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Vom Feind zum Freund? Der CSU-Politiker Franz Josef Strauß | Stasi | bpb.de

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Vom Feind zum Freund? Der CSU-Politiker Franz Josef Strauß

Dr. Jochen Staadt

/ 11 Minuten zu lesen

Bundespolitiker, die Kritik an der DDR übten, waren ein besonderes Ziel von DDR-Propaganda und Stasi. Den CSU-Politiker Franz Josef Strauß gewann die SED-Führung aber am Ende zu einem Partner, der ihr einen Milliardenkredit vermittelte. Eingefädelt von einem Stasi-Mann.

Deutsch-deutsche Begegnung in einem Gästehaus der SED bei der Leipziger Frühjahrsmesse 1987 – von links: Stasi-Mann Alexander Schalck-Golodkowski, Gerold Tandler (CSU), Günter Mittag (SED), Franz Josef Strauß (CSU), Theo Waigel (CSU) und der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker. (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0226-315 / Mittelstädt, Rainer / CC-BY-SA 3.0)

Deutsch-deutsche Begegnung in einem Gästehaus der SED bei der Leipziger Frühjahrsmesse 1987 – von links: Stasi-Mann Alexander Schalck-Golodkowski, Gerold Tandler (CSU), Günter Mittag (SED), Franz Josef Strauß (CSU), Theo Waigel (CSU) und der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker. Über drei Jahrzehnte galt der CSU-Politiker Franz Josef Strauß der SED als der am meisten reaktionäre Politiker im Westen und als der gefährlichste Feind der DDR. In seinen zahlreichen Ämtern – Strauß gehörte als Minister seit 1953 mehreren Kabinetten Konrad Adenauers an – profilierte er sich immer wieder als scharfer Antikommunist und Gegner des SED-Regimes. Zugleich pflasterten politische Skandale seine politische Laufbahn, die es dem DDR-Staatssicherheitsdienst später erleichterten, dem CSU-Politiker weitere Verfehlungen unterzuschieben.

Am 1. September 1962 machte das Neue Deutschland auf seiner Titelseite mit der Schlagzeile auf: "Internationale Pressekonferenz des Nationalrates: Im NATO-Stützpunkt residiert die Unmenschlichkeit. Prof. Albert Norden beweist: Strauß und Brandt haben sich mit der SS verbündet / Kommandeur der Westberliner Schutzpolizei - ein Massenmörder / Besatzungsmächte gewähren Schutz". Das Blatt zitierte den Propagandachef der SED Albert Norden mit den Worten: "Bonns Kriegsminister Strauß und Frontstadtchef Brandt haben den Stoßtrupp aller Hitlerschen Verbrechen, die SS, zu einer Hauptstütze ihrer Revanchepolitik befördert. Eichmanns Judenmörder sollen und wollen in Westberlin einen weltweiten Konflikt auslösen."

Seinerzeit herrschte Kalter Krieg und seit dem Mauerbau 1961 hatte sich die gegenseitige Feindpropaganda hochgeschaukelt. Auf besagter Ostberliner Pressekonferenz am 31. August 1962 war eine Broschüre des „Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland“ verbreitet worden, die den reißerischen Titel trug: "Strauß und Brandt organisieren die SS-Drahtzieher. Revanchehetze um Westberlin". Die Stoßrichtung der Agitationsbroschüre bestand vor allem in der Rechtfertigung der ein Jahr zuvor gebauten Mauer als "antifaschistischem Schutzwall" gegen eine angeblich von SA und SS durchdrungene West-Berliner Polizei. Am 2. September 1962 legte das Neue Deutschland noch einmal nach. Unter der Überschrift "SS-Banditen sollen Ultras retten", hieß es: "Aus der Leibstandarte 'Adolf Hitler' ist heute die Leibstandarte 'Franz Josef Strauß' und 'Willy Brandt' geworden." Strauß habe zu verantworten, dass unmittelbar vor dem 13. August 1961 "der Plan für den militärischen Angriff auf die DDR fix und fertig war".

Propagandafeldzüge anfangs von SED

Bis Mitte der sechziger Jahre lag die Federführung für solche Propaganda- und Desinformation gegen westdeutsche Politiker in den Händen der Westabteilung des SED-Zentralkomitees. Danach zog der Staatssicherheitsdienst Zug um Zug die Kampagnenführung an sich und versuchte auch Westjournalisten dafür zu instrumentalisieren. So spielte die Stasi angeblich echtes Nazi-Schriftgut der Hamburger Illustrierten Stern zu, um den damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke auf der Grundlage präparierter Dokumente als "KZ-Baumeister" zu diskreditieren. Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger sollte zum einflussreichen NSDAP-Mitglied stilisiert werden und Herbert Wehner, Minister für gesamtdeutsche Fragen in der CDU/CSU/SPD-Koalition, durch falsche Zeugenaussagen über seine schwedischen Emigrationsjahre zum Gestapo-Kollaborateur gemacht werden.

Allerdings lag die SED-Propaganda in der NSDAP-Frage nicht ganz schief. Anlässlich der öffentlichen Präsentation des "Braunbuches" über "Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und Westberlin" sagte der SED-Propagandachef Albert Norden auf einer weiteren internationalen Pressekonferenz am 2. Juli 1965, es seien noch 1.350 "Blutrichter" aus der Nazizeit in der westdeutschen Justiz tätig. Die DDR habe die Namen übermittelt und die Verantwortung für 1.580 Todesurteile nachgewiesen. Das "Braunbuch" enthalte weitere 1.800 Namen von schwer belasteten Kriegsverbrechern, die heute im westdeutschen Staat bzw. in der Wirtschaft an verantwortlichen Stellen beschäftigt seien. Darunter 21 Minister und Staatssekretäre, 100 Generale und Admirale, 828 hohe Justizbeamte, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes und der Bonner Botschaften und Konsulate, 297 mittlere und hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes. Obwohl auch das "Braunbuch" gefälschtes Material enthielt, traf ein erheblicher Teil der darin aufgeführten Beschuldigungen zu. Denn tatsächlich waren in westdeutschen Institutionen zu dieser Zeit noch immer zahlreiche Personen beschäftigt, die durch ihre nationalsozialistische Vergangenheit schwer belastet waren.

Die SED hielt allerdings geflissentlich geheim, dass es auch in ihren Reihen zahlreiche ehemalige Nazis gab. Sogar den diversen Zentralkomitees der SED gehörten insgesamt 27 ehemalige NSDAP-Mitglieder an und summa summarum acht DDR-Minister und neun stellvertretende Minister waren vor 1945 Parteigenossen der Hitlerpartei, darunter mit Herbert Weiz und Hans Reichelt zwei stellvertretende DDR-Ministerratsvorsitzende.

Seit 1970 Stasi-Focus auf Strauß

Auch gegen Franz Josef Strauß sammelte der DDR-Staatssicherheit seit 1970 alles, was zu seiner Diskreditierung nutzbar sein könnte. MfS-Minister Erich Mielke forderte im Juli persönlich von seiner Hauptabteilung X/11, zuständig für Nazi-Verbrechen, Material über die Militär- und Jugendzeit von Strauß an und über "Hitler- und Bundeswehrgenerale", die mit Strauß bekannt waren.

Strauß gehörte 1970 zu den schärfsten Kritikern der Neuen Ostpolitik Willy Brandts und erschien deswegen der SED und dem MfS besonders gefährlich. Doch es gelang dem MfS nicht, Material gegen Franz Josef Strauß aufzufinden, mit dem er als Nazi-Verbrecher angeprangert werden konnte. Allerdings gelang dem DDR-Staatssicherheitsdienst im damaligen Streit um die Entspannungspolitik der sozialliberalen SPD-FDP-Koalition der wohl nachhaltigste Erfolg im Kampf gegen Franz Josef Strauß und seine CSU. Durch die Bestechung eines CDU- und eines CSU-Abgeordneten sicherte die Stasi beim konstruktiven Misstrauensvotum der CDU/CSU am 27. April 1972 Bundeskanzler Willy Brandt eine Mehrheit. Dem christdemokratischen Kanzlerkandidaten Rainer Barzel fehlten genau diese beiden Stimmen der vom Staatssicherheitsdienst bestochenen Abgeordneten, um selbst Bundeskanzler zu werden und Willy Brandt abzulösen. Franz Josef Strauß konnte nicht, wie vorgesehen, Finanzminister der Regierung Barzel werden.

Doch auch als Ministerpräsident Bayerns blieb Strauß dem SED-Regime ein Dorn im Auge, weil er immer wieder öffentlich das DDR-Grenzregime anprangerte und die Bundesregierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt wegen ihrer zurückhaltenden Politik gegenüber der DDR kritisierte. Außerdem löste der eigenwillige Bayer 1975 schwere außenpolitische Befürchtungen in der sowjetischen Führung aus, weil ihn der chinesische Parteichef Mao Zedong als ersten westdeutschen Politiker zu einem Gespräch in Peking empfing. Die Bekämpfung von Strauß blieb somit eine wichtige Aufgabe des DDR-Staatssicherheitsdienstes.

Gezielte Verleumdungskampagnen

Im Zuge der Vorbereitung seiner für den 9. und 10. September 1982 geplanten Gespräche mit der KGB-Führung ließ sich Minister Erich Mielke eine Liste der Erfolge seiner Desinformationsabteilung zusammenstellen. Er wollte in Moskau insbesondere auf das "Ergebnis gemeinsamer aktiver Maßnahmen" hinweisen, die den "weiter voranschreitende Differenzierungsprozeß in der SPD, FDP und CDU" verstärkt hätten. Diese "aktiven Maßnahmen" – darunter verstand die Stasi die Verbreitung von Verleumdungen zur Verunsicherung der westdeutschen Öffentlichkeit – "richteten sich gegen die zunehmend reaktionäre Politik rechter CDU/CSU- und FDP-Politiker wie Strauß, Genscher u.a. einerseits und unterstützten realistische Kräfte andererseits."

Gemeint war damit im Falle von Franz Josef Strauß seine Diffamierung als vermeintlichen Empfänger von Schmiergeldern des amerikanischen Rüstungskonzerns Lockheed. Durch ihre Telefonabhörmaßnahmen verfügte die Stasi über Mitschnitte von Telefonaten des bayrischen Ministerpräsidenten. Wie zwei frühere MfS-Offiziere nach dem Untergang der DDR enthüllten, reichten geringfügige Veränderungen in einem dieser Mitschnitte aus, um "Strauß in den Ruch der Bestechlichkeit geraten zu lassen". Die Stasileute hatten ihren manipulierten Text auf ein Formular getippt, das mit einem gefälschten Stempel des Bundesnachrichtendienstes versehen war und damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Als die Süddeutsche Zeitung, der die Stasi das Papier zugespielt hatte, die vermeintliche Sensation am 14. Januar 1978 veröffentlichte, echote in der westdeutschen Medienlandschaft nicht nur monatelang der Strauß-Lockheed-Skandal durch die Öffentlichkeit, sondern auch ein BND-Skandal wegen widerrechtlich abgehörter Telefonate des CSU-Chefs.

Strategischer Wandel im Jahr 1983

Fast über Nacht wurde 1983 dann aus dem bayrischen Feind ein bayrischer Freund. Noch im Mai 1982 hatte der Stasi-Oberst, Wirtschaftsstaatssekretär und Offizier im besonderen Einsatz (OibE) der Stasi-Arbeitsgruppe "Bereich Kommerzielle Koordinierung" (AG BKK), Alexander Schalck-Golodkowski, ein Grundsatzpapier zur Frage angeblicher Schulden der Bundesrepublik gegenüber der DDR verfasst. Darin fungierte Franz Josef Strauß noch als böser Bube. Man habe zu Zeiten der offenen Grenze, vom Westen aus versucht, "eine Situation zu schaffen, die es ermöglichen sollte, durch eine Polizeiaktion die sozialistische Gesellschaftsordnung in der DDR zu beseitigen und den Anschluß an die BRD zu erreichen. So forderte der damalige Bundesverteidigungsminister Josef Strauß am 18. 6. 1961 offen vor Mitgliedern der CDU/CSU und Offizieren der Bundeswehr die Liquidierung der DDR und der sozialistischen Gesellschaftsordnung", notierte Schalck-Golodkowski seinerzeit.

Ein Jahr später gehörte Strauß nach Schalcks Bekundungen zu den "besonders realistischen Kräften" im Westen. Zu dieser Zeit begannen die zunächst hoch geheimen Gespräche zwischen dem DDR-Staatssekretär und Staatsicherheitsoffizier im besonderen Einsatz (OibE) Oberst Alexander Schalck und dem bayrischen Ministerpräsidenten, in denen es um einen möglichen Milliardenkredit zur Rettung der hoch verschuldeten DDR vor dem Staatsbankrott ging. Anfangs ließ sich Schalck konspirativ an einer der Grenzübergangsstellen zwischen Bayern und der DDR zu diesen Treffen abholen. Öffentlich werden sollten sie nicht.

In vielen Niederschriften der Gespräche werden keine Namen der Beteiligten genannt. So ließ Strauß durch seine Sekretärin telefonisch immer wieder "Mitteilungen an Gesprächspartner" übermitteln, die "mit freundlichen Grüßen. Ihr Gesprächspartner" endeten. Doch bei den geheimen Zusammenkünften, man traf sich heimlich im Gut des Strauß-Vertrauten und Großschlachters Josef März, bald aber auch im Privathaus von Franz Josef Strauß. Dort ging es binnen kurzem sehr vertraut zu. Strauß ließ Alexander Schalck dabei auch so manches über interne Vorgänge in der Regierung Kohl wissen, was der Verhandlungsposition der DDR-Seite zugute kam. Aber auch Franz Josef Strauß profitierte von der neuen Freundschaft mit dem Stasi-Oberst. Als Schalck ihn am 26. September 1983 besuchte und freundlichst von Erich Honecker grüßte, kündigte er bedeutungsvolle Informationen an. Strauß betonte seinerseits, es sei nicht leicht gewesen, die Ausreichung des Kredites an die DDR den wichtigsten politischen Kräften klar zu machen.

Geld gegen Publizität?

Schalck übergab Strauß eine Mitteilung, "die er unter seinem Namen und aus seiner Quelle öffentlich verwenden könnte". Die Erklärung lautete: "Am 25. Mai 1983 habe ich Sie im Auftrag des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, streng vertraulich und nur persönlich informiert, dass sich der Vorsitzende des Staatsrates der DDR ernsthafte Gedanken macht, die 'Selbstschussautomaten' abbauen zu lassen. Er teilte weiter mit, dass wenn das in der Presse erscheint, über dieses Thema nicht weiter nachgedacht werden kann. Es spricht für Herrn Ministerpräsidenten Strauß, dass bisher in der Öffentlichkeit der BRD diese Fragen nicht zur Diskussion gestellt wurden." Jetzt könne Strauß nach seinem Ermessen eine entsprechende Presseinformation lancieren und darin auf den Abbau der Selbstschussanlagen im thüringischen Raum, im Werra-Meißner-Kreis Eschwege verweisen. Weitere Demontagen seien nördlich des bayerischen Töpen im Kreis Hof vorgesehen.

Diesem Tempo des Wandels durch Annäherung an Franz Josef Strauß konnte nicht jedes linientreue SED-Mitglied folgen. So die Stasiinformantin "Inge Stark", tätig beim Sender Rostock, SED-Mitglied und seit 1980 Redaktionsleiterin Publizistik. Sie berichtete am 3. November 1983 ihrem MfS-Führungsoffizier, es falle vielen Kollegen schwer, den Besuch von Strauß bei Honecker am 24. Juli richtig einzuordnen, ebenso sorge der damals möglich gewordenen Auftritt von Udo Lindenberg im Palast der Republik für Kopfzerbrechen. Diese Leute seien doch "immer als Klassenfeinde" dargestellt worden. Der SED-Führung ging es aber in dieser Zeit längst nicht mehr um Klassenkampf sondern um den Kampf gegen ihre leeren Kassen. Dafür nahm sie in Kauf, wie Alexander Schalck-Goldkowski es Erich Honecker unter vier Augen erläuterte, dass Strauß strategisch mit dem Milliardenkredit die "Offenhaltung der deutschen Frage" verfolge.

Unterschrift Alexander Schalck-Golodkowski unter einer Nachricht des hochrangigen Stasimannes direkt an die SED-Führung über ein Gespräch mit Franz-Josef Strauß1985. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)

Nur wenige Monate nach dem ersten Großkredit begannen die Gespräche über einen zweite Milliarde für die DDR. Schalck erläuterte der SED-Führung, warum auch dieser Kredit wiederum mit Strauß zu verhandeln sei: "Ministerpräsident Franz Josef Strauß bietet für uns die größere Garantie als Kohl, um diese realistische Politik weiterzuführen." In seinen Verhandlungen mit Schalck sorgte Franz Josef Strauß ganz nebenbei für zahlreiche lukrative Gegengeschäfte. Die DDR bezog aus Bayern Maschinen und Elektrotechnik, Textilien, chemische Erzeugnisse und Lebensmittel. Die Verträge der DDR mit bayrischen Konzernen und mittelständische Betrieben überschritten noch zu Lebzeiten von Franz Josef Strauß die Größenordnung von einer halben Milliarde.

Mitunter kamen bayrische Firmen im Handel mit der DDR auch dann zum Zuge, wenn ihr Angebot nicht zur ersten Wahl gehörte. So geschehen im Fall einer Vertragsverhandlung über Spezialtechnik mit der Münchener Linde AG. Am 27. August 1985 bedankte sich deren Vorstandsvorsitzender Hans Meinhardt bei der bayrischen Staatskanzlei vorab für die Hilfe von Franz Josef Strauß.

Eine Woche später gab Schalck am 4. September 1985 um 12:25 Uhr der Sekretärin von Strauß eine telefonische "Mitteilung an Gesprächspartner" durch. Schalck teilte Strauß mit, "heute fallen Entscheidungen. Ohne unser Eingreifen wären sie sicherlich nicht zugunsten von Linde entschieden worden, weil sie, soweit man mich informiert hat, gegenüber der Konkurrenz die schlechteren Öfen hat." Der Anteil an dem Gesamtprojekt in Höhe von 300 Millionen werde für Linde ca. 25 - 30 % betragen.

Unionsinterna ausgeplaudert?

Das vertrauliche Beziehungsgeflecht zwischen Franz Josef Strauß und Alexander Schalck stabilisierte sich in den jahrelangen Geheimverhandlungen derart, dass Strauß seinem DDR-Gesprächspartner detailliert auch kontroverse Diskussionen aus Beratungen der Unionsparteien offenlegte. Schalck berichtete das fortlaufend der SED-Führung und Stasi-Minister Erich Mielke. So zuletzt im Mai 1988: Strauß habe ihm "mit der Bitte um äußerste Vertraulichkeit" die unterschiedlichen Standpunkte einer Strategiediskussion über die Politik gegenüber der DDR im Zehnerausschuss der CDU/CSU-Fraktion erläutert und Strauß habe am Ende der Unterredung betont, im friedlichen Wettstreit zwischen den Systemen müsse es der Geschichte vorbehalten bleiben, welches System nach 20 oder 30 Jahren gesiegt hat.

Das Ende des Systemwettstreits erlebte Franz Josef Strauß nicht, er starb am 3. Oktober 1988. Am 27. Oktober 1988 schrieb Alexander Schalck an "Genossen Minister Mielke. Lieber Genosse Minister! Vereinbarungsgemäß kam es am 27.10.1988 zu einer Begegnung mit dem Unternehmer Willi März. Er überbrachte im Auftrag von Tandler noch von Strauß unterschrieben Dokumente mit der Bitte um positive Prüfung. […] Die Stellung des Unternehmens März als gedeckte Finanzquelle der CSU bleibt unverändert."

Neben den wirtschaftlichen Übereinkünften mit der DDR blieben Franz Josef Strauß freilich auch die alltäglichen Probleme von DDR-Bürgern ein Herzensanliegen. Wie die meisten westdeutschen Politiker nutzte auch er seine Gespräche mit SED-Vertretern und Stasi-Mann Schalck, um Lösung in "humanitären Fragen" herbeizuführen. In einer Statistik des Ministeriums für Staatssicherheit belegt er zeitweise den ersten Platz. Demnach setzten sich im zweiten Halbjahr 1985 folgende westdeutsche Politiker mit Bitten für namentlich genannte DDR-Bürger ein, sei es weil sie inhaftiert waren oder übersiedeln wollten: Franz Josef Strauß mit 514 Anträgen, gefolgt von Hans-Jochen Vogel mit 218, Johannes Rau mit 129 Anträgen, Willy Brandt mit 109, Wolfgang Schäuble mit 80, Hans-Dietrich Genscher mit 34 und Oskar Lafontaine mit neun.

Auch im Falle dieser Gesuche spielte die Strauß-Schalck-Connection eine besondere Rolle. Darüber berichtet 1994 die ehemalige bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe in einem Untersuchungsausschussbericht über den Stasi Bereich Kommerzielle Koordinierung KoKo (S.68): "Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Strauß gegenüber Schalck seine guten Verbindungen mit dem BfV-Präsidenten Pfahls ins Gespräch gebracht hatte. Im März 1984 hatte Schalck-Golodkowski anlässlich eines Besuchs von Franz Josef-Strauß auf der Leipziger Messe auch dessen Büroleiter, den damaligen Ministerialdirigenten Dr. Pfahls kennen [gelernt]. Pfahls wurde 1985 zum Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt. Über eine diesbezügliche Mitteilung von Strauß notierte Schalck-Golodkowski: "Mit der Besetzung des Leiters des Amtes für Verfassungsschutz durch seinen ehemaligen Büroleiter Pfahls, glaubt er, dass manches auch auf diesem Gebiet (gemeint war die "Lösung von Häftlingsproblemen", Anm.d.Verf.) für ihn leichter wird. Pfahls untersteht dem Innenministerium. Seine persönlichen Beziehungen sind so ausgeprägt, dass er Möglichkeiten sieht, rechtzeitig auch über diesen Weg bestimmte Fragen zu beeinflussen... Pfahls ist bekannt und hat Strauß bei seinem Besuch in der DDR begleitet." So zitiert Köppe Schalck in einer Äußerung vom 18. November 1985.

Der Historiker Jochen Staadt ist leitender Wissenschaftler des Forschungsverbunds SED-Staat an der FU Berlin und Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen über das MfS.

Er hat jüngst die komplette Stasi-Akte über den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und über den bayerischen Milliardenkredit 1983 an die DDR gesichtet und leitet gegenwärtig ein Forschungsprojekt über die Stasi und ihre Todesschützen im Grenzregime der DDR.