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KGB-Aufarbeitung - Stolz statt Schuld

Dr. Tatiana Timofeeva

/ 7 Minuten zu lesen

Den sowjetischen Geheimdienst KGB aufarbeiten wie die Stasi? Unmöglich. Dessen Akten blieben weitgehend unter Verschluss, das Interesse an Aufarbeitung wurde marginalisiert. Eindrücke aus Moskau.

1991 wurde auf dem Moskauer Lubjanka-Platz das Denkmal des ersten sowjetischen Geheimdienstchefs Felix Dserschinskij geschleift. Das Denkmal galt als Symbol von Stalins Unterdrückungssystems. Noch heute hat der Inlandsgeheimdienst FSB hier einen Dienstsitz. In dem ehemaligen KGB-Gebäude, der "Lubjanka" wurde 1984 zumindest ein kleines KGB-Museum eingerichtet.

In Russland war es nur temporär möglich, Fragen zur Diktaturforschung und Aufarbeitung der Sicherheitsdienste als Instrumente des ständigen Macht- und Meinungsdrucks des KPdSU-Systems zu stellen. Dies geschah infolge der "Glasnost-Politik" unter Michail Gorbatschow ab 1985 und nach dem Kollaps der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre, verbunden mit der Aufhebung des Machtmonopols der bis dahin allmächtig regierenden KPDSU und ihrem Verbot am 23. August 1991.

Bis dahin kamen allenfalls "einzelne Fehler" der Sicherheitsorgane öffentlich zur Sprache, die aber nur auf die 30er Jahre bezogen wurden. Mit wenig Selbstkritik veröffentlichte die KGB-Leitung im Mai 1989 ein recht bemerkenswertes Dokument mit dem Titel: "Übersicht der Ergebnisse der Untersuchung von Einstellungen der sowjetischen Bürger zu bestimmten Aspekten der Tätigkeit der Sicherheitsorgane". Dies war eine Einschätzung des eigenen Bildes in Augen der Bevölkerung (zu finden unter Externer Link: www.kgbdocuments.eu). Im Ergebnis wurden zwar einige "beunruhigende Tendenzen" festgestellt, aber auch "ein ständiger Respekt" vor dem Geheimdienst betont. Terror als ein Wesensmerkmal der KGB-Tätigkeit wurde bestritten und abgelehnt, eine Auflösung, wie die der Stasi, wurde nicht diskutiert. 90% der Bevölkerung wünschten laut dem Dokument sogar "eine Erweiterung der KGB-Aufgaben unter Bedingung einer Demokratisierung".

Dem KGB-Papier zufolge hofften die Bürger auf seine Hilfe bei der Lösung der ökologischen Probleme und bei der Bekämpfung von Verbrechen, Alkoholismus oder Drogensucht. Nie wurde in dem Dokument das Wort "Angst" verwendet, umgekehrt diente als Schlussfolgerung die optimistische Behauptung, dass zwei Drittel der Intellektuellen, 90% der Angestellten und mehr als 90% der Arbeiter das KGB sehr positiv einschätzten. Am Ende der sowjetischen Geschichte sollten Russlands Bürger die Wichtigkeit und Notwendigkeit der KGB-Arbeit akzeptieren.

Platzendes Kristallbild

Im Laufe von "Perestrojka" wurden aber die Wahrheit und Realität des Massenterrors und die Verfolgungen von Oppositionellen so erschütternd nachgewiesen, dass das gezielt propagierte Kristallbild der Tschekisten mit "dem warmen Herzen, kalten Kopf und sauberen Händen" schnell und gründlich zerplatzte. Meinungsforscher kamen nun zu einem ganz anderen Ergebnis – 1991 schätzten etwa 76% der Bevölkerung die KGB-Tätigkeit als negativ ein. Das ergab eine Erhebung des WZIOM, dem Allrussischen Zentrum zur Untersuchung der öffentlichen Meinung - diese Institution und das russische Lewada-Zentrum gelten als die verlässlichsten soziologischen Dienste in Russland. Die zuvor noch als "Ritter" geadelten KGB-Leute waren nunmehr als einen Art Teufel abgestempelt, ihr Beruf war verpönt – und nach der Verwicklung von KGB-Chef Wladimir Krjutschkow in den Putschversuch gegen die Staatsmacht im August 1991 wurde das Komitee der Staatssicherheit (1954-1991) auf Anordnung des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin aufgelöst (November 1991). Stattdessen wurde im Januar 1992 ein Ministerium für Sicherheit gegründet und dem Präsidenten unterstellt, in der Folgezeit wurde es in sechs selbstständige sicherheitsdienstliche Ämter zersplittert. Am 12. April 1995 ging daraus der wieder einheitliche Föderale Sicherheitsdienst (FSB) hervor.

"Nie wieder", sagte Jelzin im Dezember 1997, würden „die Sicherheitsdienste als Bluthunde der Partei- oder Staatsführer dienen. Nie werden sie entscheiden, was und wie das Volk denken und sagen darf. Nie werden sie Leute für ihre Überzeugungen verfolgen". Nach diesem Postulat war es an der Zeit, um das komplette System der Sicherheitsorgane zu reformieren. Die "Tschekisten" wirkten desorientiert und die Gesellschaft splitterte sich in drei annähernd gleich starke Meinungsgruppen auf: für die erste war das KGB ein "Instrument des Staatsterrors", für die zweite ein "Garant der Stabilität in der UdSSR". Die dritte Gruppe betrachtete den KGB nur bis zum Zweiten Weltkrieg als verantwortlich für die Massenverbrechen in der Sowjetunion, danach sei er auf Stabilisierung des Landes aus gewesen (WZIOM, soziologische Befragungen 1995), eine von Vielen bis heute geteilte und prägende Sicht.

Die letzte öffentlich zugängliche Befragung (Lewada-Zentrum, 2008) verdeutlichte diese Trennung der Öffentlichkeit in drei Gruppen:

  • für Gruppe eins (ca. 45%) überwog eine positive Einschätzung ("Hauptziel vom KGB war immer eine Verteidigung der staatlichen Machtinteressen", "dort sind nur Fachleute tätig, niemand von ihnen ist dumm", "KGB führte einen kompromisslosen Kampf gegen die Korruption" usw.);

  • für Gruppe zwei (ca. 30%) überwog eine ständige negative Einschätzung ("Hauptquelle des Terrors und Ängste", "das Ziel dieser Organisation war immer Verfolgung und Denunziationen, Säuberungen und Erschießungen" usw.);

  • die dritte Gruppe (ca. 15%) bezog keine deutliche Position.

  • Die Einschätzungen erfolgten unabhängig vom Alter, Beruf oder Ausbildungsniveau, eher spielen die Familiengeschichte und die politische Orientierung die Hauptrollen.

Bis etwa in die Jahre 2005-2008 blieb die Aufarbeitung der Sicherheitsdienste noch ein Thema - als ein Wert der jungen Demokratie. Im Zuge dieser Periode verschwanden teilweise die von Gruppe zwei formulierten enormen Angstgefühle vor dem KGB/FSB. Beide Organisationen wurden in der öffentlichen Meinung nicht als wesensgleich wahrgenommen. Auf der Vertrauensskala der staatlichen Institutionen rangierten die Geheimdienste nunmehr eher in der Mitte, auf jeden Fall höher, als die Polizei oder viele andere Machtorgane. Ein "volles Vertrauen" zu den Sicherheitsorganen zeigten 33% der befragten Bürger, 38% hatten nur "teilweise" Vertrauen und 14-15% der Befragten gab an, überhaupt kein Vertrauen zu KGB, FSB oder anderen solchen Diensten zu besitzen (Lewada-Zentrum, 2012). 15% der Befragten ließen diese Frage unbeantwortet. Russlands Bürger blieben also eher vorsichtig in Bezug auf die Staatssicherheitsorgane.

Geschürte Angst vor dem Westen bewirkt Imagewandel

Nach 2010 wurden Veränderungen spürbar. Schrittweise weckten die staatliche Propaganda und die starke Einflussnahme auf die Medien das Gefühl, von unfreundlichen Staaten belagert zu sein. Nach der NATO-Erweiterung und den "bunten Revolutionen", wie in der Ukraine, wurde dies forciert. Stolz statt Schuld - zu diesem Bewusstsein wurde erzogen um Russland im Inneren wieder als eine bedeutende Macht zu stabilisieren.

Der heute nur schwer nachvollziehbare Sinn des einstigen Massenterrors bestand aus Sicht der damaligen Täter darin, dass in der sowjetischen Gesellschaft keine Trennung zwischen den inneren und äußeren Feinden bestand: Jeder Andersgesinnte galt als vom Ausland beauftragt und bezahlt, deshalb wurde er als "feindlicher Agent" zum Hindernis auf dem Weg zur sozialistischen Einigkeit. Eine gefährliche Mischung aus einer solchen, feindbildgeprägten Abwehrhaltung und aus nationalistischen Macho-Gefühlen verbreitete sich nach dem Jahr 2000 wieder stärker in der Gesellschaft. Meinungsumfragen bestätigten ein ständiges Wachstum der Ängste und Überzeugungen, dass Russland "mächtige Feinde hat, die gegen uns einen Krieg führen können" (45% – 1998, 60% - 1999, 78% - 2010, 82% - 2014, Lewada-Zentrum). Auf diese Weise gewannen die Sicherheitsdienste wieder eine stärkere Rolle, auch die Sehnsucht nach erfolgreichen Spionen kehrte zurück. Zur Stärkung der nationalen Identität diente nicht nur die wieder verstärkte Glorifizierung der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, sondern auch die Heldentaten der Tschekisten.

In den letzten zehn Jahren gelang es der Staatspropaganda, die Geschichte der sowjetischen und der russischen Sicherheitsorgane voneinander zu trennen (nur etwa 13% der Befragten behaupten, dass die Methoden und Ziele von FSB und KGB eng verbunden sind) und das Prestige dieser Dienste bedeutend zu erhöhen. Diese Tendenz entwickelte sich in Korrelation mit der Wiederbelebung der "glorreichen Seiten" der sowjetischen Geschichte und mit einem Verzicht auf die weitere Aufarbeitung der Machtsystems des Totalitarismus - vollkommen anders, als in Deutschland nach dem Untergang der DDR mit ihrem immer weiter aufgearbeiteten Machtsystem aus SED und Stasi.

Rückerinnerung an die Anfangszeit der Stasi: "Stalin lebt noch" - mahnt ein Transparent am 4. November 1989 in Berlin, aufgenommen vom MfS mit einer im einstigen Palast der Republik versteckten Kamera. (© bpb-DVD "Feindbilder")

Doch in Russland wurde zusammen mit dem gesteigerten Gefühl, vom Ausland auch im Inneren bedroht zu sein, sogar der höhere Lohn der Sicherheitsmitarbeiter als berechtigt und ansehenssteigernd betrachtet, sie verdienen zwei bis dreimal so viel, als Armeesoldaten oder Zivilisten. Die Arbeit der "Organe" gilt vielen als Garant von Stabilität in einer komplizierten wirtschaftlichen Situation. Auch die Hoffnung auf einen kompromisslosen Kampf gegen die weit verbreitete Korruption spielt dabei eine gewisse Rolle.

Übergabe der Archive rückgängig gemacht

Dabei zeigen die Befragten kein ausgeprägtes Interesse an der Geschichte der Sicherheitsdienste in der UdSSR. Die Zeiten engagierter Diskussionen sind vorbei, die Frage nach der KGB-Vergangenheit wurde im öffentlichen Leben marginal. Hier spielt das Jahr 1992 eine besondere Rolle: der damaligen MSB-Führung gelang es, die schon geplante Übergabe des gröβten Teiles der KGB-Archive an den staatlichen archivarischen Dienst rückgängig zu machen. Die Begründung war simpel: viele der KGB-Dokumente hätten auch heute noch akute operative Bedeutung. Und so blieb die Geschichte des KGB und auch dessen intensiver Verzahnung mit der Stasi in den Händen der Tschekisten, weitgehend unzugänglich für Wissenschaftler oder Öffentlichkeit. In modernen, noch unterschiedlichen Lehrbüchern für Geschichte findet man fast ausschließlich eine Chronik der Geschichte der UdSSR und Stalins Massenrepressionen, aber es fehlen das Jahr der Auflösung des KGB und tiefergehende Betrachtungen von dessen Wirken.

Als eine Schlussfolgerung lässt sich feststellen: Die Aufarbeitung der KGB-Geschichte steht in Russland nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, sie ist eher marginal und die Angst vor dessen Nachfolgern ist gering. Seit dem Jahr 2000 ist das Prestige der Geheimdienste sogar gewachsen, weil wieder eine zunehmende Bedrohung der russischen Gesellschaft durch den Westen suggeriert wird. Dennoch spürt auch der FSB bis heute noch keine felsenfeste Unterstützung in der Gesellschaft und keinen rechtlichen und öffentliches Rückhalt, um seine Befugnisse und Kompetenzen innerhalb des Landes wesentlich zu erweitern. Im Gegenteil. Mittlerweile wird von immer mehr Russen argwöhnisch beobachtet, wie ihr Staat mit Oppositionellen umgeht und gezielte Desinformationskampagnen des Geheimdienstes Platz greifen, die ein immer finsteres Bild des Auslands und von Oppositionellen zeichnen. Wie ein schleichender Rückfall in eine alte Zeit. Hier mehr über die Interner Link: Rolle des KGB in Russland

Dr. Tatiana Timofeeva ist deutschsprachige Dozentin am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Historischen Fakultät der Lomonossov-Universität Moskau und Expertin für Diktaturaufarbeitung.