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Antisemitismus in der extremen und populistischen Rechten | Antisemitismus | bpb.de

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Antisemitismus in der extremen und populistischen Rechten

Fabian Virchow

/ 9 Minuten zu lesen

Die Erscheinungsformen des Antisemitismus in der populistischen und extremen Rechten sind vielfältig. In ihren antisemitischen Diskursen verbinden sich antijudaistische und antisemitische Denkfiguren.

Der wohl bekannteste Zahlencode in der rechtsextremen Szene: die Acht repräsentiert den achten Buchstaben des Alphabets, "88" steht also für "HH" – den verbotenen Gruß "Heil Hitler". (© picture-alliance, CHROMORANGE | Christian Ohde)

Die Erscheinungsformen des Antisemitismus in der populistischen und extremen Rechten sind vielfältig. Sie reichen von der Zerstörung jüdischer Grabstätten, Anschlägen gegen jüdische Einrichtungen sowie der Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens über antisemitische politische Kampagnen bis hin zur Verbreitung antijüdischer und antisemitischer Bilder, Symbole und Texte. Zum Teil treten die antijüdischen und antisemitischen Denkfiguren und Weltdeutungen offen zutage, in anderen Fällen werden aus wahltaktischen Gründen und zur Vermeidung von Strafverfolgung Chiffren benutzt, die von weltanschaulich nahestehenden Personen gleichwohl problemlos als gegen das Judentum gerichtete Positionierungen vereindeutigt werden.

Antisemitismus in der extremen Rechten

In der extremen Rechten finden sich alle Varianten des Antijudaismus und des Antisemitismus: Die religiös begründete Judenfeindschaft ebenso wie die seit dem späten 19. Jahrhundert kursierende und im Nazi-Regime zur Staatspolitik erhobene Behauptung, das Judentum sei ‚Feind aller Völker‘ – entsprechend Interner Link: verknüpft mit einer genozidalen Gewaltpolitik –, der Interner Link: Schuldabwehr-Antisemitismus nach 1945, der sich etwa in der Leugnung des Holocaust zeigt, sowie der israelbezogene Antisemitismus, welcher die Existenz des Staates Israel delegitimiert und diesen Staat zur größten Bedrohung für den Weltfrieden erklärt. Welche der Erscheinungsformen anzutreffen sind, variiert je nach der jeweiligen Strömung der extremen bzw. populistischen Rechten.

Im Neonazismus spielen seit der Befreiung vom Faschismus insbesondere die offensive Leugnung bzw. die Relativierung des Interner Link: Holocaust eine wichtige Rolle. Die Partei Die Rechte stellte beispielsweise im Wahlkampf zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin auf und solidarisierte sich wiederholt mit ihr. Verbreitet wurde über viele Jahrzehnte – nicht zuletzt in der einst auflagenstarken, mittlerweile eingestellten Interner Link: National-Zeitung – zudem die Behauptung, Jüdinnen*Juden trügen eine Mitschuld an ihrer Verfolgung, hätten Deutschland den Krieg erklärt und würden das Ausmaß der NS-Verbrechen überhöhen, weil mit einer Politik des ‚Schuldkults‘ ein innen- wie außenpolitisch (d.h. völkisch orientiert und als Ordnungsmacht in Europa) selbstbewusst auftretendes Deutschland verhindert würde. Immer wieder wurde zudem auch der Bombenkrieg der USA im Zweiten Weltkrieg als ‚Holocaust‘ bezeichnet. Mit solchen Strategien der Abwehr und der Aufrechnung gehen vielfach Forderungen nach einem Ende der kritischen Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und dessen Verbrechen einher. Zugleich finden sich dabei Narrative, die Jüdinnen*Juden als besonders empfindlich bzw. nachtragend und unversöhnlich darstellen und behaupten, dass ein ‚normales‘ Verhältnis aus diesem Grund nicht herstellbar sei.

Prominent vertreten im Antisemitismus der extremen Rechten ist die Figur des ‚Wucherers‘ bzw. des Juden, dem es in all seinem Tun lediglich um die Maximierung des Geldvermögens gehe – und sei es mit kriminellen Mitteln. Diese Denkfigur schließt an antijüdische Deutungen des 18. und 19. Jahrhunderts an, aktualisiert diese jedoch unter Bezugnahme auf ökonomische und soziale Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Erneut wird dabei auf den Holocaust Bezug genommen und behauptet, Jüdinnen*Juden riefen die Schoa immer wieder auf, um weitere Entschädigungszahlungen zu bekommen. Beispielsweise hieß es in einer Handreichung, die vom Parteivorstand der Interner Link: Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (heute: Interner Link: Die Heimat) herausgegeben wurde: „Selbstverständlich nehmen wir uns das Recht heraus, die Großmäuligkeit und die ewigen Finanzforderungen des Zentralrats der Juden in Deutschland zu kritisieren (...) Wir lassen uns von der Holocaust-Industrie (…) 60 Jahre nach Kriegsende pseudomoralisch nicht erpressen, politisch nicht bevormunden und finanziell nicht auspressen.“

Eine zentrale Perspektive ist zudem die Vorstellung, dass Jüdinnen*Juden maßgeblich die Globalisierung der Weltwirtschaft vorangetrieben hätten und von ihr profitieren würden. Dies ist zugleich ein zentrales Element antisemitischen verschwörungsideologischen Denkens, demzufolge die kleine Gruppe der Jüdinnen*Juden weltweite Geschehnisse steuern und kontrollieren würden. Auch wenn die antisemitische Fälschung Interner Link: Die Protokolle der Weisen von Zion in der extremen Rechten nicht von allen explizit bekräftigt wird, so finden sich deren zentrale Aussagen doch in rechtsextremen Narrativen wieder. Chiffren wie ‚überstaatliche Mächte‘ – u.a. in der Interner Link: NS-Propaganda sowie von der völkisch-antisemitischen Externer Link: Ludendorff-Bewegung vielfach verwendet – oder ‚Globalisten‘ stehen im Mittelpunkt von Bildern und Erzählungen, in denen Jüdinnen*Juden als treibende Kraft eines ausbeuterischen und zerstörerischen Kapitalismus auftauchen. Während die ‚deutsche Nation‘ bzw. generell souveräne Nationalstaaten in ökonomischer wie kultureller Hinsicht als Opfer der Globalisierung bezeichnet werden, markieren Begrifflichkeiten wie ‚Internationale des großen Geldes‘, ‚vagabundierendes transnationales Finanzkapital‘ oder ‚Ostküste der USA‘ (als Sitz wichtiger Finanzinstitute) in der Sprache der extremen Rechten Jüdinnen*Juden als ‚Drahtzieher‘ solcher Entwicklungen. In jüngerer Zeit stand insbesondere der US-amerikanische Investor und Philanthrop Interner Link: George Soros im Mittelpunkt entsprechender antisemitischer Anfeindungen. Dass die Globalisierung historisch gewachsene Strukturen verändert oder zerstört, wird in rechtsextremer Weltdeutung auf Charakter und Wesensart von Jüdinnen*Juden zurückgeführt. Sie gelten als ‚Zersetzer‘ gewachsener Strukturen. ‚Leistung und Ehrlichkeit‘ (Mittelschicht) werden kontrastiert mit ‚Schläue und Verschlagenheit‘ (globale Schicht Superreicher) – auch hier ein altes antisemitisches Motiv adressierend.

Da es trotz aller Versuche antisemitischer Bildpropaganda selbstverständlich keine tatsächlichen körperlichen Merkmale gibt, an denen sich Jüdinnen*Juden identifizieren ließen, betreibt die extreme Rechte intensiv ‚Judenriecherei‘, d.h. mit Blick auf politisch, ökonomisch und gesellschaftlich einflussreiche Positionen wird spekuliert, welche dieser Personen denn jüdisch sei. Immer wieder wurde beispielsweise in der National-Zeitung darüber spekuliert, wer in der jeweiligen US-Regierung wohl jüdisch sei; ähnliche Fantasien gab es hinsichtlich Helmut Kohl und Angela Merkel. Für den Bereich der Medien, darunter Hollywood, finden sich zahlreiche Beiträge, in denen von einer behaupteten oder tatsächlichen Zugehörigkeit zentraler Akteur*innen zum Judentum auf ‚deutschfeindliches‘ Handeln geschlossen wird.

Das zeigte sich beispielsweise, als im Zeitraum von 1991 bis 2005 Jüdinnen*Juden und deren Angehörige bzw. Menschen mit jüdischen Vorfahr*innen aus der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten als Interner Link: sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland übersiedeln konnten. In einer massiven Kampagne wurde in rechtsextremen Stellungnahmen behauptet, die deutschen Regierungen würden die Zuwanderung dieser Gruppe erleichtern, hingegen die der Interner Link: Russlanddeutschen erschweren. Vielfach wurde dabei der Begriff der ‚Ostjuden‘ verwandt, der Interner Link: bereits im frühen 20. Jahrhundert in der antisemitischen Propaganda auftauchte und mit Vorstellungen von Schmutz, kultureller Rückständigkeit und Unsittlichkeit assoziiert war.

Körperbezogene Vorurteile und Zuschreibungen spielen im (rassebezogenen) Antisemitismus eine zentrale Rolle. Dabei werden Jüdinnen*Juden als ‚schwächlich‘ und ‚verweichlicht‘ diffamiert, zu harter körperlicher bzw. handwerklicher Arbeit nicht fähig. Zugleich werden Juden als lüstern und sexuell gefährlich dargestellt; entsprechend schlachtete die extreme Rechte das Fehlverhalten des damaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Interner Link: Zentralrats der Juden in Deutschland aus, der im Jahr 2003 wegen Kokainbesitz verurteilt wurde und bei einem wegen Menschenhandels in das Blickfeld der Staatsanwaltschaft geratenen Callgirl-Ring Prostituierte angefordert haben soll.

Führende Vertreter des Judentums in Deutschland, die die Perspektiven und Interessen von Jüdinnen*Juden selbstbewusst vertreten, sind seit jeher zentrales Feindbild der extremen Rechten. So wurden beispielsweise Heinz Galinski, Ignaz Bubis oder Paul Spiegel immer wieder zum Gegenstand antisemitischer Narrative und Angriffe. Auf das in München geplante jüdische Gemeindezentrum, mit dem die Wiederkehr jüdischen Lebens in der Münchner Altstadt gefeiert werden sollte, wollten Neonazis um Martin Wiese am 65. Jahrestag der Interner Link: Reichspogromnacht im Jahr 2003 einen Bombenanschlag verüben. In Bochum ging die NPD mehrfach gegen den Bau einer Synagoge auf die Straße und forderte, die geplanten öffentlichen Gelder ‚für das Volk‘ zu verwenden. In völkischer Perspektive und deren essentialistischer Differenzsetzung zwischen ‚Juden‘ und ‚Deutschen‘ wurden damit Jüdinnen*Juden ihre deutsche Staatsbürgerschaft symbolisch verweigert. Wissend, dass die Erfassung von Menschen jüdischen Glaubens eine der Voraussetzungen für den folgenden industriell organisierten nationalsozialistischen Massenmord war, fragte der im Stadtrat Dortmunds sitzende Interner Link: Neonazi Dennis Giemsch Ende 2014 die Stadtverwaltung, wie viele Jüdinnen*Juden in der Stadt leben und wie sie sich auf die Stadtviertel verteilten.

Interner Link: Israelbezogener Antisemitismus findet sich bei der extremen Rechten seit Jahrzehnten. Regelmäßig hat man sich an die Seite arabischer Aggressoren gestellt. In den 1980er Jahren riefen Neonazis die Antizionistische Aktion (AZA) ins Leben; in zahlreichen Demonstrationen steckten Slogans wie ‚Der Rassismus ist ein Meister aus Israel‘ (Hagen 2003), ‚Gegen die israelische Besatzungspolitik – Solidarität mit Palästina‘ (Bochum 2005) oder ‚Stoppt den israelischen Holocaust im Gaza-Streifen‘ (Berlin 2009) den Standpunkt des neonazistischen Spektrums deutlich ab. Die Partei Interner Link: Die Rechte warb im Jahr 2019 auf Plakaten mit dem Slogan ‚Israel ist unser Unglück‘ – ein offenkundiger Bezug auf die seit dem 19. Jahrhundert in der antisemitischen Bewegung und seit 1927 vom NS-Hetzblatt Externer Link: Der Stürmer vielfach abgedruckte Parole ‚Die Juden sind unser Unglück‘. Im Anschluss an die Interner Link: terroristische Massengewalt der Hamas vom 7. Oktober 2023 markierte die neonazistische Partei Interner Link: Der III. Weg Israel als ‚Terrorstaat‘ und als ‚imperialistische Landräuber Zions‘, der für ‚Unfrieden und Millionenfaches Leid in Nahost‘ verantwortlich sei. Mit der Formulierung ‚zionistisches Gebilde‘ wurde verdeutlicht, dass die Staatlichkeit Israels nicht anerkannt wird. Empathie oder Forderungen nach Freilassung der Geiseln finden sich in der neonazistischen Rechten nicht.

Antisemitismus in der populistischen Rechten

Vielfach wird rechtspopulistischen Protagonist*innen die Abkehr von antisemitischen Positionen zugeschrieben; dies sei beispielsweise eine Entwicklung, die den Wandel des Interner Link: Rassemblement National (früher: Front National) unter Marine Le Pen charakterisiere. Tatsächlich haben in der Vergangenheit immer wieder Führungsfiguren rechtspopulistischer oder gar rechtsextremer Parteien Israel besucht und sich mit dortigen Regierungsmitgliedern getroffen. Dies gilt etwa für die früheren Vorsitzenden der Interner Link: Freiheitlichen Partei Österreichs, Heinz-Christian Strache, oder Gianfranco Fini von der italienischen Alleanza Nazionale. Derartige Aktivitäten wiederum sind von anderen rechtsextremen Akteur*innen als Opportunismus und als Einknicken vor der (behaupteten) Macht des Judentums bezeichnet worden.

Das zentrale Motiv, sich als Schutzmacht des Judentums zu inszenieren und den Schulterschluss mit konservativen und rechten Politiker*innen in Israel zu suchen, findet sich im Ziel der Abwehr von Menschen muslimischen Glaubens als Einwander*innen in europäische Gesellschaften. In Deutschland werden Muslim*innen z. B. von der Interner Link: AfD pauschalisiert als zentrale Ursache des gegenwärtigen Antisemitismus dargestellt. Basierend auf essentialisierenden Zuschreibungen bzw. der Konstruktion eines Gegensatzes zwischen christlich-jüdisch und muslimisch präsentiert man sich philosemitisch.

Auch führende Vertreter*innen der AfD haben behauptet, die Partei sei eine der Garanten für jüdisches Leben in Deutschland. Nachdem sich jedoch im Oktober 2018 mit der Bundesvereinigung Juden in der AfD e.V. eine parteinahe politische Vereinigung gründete, veröffentlichte der Zentralrat der Juden gemeinsam mit anderen jüdischen Organisationen eine scharfe Kritik und betonte, dass die AfD eine Partei sei, in der neben Judenhass auch die Relativierung bzw. Leugnung der Schoah anzutreffen sei. Die Thematisierung von Antisemitismus seitens der AfD zielt letztlich darauf, diesen auf den Interner Link: islamistischen Antisemitismus zu reduzieren, der wiederum als Beleg für das Scheitern einer liberalen Einwanderungspolitik herangezogen wird. Ressentiments gegen muslimische oder als solche markierte Menschen bis hin zu offen Interner Link: antimuslimischem Rassismus sind für die populistische und die extreme Rechte als Mobilisierungsthema von zentraler Bedeutung. Das Sprechen über ‚massenhafte Zuwanderung‘ wird mit apokalyptischen Vorstellungen verknüpft, die Bilder gesellschaftlichen Niedergangs sowie bürgerkriegsähnlicher Zustände umfassen, bis hin zur Interner Link: Erzählung vom ‚großen Austausch‘, der absichtlich von im Verborgenen agierenden ‚geheimen Eliten‘ herbeigeführt werde und den ‚Volkstod‘ zur Folge hätte. In diesen Narrativen ist eine hohe Affinität zu antisemitisch geprägten Semantiken und ebenso antisemitisch grundierten Verschwörungsnarrativen zu finden.

Verschwörungserzählungen sind ein zentrales Strukturelement extrem rechter Weltdeutung. Im Monatsmagazin Compact wird das Wort Jude zwar weitgehend vermieden, im Wege der Erzählung von der ‚New World Order‘, den QAnon-Drops oder den Beiträgen zur Covid-19-Pandemie werden jedoch antisemitische Narrative aufgerufen. Auch in der Szene der Interner Link: Reichsbürger*innen finden sich prominent verschwörungsideologische Positionen: führende Repräsentanten beziehen sich teils indirekt, teils jedoch auch offen auf jüdische Personen, denen sie Verantwortung für internationale Krisen und Kriege zuschreiben. „Der Antisemitismus ist ein zentrales Strukturelement der Ideologie des Reichsbürger-Milieus. Er liefert nicht nur eine Welterklärung, sondern dient auch der Identitätskonstruktion zwischen bösen, weltbeherrschenden Juden und guten, unterdrückten Deutschen.“

Schluss

In rechtsextremen und rechtspopulistischen Diskursen verbinden sich antijudaistische und antisemitische Denkfiguren als Ausdruck einer Ablehnung einer modernen Welt – d.h. globaler Verflechtungen, Internationalisierung, Liberalität oder Aufklärung –, in der Jüdinnen*Juden als deren Symbol gelten; diese Diskurse markieren Jüdinnen*Juden in essentialisierender Weise als Verursacher gesellschaftlicher Krisenlagen, struktureller ökonomischer und sozialer Verwerfungen und – mit Blick auf Deutschland – nationaler Schwäche.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag verzichtet weitgehend darauf, antisemitische Denkfiguren und Weltdeutung in Originalzitaten zu reproduzieren. Entsprechendes Datenmaterial (Bild und Text) findet sich im Einzelnen in der angeführten Sekundärliteratur, z.B.: Monika Urban (2014): Von Ratten, Schmeißfliegen und Heuschrecken. Judenfeindliche Tiersymbolisierungen und die postfaschistischen Grenzen des Sagbaren. Konstanz/München: UVK.

  2. Vgl. Peter Waldbauer (2007): Lexikon der antisemitischen Klischees. Murnau: Mankau.

  3. Brigitte Bailer-Galanda, Wolfgang Benz & Wolfgang Neugebauer (Hrsg.) (1996): Die Auschwitzleugner. Berlin: ElefantenPress.

  4. Fabian Virchow (1996): ‚Revisionismus‘ und Antisemitismus am Beispiel der Frey-Presse. In: Brigitte Bailer-Galanda; Wolfgang Benz & Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Die Auschwitzleugner. Berlin: Elefanten Press, S. 206-224.

  5. Vgl. Freddy Raphael (1995): ‚Der Wucherer‘. In: Julius H. Schoeps & Joachim Schlör (Hrsg.): Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. München: Piper, S. 103-118.

  6. Vgl. Stefan Rohrbacher & Michael Schmidt (1991): Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Reinbek: Rowohlt, S. 43-150; Abraham H. Foxman (2010): Jews & Money. The Story of a Stereotype. New York: Palgrave Macmillan.

  7. Zit. nach: NPD-Parteivorstand (2005): Argumente für Kandidaten und Funktionsträger. Berlin: NPD, S. 10.

  8. Vgl. Michael Hagemeister (2017): Die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ vor Gericht. Zürich: Chronos.

  9. Vgl. Ralf Klausnitzer (2002): „Überstaatliche Mächte“. Verschwörungsphantasien und -theorien in Publizistik, Literatur und Film des ‚Dritten Reiches‘. In: Erhard Schütz & Gregor Streim (Hrsg.): Reflexe und Reflexionen von Modernität 1933- 1945. Bern: Peter Lang, S. 125-172.

  10. Vgl. Fabian Virchow (2007): Die extreme Rechte als globalisierungskritische Bewegung? In: Arne Niederbacher & Ivonne Bemerburg (Hrsg.): Die Globalisierung und ihre Kritik(er). Wiesbaden: Springer VS, S. 215-232.

  11. Vgl. Richard Faber (1995): ‚Der Zersetzer‘. In: Julius H. Schoeps & Joachim Schlör (Hrsg.): Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. München: Piper, S. 260-264.

  12. Vgl. Michael Kraske (2021): Tatworte. Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen. Berlin: Ullstein, S. 47-48.

  13. Vgl. Ludger Heid (2005): ‚Der Ostjude‘. In: Julius H. Schoeps & Joachim Schlör (Hrsg.): Antisemitismus. Vorurteile und My-then. München: Piper, S. 241-251.

  14. Vgl. Fabian Virchow (2012): Demonstrativer Antisemitismus. Wie die extreme Rechte den Antisemitismus auf die Straße trägt. In: Diekmann, Irene A., u.a. (Hrsg.): ‚… und handle mit Vernunft‘. Beiträge zur europäisch-jüdischen Beziehungsgeschichte. Hildesheim/Zürich/New York: Georg Olms Verlag: 398-417.

  15. Ebd., S. 404ff.

  16. Vgl. Homepage ‚Der III. Weg‘ vom 30. Oktober 2023.

  17. Vgl. Homepage ‚Der III. Weg‘ vom 20. Oktober 2023.

  18. Vgl. Teresa Nentwig (2022): Das Rassemblement National und der Antisemitismus. Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik 6(1): 275-307.

  19. Vgl. o.V.: Finis teure Israelreise (National-Zeitung 40/2002, S. 12); o.V.: Finis totaler Wandel (National-Zeitung 1-2/2008, S. 13); Helmut Mayer: Was wollte Strache in Israel? (National-Zeitung 51/2010, S. 8-9).

  20. Vgl. Bodo Kahmann (2017): ‘The most ardent pro-Israel party’: pro-Israel attitudes and anti-antisemitism among populist radi-cal-right parties in Europe. Patterns of Prejudice 51(5): 39 (20226-411.

  21. Vgl. Externer Link: https://www.welt.de/politik/ausland/article163246107/Die-AfD-ist-eine-Schande-fuer-Deutschland.html vom 6.4.2017

  22. Zentralrat der Juden in Deutschland (2018): Keine Alternative für Juden. Berlin.

  23. Vgl. Jannis Niedick (2020): Die AfD bei Twitter – eine antisemitismuskritische Untersuchung zum Holocaustgedenktag 2020. In: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): Wissen schafft Demokratie, Band 8, S. 202-213.

  24. Vgl. Hans-Ulrich Probst (2024): Der Antichrist als Zerstörer des christlichen Abendlandes: Antisemitische Motive der apokalyptischen Krisendeutung in der extremen Rechten. Zeitschrift für Religion, Geschichte und Politik 8(1): 55-80; Klaus Holz & Thomas Haury (2021): Antisemitismus gegen Israel. Hamburg: Hamburger Edition, S. 328-350; Lars Rensmann (2020). Die Mobilisierung des Ressentiments. Zur Analyse des Antisemitismus in der AfD. In: Ayline Heller, Oliver Decker & Elmar Brähler (Hrsg.): Prekärer Zusammenhalt. Die Bedrohung des demokratischen Miteinanders in Deutschland. Gießen: Psychosozial-Verlag, S. 309-342; Jannis Niedick & Marc Grimm (2024): Die AfD und der Antisemitismus. In: Matthias Quent & Fabian Virchow (Hrsg.): Rechtsextrem, das neue Normal? München: Piper, S. 96-104.

  25. Vgl. Jakob Andrae (2020): Antisemitismus im Compact-Magazin: eine Analyse der Diskursstränge um die Krisen der Asyl- und Migrationspolitik 2015/16 und der Covid-19 Pandemie 2020. Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung 2(1): 110-127.

  26. Jan Rathje (2017): Die vermeintlichen Mächte im Hintergrund – Antisemitismus im Milieu von Reichsbürgern, Selbstverwaltern und Souveränisten. In: Andreas Speit (Hrsg.): Reichsbürger – Die unterschätzte Gefahr. Berlin: Ch. Links Verlag, S. 133-143, hier S. 142.

  27. Vgl. Regina Wamper (2009): Antisemitismus und Antijudaismus in Diskursen der Rechten. Brüche und Kontinuitäten. In: Klaus Holz, Heiko Kauffmann & Jobst Paul (Hrsg.): Die Verneinung des Judentums. Antisemitismus als religiöse und säkulare Waffe. Münster: Unrast, S. 141-154.

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Prof. Dr. Fabian Virchow ist Professor für Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf und leitet dort den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus.