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Albanien: Deutschland als Musterland

Dr. Jonila Godole

/ 7 Minuten zu lesen

Mangels Konsens in der Gesellschaft gibt es anders als in Deutschland in Albanien erst seit 2015 ein Gesetz zum "…Recht auf Informationen über die Akten der ehemaligen Staatssicherheit", der "Sigurimi".

Von sowjetischen Diktator Stalin (l.) geprägt: Enver Hodscha (r.), der von 1944 bis 1985 als Diktator die Sozialistische Volksrepublik Albanien regierte und seinen Geheimdienst, die "Sigurimi", stalinistische Säuberungsaktionen gegen angebliche "Volksfeinde" durchführen ließ.

Anders als in der ehemaligen DDR hat 25 Jahre nach dem Sturz der Diktatur in Albanien noch keine vergleichbare gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der totalitären Vergangenheit des Landes stattgefunden. Wenn in den letzten Jahren überhaupt das Thema angesprochen wurde, dann ausschließlich von ehemaligen Opfern politischer Verfolgung. Unerlässliche Voraussetzung für eine umfassende Aufarbeitung wäre die Offenlegung aller verbliebenen Akten des ehemaligen kommunistischen Geheimdienstes "Sigurimi", der sich als Elite des Staates verstand und zuletzt über mehr als 10.000 Mitarbeiter verfügte. Hinzu kamen zahllose Spitzel.

Der Sicherheitsdienst "Sigurimi" war das am besten organisierte Instrument des kommunistischen Regimes in Albanien. Seine Vernetzung mit der Bevölkerung war außerordentlich stark. Es wird angenommen, dass 17 Prozent der Bevölkerung in die Repressionsstrukturen eingebunden waren.

Land mit 41 Jahren Diktaturerfahrung

Der Chef der albanischen Kommunistischen Partei, Enver Halil Hodscha, hatte die Sozialistischen Volksrepublik Albanien von 1944 bis zu seinem Tod 1985 als Diktator regiert - nach sowjetischem Vorbild. Erst 1990 wurde das kommunistische Regime gestürzt und 1991 kam es zu den ersten freien Wahlen. Der anschließende Transformationsprozess verlief zunächst nur schleppend und ohne große Erfolge. Mehrfach erfolgten Vorstöße, Aufarbeitung auch anhand von Geheimdienstunterlagen zu ermöglichen, dies wurde jedoch ein hindernisreicher und langwieriger Prozess, zumal bereits Anfang der 1990er Jahre zahlreiche Aktenbestände vernichtet worden waren. Doch nach Schätzungen von Experten existieren noch etwa 140.000 Geheimdienstakten aus der Zeit der kommunistischen Diktatur.

Erst am 30. April 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zum "…Recht auf Informationen über die Akten der ehemaligen Staatssicherheit sozialistische Volksrepublik Albanien". Das genannte Gesetz bildete allerdings nicht den ersten Versuch, durch Aktenöffnung mehr Transparenz in die Diskussion zu bringen.

Umfassende Aktenvernichtung

Unter dem Vorwand, die Archive von "nutzlosen" Akten zu befreien, wurde schon im Februar 1991 eine große Zahl von Akten vernichtet – zwei Tage vor dem demonstrativen Sturz der Statue des einstigen Diktators Enver Hodscha in Tirana. Dieser unglaubliche Akt einer neuzeitlichen damnatio memoriae (Verdammung des Andenkens) betraf die Unterlagen zu Personen, die wegen angeblicher Handlungen gegen die kommunistische Ideologie verfolgt wurden, ins Ausland geflüchtet waren oder nach offiziellen Darstellungen dem sozialistischen Eigentum Schaden zugefügt hatten. Angesichts der Erfahrungen, dass wegen solcher "Delikte" sehr viele Albaner verfolgt wurden, wird klar, was diese Aktenvernichtung für ein unwiederbringlicher Verlust war.

In den Jahren 1995/6 wurden auf der Basis verbliebener Akten ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes "Sigurimi" identifiziert mit dem Ziel, diese von der Kandidatur für politische Funktionen abzuhalten. Die sogenannte Enquete-Kommission "Bezhani" vertiefte diesen Prozess in der Zeit von 1998 bis 2000. Die betreffenden Personen wurden allerdings lediglich ermahnt ohne weitere Konsequenzen fürchten zu müssen.

Charakteristisch für diesen Prozess war und bleibt weiterhin der Mangel an Transparenz für die albanische Öffentlichkeit. Es gibt auch keine nachvollziehbaren Bestimmungen darüber, welche Art von Akten geöffnet werden oder darüber, wie die Geheimdienst-Informationen gesammelt wurden. Gestritten wird auch: Wer wird dadurch "bestraft"? Diejenigen, die Informationen zur Verfügung gestellt haben oder diejenigen, die Informationen erhalten haben? Im Falle Albaniens ist das eine schwierige Frage. Der Geheimdienst "Sigurimi" hat mit exzessiver Gewalt versucht, Menschen zur Zusammenarbeit zu zwingen. Folter wurde seit 1946 als völlig legales Mittel angewandt und zwar mit ausdrücklicher, schriftlich vermerkter Anweisung durch die politisch Verantwortlichen

Brutale Repressionen und Folter

Albaniens Kommunisten agierten in einer anderen Gewalt- und Repressionskultur im Vergleich beispielsweise zur Stasi in der ehemaligen DDR. Die Mitarbeiter des albanischen Geheimdienstes waren ursprünglich Schuhmacher, Schneider, Köche, Hirten usw.. Die offene Androhung und Anwendung brutalster Repressionen und Folter gehörten zu den Markenzeichen des "Sigurimi", auch bezeichnet als "die Schärfe des Schwertes der Partei". Folter- und Verfolgungsmethoden wurden in der Regel nicht per Gesetz, sondern mittels Richtlinien des Politbüros der Partei (!) genehmigt. Somit handelte ein "Sigurimi"-Mitarbeiter auf der Grundlage von Vorschriften, die auf höchster politischer Ebene abgesegnet wurden und glaubte daher, nicht für sein Tun verantwortlich gemacht zu werden. Kritiker der Aktenöffnung argumentieren, dass die verspätete Öffnung der Akten heute kaum noch nützlich sei und moralisch sogar fragwürdig.

Gleichzeitig musste die Erfahrung gemacht werden, dass die Aktenöffnung von Politikern im postkommunistischen Albanien sabotiert wurde. Diese sahen das Material als Chance, politische Konkurrenten zu erpressen.

Adaption der deutschen und tschechischen Modelle

Das 2015 endlich beschlossene Gesetz zum "…Recht auf Informationen über die Akten der ehemaligen Staatssicherheit sozialistische Volksrepublik Albanien", sieht die Öffnung und Freigabe der Akten des Geheimdienstes für alle Opfer der politischen Verfolgungen vor. Die Akten des ehemals wichtigsten Repressionsinstrumentes der kommunistischen Regimes sollen außerdem für wissenschaftliche und journalistische Zwecke zugänglich gemacht werden. Es soll nunmehr ermöglicht werden, über alle Individuen in hohen Positionen der öffentlichen Verwaltung Informationen zu deren Rolle im kommunistischen Albanien zu erhalten. Die Fehler bei den Versuchen zur Aktenöffnung in den 25 Jahren zuvor sollen nicht wiederholt werden. Aus diesem Grund wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, das Gesetz sei eng am deutschen Modell orientiert. Deutschland wurde gewissermaßen als Musterland gewählt, das die Vergangenheit "…zweier totalitärer Diktaturen, Nazismus und Kommunismus, auf der Basis demokratischer Prozesse erfolgreich aufarbeitet…"

Insbesondere deutsche Experten waren der albanischen Politik beim Gesetzentwurf behilflich. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder darauf verwiesen, dass es in Deutschland nach Öffnung der Geheimdienstakten nirgendwo zu den von manchen befürchteten Konflikten oder gewaltsamen Auseinandersetzungen kam.

Neben der deutschen Expertise wurden auch die Erfahrungen in Tschechien zu Rate gezogen. Der Leiter der tschechischen Behörde für das "Studium des Totalitarismus" beurteilte den Gesetzentwurf von 2015 positiv . Die nun für Albanien ausgearbeitete Version des Gesetzes kombiniert in Hauptelementen die Aufarbeitungsmodelle Tschechiens und Deutschlands. Im Mittelpunkt stehen der Informationszugang zu den Akten des ehemaligen Geheimdienstes und die Möglichkeit der Überprüfung von Personen, die höhere Funktionen in Politik und öffentlicher Verwaltung bekleiden.

Kompromiss ohne Lustration

Eine "Lustration", also die konsequente Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem öffentlichen) Dienst, ist im Rahmen dieses Gesetzes allerdings nicht vorgesehen. Hier offenbarte sich insbesondere bei Vertretern von Opferverbänden ein Missverständnis über das deutsche Modell. "Lustration" findet in Deutschland zwar in gewissem Rahmen statt, ist aber nicht Bestandteil des sogenannten Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Zahlreiche Vertreter der albanischen Zivilgesellschaft betrachten die deutsche Form der "Lustration" jedoch als positives Beispiel bei der "Aufarbeitung" diktaturgeprägter Vergangenheit. Ein in diesem Kontext immer wieder zitiertes Beispiel ist der Fall eines Lehrers, dem es in einer demokratischen Schule nicht erlaubt sei, zu unterrichten, sofern er als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi tätig war. In Albanien sollten ursprünglich Voraussetzungen für eine solche umfassende "Lustration" auf gesetzlicher Basis geschaffen werden. Dafür war aber keine Mehrheit in Sicht. Das als Kompromiss 2015 verabschiedete albanische Gesetz sieht nicht einmal vor, Staatsanwälte, Ermittler, Richter oder hohe Beamte zu bestrafen, die in der Zeit des Kommunismus bei der Ausführung staatlich angeordneter Verbrechen beteiligt waren.

Die von der Demokratischen Partei geführte Opposition im Parlament beteiligte sich übrigens nicht an der Abstimmung. Einige Vertreter von Opferverbänden betrachteten die Öffnung der "Sigurimi"-Akten durch die sozialistische Regierung als Demagogie.

Im Hinblick auf die Relevanz der Geheimdienstakten muss bei einem Vergleich mit dem deutschen Modell auch bedacht werden, dass mutmaßlich zahlreiche Repressionsmaßnahmen in Albanien vom Geheimdienst gar nicht erfasst worden waren. Wurden beispielsweise ganze Familien in die Verbannung aufs Land geschickt, dann geschah dies häufig auf der Grundlage einfacher Verwaltungsvorgänge, in die der Geheimdienst nicht zwangsläufig involviert war. In der Regel wurde bei solchen behördlichen Repressionsmaßnahmen immer nur das "Familienoberhaupt" registriert, nicht die übrigen betroffenen Familienmitglieder. Aufzuarbeiten ist also noch mehr, als nur die "Sigurimi".

Aufarbeitung nach deutschem Vorbild? Interner Link: Ein weiterer Blick nach... Georgien.

Die deutschsprachige Autorin und Pädagogin Jonila Godole leitet das albanische Institut für Demokratie, Medien und Kultur in Tirana (Externer Link: www.idmc.al) und lehrt an der Universität Tirana. Sie ist maßgeblich mit der Aufarbeitung der albanischen Diktatur unter Enver Hoxhas befasst.