In der Vergangenheit konnten Wahlanalysen in der Tradition des soziologischen Ansatzes ihre Bedeutung immer wieder unter Beweis stellen. Auch für die Bundestagswahl 2013 lässt eine entsprechende Untersuchung der Wahlergebnisse wichtige Rückschlüsse auf die Existenz unterschiedlicher Stammwählerschaften der Parteien zu. Unter der Oberfläche des Gesamtergebnisses verbergen sich jedoch eine Reihe regionaler Unterschiede.
Sozialstruktur und Milieus: Stammwählerschaft
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Wenn auch in schwächerer Form, so gibt es nach wie vor einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen und kulturellen Prägung der Wähler und ihrer konkreten Wahlentscheidung.
Obwohl die Wahlbeteiligung insgesamt zugenommen hat, war sie wie schon 2013 auch bei der Bundestagswahl 2017 im Osten (73,2 Prozent) niedriger als im Westen (76,8 Prozent).
Die Volksparteien erlitten sowohl in West- als auch in Ostdeutschland erhebliche Verluste. So kamen CDU und CSU in Westdeutschland auf nur noch 34,1 Prozent. In Ostdeutschland schnitt die CDU mit 27,6 Prozent ebenfalls deutlich schlechter als noch bei der Bundestagswahl 2013 ab. Ähnliches lässt sich für die SPD konstatieren, die im Westen bei dieser Wahl 21,9 Prozent der Stimmen erhielt und im Osten gerade einmal 13,9 Prozent. Somit lag sie in Ostdeutschland hinter CDU, Linke und AfD auf Platz vier.
Nachdem die FDP bei der vorangegangenen Wahl noch aus dem Bundestag ausgeschieden war, konnte sie als Partei nun wieder auf Bundesebene reüssieren. Mit 11,4 Prozent im Westen und 7,5 Prozent der Zweitstimmen im Osten konnte sie ihre Stimmenanteile deutlich steigern.
Die Grünen waren mit 5,0 Prozent im Osten nach wie vor deutlich schwächer als im Westen (9,8 Prozent).
Die Linke wurde im Osten nach der Union und der AfD drittstärkste Kraft (17,8 Prozent). In den westdeutschen Ländern schnitt sie deutlich schwächer ab (7,4 Prozent).
Traditionell wird sozialstrukturellen Merkmalen für das Wahlverhalten ein großer Stellenwert beigemessen. Insbesondere für die frühen Bundestagswahlen lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen der sozialen und kulturellen Prägung der Wählerinnen und Wähler und ihrer konkreten Wahlentscheidung nachweisen: Arbeiter wählten eher die SPD und andere linke Parteien, im Gegensatz dazu banden CDU und CSU den Großteil der gläubigen katholischen oder protestantischen Wählerschaft an sich. Solche typischen Muster waren, wenngleich in abgeschwächter Form, auch bei dieser Bundestagswahl zu beobachten:
In den Altersgruppen ist das Wahlverhalten ausdifferenziert. Die Unionsparteien erzielten zwar in allen Altersgruppen bessere Ergebnisse als die anderen Parteien, doch wie bei der Bundestagswahl 2013 gilt: Doch wie bei der Bundestagswahl 2009 gilt: Je älter der Wähler oder die Wählerin, desto wahrscheinlicher war eine Stimmabgabe zugunsten von CDU und CSU. Bei den über 60-Jährigen konnten die zwei Parteien sogar 41 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die Unterschiede sind in den anderen Parteien kleiner.
Geschlechterspezifische Unterschiede bei der Bundestagswahl zeigten sich vor allem bei den Unionsparteien, den Grünen und bei der AfD. Die CDU/CSU schnitt bei den Frauen mit 37 Prozent deutlich besser ab als bei den Männern (29 Prozent). Auch die Grünen profitierten eher von Stimmen der Wählerinnen (11 Prozent) als von denen der Wähler (8 Prozent).
Mit steigendem Bildungsgrad nimmt die Zustimmung zu den Volksparteien CDU, CSU und SPD tendenziell ab. Wählerinnen und Wähler mit Hochschulreife oder Universitätsabschluss neigen vor allem den Grünen oder der FDP zu.
Die SPD erzielte ihre besten Ergebnisse bei den Arbeitern, Angestellten und Beamten. Ihre Wählerschaft rekrutierte sich überwiegend aus diesen drei Gruppen (Arbeiter: 23 Prozent, Angestellte: 21 Prozent, Beamte: 21 Prozent). Eine Kernwählergruppe für die Linke bildeten die Arbeiter (10 Prozent). Die Union lag allerdings deutlich vor den anderen Parteien. Unter den Selbstständigen (34 Prozent) war ihr Ergebnis besonders gut. Die FDP erzielte bei den Selbstständigen wie in der Vergangenheit überproportional viele Zweitstimmen (18 Prozent). Die Grünen waren bei den Beamten stark (12 Prozent). Die AfD schnitt in allen Berufsgruppen bis auf die Beamten gut ab.
Konfessionell gebundene Wähler machten ihr Kreuz überdurchschnittlich häufig bei den christdemokratischen Unionsparteien. 44 Prozent der Katholiken wählten CDU oder CSU, bei den Protestantinnen und Protestanten waren es hingegen nur noch 33 Prozent.
Grundsätzlich sind die traditionellen Wählermilieus noch nicht verschwunden und haben nach wie vor eine gewisse Bedeutung für die Parteien. Insbesondere bei umfangreichen Reformschritten wie der Agenda 2010 ist die jeweilige Stammwählerschaft besonders zu pflegen. Die Agenda 2010 kam in ihrer Ausrichtung allerdings einem Paradigmenwechsel gleich. Der bis dahin geltende Allparteienkonsens ‒ die Hinwendung zum Sozialstaat und eine Orientierung an der Verteilungsgerechtigkeit als Verheißung einer demokratischen Gesellschaft ‒ wurde aufgebrochen. Wenngleich die Abkehr von dieser Tradition durch den Umbau des Sozialstaates überparteilich beschlossen wurde, trägt maßgeblich die SPD die Verantwortung für das Reformprojekt. Sie hat ihre Stammwählerschaft auf eine harte Probe gestellt und kämpft weiterhin darum, diese wiederzugewinnen.
Generell besteht die Stammwählerschaft immer noch aus basisverwurzelten und extrem enttäuschungsresistenten Aktivistinnen und Aktivisten. Wer sich nur tagesorientiert an Wechselwählerinnen und -wählern ausrichtet, verliert am Ende auch die Stammwählerschaft. Doch gerade sie wäre bereit, unpopuläre Entscheidungen mitzutragen, wenn man sie einbindet und überzeugt. Zeitgleich wird ihre Gewinnung immer wichtiger. Deutliche Veränderungen gehen von der sinkenden Zustimmung der Wählerinnen und Wähler zu den Volksparteien aus.
QuellentextWertewandel
Wertewandel wird in den Sozialwissenschaften allgemein als Wandel grundlegender gesellschaftlicher Wertorientierung verstanden; damit erfasst er einen wichtigen Teilbereich des kulturellen Wandels. Allgemein interessiert der Zusammenhang zwischen kulturellem und sozialem Wandel [...]. Von den neuen Theorien des Wertewandels hat im Bereich der Wahlforschung die Theorie von Ronald Inglehart die größte Bedeutung erlangt.
Inglehart nimmt an, dass die Wertprioritäten einer Person wesentlich von der sozioökonomischen Lage während der Sozialisationsphase geprägt sind, wobei im Sinne der Knappheitsthese immer diejenigen Werte die höchste Priorität haben, die relativ knapp sind. Mit dem Übergang zur postindustriellen Gesellschaft seien physiologische und Sicherheitsbedürfnisse auf relativ hohem Niveau befriedigt, sodass sogenannte postmaterialistische Werte an Bedeutung gewinnen. Aus der Sozialisationsthese lässt sich ableiten, dass die Zunahme der Postmaterialisten in erster Linie ein Kohortenphänomen ist, weil sich wirtschaftlicher Wohlstand nur während der Phase der Primärsozialisation auf die Wertprioritäten auswirkt. Die Zunahme postmaterialistischer Wertorientierung verläuft deswegen relativ still im Wege der Generationensukzession. Die Knappheitsthese stellt eine Verbindung zwischen dem wirtschaftlichen Wohlstand und der ursprünglich von Abraham H. Maslow postulierten Bedürfnishierarchie her, wonach menschliche Grundbedürfnisse (Nahrung, Sexualität, körperliche Unversehrtheit) erst befriedigt sein müssen, bevor sich der Mensch sogenannten höheren Bedürfnissen zuwendet.
Alternativerklärungen des Wertewandels sind einmal allgemeine Modernisierungstheorien, die eine Säkularisierung der Gesellschaft als notwendige Folge der Modernisierung postulieren, und zum anderen Theorien, die stärker bestimmte institutionelle Sozialisationsbedingungen zum Beispiel im Bildungssystem oder in der Familie betonen. So nimmt Helmut Klages einen Wandel von den Pflicht- und Akzeptanzwerten (Gehorsam, Leistung, Ordnung usw.) zu Selbstentfaltungswerten sowohl im Sinne des Hedonismus als auch idealistischer Gesellschaftskritik an.
Von linearen Modernisierungs-(Fortschritts-)Theorien zu unterscheiden sind Theorien zyklischen Wertewandels, nach denen sich progressive und konservative Phasen mit einer gewissen Periodizität abwechseln.
Aus: Franz Urban Pappi 2015, S. 637 f.
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