Wie werden historische Ereignisse auf TikTok und Instagram dargestellt? Das erforscht das Wissenschaftsprojekt "SocialMediaHistory" – mit der Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern. Projektmitarbeiterin Andrea Lorenz berichtet im Interview über Herausforderungen bei der Untersuchung sozialer Netzwerke und erste Forschungsergebnisse.
werkstatt.bpb.de: Wir sprechen heute über das Projekt "SocialMediaHistory": Um was genau geht es dabei?
Andrea Lorenz: Grundsätzlich wollten wir uns anschauen, wie Geschichte auf Instagram und TikTok produziert und rezipiert wird und wie wir sie aus wissenschaftlicher Perspektive analysieren können. Dazu haben wir auf Methoden und Zugänge anderer Forschungsdisziplinen wie den Digital Humanities, der Medien- oder Kommunikationswissenschaft zurückgegriffen. Die sind im Feld der Social-Media-Forschung schon viel weiter.
Was die Fragen der Produktion und Rezeption angeht sind wir quasi selbst "ins Feld" gegangen und haben uns auf den Plattformen umgesehen. Dabei haben wir schnell festgestellt, dass es eine Unmenge verschiedener Inhalte auf den Plattformen gibt. Obwohl die ja scheinbar so öffentlich daliegen, ist es gar nicht so einfach an sie dranzukommen. Die ganzen Daten der TikTok- und Instagram-Posts sind an Plattformen gekoppelt, die ökonomisch orientierten Firmen gehören. Deren erstes Interesse ist nicht, Forscher*innen mit Material zu versorgen.
Über das Projekt
Externer Link: "SocialMediaHistory" ist ein Verbundprojekt der Universitäten Hamburg und Bochum mit dem Verein Kulturpixel. Das Projekt ist als Citizen Science-Projekt angelegt, bei dem ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten forschen.
werkstatt.bpb.de: Wie ließe sich diese Situation verbessern?
Andrea Lorenz: Es fehlt eindeutig an forschungspolitischer Unterstützung. Mit dem Digital Services Act gibt es jetzt einen ersten rechtlichen Rahmen, der die nutzer*innenstarken Plattformen dazu ermuntert, etwa Informationen über die Algorithmen an Forschende herauszugeben.
Das ist ein erster Schritt, um sicherzustellen, dass ich als forschende Person überhaupt auf die Daten zugreifen kann, aber natürlich auch ein Stück weit zu langsam. Gerade für Historiker*innen ist die Situation schwierig, weil die Daten nicht unbedingt in Zukunft zur Verfügung stehen werden.
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Die Aussage, dass das Internet nicht vergisst, ist nicht ganz richtig. Viele Netzinhalte verschwinden, wenn sie nicht archiviert werden – gerade in sozialen Medien.
werkstatt.bpb.de: Wie beeinträchtigt das Ihre Forschung?
Andrea Lorenz: Ich kann dann in einigen Jahren beispielsweise nur noch schlecht über die Präsidentschaft von Donald Trump schreiben, die ja viel auf Twitter stattgefunden hat. Oder über #BlackLivesMatter, den Krieg gegen die Ukraine oder die Proteste im Iran. Das ist ein Problem, mit dem wir uns im Projekt viel auseinandergesetzt haben. Wir haben allerdings noch keine Lösung gefunden. Uns geht es aber auch darum, diese Dringlichkeit zu thematisieren.
werkstatt.bpb.de: Auch wenn die bisherige Forschung erschwert wurde. Gibt es schon Erkenntnisse zu den Geschichtserzählungen auf Instagram/TikTok?
Andrea Lorenz: Die unbefriedigende Antwort lautet: Es gibt in den sozialen Medien alles an geschichtsbezogenen Inhalten.
Wenn man auf TikTok #History eingibt, wird man feststellen, dass der Hashtag insgesamt 82 Milliarden Aufrufe hat. Das ist einerseits cool, weil es offensichtlich viele Menschen und Inhalte gibt, die sich mit Geschichte auseinandersetzen. Und andererseits ist es sehr schwer, da einen Überblick zu bekommen. Vor allem als klassisch ausgebildete Historikerin, die ja nicht unbedingt technische Kompetenzen im Umgang mit Big Data besitzt.
werkstatt.bpb.de: SocialMediaHistory ist ein "Citizen Science-Projekt". Was steckt hinter dem Konzept?
Andrea Lorenz: Ganz heruntergebrochen bedeutet das, dass Bürger*innen in wissenschaftliche Prozesse miteinbezogen werden, die nicht institutioneller Teil dieses Wissenschaftsbereichs sind. Bei "SocialMediaHistory" ist das Kernstück der Zusammenarbeit der "DabeiRat", ein Gremium, das uns über die fast die komplette Projektlaufzeit von 2021 bis 2024 begleitet. Der Rat besteht aus einer bunten Gruppe an Bürger*innen aus ganz Deutschland, mit unterschiedlichen Zugängen und Perspektiven auf die Themen Geschichte und Social Media.
Zusätzlich kommen wir im Rahmen unserer externen Workshops mit Bürger*innen in Kontakt. Das sind zweitägige Veranstaltungen, in denen wir uns gemeinsam mit der Analyse und der Produktion von Inhalten auf Instagram und TikTok auseinandersetzen. Ziel ist es, die konkreten Projektergebnisse zu festigen. Mit dem „DabeiRat“ erarbeiten wir dazu OER-Lehrmaterialien für Multiplikator*innen, die wiederum in den Workshops getestet werden.
Und natürlich sind wir als Projekt im Sinne der Wissenschaftskommunikation auch selbst in den sozialen Medien vertreten.
werkstatt.bpb.de: Wie wurden die Menschen für den "DabeiRat" ausgewählt?
Andrea Lorenz: Um mitzumachen, musste man sich bewerben – dabei sind fast 80 Bewerbungen von spannenden Menschen aus ganz Deutschland reingekommen. Uns war wichtig, dass es eine diverse Gruppe ist, sodass wir unterschiedliche Perspektiven und Kenntnisstände haben. Das ist uns teilweise geglückt. Natürlich war Diversität ein Ziel, allerdings sind wir doch ein mehrheitlich akademisches Projekt. Da müssen wir für mögliche Folgeprojekte auch in die weitere Evaluation gehen.
Mittlerweile haben wir circa zwölf aktive Mitglieder. Es ist ein Ehrenamt, das sich über einen langen Zeitraum erstreckt. Uns war das von vornherein bewusst und deswegen wichtig, dass sich die Bürger*innen in dem Maß, in dem sie Kapazitäten haben, im Projekt einbringen können. Motto: Alles kann, nichts muss - damit eben auch unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigt werden.
werkstatt.bpb.de: Warum haben Sie sich dafür entschieden, Bürgerinnen und Bürger in das Projekt einzubinden?
Andrea Lorenz: Einerseits beziehen wir damit Personen ein, die in den sozialen Medien anders vertreten sind als wir Wissenschaftler*innen. Die "DabeiRats"-Mitglieder betreiben teilweise eigene Accounts und bringen somit ein größeres Produktions- und Plattformwissen mit als wir.
Und andererseits spiegeln wir mit dem Einbezug der Bürger*innen auch die veränderten, niedrigen Zugangs- und Produktionsschranken zu Social Media wider. Aufgrund dieser geringeren Hürden können sich heute viel mehr Menschen zu von ihnen ausgewählten Inhalten austauschen. Aus Forschendenperspektive ist es deshalb theoretisch so leicht wie nie, zu untersuchen, was Menschen über Geschichte denken.
werkstatt.bpb.de: Welche Rolle spielen Hate Speech und Desinformationen in Bezug auf Geschichtserzählungen?
Andrea Lorenz: Die Bezugnahme auf Vergangenheit spielt innerhalb von Hate Speech eine große Rolle. Auch hier ist es aufgrund der Datenmenge schwierig, einen systematischen Überblick zu erhalten. Bei der Erforschung von Hate Speech kommt erschwerend hinzu, dass die Plattformen aufgrund des Drucks aus der Zivilgesellschaft darauf ausgelegt sind, solche Inhalte zu löschen. Das heißt, was ich in meiner Forschungsarbeit finde, ist nur die Spitze des Eisberges. Zu den gelöschten Inhalten habe ich keinen Zugang. Zudem ist Hate Speech als Phänomen nicht darauf ausgelegt, als solche erkannt zu werden und kann in ihrer Ausgestaltung sehr unterschiedlich sein.
werkstatt.bpb.de: Inwiefern?
Andrea Lorenz: Die Grenzen zu anderen Spielarten von Verleugnung Diskriminierung sind fließend. Wenn wir an Hate Speech denken, denken wir häufig an Kommentare. Das ist aber nur ein Teilaspekt. Hate Speech ist multimodal, kommt also auf unterschiedlichen Wegen zum Ausdruck und kann bspw. auch über Emojis stattfinden. Ein Beispiel für vergangenheitsbezogene Hate Speech sind die zwei Blitz-Emojis. Die stehen für die SS. Auch bestimmte Sounds für TikTok-Videos können Hate Speech hervorbringen. Beispielsweise finden sich auf der Plattform Videos, die Teile aus Reden von Adolf Hitler als Sounds nutzen, um Antisemitismus und Rassismus zu verbreiten.
Außerdem wird auf inhaltlicher Ebene auf bereits existierende Inhalte zurückgegriffen. In einer Untersuchung zu Hate Speech und YouTube geht Moritz Hoffmann etwa auf das das Narrativ ein, dass Anne Frank ihr Tagebuch nicht hätte schreiben können, weil es den verwendeten Stift erst in den 1940er Jahren gegeben habe. Dass dahinter auch Holocaustleugnung steckt – es wird ja nicht nur die Existenz des Tagebuchs, sondern auch der darin dokumentierten Geschehnisse abgestritten – ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Dieses Narrativ findet sich auch auf TikTok und Instagram.
werkstatt.bpb.de: Welche Unterschiede lassen sich zwischen Instagram und TikTok als Plattformen in Bezug auf eure Forschung feststellen?
Andrea Lorenz: TikTok ist wesentlich diskursiver angelegt als Instagram. Das liegt einerseits an den vielen Trends und Challenges, andererseits an der Duett- und Stitch-Funktion, die ganz klar darauf ausgelegt sind, dass man mit Inhalten anderer Nutzer*innen interagiert. Man findet auf der Plattform daher zum Beispiel Kommentierungen von Erklärvideos, Einordnungen von Quellenmaterial und auch kritische Rückfragen, Feedback und Richtigstellungen. Da passiert viel in den Kommentaren, auf die die Accounts wiederum mit einem Video reagieren können.
Andrea Lorenz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Externer Link: "SocialMediaHistory" des Arbeitsbereichs Public History an der Universität Hamburg. In ihrer Dissertation schreibt sie über vergangenheitsbezogene Hate Speech in audiovisuellen Social-Media-Plattformen.
Leonie Meyer war von 2021-2024 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt auf den Wechselwirkungen von Sozialen Netzwerken und Politik bzw. politisch-historischer Bildung. Leonie Meyer hat einen Hintergrund in der Politikwissenschaft und studierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.