Juristische Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen
Die juristische Verfolgung der massenhaften Verbrechen des Nationalsozialismus nach 1945 war ein komplexer, nur schleppend vorankommender Prozess. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kontrollierten die Alliierten die Bestrafung von Kriegsverbrechen. Schon bald gerieten die Strafverfahren in den Besatzungszonen bzw. später in beiden deutschen Staaten ins Spannungsverhältnis des Kalten Krieges: NS-Prozesse wurden oft mit Blick auf den größtmöglichen Nutzen in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz geführt und standen häufig unter großem politischen Handlungsdruck. Über viele Jahrzehnte wurde das begangene Unrecht – entgegen der weitreichenden Kenntnisse über die tatsächlichen Ausmaße der Verbrechen unter dem NS-Regime – in Ost und West nicht dementsprechend geahndet.
Die DDR-Führung stellte ihre Entnazifizierungsbemühungen nach propagandistisch inszenierten Schauprozessen mit harten Strafen als Erfolgsgeschichte dar. Hinter der verkündeten antifaschistischen Staatsdoktrin stand eine nur vermeintlich konsequente und vor allem politisch motivierte Strafverfolgung.
In der Bundesrepublik agierten die Verantwortlichen unter größter Zurückhaltung. Die individuelle Schuld an den NS-Verbrechen und das Problem personeller Kontinuitäten in Staatsapparat und Gesellschaft wurde nicht oder nur sehr zögerlich angegangen. Die Gerichte verurteilten die Angeklagten in der Regel nur als Gehilfen und verhängten verhältnismäßig geringe Strafen. Viele Verfahren wurden aus Mangel an Beweisen oder wegen der Nichtauffindbarkeit beteiligter Personen eingestellt. Weitreichende Amnestien und Verjährungsregelungen verhinderten die Ahndung des begangenen Unrechts.
Geschicktes politisches Taktieren, gegenseitiges Diskreditieren und eine weit verbreitete "Schlussstrich-Mentalität" führten in beiden deutschen Staaten dazu, dass die Täterinnen und Täter der massenhaften Verbrechenskomplexe nur selten angemessen zur Rechenschaft gezogen wurden. Bis heute wird bemängelt, dass die Verfahren oft zu spät eingeleitet wurden und dass es nur zu wenigen und zu milden Verurteilungen kam. Erst der Prozess gegen den ukrainischen Wachmann John Demjanjuk 2011 brachte mit der Abkehr von der Gehilfenrechtsprechung noch einmal einen späten Schub für die Verfolgung der letzten Beteiligten an den NS-Morden. Noch heute versuchen Ankläger nach diesem Modell, die Täterinnen und Täter von damals zur Rechenschaft zu ziehen.