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Spione beim Klassenfeind | Stasi | bpb.de

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Spione beim Klassenfeind

Helmut Müller-Enbergs

/ 12 Minuten zu lesen

1989 waren etwa 3.500 Bundesbürger Agenten der Stasi. Wissenschaft, Militär und Technik waren die wichtigsten Spionageziele des MfS. Außerdem ging es um Einflussnahme auf Medien und Politik - und das Ausschalten politischer Gegner. Zu den Mitteln gehörten auch Bestechung und Mord.

Aus einem Stasieinsatzplan für den Westberliner MfS-Informanten "Otto Bohl" alias Kurras. Der Polizist sollte "operative Abhörtechnik", also eine Wanze im Büro seines Dienstvorgesetzten verstecken. (© BStU / Kulick)

Warum spionierte die DDR im Westen?

In der DDR waren die Industrie und das Militär, Wissenschaft und die Staatspartei daran interessiert, an Geheimnisse in der Bundesrepublik Deutschland, in West-Berlin und in anderen Staaten zu gelangen. Die SED und die von ihr beauftragte Stasi wollten insbesondere wissen, welche politischen und militärischen Absichten der Westen hatte, wenn es um den Osten ging. Einsätze gab es weltweit, gelegentlich auch in Kooperation mit Agenten aus sozialistischen Bruderländern, zum Beispiel auf Interner Link: Kuba. Mehr noch sollten Spione erfahren, welche Forschungsergebnisse es im Ausland an Universitäten und in der Industrie gab. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Der Spionageaufwand sparte eigene Entwicklungskosten, sollte den wirtschaftlichen Abstand zum aufsteigenden Westen verringern. Im Kern ging es also um Informationsgewinnung. Aber nicht nur das.

Mit geschickt verbreiteten, teils wahren, teils falschen Informationen über Politiker oder andere Repräsentanten der Bundesrepublik sollte deren Ansehen in der Öffentlichkeit geschmälert werden. Das geschah durch die Weitergabe von historischen Unterlagen, der konspirativen Förderung von Filmen, Büchern und Verlagen, durch anonym verfasste Parteipublikationen. Mit solchen Aktivitäten sollten einerseits der DDR gegenüber kritische Parteien diskreditiert und wohlwollendere gefördert werden. Mehr noch sollte Streit innerhalb der politischen Landschaft in der Bundesrepublik, aber auch gegenüber befreundeten Staaten ausgelöst werden, um stabile Bündnisse wie die Europäische Union oder das Verteidigungsbündnis NATO zu untergraben.

Neben der Informationsgewinnung und -verbreitung gab es Vorbereitungen seitens der DDR-Staatssicherheit, in der Bundesrepublik bei einem für möglich gehaltenen Ausbruch eines Krieges Sabotage zu betreiben. Dafür gab es eigens eine Abteilung beim MfS (erst die Abteilung IV, dann die Abteilung XVIII bei der HV A), die systematisch Verkehrsknotenpunkte, Energie erzeugende Unternehmen, Talsperren oder andere in einem solchen Fall relevante Infrastrukturen auskundschaften ließ, um einem potenziellen militärischen Gegner zu schaden. Für den Fall, West-Berlin würde von der DDR militärisch erobert, sollte sich der Einflussbereich der Staatssicherheit selbstredend auch auf den westlichen Stadtteil erstrecken, wozu die Details wie der Standort der Kreisdienststellen, deren personelle Besetzung und der jeweils zugedachten Aufgaben festgelegt war.

Auch ließ das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) – insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren – Bürger aus der Bundesrepublik entführen, was durchaus mit dem Tod für die Betroffenen enden konnte. In der Summe können bis heute 400 solcher Fälle nachgewiesen werden, einer der bekanntesten ist der des Westberliner Menschenrechtsanwalts Walter Linse, der am 8. Juli 1952 aus West- nach Ostberlin entführt und im Dezember 1953 im Moskauer Butyrka-Gefängnis hingerichtet wurde. Aus MfS-Sicht war er exponierter Akteur einer antikommunistischen Organisation – dem West-Berliner Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen, der Menschenrechtsverletzungen in der DDR dokumentierte. Belegt sind überdies Versuche, Bürger der Bundesrepublik zu töten, mitunter durch Gift. Der bekannteste Fall ist Wolfgang Welsch, den ein Freund beim gemeinsamen Urlaub in Israel im Jahre 1981 mit einem Thaliumpräparat, das in Bouletten untergemischt wurde, tödlich vergiften wollte – im Auftrag des MfS. Es war nicht das einzige Stasi-Attentat auf Welsch, er überlebte durch glückliche Umstände.

Wer war für die Spionage zuständig?

Am 25. Juni 1963 besuchte US-Präsident John F. Kennedy Frankfurt am Main. Unter den Fotografen (markiert) der Perspektivagent der Stasi, Günther Guillaume, damals zunächst in der südhessischen SPD aktiv. 1972 bis 1974 war er persönlicher Referent von Bundeskanzler Willy Brandt, seine Enttarnung führte zu dessen Sturz. Das Bild mit Kennedy beschaffte die Stasi für Guillaumes Autobiographie in der DDR. (© BStU, MfS, ZAIG, Fo-0544, Bild 0018)

Für die Spionage im Westen war überwiegend das MfS zuständig. Das Ministerium verfügte mit seinen 91.015 hauptamtlichen Mitarbeitern über beinahe zwei Dutzend Diensteinheiten in der Zentrale in Ostberlin, die jeweils mit bestimmten Aufgaben vertraut waren, etwa die Beobachtung bei der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei oder der Volkswirtschaft. Das bildete sich auch in den fünf Ländern der DDR ab, die in 15 Bezirke untergliedert waren, sowie in den 211 Kreisdienststellen. Nahezu jede dieser Diensteinheiten war in dieser oder jener Form in die Spionage involviert – war auf der Suche nach geeigneten Bürgern, die in der Bundesrepublik spionieren sollten. Neben diesen gab es auch eine eigene große Diensteinheit mit rund 4.600 Hauptamtlichen, die ausschließlich Spionage betrieb. Sie hieß Hauptverwaltung A (HV A) und sollte schon im Namen an die 1. Hauptverwaltung der sowjetischen Geheimpolizei KGB erinnern. Ihr jahrzehntelanger Chef und zugleich Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit war Markus Wolf, dem zuletzt für drei Jahre Werner Großmann folgte. Diese HV A hatte in jeder Bezirksstadt eine Filiale, die intern jeweils Abteilung XV genannt wurde, sowie in jeder Kreisdienststelle mindestens einen Ansprechpartner, den man Offizier für Aufklärung nannte. Die Spionageziele gab einerseits die Staatspartei der DDR vor, andererseits der KGB, der wichtigste und größte Abnehmer der spionierten Informationen.

Neben dieser HV A gab es noch einen kleineren Spionagedienst, der beim Ministerium für Nationale Verteidigung angesiedelt war und in den 1980er Jahren "Bereich Aufklärung" hieß. Der war auf militärische Fragen spezialisiert und verfügte mit Militärattachés in jeder DDR-Botschaft im Ausland über entsprechende Spezialisten. Sie waren Diplomaten und dass sie spionierten, wussten alle. Das war bei denen, die heimlich für den "Bereich Aufklärung" tätig waren, schon anders. Die hießen intern "Agenturische Mitarbeiter".

Wo wurde spioniert?

Die DDR-Spionage hatte das "Operationsgebiet", wie der Westen ganz allgemein genannt wurde, aufgeteilt wie einen Kuchen. Insbesondere die HV A hat jeder Diensteinheit eine bestimmte Institution, ein oder mehrere Unternehmen, ein Bundesland oder eine Partei zugewiesen. So war beispielsweise die Filiale der HV A in Leipzig für Nordrhein-Westfalen zuständig, die Abteilung I für das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, die Abteilung II für Parteien und die Abteilung XIII für Energie, Biologie und Chemie. Mit West-Berlin waren beispielsweise neben der Ostberliner Filiale der HV A auch andere Diensteinheiten befasst. Diese Aufteilung gab es auch für die universitären Einrichtungen – faktisch geheimpolizeiliche Patenschaften. Leipzig war auf die Westfälische-Wilhelms-Universität in Münster fixiert. So zumindest war es geplant.

Ein auffälliger Schwerpunkt bildete für die HV A das Bundesland Nordrhein-Westfalen, dort war rund ein Viertel der HV A-Agenten aktiv, knapp ebenso viele in West-Berlin. Das geringste Interesse bestand offenbar an Institutionen im Saarland, wo es gerade einmal ein Prozent der Agenten der HV A hingezogen hat.

Die meisten Agenten waren auf Wissenschaft und Technik spezialisiert. Ihr Anteil betrug laut Stasi-Statistiken 39 Prozent. In Verwaltungen von Ministerien und in den Parteien waren zuletzt jeweils 19 Prozent aktiv. In militärischen Einrichtungen waren es mit acht Prozent schon deutlich weniger und im Bundesministerium des Innern, nachgeordneten Behörden sowie bei Polizei und Nachrichtendiensten gerade einmal fünf Prozent. Demnach waren in der Industrie und an den Universitäten die meisten DDR-Agenten tätig.

Entwurf eines Stasi-Mitarbeiters für eine versteckte Kamera, die beim Einsatz im Westen heimlich aus einem Plastebeutel Fotos schießen soll. (© BStU)

Aber nicht nur die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin gehörten zum "Operationsgebiet" des MfS, sondern auch eine Reihe Länder in Westeuropa und auch den USA. Der bekannteste eingeschleuste Agent der HV A in den Vereinigten Staaten war Eberhard Lüttich, der unter einer anderen Identität einige Jahre aktiv war. In anderen Ländern, etwa Sansibar, Angola oder Libyen, unterstützte das MfS die Regierung teils im Aufbau sozialer Projekte, teils bei der Ausbildung von Geheimdienstlern. Besonders intensiv wurde mit den Diensten in "sozialistischen Bruderländern" kooperiert (siehe Kasten am Ende).

Wer spionierte?

Um Agent der DDR-Spionage zu werden, kam ein jeder in Frage. Entweder war eine Person schon an einer Stelle tätig, von der das MfS glaubte, an interessante Geheimnisse oder Informationen kommen zu können, oder aber es handelte sich um Studenten, auf die vielleicht noch Einfluss hinsichtlich ihres Studienfaches, mindestens aber auf die spätere Berufswahl genommen werden konnte. Zu einer Berufsgruppe, die einen auffällig hohen Anteil an Agenten hatten, zählten Sekretärinnen, die oftmals länger in einer Institution blieben als der Vorgesetzte, und Journalisten, die berufsbedingt Informationen sammelten. In manch einem Vorzimmer eines Minister oder eines Generalsekretärs einer Partei saß eine Sekretärin im Auftrag der HV A, wie etwa Johanna Olbrich, die unter der Identität einer Sonja Lüneburg bei der FDP angestellt war – und den Decknamen "Anna" führte. Im Zeitraum von 1949 bis 1987 wurden 58 Sekretärinnen in der Bundesrepublik durch die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes enttarnt. Viele von ihnen wurden verhaftet und teilweise zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Zu den HV A-Informanten zählte beispielsweise auch ein Mitarbeiter in einer Geheimschutzabteilung im Planungsstab des Verteidigungsministeriums mit dem Decknamen "Aurikel", über dessen Schreibtisch nahezu alle wichtigen Ministervorlagen, Strategiepapiere und Auswertungen der Bundeswehr gingen, oder um eine Angestellte der SPD-Bundestagsfraktion mit Decknamen "Petra", die Zugriff auf interne Unterlagen hatte. In der Regel waren dies unauffällige Perspektivagenten. Manch einer schaffte es bis ins Bundeskanzleramt. So Günter Guillaume, ein Referent von Bundeskanzler Willy Brandt, der unter dem Decknamen "Hansen" für die HV A arbeitete, seine Ehefrau Christel warb das MfS ebenfalls an. Guillaumes Verhaftung am 24. April 1974 gilt oftmals als Grund für Brandts Rücktritt zwei Wochen später. Guillaume hatte seine Karriere in Frankfurt/Main als Parteijournalist, dann als Funktionär der SPD Hessen-Süd begonnen und diente sich zielstrebig hoch. 1975 wurde Guillaume wegen Landesverrats zu dreizehn Jahren Haft verurteilt, kehrte aber 1981 im Rahmen eines Agentenaustauschs zurück in die DDR - als "Kundschafter des Friedens" geehrt.

Stasichef Erich Mielke (3.v.r.) mit verdienten Stasi-"Kundschaftern" im Saal der Volkskammer, darunter der frühere Kanzleramtsspion Günter Guillaume (r.) mit seiner Frau Christel (© BStU (MfS, ZAIG, Fo 0973, Bild 0027))

Die Stasi nahm auch direkten Einfluss auf bundesdeutsche Politik. Zumindest in einem Fall ist nachweisbar, dass die HV A hinter einer Bestechung des CDU-Bundestagsabgeordneten Julius Steiner stand, der sich für 50.000 DM aus Kassen des MfS beim Misstrauensvotum 1972 gegen Brandt seiner Stimme enthalten hat; das half Brandt im Amt zu bleiben. Brandt erhielt noch eine zweite, möglicherweise vom MfS gekaufte Stimme aus den Reihen der Opposition, um die sich Mythen ranken. Abgeordnete aus FDP und CSU gerieten in Verdacht.

Selbst in der NATO verfügte die HV A mit Rainer Rupp über eine Quelle, die unter dem Decknamen "Topas" denkbar wertvolle, militärstrategische Unterlagen besorgte, darunter Dokumente mit dem höchsten Geheimhaltungsgrad "Cosmic top secret". Die Stasi hatte Rupp als Student 1968 in Mainz am Rande einer Demonstration gegen die Notstandsgesetze kontaktiert und später angeworben. Auf seinen Decknamen stießen Ermittler zwar früh, aber erst in Auswertung verfilmter Karteikarten der HV A, Rosenholz genannt, konnte im Frühjahr 1993 seine Identität aufgedeckt werden. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte ihn zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe wegen schweren Landesverrats, der im Kriegsfalle "verheerend und kriegsentscheidend" hätte sein können.

All diese Agenten beschafften vor allem geheime Informationen, die regelmäßig sonst nicht anders zu bekommen waren, zumindest nirgends öffentlich nachzulesen waren. Manch einer wie Karl-Heinz Glocke (Deckname "Bronze"), Personalchef beim Energieriesen RWE, war auf mehreren Feldern aktiv. So beschaffte er teils Informationen aus dem Unternehmen, teils bei seinem politischen Engagement, als er den Wahlkampf eines CDU-Abgeordneten mit organisierte.

Das konspirative Netz der DDR-Spionage war eng geknüpft. Nach Schätzungen waren zuletzt 3.000 bis 3.500 Bundesbürger Agenten, sicher jedoch darunter 1.553 allein in Diensten der HV A. Hinzu kommen jene, die nicht ahnten, dass sie der DDR-Spionage bereitwillig Informationen gaben, weil sie im guten Glauben waren, sich mit Freunden vertraulich auszutauschen, die insgeheim Agenten waren. Im Übrigen war Spionage für die DDR Männersache – nur gut 27 Prozent waren Frauen.

Warum spionierten Bürger für die DDR?

Wer für eine fremde Macht spionierte, ging ein hohes Risiko für den Fall ein, er oder sie wurde entdeckt. Denn es handelt sich dabei um eine Straftat, die auch mit Gefängnis bestraft werden kann. Wenn sogar Landesvorrat vorlag, man also besonders geheime Unterlagen verraten hatte, musste mit fünf Jahren oder mehr mit Gefängnis rechnen. Warum spionierten dennoch so viele für die DDR?

Zunächst muss man von einer gewissen erlernten Verführungskunst der Führungsoffiziere ausgehen. Führungsoffiziere waren jene, die Agenten warben und führten. Die hatten nach folgendem Schema vorzugehen, wie es in einer Schulungsunterlage aus dem Jahre 1987 hieß:

  1. "Die Suche nach dem Punkt der möglichen Übereinstimmung;

  2. zu klären, inwieweit diese Übereinstimmung ausreichend und tragfähig ist für die Bereitschaft zur operativen Handlung;

  3. zu klären, ob und wie sich diese Übereinstimmung ausbauen bzw. erweitern lässt;

  4. die Berücksichtigung des Grades der Manipulierung."

Diverse Untersuchungen gelangen zu dem Ergebnis, dass etwa zwei Drittel der Agenten aus ideellen Motiven handelten. Sie begrüßten grundsätzlich die Idee des "Sozialismus in den Farben der DDR", befanden sich im Einklang mit deren theoretischen Grundlagen, die sie von den Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels ableiteten. Zu diesen Motiven zählte auch das Interesse an einem militärischen Gleichgewicht etwa im Kontext der Stationierung von Mittelstreckenraketen. Mit den Worten der Stasi: "Friedensliebe, die Solidarität mit unterdrückten Völkern, Patriotismus, bürgerlich-demokratische und humanistische Bestrebungen und Absichten". Werbungen aus ideellen Motiven waren "meist" mit materiellen und persönlichen Interessen verbunden. Dabei machte sich die DDR-Spionage Schulden und materielle Schwierigkeiten von Bürgern zu nutzen, zum anderen schuf sie "materielle Abhängigkeiten".

Das galt durchaus als "wichtige Triebfeder". Schließlich konnten auch Bürger zur Zusammenarbeit erpresst werden, was aber eher selten vorkam, denn solche Verbindungen bargen ein hohes Risiko der Instabilität. In der Regel handelte es sich dann um die Ausnutzung "bekanntgewordener, der Öffentlichkeit, Vorgesetzten, Verwandten aber unbekannter Umstände aus dem Leben der Personen, deren Bekanntwerden die berufliche oder gesellschaftliche Stellung dieser Menschen schwer schädigen oder unmöglich machen kann." Man dachte dabei an Gesetzesübertretungen, Steuerhinterziehung, Unterschlagen oder "schwerwiegende moralische Affären". Mitunter wurden diese künstlich herbeigeführt, um ein "nötiges Abhängigkeitsverhältnis" zu schaffen.

Chiffrierte Nachricht an den Westberliner Stasiagenten Kurras den Kontakt abzubrechen, nachdem er im Einsatz als Polizist bei einer Demonstration den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hat. (© BStU / Kulick)

Was brachte die Spionage?

Mit Hilfe der von der DDR-Spionage besorgten Informationen sollte die Staatspartei und die diversen Institutionen in die Lage versetzt werden, zu wissen, was geschieht – gleich, ob politisch, militärisch oder wissenschaftlich. Doch nicht nur Wirtschaftsunternehmungen, Fachtagungen, Polizeidienststellen, Parteibüros, extremistische Gruppierungen oder Militäreinrichtungen wurden ausgeforscht. Die Ergebnisse wirken auch im Nachhinein verblüffend: Mit Hilfe von nur wenigen Agenten gelang es, einen intimen Einblick in die militärische Lage und Absichten der NATO, zu Planungen des Bundesministeriums der Verteidigung sowie zu Forschungen und Versuchen auf dem Gebiet der Rüstung in Firmen wie MBB oder IABF zu gewinnen. Die westliche Verteidigung war für die DDR-Spionage und deren Hauptnutznießer, die Sowjetunion, ein offenes Buch – trotz vielfacher Geheimhaltungsbemühungen. Überdies gelang es den östlichen Diensten, das Wissen des Westens über die militärische Lage im Osten ebenso zu beschaffen, wie delikate Erkenntnisse über die Abhörpraxis und deren Ziele, die von der gigantischen Anlage auf dem Berliner Teufelsberg organisiert wurden. Durch eine einzige dort platzierte Quelle lag dem Ministerium in Ostberlin der Katalog von amerikanischer Seite abgehörter Anschlüsse vor, auch der in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn.

Beinahe von Anbeginn der DDR nutzte die DDR-Spionage wie auch andere Diensteinheiten des MfS eigens geschaffene oder bestehende Firmen dazu, Bestimmungen zu umgehen, die den Export bestimmter Güter untersagten (Handelsembargo). Einige Berühmtheit erlangte dabei der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo). Dieses feingliedrige, schwer zu durchschauende Netz an Firmen organisierte einerseits bald planmäßig den illegalen Import von begehrten Rohstoffen, Techniken, aber auch schlicht Alltagsartikel und versuchte andererseits, Devisen zu erwirtschaften. Auftragsziel war es, für den stets klammen Staat DDR Gelder zu gewinnen, um Engpässe zu verringern. Zu all dem gelang es auch Händler im Westen zu gewinnen, die halfen Handelsembargos zu umgehen.

Anti-DDR-Proteste wurden dokumentiert und vermeintliche Fluchthelfer ("Menschenhändler") oder ehemalige DDR-Bürger blieben im Visier der Stasi, seien es geflüchtete Sportler, Künstler oder desertierte Grenzsoldaten. In diesem Zusammenhang vermochte es die DDR-Spionage auch, Einblicke in interne Abläufe selbst terroristischer Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen, gleich ob links- oder rechtsextremistisch. Auch in diesen Milieus rekrutierte sie Quellen. Beispielsweise war der Staatssicherheitsdienst der SED bestens über den Anschlag auf die Diskothek La Belle 1986 in West-Berlin unterrichtet, und durch die verheimlichte Aufnahme von ausgestiegenen Aktivisten der linksterroristischen Roten Armeefraktion (RAF) mitunter weit besser informiert als westdeutsche Ermittlungsbehörden, in denen gleichfalls Quellen des MfS Auskunft über deren Kenntnisstand gaben.

Der langjährige Chef der DDR-Auslandsspionage, Markus Wolf, als Demonstrationsredner am 4.11.1989 in Ostberlin. Das MfS-Bild wurde zur Vorvernichtung von der Stasi zerrissen und später in der Stasi-Unterlagen-Behörde rekonstruiert. (© BStU, MfS, HA XX/Fo/1379/Bild 18)

Unbeschadet der vielgestaltigen Spionageaktivititäten der DDR steuerte die SED nicht unwesentlich auch politische Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei oder deren Jugendorganisation. Die Nachrichtendienste der DDR waren daran nur am Rande beteiligt, etwa durch die Ausbildung paramilitärischer Einheiten, die geheim unter dem Dach der DKP bestanden, oder indem der DKP nahe stehende Verlage zu Zwecken der Desinformation nachrichtendienstlich präparierte Schriften publizierten. Insbesondere war damit der Versuch verbunden, ideologisches Rüstzeug für die in den 1980er Jahren beachtenswerte Friedensbewegung einzuspeisen. Diese Bewegung genoss im östlichen Staatenverbund einen unerhört hohen Stellenwert, weil sie als Instrument geeignet erschien, die westliche Aufrüstung zu vereiteln. Das gelang zwar nicht, erzeugte gleichwohl erhebliche Wirkung auf Meinungen in Teilen der Friedensbewegung.

In der Tat erlaubten die Erkenntnisse des MfS tiefe Einblicke, in das, was im Westen vor sich ging. Nur wurde diese in der Regel durch eine Ideologiebrille betrachtet, eben aus marxistisch-leninistischer Sicht, sodass – wenn von Wissenschaft und Technik abgesehen wird – ideologische Wahrnehmungsmuster den Gehalt vieler Informationen überlagerten. Mithin wurden die aufbereiteten Erkenntnisse ideologisch getränkt und der durch ein starres Feindbild geprägte Spionageblick versperrte eine klare Sicht und Analyse. Für das MfS sollten all die operativ beschafften Informationen dazu dienen, das Macht-System der SED-Diktatur zu stabilisieren und den "Klassenfeind" zu schwächen. Doch das DDR-Agentennetz war insgesamt zu schwach, um die Bundesrepublik zu unterwandern, geschweige, sie aus den Angeln zu heben.

Den Agenten selbst mochte das Gefühl eigen sein, als im Auftrag der DDR tätige "Kundschafter des Friedens" gewirkt zu haben. Nur wurden über die Jahrzehnte hinweg immer wieder MfS-Agenten enttarnt, nach der Herbstrevolution 1989 beinahe alle. Das bedeutete für sie regelmäßig den Verlust des Arbeitsplatzes, oftmals Unverständnis der eigenen Kinder (die nichts von ihrem Doppelleben ahnten), Geld- oder Haftstrafen. Nicht wenige fragen sich, ob sich ihr persönliches Risiko gelohnt hat. Denn sie spionierten, um dem DDR-Sozialismus eine Zukunft zu geben und die SED-Diktatur zu schützen. Doch die ging trotz ihrer aufwändigen Spionage unter.

Abhörstationen auf Kuba und Waffen für die KP von El Salvador

Mit ihrer Spionagetechnik war die Stasi nicht nur in der Bundesrepublik und West-Berlin erfolgreich, wo ihr zeitweise sogar die Funkkontrolle der US-Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg gelang. In Kooperation mit dem KGB und den Geheimdiensten aus sozialistischen Bruderländern wurden auch über Deutschlands Grenzen hinaus gemeinsame Spionageprojekte entwickelt und sich regelmäßig beraten.

Auch dies war ein Teil der MfS-Auslandstätigkeit: die Kooperation mit befreundeten Geheimpolizeien und deren Ausbildung. Stasi-Rapport über syrische Delegation zu Gast im DDR-Innenministerium und MfS aus dem März 1989 (© BStU)

Besonders intensiv verlief die Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst Kubas. Interner Link: Aktion "Königspalme" hieß ein kubanischer Abhörstützpunkt des MfS, 1985 versteckt in Sichtweise der US-Flottenbasis Guantanamo. Von dem mittelamerikanischen Inselstaat aus gelang es auch, unter dem Codewort "Pyramide" Satellitenverbindungen der USA abzuschöpfen, angezapft wurden die Satellitensysteme Marisat der Navy und Intelsat. Auch eine Zusammenarbeit mit dem irakischen und syrischen Sicherheitsdienst findet in den MfS-Akten Erwähnung. Ebenso wird die Ausbildung von "kubanischen Abwehrtechnikern" erwähnt, der Bau eines EDV-System in Angola und getarnte "Solidaritätslieferungen" mit operativer Technik, sei es nach Afghanistan, Angola, Äthiopien, Nord Korea, El Slvador, Nicaragua und Vietnam. Weitere Kooperationen außerhalb Europas sind mit dem Jemen, Laos und Tansania verzeichnet. Ausgebildet wurden auch Passkontrolleinheiten, beispielsweise in Nicaragua, Mosambique und auf Kuba.

Wichtig ist der HV A die Unterstützung "junger Nationalstaaten" und ihrer Regierungen bzw. Befreiungsorganisationen. MFS-Dokumente halten in diesem Kontext auch getarnte Waffenlieferungen "im Rahmen der Aktion Freundschaft und Solidarität" an Partnerdienste fest. In einem Dokument "MfS Abt. BCD 2803" werden beispielsweise die Lieferungen von Waffen und Munition an C (das Kürzel für den Jemen), I (das Kürzel für Mocambique), M (Äthiopien), O (Nikaragua), K (Angola) und T (nicht entschlüsselt) erwähnt. Und Dokument "MfS Abt. BCD 2804" dokumentiert die "Bereitstellung von 20 Klein-MPI" - sie gingen an "die Leitung der KP El Salvadors",

Auch die MfS Abt. Finanzen (Akte 1419) dokumentiert solche geheimen Lieferungen, z.B.1977 an Äthiopien (in Höhe von 150.000 Dollar) und an die "lybische Arabische Armee" (in Höhe von 337,5 Tausend US-Dollar). Auch eine Lieferung vom 30.11.77 wird erwähnt. Sie erfolgte unter "legendierter Rechnungslegung" durch das Ministerium für Außenhandel der DDR. Laut BStU-Auswertern geht es um eine Summe in Höhe von 1,1 Millionen Mark "für die Bereitstellung von Waffen und Munition" und weiteren 540.000 für Nachrichtentechnik. Für den Transport war seinerzeit eine Chartermaschine IL B der Interflug nach Äthiopien vorgesehen - "mit zusätzlichem Platz für 20 Passagiere" nach Aden und Addis Abeba. Nicht auszuschließen, dass dies MfS-Militärberater waren. (H.Kulick).

Mehr zum Thema - mit ausführlichen Stasi-Akten:

- Interner Link: Die Stasi auf Kuba - Interner Link: Waffenhilfe für Syrien

Der Politologe Helmut Müller-Enbergs ist seit 1992 wissenschaftlicher Referent beim Externer Link: Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und seit 2009 Gastprofessor an der an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Externer Link: Syddansk Universitet in Odense (Dänemark). Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Grundlagenforschungen zu Externer Link: Inoffizielle Mitarbeitern und der Externer Link: Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) des MfS sowie zu Spionage und Nachrichtendienstpsychologie. Zu seinem Grundlagenwerk gehören: Externer Link: Hauptverwaltung A (HV A), (Hrsg. von der BStU) Berlin 2011 sowie die dreibändige Reihe „Inoffizielle Mitarbeiter des MfS“ (BStU & Links-Verlag) Berlin 2007 und zahlreiche Fachaufsätze zum Thema Staatssicherheit. Zuletzt ist das Buch Externer Link: Spione und Nachrichtenhändler (2016) bei Ch. Links erschienen.