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Kopien für die "Freunde": Die Verzahnung der Stasi mit dem KGB | Stasi | bpb.de

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Kopien für die "Freunde": Die Verzahnung der Stasi mit dem KGB

Walter Süß

/ 8 Minuten zu lesen

Viele Berichte der Stasi enthalten in ihrem Verteiler auch den Adressat "Freunde". Damit erhielt der KGB einen Durchschlag. Mit dem sowjetischen Geheimdienst war die Stasi von Anbeginn eng verbunden.

Stasifoto einer "Tscheka"-Jubiläumsfeier Ende 1977. Das MfS übernahm den sowjetischen Begriff "Tschekisten" als eigenen Identität. "Tschekistische" Arbeit hätten die Geheimdienstler zu leisten. (© BStU)

Nach dem Sieg der sowjetischen Armee über den deutschen Aggressor, der Besetzung Ostdeutschlands und der weitgehenden Zerschlagung des deutschen Staatsapparates folgte die Errichtung eines Besatzungsregimes. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) basierte auf dem sowjetischen Militärapparat und geheimdienstlichen Strukturen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) bzw. ab 1946 des Ministeriums für Staatssicherheit (MWD). Dabei musste sich die Besatzungsmacht der Unterstützung durch Teile der deutschen Verwaltung bedienen, die zuvor personell von nazistischen Elementen "gesäubert" und mit in dieser Beziehung als unbelastet geltenden Personen ergänzt wurden. Das galt auch für den Polizeiapparat, der wegen seiner Verstrickung mit dem NS-Terrorapparat fast vollständig neu aufgebaut werden sollte. Hier war politische Zuverlässigkeit, am besten belegt durch eine kommunistische Vergangenheit, das vorrangige Auswahlkriterium. Teile dieses Polizeiapparates, die ab 1947 als Abteilungen "K 5" bezeichnet wurden, unterstanden direkt dem sowjetischen Geheimdienst. Sie hatten als vorrangige Aufgabe alle anderen Teile des Staatsapparates (öffentliche Verwaltung, Justiz, Schulen, Universitäten usw.), die wieder entstehenden Parteien, die Gewerkschaften und andere Institutionen zu überwachen und ihre Unterordnung unter die sowjetischen Machthaber und ihre deutschen Gewährsleute zu sichern. Von ersteren erhielten sie ihre Anweisungen.

SED drängte auf eigene Geheimpolizei

Nach dem Zerbrechen der Anti-Hitler-Koalition, dem Beginn des Kalten Krieges und der Gründung der Bundesrepublik, beschloss die sowjetische Staatsführung einen ostdeutschen Teilstaat einzurichten: die DDR. Zu den Kompetenzen des neuen Staates sollten ursprünglich keine geheimdienstlichen Aufgaben gehören, die wollten sich die sowjetischen Dienste weiter selbst vorbehalten. Die SED-Führung musste bei Stalin persönlich intervenieren, um die Erlaubnis zu erhalten, im Januar 1950 auch in Ostberlin ein Ministerium für Staatssicherheit einzurichten. Der erste Minister wurde der ehemalige KPD-Funktionär und spätere sowjetische Geheimagent Wilhelm Zaisser (1893 – 1958). Ihm wurde ein sowjetischer "Chefberater" zur Seite gestellt, er und seine Mitarbeiter wurden in Sitzungsprotokollen nicht beim Namen genannt, sondern anonymisiert als "die verantwortlichen sowjetischen Genossen Berater für das Staatssekretariat für Staatssicherheit" bezeichnet. In allen Abteilungen des neuen Ministeriums hatten die sowjetische Instrukteure bei wichtigen Entscheidungen das letzte Wort. Struktur und Arbeitsweise der neuen Geheimpolizei wurden in den ersten Jahren weitgehend aus Moskau übernommen.

Ausschnitt aus dem Kopfbogen eines Sitzungsprotokolls der SED-Abteilung für Sicherheitsfragen vom 9.1.1954. Als Anwesende werden auch die "verantwortlichen sowjetischen Genossen Berater für das Staatssekretariat für Staatssicherheit" aufgeführt. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)

Im Sommer 1953 kam es – nach Stalins Tod am 5. März – zu einem ersten Einschnitt im Verhältnis der beiden Geheimdienste. Der sowjetische Geheimdienstchef, Innenminister Lawrenti Berija (1899 – 1953), wurde mit der Begründung gestürzt, er habe die DDR aufgeben wollen. Er hatte für einen milderen "Neuen Kurs" geworben, um die Flüchtlingszahlen zu dämpfen. In Ostberlin hieß es nun, Wilhelm Zaisser habe dieses Vorhaben unterstützt. Deshalb wurde auch er seines Amtes enthoben, mit ihm der reformorientierte Chefredakteur der SED-Parteizeitung Neues Deutschland, Rudolf Herrnstadt. Falls die SED-Führung um Walter Ulbricht gehofft hatte, die DDR-Staatssicherheit damit stärker unter ihre Kontrolle zu bekommen, wurde sie enttäuscht: Auf Druck aus Moskau wurde zu seinem Nachfolger erneut ein ehemaliger sowjetischer Agent bestellt: Ernst Wollweber (1898 – 1967). In seiner Amtszeit als Chef der Staatssicherheit von 1953 bis 1957 war die DDR-Geheimpolizei weiterhin ein Instrument des "Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR" (KGB), wie der sowjetische Geheimdienst seit 1954 hieß.

Unter sowjetischer Regie wurden in den Jahren 1953 bis 1955 mehrere große Verhaftungsaktionen durchgeführt. Sie betrafen mehrere hundert Personen, die unter dem Vorwurf inhaftiert und in Schauprozessen angeklagt wurden, für westliche Dienste zu arbeiten. Vorrangig aber waren die sowjetischen Dienste daran interessiert, ihre Genossen in der DDR für die Spionage gegen die Bundesrepublik zu nutzen. "Das Gesicht dem Westen zu" hieß die Parole.

Stärkere Konzentration auf Repression

SED-Chef Ulbricht hatte dagegen im Prinzip nichts einzuwenden, aber er war der Meinung, dass die DDR-Staatssicherheit sich stärker auf die innere Repression konzentrieren sollte, um einen erneuten Aufstand wie am 17. Juni 1953 zu verhindern. Der Stasi-Chef schien ihm in dieser Beziehung gegenüber den Sowjets zu nachgiebig.

Ausschnitt aus der Sitzungs-Notiz der Abteilung Sicherheitsfragen der SED vom 9.1.1954 über die Unterredung des sowjetischen "Genossen Chefberater" mit SED-Chef Walter Ulricht, Stasi-Staatssekretär Ernst Wollweber und Innenminister Maron. Der "Chefberater" beklagt zu wenig "Informatoren", also Spitzel im Dienst der DDR-Volkspolizei. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)

Hinzu kam Anfang 1957 ein direkter Machtkampf mit Ernst Wollweber, weil Walter Ulbricht darauf bestand, dass dessen Stellvertreter Erich Mielke direkt von ihm Weisungen entgegennehmen sollte. Wollweber gelang es mit Hilfe des sowjetischen Chefberaters Pitowranow, diesen Übergriff kurzzeitig abzuwehren, aber von da an war seine Entmachtung nur noch die Frage einer passenden Gelegenheit, vor allem nachdem Pitowranow nach Moskau abberufen worden war. Die Möglichkeit ergab sich, als der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow das Verhältnis zu den osteuropäischen Satellitenstaaten neu ordnete. Im Herbst 1957 wurde Wollweber entlassen und durch den Ulbricht-Vertrauten Erich Mielke (1907 – 2000) ersetzt.

Zur Jahreswende 1958/59 reduzierte der KGB seine Beraterzahl von 76 auf 32 und beschränkte deren Kompetenzen im Wesentlichen auf die von Verbindungsoffizieren. Noch zwanzig Jahre später wird die gleiche Zahl in einem "Protokoll zur Zusammenarbeit" genannt. Allerdings waren deutlich mehr KGB-Offiziere im MfS präsent, weil die "Verbindungsoffiziere" noch Gehilfen und technisches Personal (Dolmetscher, Sekretärinnen, Fahrer usw.) hatten. Darüber hinaus gab es die KGB-Residentur in Berlin-Karlshorst mit zuletzt zwischen 800 und 1.200 Mitarbeitern. Sie war der I. Hauptverwaltung (Spionage) des KGB unterstellt. Und es gab kleinere Residenturen in den Bezirken (wie jene in Dresden, in der Wladimir Putin tätig war). Sie alle waren vor allem im "Operationsgebiet Bundesrepublik" tätig.

Einflussreiche Verbindungsoffiziere

Zurück zu den KGB-Verbindungsoffizieren beim MfS: Als rechtliche Grundlage ihres Einsatzes dienten Verträge vom Oktober 1959 bzw. vom Dezember 1973. In der am 30.10.1959 unterzeichneten Vereinbarung "Über die Gruppe des Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR zur Koordinierung und Verbindung mit dem MfS der DDR" wurde als Ziel genannt: die gemeinsame "Bekämpfung der gegen die Sowjetunion und die DDR gerichteten Wühlarbeit" westlicher "Geheimdienste, Spionage- und Propagandazentralen sowie der antisowjetischen Emigrantenorganisationen". Die Kompetenzen der Verbindungsoffiziere waren recht umfassend definiert. Die Mitarbeiter des MfS wurden verpflichtet, den sowjetischen Offizieren "unverzüglich alle Hinweise über die feindlichen Absichten und Handlungen [zu übergeben]. Die Verbindungsoffiziere erhalten die Möglichkeit, die operativen Aufgaben zu studieren, die die gemeinsam zu erfüllenden Handlungen betreffen, sowie auch werden [sie] in Kenntnis gesetzt über alle Informationen, die die allgemeine und operative Lage in der DDR, Westdeutschland und in anderen kapitalistischen Ländern kennzeichnen."

Vertragsunterzeichnung mit dem "großen Bruder": Juri W. Andropow (links), Vorsitzender des KGB, mit Erich Mielke am 6. Dezember 1973. (© BStU, MfS, ZAIG/Fo/740, Bild 82)

Die "Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und dem Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken" vom 6.12.1973 war in diesem Punkt nicht ganz so weitgehend. Es wurde nur noch in allgemeinerer Form von Zusammenarbeit, Informationsaustausch und gegenseitiger Unterstützung gesprochen. An den grundsätzlichen Zielen wurde nichts verändert.

Außer den Grundsatzvereinbarungen gab es zwischen einzelnen Abteilungen von MfS und KGB Abkommen über Zusammenarbeit, in denen Kooperation für konkrete Abwehr- bzw. Spionageprojekte festgelegt wurde. Zur Vertiefung der Zusammenarbeit fanden außerdem regelmäßige "Arbeitstreffen" von Hauptabteilungen und bi- und multilaterale Konferenzen auf Ministeriumsebene statt (z.B. zu Fragen der "Aufklärung" und zum Kampf gegen die "politisch-ideologische Diversion"). Die Informationsbeziehungen zwischen beiden Diensten konzentrierten sich vor allem auf die Zusammenarbeit zwischen der Spionageabteilung des MfS, der HVA, und der ebenfalls für Spionage zuständigen I. Hauptverwaltung des KGB. Dabei lieferte vor allem die DDR-Seite: Fast alle Informationen für die SED-Führung wurden auch nach Moskau geschickt, häufig sogar die Eingangsinformationen von Westagenten, die sonst selbst im MfS außer den zuständigen HVA-Offizieren niemand zu sehen bekam. Auch eine Weitergabe qualifizierter IMs kam vor.

Am 6. November 1987 berichtet der Stellvertreter Aufklärung der Bezirksverwaltung Leipzig des MfS der HV A-Zentrale in Berlin über die Übergabe zweier IM "aus Anlass des 70. Jahrestags der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution". (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)

Für den militärischen Bereich zuständig war eine weitere KGB-Residentur bei der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Potsdam unter Führung der Hauptverwaltung III (Militärische Abwehr) in der Moskauer Zentrale. Außerdem gab es eine Residentur des Militärischen Nachrichtendienstes (GRU) in Wünsdorf. Zudem gab es bis in den Herbst 1989 direkte Verbindungspersonen von russischer Botschaft und KGB im Politbüro der SED, zu denen zuletzt die Politbüromitglieder Willi Stoph und Werner Krolikowski als direkte Ansprechpartner Moskaus zählten.

"System der gemeinsamen Erfassung"

Das MfS war auch selbst durch "Operativgruppen" in den anderen sozialistischen Ländern vertreten, darunter auch in Moskau. Diese Operativgruppen arbeiteten auf vertraglicher Basis mit dem jeweiligen Partnerdienst zusammen. Dabei ging es vorwiegend um die Überwachung der eigenen Bürger, die sich im befreundeten Ausland befanden und um die Sicherung der eigenen und die Ausspähung fremder Botschaften. In Zeiten politischer Instabilität - so in der Tschechoslowakei nach 1968 und in Polen in den 80er Jahren - wurden zudem Informationen aus dem "Bruderland" gesammelt und dem SED-Apparat zur Verfügung gestellt. Ende der 70er Jahre wurde die Kooperation auf eine höhere technische Ebene gestellt, als unter Leitung des KGB das "System der gemeinsamen Erfassung von Informationen über den Gegner" (SOUD) eingerichtet wurde. Dieses EDV-System diente dem Austausch von personenbezogenen Informationen über ausländische Agenten, Diplomaten, Korrespondenten, wirkliche und vermeintliche Terroristen und "feindlich-negative" Westbürger, die Kontakte zur Opposition im sowjetischen Herrschaftsbereich pflegten.

Sowjetische Geheimdienstgäste zu Besuch bei Stasigenerälen in Ost-Berlin. (© BStU/Kulick)

In den späten 80er Jahren hat die Kooperation unter der sowjetischen Reformpolitik erheblich gelitten. Soweit erkennbar, ließen die KGB-Offiziere keine Zweifel an ihrer Loyalität zur neuen sowjetischen Führung aufkommen, wenngleich sie bei manchen Gelegenheiten gegenüber MfS-Kollegen durchaus zu verstehen gaben, dass ihnen die innenpolitische Liberalisierung zu weit ging. Aber es gibt keinen Beleg dafür, dass sie ihre Genossen vom MfS in den entscheidenden Monaten zu einer repressiveren Politik ermutigt hätten. Eher im Gegenteil.

Interner Link: Einzelne Abteilungen von KGB und Stasi schlossen nach wie vor 5-Jahrespläne für gemeinsame Projekte ab. So 1986 die Hauptabteilung XX. Sie war zuständig für die Sicherung des Staatsapparates, der Kirchen und des Kulturbereichs und bearbeitete den sogenannten Untergrund.

Beseitigte Spuren

Nach ihrem endgültigen Abzug im Jahr 1992 hinterließen die sowjetischen Geheimdienstler kaum Spuren in der DDR: "Karlshorst" wurde – wie zuvor schon die Büroräume der Verbindungsoffiziere im Ministerium und in den Bezirksverwaltungen für Staatssicherheit – besenrein übergeben. Vieles war im Winter 1989/90 auf einem sowjetischen Truppenübungsplatz mit Hilfe eines Flammenwerfers zu Asche geworden. So berichtet es der ehemals stellvertretende Leiter der KGB-Residentur in Ostberlin, Iwan Kusmin am 30.9.1994 in der FAZ, ohne den Ort genau zu benennen (Quelle: Kusmin; "Da wußten auch die fähigsten Tschekisten nicht weiter. Wie die KGB-Residentur in Ost-Berlin vor fünf Jahren den Zusammenbruch der DDR erlebte und erlitt"). Zu einer großen Verlagerung von Aktenbeständen in Richtung Moskau habe aber damals schon deshalb keine Notwendigkeit bestanden, weil die relevanten Informationen über all die Jahre kontinuierlich abgeflossen seien.

Im Zeichen des sowjetischen Rückzugs. Das sowjetische "Panzerehrenmal" hinter der ehemaligen Mauer am Berliner Grenzübergang Dreilinden/Drewitz am 4. Oktober 1990, einen Tag nach der Wiedervereinigung. Nach 1990 nahm die abziehende sowjetische Armee den geschichtsträchtigen Panzer, der am 24. April 1945 als erster die Stadtgrenze zu Berlin überfahren haben soll, wieder mit zurück. (© wir-waren-so-frei.de / Rainer Schmidt)

Ein besonders wertvoller Kopiesatz, so recherchierte 1999 die Zeitschrift FOCUS (Externer Link: Ausgabe 5/99, online), sei der sowjetischen Seite dagegen erst Mitte Dezember 1989 zugegangen. Als die Auflösung der Stasi absehbar war, habe auf Befehl der HV A-Leitung der damalige Stasioberstleutnant Rainer Hemmann seinem Verbindungsoffizier Oberst Alexander Prinzipalow in einer Villa in Berlin-Karlshorst eine schwarze lederne Kuriertasche übergeben, nach Hemmanns Wissen enthielt sie die komplett verfilmte Agentendatei der DDR-Auslandsaufkärung HV A. Unzufriedene russische Geheimdienstmitarbeiter hätten allerdings eine Kopie davon Mitte 1992 in Moskau an einen CIA-Mittelsmann namens James Atwood weiter verkauft. Auf diese Weise sei die Datei zurück in den Westen gekommen - möglicherweise mit tödlichen Folgen für zwei an dem Deal Beteiligte. Im Alter von nur 52 und 49 Jahren seien die beiden Kontaktleute Atwoods, die russischen Geheimdienstler Alexander Sjubenko und Alexander Prinzipalow 1995 und 1997 auf mysteriöse Weise jeweils an einem Herzinfarkt in ihren Autos gestorben.

Linktipp: Eine ausführliche Externer Link: Website mit Dokumenten der Zusammenarbeit von KGB und Stasi hat die Abteilung Bildung und Forschung des BStU in Kooperation mit dem Woodrow Wilson Center in Washington online gestellt.

Stolz statt Schuld - Die Aufarbeitung des KGB als Instrument der Angsterzeugung und Machtsicherung in der Sowjetunion.

In Russland war es nur temporär möglich, Fragen zur Diktaturforschung und Aufarbeitung der Sicherheitsdienste als Instrumente des ständigen Macht- und Meinungsdrucks des KPdSU-Systems zu stellen. Dies geschah infolge der "Glasnost-Politik" unter Michail Gorbatschow ab 1985 und nach dem Kollaps der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre, verbunden mit der Aufhebung des Machtmonopols der bis dahin allmächtig regierenden KPDSU und ihrem Verbot am 23. August 1991.

Bis dahin kamen allenfalls "einzelne Fehler" der Sicherheitsorgane öffentlich zur Sprache, die aber nur auf die 30er Jahre bezogen wurden. Mit wenig Selbstkritik veröffentlichte die KGB-Leitung im Mai 1989 ein recht bemerkenswertes Dokument mit dem Titel: "Übersicht der Ergebnisse der Untersuchung von Einstellungen der sowjetischen Bürger zu bestimmten Aspekten der Tätigkeit der Sicherheitsorgane". Dies war eine Einschätzung des eigenen Bildes in Augen der Bevölkerung (zu finden unter Externer Link: www.kgbdocuments.eu). Im Ergebnis wurden zwar einige "beunruhigende Tendenzen" festgestellt, aber auch "ein ständiger Respekt" vor dem Geheimdienst betont. Terror als ein Wesensmerkmal der KGB-Tätigkeit wurde bestritten und abgelehnt, eine Auflösung, wie die der Stasi, wurde nicht diskutiert. 90% der Bevölkerung wünschten laut dem Dokument sogar "eine Erweiterung der KGB-Aufgaben unter Bedingung einer Demokratisierung".

Dem KGB-Papier zufolge hofften die Bürger auf seine Hilfe bei der Lösung der ökologischen Probleme und bei der Bekämpfung von Verbrechen, Alkoholismus oder Drogensucht. Nie wurde in dem Dokument das Wort "Angst" verwendet, umgekehrt diente als Schlussfolgerung die optimistische Behauptung, dass zwei Drittel der Intellektuellen, 90% der Angestellten und mehr als 90% der Arbeiter das KGB sehr positiv einschätzten. Am Ende der sowjetischen Geschichte sollten Russlands Bürger die Wichtigkeit und Notwendigkeit der KGB-Arbeit akzeptieren.

Platzendes Kristallbild

Im Laufe von "Perestrojka" wurden aber die Wahrheit und Realität des Massenterrors und die Verfolgungen von Oppositionellen so erschütternd nachgewiesen, dass das gezielt propagierte Kristallbild der Tschekisten mit "dem warmen Herzen, kalten Kopf und sauberen Händen" schnell und gründlich zerplatzte. Meinungsforscher kamen nun zu einem ganz anderen Ergebnis – 1991 schätzten etwa 76% der Bevölkerung die KGB-Tätigkeit als negativ ein. Das ergab eine Erhebung des WZIOM, dem Allrussischen Zentrum zur Untersuchung der öffentlichen Meinung - diese Institution und das russische Lewada-Zentrum gelten als die verlässlichsten soziologischen Dienste in Russland. Die zuvor noch als "Ritter" geadelten KGB-Leute waren nunmehr als einen Art Teufel abgestempelt, ihr Beruf war verpönt – und nach der Verwicklung von KGB-Chef Wladimir Krjutschkow in den Putschversuch gegen die Staatsmacht im August 1991 wurde das Komitee der Staatssicherheit (1954-1991) auf Anordnung des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin aufgelöst (November 1991). Stattdessen wurde im Januar 1992 ein Ministerium für Sicherheit gegründet und dem Präsidenten unterstellt, in der Folgezeit wurde es in sechs selbstständige sicherheitsdienstliche Ämter zersplittert. Am 12. April 1995 ging daraus der wieder einheitliche Föderale Sicherheitsdienst (FSB) hervor.

"Nie wieder", sagte Jelzin im Dezember 1997, würden „die Sicherheitsdienste als Bluthunde der Partei- oder Staatsführer dienen. Nie werden sie entscheiden, was und wie das Volk denken und sagen darf. Nie werden sie Leute für ihre Überzeugungen verfolgen". Nach diesem Postulat war es an der Zeit, um das komplette System der Sicherheitsorgane zu reformieren. Die "Tschekisten" wirkten desorientiert und die Gesellschaft splitterte sich in drei annähernd gleich starke Meinungsgruppen auf: für die erste war das KGB ein "Instrument des Staatsterrors", für die zweite ein "Garant der Stabilität in der UdSSR". Die dritte Gruppe betrachtete den KGB nur bis zum Zweiten Weltkrieg als verantwortlich für die Massenverbrechen in der Sowjetunion, danach sei er auf Stabilisierung des Landes aus gewesen (WZIOM, soziologische Befragungen 1995), eine von Vielen bis heute geteilte und prägende Sicht.

Die letzte öffentlich zugängliche Befragung (Lewada-Zentrum, 2008) verdeutlichte diese Trennung der Öffentlichkeit in drei Gruppen:

  • für Gruppe eins (ca. 45%) überwog eine positive Einschätzung ("Hauptziel vom KGB war immer eine Verteidigung der staatlichen Machtinteressen", "dort sind nur Fachleute tätig, niemand von ihnen ist dumm", "KGB führte einen kompromisslosen Kampf gegen die Korruption" usw.);

  • für Gruppe zwei (ca. 30%) überwog eine ständige negative Einschätzung ("Hauptquelle des Terrors und Ängste", "das Ziel dieser Organisation war immer Verfolgung und Denunziationen, Säuberungen und Erschießungen" usw.);

  • die dritte Gruppe (ca. 15%) bezog keine deutliche Position.

  • Die Einschätzungen erfolgten unabhängig vom Alter, Beruf oder Ausbildungsniveau, eher spielen die Familiengeschichte und die politische Orientierung die Hauptrollen.

Bis etwa in die Jahre 2005-2008 blieb die Aufarbeitung der Sicherheitsdienste noch ein Thema - als ein Wert der jungen Demokratie. Im Zuge dieser Periode verschwanden teilweise die von Gruppe zwei formulierten enormen Angstgefühle vor dem KGB/FSB. Beide Organisationen wurden in der öffentlichen Meinung nicht als wesensgleich wahrgenommen. Auf der Vertrauensskala der staatlichen Institutionen rangierten die Geheimdienste nunmehr eher in der Mitte, auf jeden Fall höher, als die Polizei oder viele andere Machtorgane. Ein "volles Vertrauen" zu den Sicherheitsorganen zeigten 33% der befragten Bürger, 38% hatten nur "teilweise" Vertrauen und 14-15% der Befragten gab an, überhaupt kein Vertrauen zu KGB, FSB oder anderen solchen Diensten zu besitzen (Lewada-Zentrum, 2012). 15% der Befragten ließen diese Frage unbeantwortet. Russlands Bürger blieben also eher vorsichtig in Bezug auf die Staatssicherheitsorgane.

Geschürte Angst vor dem Westen bewirkt Imagewandel

Nach 2010 wurden Veränderungen spürbar. Schrittweise weckten die staatliche Propaganda und die starke Einflussnahme auf die Medien das Gefühl, von unfreundlichen Staaten belagert zu sein. Nach der NATO-Erweiterung und den "bunten Revolutionen", wie in der Ukraine, wurde dies forciert. Stolz statt Schuld - zu diesem Bewusstsein wurde erzogen um Russland im Inneren wieder als eine bedeutende Macht zu stabilisieren.

Der heute nur schwer nachvollziehbare Sinn des einstigen Massenterrors bestand aus Sicht der damaligen Täter darin, dass in der sowjetischen Gesellschaft keine Trennung zwischen den inneren und äußeren Feinden bestand: Jeder Andersgesinnte galt als vom Ausland beauftragt und bezahlt, deshalb wurde er als "feindlicher Agent" zum Hindernis auf dem Weg zur sozialistischen Einigkeit. Eine gefährliche Mischung aus einer solchen, feindbildgeprägten Abwehrhaltung und aus nationalistischen Macho-Gefühlen verbreitete sich nach dem Jahr 2000 wieder stärker in der Gesellschaft. Meinungsumfragen bestätigten ein ständiges Wachstum der Ängste und Überzeugungen, dass Russland "mächtige Feinde hat, die gegen uns einen Krieg führen können" (45% – 1998, 60% - 1999, 78% - 2010, 82% - 2014, Lewada-Zentrum). Auf diese Weise gewannen die Sicherheitsdienste wieder eine stärkere Rolle, auch die Sehnsucht nach erfolgreichen Spionen kehrte zurück. Zur Stärkung der nationalen Identität diente nicht nur die wieder verstärkte Glorifizierung der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, sondern auch die Heldentaten der Tschekisten.

Ausschnitt aus einer KGB-Information aus den 50ger Jahren über Deutschland und die Grenze zur DDR. (© BStU)

In den letzten zehn Jahren gelang es der Staatspropaganda, die Geschichte der sowjetischen und der russischen Sicherheitsorgane voneinander zu trennen (nur etwa 13% der Befragten behaupten, dass die Methoden und Ziele von FSB und KGB eng verbunden sind) und das Prestige dieser Dienste bedeutend zu erhöhen. Diese Tendenz entwickelte sich in Korrelation mit der Wiederbelebung der "glorreichen Seiten" der sowjetischen Geschichte und mit einem Verzicht auf die weitere Aufarbeitung der Machtsystems des Totalitarismus.

Zusammen mit dem gesteigerten Gefühl, vom Ausland auch im Inneren bedroht zu sein, wurde sogar der höhere Lohn der Sicherheitsmitarbeiter als berechtigt und ansehenssteigernd betrachtet, sie verdienen zwei bis dreimal so viel, als Armeesoldaten oder Zivilisten. Die Arbeit der "Organe" gilt vielen als Garant von Stabilität in einer komplizierten wirtschaftlichen Situation. Auch die Hoffnung auf einen kompromisslosen Kampf gegen die weit verbreitete Korruption spielt dabei eine gewisse Rolle.

Übergabe der Archive rückgängig gemacht

Dabei zeigen die Befragten kein ausgeprägtes Interesse an der Geschichte der Sicherheitsdienste in der UdSSR. Die Zeiten engagierter Diskussionen sind vorbei, die Frage nach der KGB-Vergangenheit wurde im öffentlichen Leben marginal. Hier spielt das Jahr 1992 eine besondere Rolle: der damaligen MSB-Führung gelang es, die schon geplante Übergabe des gröβten Teiles der KGB-Archive an den staatlichen archivarischen Dienst rückgängig zu machen. Die Begründung war simpel: viele der KGB-Dokumente hätten auch heute noch akute operative Bedeutung. Und so blieb die Geschichte des KGB und auch dessen intensiver Verzahnung mit der Stasi in den Händen der Tschekisten, weitgehend unzugänglich für Wissenschaftler oder Öffentlichkeit. In modernen, noch unterschiedlichen Lehrbüchern für Geschichte findet man fast ausschließlich eine Chronik der Geschichte der UdSSR und Stalins Massenrepressionen, aber es fehlen das Jahr der Auflösung des KGB und tiefergehende Betrachtungen von dessen Wirken.

Als eine Schlussfolgerung lässt sich feststellen: Die Aufarbeitung der KGB-Geschichte steht in Russland nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, sie ist eher marginal und die Angst vor dessen Nachfolgern ist gering. Seit dem Jahr 2000 ist das Prestige der Geheimdienste sogar gewachsen, weil wieder eine zunehmende Bedrohung der russischen Gesellschaft durch den Westen suggeriert wird. Dennoch spürt auch der FSB bis heute noch keine felsenfeste Unterstützung in der Gesellschaft und keinen rechtlichen und öffentliches Rückhalt, um seine Befugnisse und Kompetenzen innerhalb des Landes wesentlich zu erweitern. Im Gegenteil. Mittlerweile wird von immer mehr Russen argwöhnisch beobachtet, wie ihr Staat mit Oppositionellen umgeht und gezielte Desinformationskampagnen des Geheimdienstes Platz greifen, die ein immer finsteres Bild des Auslands und von Oppositionellen zeichnen. Wie ein schleichender Rückfall in eine alte Zeit.

Die Autorin Dr. Tatiana Timofeeva ist deutschsprachige Dozentin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Historischen Fakultät der Lomonossov-Universität Moskau und Expertin für Diktaturaufarbeitung.

Der Berliner Soziologe und Politologe Walter Süß arbeitete bis 2014 als Wissenschaftler beim BStU. Gemeinsam mit Dr. Douglas Selvage erstellte er eine umfangreiche Quellensammlung über die Zusammenarbeit von MfS und KGB (Externer Link: http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/MfS-Dokumente/MfS-KGB/_inhalt.html).