Extremismus – Linksextremismus – Rechtsextremismus
Begriffsdefinitionen und Probleme
Auch wenn der Verfassungsschutz mit dem Terminus Extremismus arbeitet: In der wissenschaftlichen Debatte ist er durchaus umstritten.
Wenn der Begriff Extremismus fällt, dann in der Regel von Seiten des Verfassungsschutzes, denn dort wird er wesentlich häufiger gebraucht als in den Sozialwissenschaften, die mit ihm wenig anfangen können. Dadurch wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erzeugt, dass der quasi amtliche Begriff zugleich der einzige – und richtige – sei. Denn Extremismus ist als Rechtsbegriff weder in einem Gesetz noch gar im Grundgesetz oder in einem Urteil zu finden und in der Politikwissenschaft werden damit "politische Einstellungs- und Verhaltensmuster, die auf der für die Operationalisierung politischer Orientierungen üblichen Rechts-Links-Skala an den äußeren Polen... angesiedelt"[1] sind, bezeichnet.
Der Begriff Extremismus stammt von den lateinischen Wörtern 'extremus' und 'extremitas': das erste bedeutet: äußerst, entferntest, aber auch: der ärgste, gefährlichste, schlechteste, verächtlichste; das zweite der äußerste Punkt, Rand [2]. Mit dem oben zitierten Begriff des politischen Extremismus werden quasi Orte in einem - der Komplexität der Gesellschaft wird das nicht gerecht - eindimensionalen politischen Spektrum, der Rechts-Links-Achse, bestimmt: er bezeichnet Positionen an den Rändern "rechts und links des politischen Spektrums" [3]. Dass die Mitte, die als Gegenpol zu "extremus" als nah, harmlos, gut oder respektiert verstanden wird, kann bezweifelt werden, wenn man sich daran erinnert, dass aus der Mitte der deutschen Gesellschaft heraus seinerzeit der Faschismus groß geworden ist.
Der amtliche Extremismusbegriff, definiert die Bewegung weg von den Rändern hin zur "normalen" politischen Mitte [4] als Bestrebungen, die sie in ihrer Substanz bedrohen. Deshalb bestehen die Aufgaben des Verfassungsschutzes darin, solche Bestrebungen zu verhindern, "die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben". [5]
Diese Bestrebungen - und das zielt zugleich auf ihre Urheber - gelten als extremistisch. Dem Begriff liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich in der Mitte des politischen Spektrums die zentralen Bestandteile der demokratischen Ordnung und des Staates befinden und dass von den äußersten Rändern die extremen Bedrohungen ausgehen, die sie gefährden. Der eine Pol wird als Linksextremismus und der andere als Rechtsextremismus definiert. Somit dient der Begriff des Extremismus im amtlichen Verständnis einerseits zur Kennzeichnung eines bestimmten Handelns der Exekutive, insbesondere der Verfassungsschutzbehörden, und andererseits in diesem Kontext als Oberbegriff für Rechtsextremismus und Linksextremismus.
Amtlich werden als Rechtsextremismus "...Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Gegner des demokratischen Verfassungsstaates. Sie haben ein autoritäres Staatsverständnis. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit (Fremdenfeindlichkeit). Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse bestimme den Wert eines Menschen. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer 'volksgemeinschaftlicher' Konstrukte zurück (Antipluralismus)."[6] Diese Definition versucht, individuelle Einstellungen [7], politische Vorstellungen und ideologische Versatzstücke in einem Begriff zu vereinen. Um deutlich zu machen, dass beispielsweise das Staatsverständnis der Rechtsextremisten eine Bedrohung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bedeutet, wird auf einzelne der vom Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsurteil genannten Prinzipien dieser Grundordnung verwiesen. Diese acht Prinzipien sind:
- Menschenrechte
- Volkssouveränität
- Gewaltenteilung
- Verantwortlichkeit der Regierung
- Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
- Unabhängigkeit der Gerichte
- Mehrparteienprinzip
- Chancengleichheit der Partei einschließlich Oppositionsfreiheit.[8]
"... wollen anstelle der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine 'herrschaftsfreie' anarchistische Gesellschaft etablieren und orientieren ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologien.Es gibt sicher gewalttätige Anarchisten, aber auch solche, die Gewaltfreiheit praktizieren. Sie bilden keine parteiähnlichen Organisationen, sind Marxisten-Leninisten äußerst suspekt und können faktisch ihre "autonomen Räume" nur in pluralistischen demokratischen Systemen entfalten, die dafür sowohl die rechtlichen als auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise Toleranz, bieten. Und offensichtlich herrscht in den Reihen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) trotz des Zusammenbruchs des sowjetsozialistischen Systems noch ein marxistisch-leninistisches, auf revolutionäre Umgestaltung des demokratischen (kapitalistischen) System gerichtetes Denken, wird das erst dann von Belang, wenn unter Berufung auf dieses Weltbild "eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung" [10] gegen den Kern der Verfassung geplant oder durchgeführt werden.
Revolutionär-marxistische Organisationen setzen auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Autonomes Selbstverständnis ist geprägt von der Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens in 'herrschaftsfreien' Räumen. Entsprechend wird jede Form staatlicher oder gesellschaftlicher Normen abgelehnt." [9]
In der oben zitierten Definition des Verfassungsschutzes wird von einer "sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft" gesprochen. Diese Gleichsetzung ist problematisch. Am Ende des 19. Jahrhunderts haben sich zwei Richtungen innerhalb der sozialistischen Bewegung herausgeschält: die demokratisch sozialistische wollte das sozialistische Endziel, die Beseitigung des Kapitalismus, durch schrittweise Reformen in Politik und Wirtschaft erreichen. Die kommunistische, später in der Kommunistischen Partei vertreten, propagierte dagegen die Umgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft durch eine gewaltsame Revolution. Die eine Richtung verteidigte deshalb die demokratische Republik, während die andere die inzwischen weltweit gescheiterte autoritäre sowjetsozialistische oder totalitäre kommunistische Ordnung anstrebte. [11] Politische Parteien wie die LINKE oder auch die SPD, in deren Programmen der Begriff zu finden ist, müssten theoretisch gewärtig sein, durch den Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Deshalb böte sich eine Spezifikation des Begriffs an.