In den Wahlkampfstrategien der Parteien unterscheidet man drei Abschnitte: Vorbereitungsphase, Vorwahlkampfzeit und Schlussphase. Dabei ist das Themenmanagement ebenso wichtig wie die Personalisierung.
Zeitplanung
"Der Wahlkampf beginnt mit dem Statement nach der ersten Hochrechnung", so der ehemalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Die Mehrzahl der parteipolitischen Akteure wird sich wohl eher darauf verständigen können, dass der Wahlkampf am Tag nach der Wahl erneut beginnt. Wegen der bundespolitischen Bedeutung von Landtagswahlkämpfen wird die Abgrenzung von Wahlkampfphasen und wahlkampffreien Zeiten immer schwieriger. Die politische Auseinandersetzung um die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler geht täglich weiter. In den Wahlkampfstrategien der politischen Parteien unterscheidet man drei Abschnitte: Vorbereitungsphase, Vorwahlkampfzeit und Schlussphase. Letztere beginnt in der Regel nach der Sommerpause und geht in den letzten sechs Wochen vor der Wahl in eine sogenannte heiße Phase über.
In der Vorbereitungszeit erarbeiten die Parteien eine eher allgemeine politisch-organisatorische Planung wie beispielsweise Terminierung der Parteitage oder innerparteiliche Wahlen. Etwa zwei Jahre vor dem Wahltag geht der Wahlkampf in eine aktivere Phase über. Die Parteispitzen stehen nun vor der schwierigen und anspruchsvollen strategischen Aufgabe, eine Grundphilosophie für den Wahlkampf zu entwickeln: Welche Sachthemen und welche Kommunikationsstrategie sollen die Auseinandersetzung bestimmen? In dieser Zeit halten die Parteien auch Ausschau nach einem möglichen Spitzenkandidaten. Die Werbeagenturen werden beauftragt, erste Ansätze einer Werbestrategie zu entwickeln. Der zeitliche Ablauf einer derartigen Werbekampagne kann folgendermaßen aussehen (Ulrich Sarcinelli 2009):
Erarbeitung erster Überlegungen innerhalb des Parteiapparats,
Diskussion eines Entwurfspapiers in den Führungsgremien einschließlich der Wahlkampfkommission,
Ausgabe einer konzeptionellen Anweisung an Werbeagenturen,
Präsentation erster Entwürfe vor der Wahlkampfkommission,
Perfektionierung der Entwürfe,
Abstimmung mit den Führungsgremien,
Festlegung eines Zeitpunkts für den Beschluss über den zentralen Wahlslogan,
endgültiger Beschluss der zuständigen Gremien über Werbelinie und Slogan,
Produktionsfahrpläne für die Werbemittel,
Auslieferung der Materialien an nachgeordnete Parteigliederungen,
Belegplan für Anzeigen und für die kommerzielle Plakatierung,
Einsatz der Werbemittel.
Im letzten Drittel der Legislaturperiode erfolgt dann die detaillierte Planung des Wahlkampfs, das heißt, alle organisatorischen Termine werden festgelegt und Wahlkampfaktionen präzise geplant. Nach der Sommerpause läuft der Wahlkampf fast wie ein Ritual in gewohnten Bahnen ab. Die Parteien müssen bis dahin den Wählerinnen und Wählern die großen Linien ihrer Themen vermittelt haben. In der heißen Phase können angesichts der Emotionalisierung der politischen Stimmung kaum noch Korrekturen vorgenommen werden. Die Parteien konzentrieren sich nun darauf, die Wahlberechtigten zur Wahl zu bewegen. Das Hauptaugenmerk der Wahlkampfmanager richtet sich besonders auf die nochmalige Motivierung und Mobilisierung von Mitgliedern und parteinahen Gruppierungen.
Spitzenkandidatur
Die Ergebnisse der Wahlforschung lassen für die Parteiführungen vor allem einen Schluss zu: Mit der werbewirksamen Vermarktung der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten steht und fällt der Wahlkampf. Sie müssen Glaubwürdigkeit, Sachkompetenz und Vertrauen ausstrahlen. Als eine Art Werbesymbol erhöhen sie die Chancen, die Stammwählerschaft zu mobilisieren, und vergrößern die Einsatzbereitschaft der Anhängerschaft. Dennoch sollte nicht ausgeblendet werden, dass auch die Spitzenkandidaten den Wahlvorgang nicht allein entscheiden. Es geht immer noch um die Wahl einer politischen Partei.
Wie wären auch sonst die Wahlerfolge von Helmut Kohl 1983 und 1987 zu erklären? Die Wahlforschung ermittelte damals, dass der Bundeskanzler keineswegs über einen Amtsbonus verfügte. Kohls Image und Popularität in der Öffentlichkeit waren bis zur Bundestagswahl 1990 nicht die eines strahlenden Siegertyps. Dass er dennoch die Wahlen gewann, hing mit dem gesamten Umfeld, der Mannschaft, dem Programm sowie dem jeweiligen Gegenkandidaten der SPD zusammen. Dies relativiert ein wenig die Personaldebatte. Deutlich werden dabei die Grenzen der Amerikanisierung von Wahlkämpfen. Nichts geht in Deutschland ohne die politischen Parteien, relativ wenig ohne ein dazugehöriges politisches Programm.
Neben dem Image der Kandidatinnen und Kandidaten ist ihr Bekanntheitsgrad ein wichtiges Auswahlkriterium sowohl für die Spitzenkandidatur als auch für die Kanzlerkandidatur. Doch die Machtbalance zwischen Partei und Fraktion muss ebenfalls beachtet werden. Zumeist wird in hochrangigen informellen Zirkeln über die kandidierende Person verhandelt, bevor sie öffentlichkeitswirksam inszeniert wird. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kanzlerkandidatur das höchste Ehrenamt ist, das eine Partei zu vergeben hat, gleichzeitig aber auch das chancenloseste.
Nach der Kandidatenkür beginnt die Medienoffensive. Die Redaktionen möchten im Wettlauf mit der Zeit und der großen Konkurrenz möglichst vieles – politisch wie privat – über die Personen publizieren. Angesichts dieser Dynamik fällt es immer schwerer, künstliche Politikerimages mit modernen Werbemethoden aufzubauen.
In der Schlussphasendramatisierung des Wahlkampfs spielt das Duell der Spitzenkandidaten in der Öffentlichkeit eine besondere Rolle. Es bietet für die Wählerinnen und Wähler eine weitere Möglichkeit der Bewertung. Dazu wurde bei den zurückliegenden Bundestagswahlen häufig eine große Fernsehdiskussion mit den Spitzenkandidaten kurz vor der Wahl durchgeführt. 2017 präsentierten die Fernsehsender dabei eine Vielzahl bewährter Formate. Mit der "Wahlarena" setzte die ARD auf den direkten Kontakt von Bürgerinnen und Bürgern mit den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien; auch in der ARD erschien der TV-Fünfkampf, an dem die kleineren Parteien partizipierten.
Zumeist umgibt sich der/die Spitzenkandidat/-in der Opposition mit einem sogenannten Schattenkabinett, neuerdings Kompetenzteam genannt. Damit wird der Blick auf die künftige Regierungsarbeit gelenkt und dokumentiert, dass man für alle wichtigen Sachbereiche über kompetente personelle Optionen verfügt. Für dieses Schattenkabinett organisiert die Partei gemeinsame Auftritte in verschiedenen Werbeträgern.
Wahlprogramm und Wahlkampfthemen
Das Themenmanagement des Programmwahlkampfs ist ebenso wichtig wie die Personalisierung. Die Parteien können sich auch hierbei der Agenda-Setting-Funktion der Medien geschickt bedienen. Sie müssen äußere Stimuli zum richtigen Zeitpunkt aussenden, um ihre Themen ins Gespräch zu bringen. Durch intensive Vorbereitung kann es den Parteistrategen gelingen, dass ein Thema auch auf das Interesse der Medien stößt.
Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Denn der Aktualitätszwang und unvorhergesehene Ereignisse machen häufig einen Strich durch die Themenplanung für den Wahlkampf. Die Themen sollten einen aktuellen zeitgeschichtlichen Hintergrund haben, die Sachkompetenz der jeweiligen Partei unterstreichen und als politisch spannend angesehen werden. Damit es möglichst dem Wahlkampfzweck dient, wird das aktuelle politische Tagesgeschehen von den Parteien aufbereitet.
Zunächst muss die Partei jedoch über ihre Kommunikationsfachleute herausfinden, was die Öffentlichkeit besonders interessiert. Danach ist zu prüfen, was die höchste Glaubwürdigkeit besitzt. Am besten ist es, wenn die Prioritätenliste der Wählerinnen und Wähler mit dem Kompetenzprofil der Partei übereinstimmt. Das ist eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Aufgaben, die bei einer Wahlkampagne zu erledigen sind.
Traditionell gibt es bei den bundesdeutschen Wahlkämpfen zwei große Themenbereiche: wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherung. Seit den Achtzigerjahren spielt auch die Umweltpolitik für die Wahlkampfführung eine besondere Rolle.
Heute kann zudem niemand mehr Wahlkampf machen, ohne die Arbeitslosigkeit anzusprechen. Die Angst um den Arbeitsplatz sowie die Auseinandersetzungen um die wirtschaftliche und um die finanzielle Zukunft beherrschen die Wahlkämpfe. Zuweilen wird aber auch die Außenpolitik zu einem zentralen Wahlkampfthema wie etwa die neue Ostpolitik 1972 oder die deutsche Haltung zur amerikanischen Irak-Politik im Wahljahr 2002.
Nach den Erkenntnissen der empirischen Wahlforschung verfügen Volksparteien in den Augen der Wählerinnen und Wähler über jeweils typische Kompetenzvorsprünge. Damit ist gemeint, dass es einer Partei gelingt, bei einem bestimmten Programmpunkt nicht nur die eigene Anhängerschaft von der Leistungsfähigkeit zu überzeugen, sondern darüber hinaus auch die Anhängerschaft aus dem Lager des politischen Gegners. Diese Einstellungsmerkmale sind in aller Regel das Ergebnis langjähriger Erfahrungen der Wählenden mit der jeweiligen Partei.
Die Parteien beschränken sich in der Regel auf zwei bis drei zentrale Themen, um die Durchschlagskraft des Wahlkampfs zu erhöhen. Meist werden solche Themen gewählt, die über die Stammwählerschaft hinaus wirken. Sie finden Eingang in die Wahlprogramme. Beispiele hierfür sind etwa innere Sicherheit, europäische Integration oder Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Wahlprogramme enthalten darüber hinaus noch weitere Informationen. Sie dienen der Orientierung der Wählerinnen und Wähler und der Identifikation der Mitglieder. Wesentliche Zielvorstellungen und Handlungsperspektiven der nächsten Legislaturperiode sollen darin enthalten sein und sie müssen auch innerparteilich wirken: Möglichst viele verschiedene Strömungen sollen sich darin wiedererkennen können. Die Wahlprogramme – zumindest der Volksparteien – gleichen deshalb häufig unverbindlichen Warenkatalogen mit Absichtserklärungen zu einem ganzen Panorama von Politikbereichen, damit viele zustimmen können.
Entscheidender als die Programme selbst ist für die innerparteiliche Verständigung und den internen Interessenausgleich deren Entstehungskontext. Bis das Programm gedruckt vorliegt, haben zahlreiche innerparteiliche Abstimmungen und damit ein umfassender Diskussionsprozess stattgefunden. Das intensive Ringen um politische Inhalte mobilisiert die Mitglieder. Schließlich soll ein Höchstmaß an interner Integrationsleistung von diesem Programm ausgehen.
Der Wahlkampf gilt als Hochzeit politischer Kommunikation. In der Zeit zwischen der Kandidatenaufstellung und dem Wahltag werben die Mitglieder der Parteien an Infoständen in den Innenstädten des Landes um Wählerstimmen, die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten tingeln von Talkshow zu Talkshow und in den Medien dominiert das Thema Politik.
Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 wartete allerdings nur mit wenigen Neuerungen auf. Während die Parteien mit der medienwirksamen Öffnung der Erarbeitung von Programmen die Beteiligungskultur vermarkten wollten, waren die klassischen Wahlkampfformate wie Plakate, Flugblätter, öffentliche Marktplatzauftritte und Hausbesuche weiterhin von großer Bedeutung. Als Retroanleihe zogen alle Parteien von Haustür zu Haustür, um mit den Wählerinnen und Wählern direkt ins Gespräch zu kommen. Insbesondere der Kampagne der SPD, die in neuem Ausmaß "Klinken putzte", kam dabei viel mediale Aufmerksamkeit zu.
Mit dem sogenannten Schulz-Zug, mit dem die Dynamik in den Umfragen des Frühjahrs 2017 gemeint war, bekam vor allem der Kanzlerkandidat der SPD Martin Schulz besondere Aufmerksamkeit. Zum "Hype", der um den SPD-Kandidaten gemacht wurde, passt sicher auch die Kampagnenführung der FDP, die mit einer starken Fokussierung auf ihren Spitzenkandidaten Christian Lindner und der intensiven Nutzung der sozialen Medien auf neue Kommunikationsstrategien setzte. Doch auch die Union priorisierte eine Personalisierungsstrategie und nutzte Kanzlerin Angela Merkel als ihr Aushängeschild. Bei den anderen Parteien ließ sich dieser Personalisierungstrend nicht in dieser Intensität ausmachen. Bündnis 90/Die Grünen setzten vor allem auf eine Mitgliederbeteiligung zur Erstellung des Wahlprogramms, hierfür wurde die Onlineplattform "Wurzelwerk" genutzt. Dagegen konzentrierte sich die Linke auf einen klassischen Haustürwahlkampf. Die AfD wiederum bevorzugte eine strategische Nutzung des Internets und der sozialen Medien, aber fokussierte sich nicht auf einzelne Personen. Zwar ließen sich gewisse Trends ausmachen, so beispielsweise die intensivierte Nutzung des Internets, jedoch war auch der Wahlkampf 2017 wie schon die Wahlkämpfe der Jahre 2009 und 2013 von einer gewissen politischen Zurückhaltung geprägt.
Auch bei der Bundestagswahl 2017 setzten die Parteien und Kandidaten somit auf Strategien, die schon vielfach in Bundestagswahlkämpfen erprobt wurden: Während die Parteien der Regierung ihren Amtsbonus ausspielen wollten, stellten die Herausforderer teils konfrontativ ihre eigene Kompetenz dar.
In der Endphase des Wahlkampfs steigt gleichzeitig mit der medialen Aufmerksamkeit auch die (An-)Spannung bei den Parteien. Sie versuchen rund um die Uhr, die Wähler zu mobilisieren und von sich zu überzeugen. Parteien setzen gezielt die Höhepunkte des Wahlkampfs in die letzten Wochen vor der Wahl, weil sie so am besten die große Gruppe der spät entschlossenen Wähler mobilisieren können.
Die Wirkung von Slogans im Zentrum einer Wahlkampagne sollte zwar nicht überschätzt werden, doch ist der gelungene Slogan in der Einschätzung des Wahlkampfteams geradezu ein Synonym für das, worüber im Wahlkampf gestritten wird. Ganz selten gelingen Slogans, die auch noch über den Wahltag hinaus eine prägnante Ausstrahlung besitzen.
Bei den Wahlplakaten zur Bundestagswahl 2017 setzten die Parteien unterschiedliche Schwerpunkte. Die CDU konzentrierte sich auf Kanzlerin Angela Merkel und ihre bisherigen Regierungserfolge, die FDP rückte deutlich ihren Spitzenkandidaten Christian Lindner in den Fokus und warb für einen Neuanfang, die SPD stellten ihren Kanzlerkandidaten Martin Schulz mit dem Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Die Grünen präsentierten ihr Spitzenduo und besetzten vorrangig umweltpolitische Themen, die Plakate der Linken zeigten anders als noch zur Bundestagswahl 2009 und 2013 sowohl Bildmotive als auch inhaltliche, zumeist sozialpolitische Forderungen. Schließlich benutzte die AfD verstärkt ihren Slogan "Trau dich, Deutschland!" und zielte auf migrationspolitische Thematiken ab.
Professor Dr. Karl-Rudolf Korte hat einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft inne und ist Direktor der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen. Er ist zudem geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Politikwissenschaft.
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