in das Kanzleramt ein (Turner / Vampa / Scantanburlo 2022). Der Wahlsieg verdankte sich neben der gut geplanten und fehlerfrei verlaufenen Kampagne vor allem der Schwäche der beiden Hauptkonkurrenten - Union und Grünen - und deren Kanzlerkandidaten, weniger der eigenen Überzeugungskraft. Nach der trotz der programmatischen Differenzen mit den Partnern vergleichsweise problemlosen Regierungsbildung sah sich die SPD durch den russischen Angriff auf die Ukraine binnen weniger Monate einer völlig neuen außen- und innenpolitischen Realität gegenüber, die sie zugleich mit den Irrtümern ihrer eigenen Politik konfrontierte. Dass sie deren Aufarbeitung und die politische Neuorientierung jetzt aus der Regierungsrolle heraus leisten muss, stellt die Partei in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen.
Infolge des Wahlerfolgs kam es nach der Regierungsbildung in der Partei nur zu wenig personellen Änderungen. Während Mützenich Fraktionsvorsitzender blieb, rückte Generalsekretär Lars Klingbeil anstelle von Walter-Borjans zum Ko-Vorsitzenden auf. An seine Stelle trat der frühere Juso-Chef und Exponent des linken Parteiflügels Kevin Kühnert als neuer Generalsekretär. In der Regierung behielt Hubertus Heil sein Amt als Arbeits- und Sozialminister, Christine Lambrecht wechselte vom Justiz- ins Verteidigungsressort, wurde jedoch nach etwa 13 Monaten vom niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius abgelöst. Mit der hessischen Landesvorsitzenden Nancy Faeser wurde zum ersten Mal in der Bundesrepublik eine Frau Innenministerin. Ihre Berufung stellte eine Überraschung dar - anders als die Übernahme des Gesundheitsressorts durch Karl Lauterbach, die sich vor allem dessen Omnipräsenz als Coronaexperte verdankte und von daher weniger der Parteilogik als plebiszitärem Druck geschuldet war.
Prof. Dr. Frank Decker lehrt und forscht am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Parteien, westliche Regierungssysteme und Rechtspopulismus im internationalen Vergleich.