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Frauenfußball und die Olympischen Spiele - Starthilfe zu mehr Popularität? | Brasilien | bpb.de

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Frauenfußball und die Olympischen Spiele - Starthilfe zu mehr Popularität? Interview mit der Fußballtrainerin Monika Staab

Rosa Gosch interviewt Monika Staab

/ 6 Minuten zu lesen

Seit 1996 gehört der Frauenfußball zu den olympischen Sportarten. Seither nehmen meistens die gleichen Nationalmannschaften am Turnier Teil. Welche Auswirkungen die Spiele auf den Frauenfußball weltweit haben können und warum 2016 eine Außenseitermannschaft dabei ist, erklärt Monika Staab. Die Fußballtrainerin arbeitet in vielen internationalen Projekten der UEFA und trainierte bereits die Frauennationalmannschaften von Bahrain und Katar.

Flashs Marta von New York tritt den Ball während eines Fußballspiels in Rochester, NY. (© AP)

Marta, hier im Trikot von Western New York Flash, war von 2006 bis 2010 fünfmal Weltfußballerin des Jahres und ist eine der bekanntesten brasilianischen SpielerinnenFrauenfußball ist bei Olympia mittlerweile eine etablierte Disziplin. Meist löst aber nur eine eingesessene Gruppe von Favoritinnen das Turnierticket. Die USA, Brasilien oder Deutschland dominieren den Frauenfußball international weiterhin. Woran liegt das?

Die USA haben schon viermal die Olympischen Spiele gewonnen, zum ersten Mal 1996, als der Frauenfußball olympisch wurde. Das ist ein unglaublicher Erfolg. Aber die Amerikaner haben auch bereits seit 1972 eine Frauenfußballnationalmannschaft, die sehr professionell geführt wird. In jedem College wird Frauenfußball gespielt. Über zwei Millionen Frauen und Mädchen spielen in den USA "Soccer". Das ist ein riesiger Pool, in dem viele Talente zu finden sind. Dazu kommt der Wettbewerb in der National Women’s Soccer League, der immer wieder zur Folge hat, dass sich die Leistungen auf dem Platz widerspiegeln. Aber Frauenfußball ist ein vergleichsweise junger Sport, der noch viel Entwicklungspotential hat. In Afrika waren es immer die Nigerianerinnen, die zu jeden Olympischen Spielen gefahren sind. Jetzt hat sich Südafrika gegen Nigeria in der Qualifikation durchgesetzt. Das ist für Südafrika ein toller Erfolg. Auch die Französinnen haben jahrelang tollen Fußball gespielt aber noch nie ein großes Turnier gewonnen. 2019 findet die WM in Frankreich statt und alle hoffen, dass die Französinnen nun auch öfter das Tor treffen, weil sie sehr starke Individualistinnen haben.

Wie hängt der Erfolg von Spielerinnen mit der Popularität des Sports in einem Land zusammen?

Sportliche Erfolge binden die Menschen immer. Das trifft besonders in Entwicklungsländern zu. Ich habe das in Namibia beispielsweise selbst erlebt. Aber nicht nur dort. Als die deutsche Frauenfußballnationalmannschaft 2003 zum ersten Mal den Weltmeistertitel holte, war es ganz ähnlich. Es war der große Durchbruch für den Frauenfußball in Deutschland. Danach sagten alle Eltern: "Jetzt darf auch meine Tochter Fußball spielen." Und nachdem Thailand im vergangenen Jahr das erste Mal bei der WM teilgenommen hat, hat sich der Frauenfußball in dem asiatischen Land stark verändert. Es ist ein Ping-Pong-Effekt: Erfolge bei großen Turnieren führen zu mehr Unterstützung seitens der Menschen, der Verbände und der Regierungen, die wiederum sportliche Höchstleistungen fördern.

Mit Simbabwe tritt eine Außenseiterinnenmannschaft bei Olympia 2016 an. Wird Frauenfußball dort besonders gefördert?

Es ist ein toller Erfolg, wie sich die Simbabwerinnen gegen Sambia und Kamerun durchgesetzt und sich durch die Teilnahme am Endspiel der afrikanischen Meisterschaften das Ticket für Olympia gesichert haben. Die Mannschaft wurde unter anderem von Klaus-Dieter Pagels trainiert, im Auftrag des Auswärtigen Amts. Er hat dort die Grundlagen für den heutigen Erfolg mitgelegt, acht der jetzigen Nationalspielerinnen sind von ihm ausgebildet worden.

Sie sagten, die WM 2019 könnte den französischen Frauenfußball voranbringen. Wie steht es 2016 um die brasilianische Nationalmannschaft?

Brasilien ist in Lateinamerika seit Jahren die führende Mannschaft. Das Land ist damit eine Anomalie. Denn in weiten Teilen der lateinamerikanischen Gesellschaft wird der Frauenfußball bis heute wenig anerkannt. Es herrscht eine sehr chauvinistische Einstellung, der zufolge Frauen eher Kinder kriegen und den Haushalt führen sollen, anstatt Fußball zu spielen. Noch bis 1982 war Frauenfußball in Brasilien verboten. Im Vergleich mit anderen Ländern war Brasilien aber immer besonders stark, weil sie immer eine sehr gute Mannschaft hatten. Marta beispielsweise war in den letzten zehn bis zwölf Jahren eine absolute Ausnahmespielerin, die verdient mehrmals zur Weltfußballerin des Jahres gewählt worden ist. Wie viele ihrer männlichen Kollegen hat sie Fußballspielen auf der Straße gelernt. Außerdem ist Brasilien ein sehr großes Land, mit einer riesigen Auswahl an Spielern. Aber die Brasilianerinnen haben dennoch nicht die Durchschlagskraft der Europäerinnen.

Der Erfolg und die Popularität von Frauenfußball spiegelt also auch das Rollenverständnis von Mann und Frau in der jeweiligen Gesellschaft wider?

Absolut, mit Ausnahmen wie Brasilien. In Norwegen, dem Mutterland des Frauenfußballs und in den anderen Skandinavischen Ländern waren Frauen im Fußball wesentlich früher anerkannt als anderswo. In Deutschland wurde der Frauenfußball erst 1970 erlaubt. In vielen Ländern, besonders in Afrika, Asien und der muslimischen Welt ist das Vorurteil weiterhin verbreitet, dass die Frau ein Kristall ist, der zerbricht, wenn sie Fußball spielt. Es ist nun einmal ein Körperkontaktsport. Beim Volleyball oder Basketball beispielsweise ist der Frauensport sehr viel anerkannter, weil es dort diesen direkten Körperkontakt nicht gibt. Aber in den letzten Jahren ist die Popularität des Frauenfußballs stetig gewachsen. Heute gibt es mehr als dreißig Millionen kickende Frauen. Vielerorts helfen sich die Frauen selbst. Der Breitensport ist hier sehr wichtig. Aber auch der Fußballweltverband FIFA und der europäische Fußballverband UEFA haben mittlerweile sehr viele Programme zur Förderung von Frauen im Sport aufgesetzt. Dass Simbabwe jetzt bei den Spielen in Brasilien dabei ist, ist ein gutes Zeichen.

In welchem Land sehen Sie derzeit besondere Fortschritte?

Kolumbien kommt gut voran. Die Kolumbianerinnen spielen jetzt auch bei Rio 2016 mit. Im Gegensatz dazu müssten zum Beispiel die Verbände in Argentinien viel mehr tun und mehr Wettkämpfe organisieren. In Deutschland haben wir mit der Frauenfußballbundesliga eine der stärksten Ligen der Welt. Da werden die Spielerinnen Sonntag für Sonntag absolut an ihrem Limit gefordert. Das können sie dann auch in der Nationalmannschaft umsetzen. Und es gibt bei uns das System der Trainingsstützpunkte. So können auch Mädchen als Talente entdeckt werden und sich gut entwickeln. In Deutschland gibt es mittlerweile elf Akademien für Mädchen. Aber das kostet natürlich Geld und das ist in vielen Ländern ein Problem.

Werden die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro dem Frauenfußball in Brasilien zu mehr Popularität und Akzeptanz verhelfen?

Auf jeden Fall – sofern Brasilien gut abschneidet. Das ist immer sehr wichtig. Wenn der Gastgeber nicht in die zweite Runde kommt, ist das immer schwierig. Man kann also nur hoffen, dass die Brasilianerinnen zumindest das Viertelfinale erreichen. Bei den Frauen gibt es bei Olympia nur zwölf Mannschaften; bei den Männern sind es 16. Das heißt, man steht schnell im Halbfinale. Ich hoffe, dass Brasilien den Heimvorteil nutzen kann, denn das würde dem Frauenfußball mit Sicherheit mehr Aufmerksamkeit bringen. So war es auch 2012 bei den Olympischen Spielen in London. Das Endspiel USA gegen Japan sahen 80.000 Zuschauer im Stadion! Das sorgte für einen unglaublichen Schwung und eine gute Entwicklung. Bei der Frauenfußballweltmeisterschaft 2015 in Kanada gewann England die Bronzemedaille.

Außer mehr Geld und bessere Strukturen, was würden Sie sich noch wünschen, um die Entwicklung des Frauenfußballs voranzutreiben?

Es geht nicht allein um Geld. Es kommt auch auf die Leidenschaft und das Engagement für den Sport an. Wenn man sich anschaut, wie viel Geld die nationalen Verbände von der FIFA oder UEFA bekommen, dann sieht man, dass der Frauenfußball immer nur ein kleines Stück des großen Kuchens erhält. Das reicht nicht aus, um die Förderung des Frauenfußballs zu sichern. FIFA und UEFA müssten den Frauenfußball in ihren Budgets gezielt mehr unterstützen und die nationalen Verbände müssten dies vor Ort umsetzen. Entscheidend ist hier die Einstellung in den Verbänden – und die werden überwiegend von Männern geführt. Das muss sich ändern. Mehr Frauen müssen sich trauen, auf den Tisch zu hauen: Auch wir wollen gute Leistungen bringen, aber das geht nicht ohne qualifizierte Trainer, anständige Plätze und gutes Material. Und der Frauenfußball muss in den Medien präsenter sein, damit die Menschen ihn mehr beachten.

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Das Interview führte Rosa Gosch, sie ist Redakteurin bei Kulturaustausch – Zeitschrift für internationale Perspektiven und lebt in Berlin.

Monika Staab

ist Fußballtrainerin und arbeitet weltweit in Projekten zur Förderung des Frauenfußballs