Kommt es bei Demonstrationen zu politischen Durchmischungen, insbesondere von „Linken“ und „Rechten“ als gleichzeitigen Teilnehmern, dann ist in Medien und Politik sehr schnell von einer „Querfront“ die Rede. Handelt es sich dabei um ein reales Phänomen oder nur um ein politisches Schlagwort? Differenzierte Antworten auf derartige Fragen sind nur schwer möglich, wenn die genutzte Bezeichnung inhaltlich diffus bleibt und die jeweiligen Erscheinungsebenen nicht unterschieden werden. Die folgenden Ausführungen nehmen zunächst eine allgemeine Definition des Gemeinten vor und fragen dann nach den unterschiedlichen Erscheinungsformen einer Kooperation von Links-und Rechtsextremisten. Der Blick in die deutsche Geschichte, der auf die Bundesrepublik Deutschland wie auf die Weimarer Republik fällt, veranschaulicht für eine reale „Querfront“ nur eine geringe Relevanz. Gleichwohl gibt es derartige Bemühungen, wobei rechtsextremistische Akteure jeweils Bündnisangebote gegenüber linksextremistischen Protagonisten machen, aber ohne dass es dabei bislang zu einer tatsächlichen Zusammenarbeit kommt.
Allgemeine Definition und unterschiedliche Erscheinungsformen
Zunächst soll es um eine allgemeine Begriffsbestimmung von „Querfront“ gehen. Bislang liegt dafür noch keine gesonderte Definition in einem entwickelten Sinne vor, wird die Bezeichnung doch meist unreflektiert im Diskurs genutzt.
Ausmaß einer Kooperation in der Praxis in typologischer Unterscheidung
Es geht aber nicht nur um die jeweiligen Akteure, die dann Bündnispartner in einer „Querfront“ wären. Denn bezüglich des Ausmaßes einer Kooperation lassen sich in der Praxis durchaus Unterschiede ausmachen. Sie sollten bei einer Einschätzung des Phänomens im Sinne einer Typologie berücksichtigt werden: Erstens gibt es den Idealtyp einer realen Kooperation: Dabei beteiligen sich etwa links- und rechtsextremistische Akteure bewusst an einer längerfristig angelegten politischen Kooperation, wobei sie nach einem Erfolg erneut ihre früheren Konflikte gegeneinander austragen würden. Den zweiten Idealtyp bildet eine beabsichtigte strategische Zusammenarbeit: Dabei streckt beispielsweise ein rechtsextremistischer Akteur zum Bündnis die Hand aus, welche aber nicht von dem linksextremistischen Akteur ergriffen wird, was dann für eine „Querfront“ ein praktisches Scheitern bedeutet. Und als dritter Idealtyp darf das Kopieren der anderen Seite gelten: Hierbei werden etwa bestimmte Argumentationsmuster und Diskurse der Linksextremisten von Rechtsextremisten übernommen, aber ohne eine praktische Zusammenarbeit.
Historischer Hintergrund für den „Querfront“-Terminus
Die vorstehende Differenzierung erlaubt auch die Einordnung der gemeinten Phänomene. Hier soll dazu mit dem historischen Beispiel begonnen werden, welches „Querfront“ als Terminus aufkommen ließ. Dabei handelte es sich um einen Ausdruck für kurzzeitige Hoffnungen für eine stabile Regierung in der Schlussphase der Weimarer Republik. Ab Sommer 1932 versuchte der spätere Reichskanzler Kurt von Schleicher, präventiv für seine mögliche Regierung eine breitere politische Unterstützung zu mobilisieren. Damit sollte aber nicht die Demokratie vor den Nationalsozialisten gerettet, sondern lediglich ohne diese eine autoritäre Staatsordnung etabliert werden. Angesichts des Fehlens einer Mehrheit für ein solches Modell kam die Option einer „Querfront“ auf, woran sich der „Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund“, der „linke“ Flügel der NSDAP und Randbereiche der Sozialdemokratie beteiligen sollten. Es gab dafür aber nur Ansätze einer Bereitschaft, politische Differenzen und Rahmenbedingungen standen dem entgegen. Die anvisierte „Querfront“ scheiterte damit in der Praxis bereits vor der kurzzeitigen Reichskanzlerschaft von Schleicher.
Frühe Ansätze einer Bündnispolitik der KPD in der Weimarer Republik
Bereits vor dem Aufkommen des „Querfront“-Terminus kam es dazu, dass zwischen linken und rechten Extremisten eine Kooperation gegen die Republik angestrebt wurde. Der entscheidende Akteur war dabei die „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD), bemühte sie sich doch 1923 kurzzeitig gegenüber völkischen Kreisen um eine Zusammenarbeit. Man instrumentalisierte gar den Antisemitismus in seiner sozioökonomischen Form, etwa wenn das Feindbild vom „jüdischen Finanzkapital“ thematisiert wurde. Derartige Auffassungen kursierten auch in rechtsextremistischen Kreisen. Die dazu erfolgte Agitation der KPD griff sie positiv auf, betonte aber die Inkonsequenz gegenüber nicht-jüdischen Kapitalisten. Indessen wurde die ausgestreckte Hand der KPD von den Rechtsextremisten nicht ergriffen, womit es zu keiner realen „Querfront“ kam. Ab 1930 integrierte die KPD immer mehr nationalistische Positionen in ihre Propaganda, sprach man doch von der „nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“. Damit ging aber keine kontinuierliche Kooperationsbereitschaft mit den Nationalsozialisten einher.
Rechtsextremistisches Aufgreifen von „Sozialismus“ in der Weimarer Republik
Eine Art geistige „Querfront“ ließ sich von anderer Seite in der Weimarer Republik ausmachen. Nicht nur Denker der Konservativen Revolution, die zugunsten einer autoritären Diktatur den demokratischen Verfassungsstaat überwinden wollten, bezogen sich positiv auf den „Sozialismus“. Ein exemplarischer Ausdruck dafür ist der Buchtitel „Preußentum und Sozialismus“, der von dem Geschichtsphilosophen Oswald Spengler stammt. Ähnliche Begriffsaneignungen fanden sich im parteiförmigen Kontext, wofür das bekannteste Beispiel die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) selbst ist.
Bündnisangebote gegenüber Linksextremisten von Neonazis
Blickt man auf die historische Entwicklung der bundesdeutschen Neonazi-Szene, so lassen sich dort immer wieder Bemühungen um die Etablierung einer „Querfront“ in unterschiedlichem Sinne feststellen. So sprach sich etwa Michael Kühnen, ein bedeutender rechtsextremistischer Akteur in den 1970er und 1980er Jahren, offensiv für eine solche Zusammenarbeit aus. Er vertrat die Ansicht, dass auch Autonome gegen die Dekadenz einer bürgerlichen Ordnung und damit gegen das „Schweinesystem“ wären. Nach dessen Beseitigung könne man immer noch für das jeweils bevorzugte politische Modell streiten.
Rechtsterroristische Akteure wie etwa die "Hepp-Kexel-Gruppe", die 1982 Anschläge auf Fahrzeuge von US-Militärangehörigen durchführten, boten linksterroristischen Gruppen wie der "Roten Armee Fraktion" und den "Revolutionären Zellen" eine Zusammenarbeit an. Derartige Angebote wurden von den Erstgenannten ignoriert, die "Revolutionären Zellen" lehnten sie in einer eigenen Erklärung dezidiert ab.
Nationalrevolutionäre Intellektuelle und ihre Kooperationsbemühungen
Ähnlich erfolglos blieben die Kooperationsbemühungen, die ab den 1970er Jahren von nationalrevolutionären Intellektuellen ausgingen. Sie solidarisierten sich mit ihrem „Antiimperialismus“ auch mit politischen Bewegungen in anderen Ländern, welche angeblich oder tatsächlich durch den „Neokolonialismus“ westlicher Mächte bekämpft wurden. Den „Befreiungsnationalismus“, den diese Bewegungen artikulierten, griff man positiv auf, um ihn auf Deutschland zu übertragen. Dabei entstand mitunter der Eindruck, es handele sich hier um ein linkes Phänomen. Genau darauf setzten die einschlägigen Gruppen wie die „Solidaristische Volksbewegung“ oder später ein Publikationsorgan wie „Wir selbst“. Gleichwohl gelang diesen keine strukturelle Kooperation mit „Linken“, sondern nur partielle und zeitweise Zusammenarbeit . Auch innerhalb des eigenen politischen Lagers isolierte man sich, da das angeblich „Linke“ für viele Rechtextremisten abschreckend wirkte. Insofern kann letztendlich trotz medialer Aufmerksamkeit allenfalls von einer eingeschränkten inhaltlichen, aber nicht von einer praktisch relevanten „Querfront“ ausgegangen werden.
Kooperationen bei den „Mahnwachen für den Frieden“
Zu realen Kooperationen in einem „Querfront“-Sinne kam es erst später, können doch als erster bedeutender Fall ab 2014 die „Mahnwachen für den Frieden“ gelten. Bezugspunkt dafür war die damalige Ukraine-Krise, für die die Demonstranten hauptsächlich den Westen verantwortlich machten. Von Beginn an kursierten bei den Kundgebungen antiamerikanische und pro-russische Positionierungen, mitunter verbunden mit verschwörungsideologischen Vorstellungen. Diese Ausrichtung erklärt auch, warum sich etwa „Die Linke“ als Partei bereits früh von diesen Mahnwachen distanzierte. Indessen kamen bei den Demonstrationen nicht die typischen Links- und Rechtsextremisten zusammen. Eher lässt sich ein Konglomerat diffuser Vorstellungen ausmachen. Dabei hatten esoterischen Auffassungen in Kombination mit skurrilen Konspirationsneigungen große Relevanz.
Der „Compact“-Komplex als Protagonist für eine „Querfront“
Zuvor soll noch auf das seit 2010 erscheinende „Compact“-Magazin verwiesen werden, was seit seiner Gründung entschieden für eine „Querfront“ wirkt.
Öffentliche Proteste gegen die militärische Ukraine-Unterstützung
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine kam der Frage nach einer entsprechenden Kooperation in diesem thematischen Kontext wieder besondere Relevanz zu. In Deutschland lehnten sowohl die meisten Links- wie Rechtsextremisten die Ukraine-Unterstützung ab, wobei diese Einstellung aber über diese politischen Lager hinaus auch von größeren Minderheiten geteilt wird. Es handelt sich also nicht um eine Position, die nur unterschiedliche Extremisten vertreten. Gleichwohl fühlten sich derartige Akteure von einschlägigen Demonstrationen angezogen, wozu der „Aufstand für den Frieden“ am 25. Februar 2023 zählte. Aufgerufen hatten dazu die Feministin Alice Schwarzer und die „Linken“-Politikerin Sahra Wagenknecht. Formal distanzierten sie sich in ihren Ansprachen von Rechtsextremisten. Aber auch derartige Akteure mobilisierten auf die Veranstaltung, wo einige bekannte AfD-Politiker ebenso wie führende „Compact“-Publizisten gesichtet wurden. Mitunter versuchten andere Aktivisten diese Personen von der Veranstaltung zu verdrängen. Insofern stand diese Demonstration nicht für die Kooperation einer allseitig gewünschten realen Zusammenarbeit.
Einordnung von Fallbeispielen in die „Querfront“-Typologie
Bevor analytische Einschätzungen formuliert werden sollen, bedarf es hier noch einer kurzen Einordnung von Fallbeispielen in die präsentierte Typologie. Eigentlich meint die Bezeichnung eine längerfristige und reale Kooperation von politisch konträr ausgerichteten Protagonisten, wovon in der Gesamtschau nicht gesprochen werden kann (Idealtyp 1). Denn diesen Anspruch erfüllen gelegentliche Beteiligungen von einigen Rechtsextremisten an linken Veranstaltungen nicht. Bezogen auf die „Corona-Proteste“ kann man aus anderen Gründen nicht von einer realen „Querfront“ sprechen, beteiligte sich daran doch nur ein geringer Anteil von Personen mit linkem Selbstverständnis. Diese Akteure werden zudem von der „linken Bewegung“ nicht als deren Mitstreiter wahrgenommen, sie können aufgrund ihrer ideologischen Ausrichtung allenfalls als „esoterische Linke“ gelten.
Gegensätzliche Interessenlagen in der Konstellation einer „Querfront“
Um die Bedeutung einer möglichen „Querfront“ einschätzen zu können, bedarf es eines Bewusstseins für die jeweiligen Interessenlagen. Wenn die gemeinten Akteure ein Bündnis mit ganz anders ausgerichteten Protagonisten eingehen wollen, dann geht es letztendlich nicht um die Realisierung einer gemeinsamen Zielsetzung. Allenfalls könnten identische Absichten für eine gewisse Etappe auf dem Weg dorthin bestehen. Meist dürfte es sich dabei um eine negative Gemeinsamkeit handeln, also etwa die Negierung des bestehenden politischen Systems. Danach würde zwischen den extremistischen Akteuren ein Konflikt darüber ausbrechen, wie eine andere politische Ordnung gestaltet werden sollte. Angesichts dieser Aussichten wäre grundsätzlich eine Bündnispolitik problematisch, würde sie doch nur für eine Phase zeitlich vor einem unweigerlichen Zerwürfnis möglich sein. Demnach bestünde bei den gemeinten Akteuren jeweils die Interessenlage darin, den Bündnispartner kurzfristig lediglich für die eigene Zielsetzung zu instrumentalisieren. Dies dürfte auch allen Akteuren bewusst sein und eher zu einer zurückhaltenden Einstellung gegenüber Kooperationen führen.
Fehlen einer längeren realen Praxis einer „Querfront“
So erklärt sich das Fehlen der realen Praxis einer bündnispolitischen „Querfront“, blickt man auf die beschriebene Entwicklung zurück. Längerfristig gesehen kam es zwischen unterschiedlichen Extremismen zu keiner engeren Zusammenarbeit. Dagegen spricht auch nicht der hierfür vielfach genannte Streik bei der Berliner Verkehrsgesellschaft 1932, einem Arbeitskampf gegen Lohnkürzungen, woran sich zwar gemeinsam Kommunisten wie Nationalsozialisten beteiligten. Es handelte sich aber nur um eine kurze Phase, die vor dem damaligen politischen Hintergrund zu sehen ist. Bekanntlich ergab sich daraus keine längerfristige Kooperation, welche einer realen „Querfront“ entsprochen hätte.
Bemühungen um die Etablierung einer „Querfront“
Demgegenüber gab es immer wieder Bemühungen um die Etablierung einer solchen „Querfront“. Den Anfang damit machten Linksextremisten gegenüber Rechtsextremisten in der Weimarer Republik, wofür die Agitation der KPD gegenüber den Völkischen stand. Danach ließen sich derartige Aktivitäten von linksextremistischer Seite aber nicht mehr ausmachen. Allenfalls griff man einschlägige Diskurse etwa zu einer „nationalen Frage“ auf, um Anhänger solchen Denkens für sich zu gewinnen. Ab den 1980er Jahren kam es dafür immer wieder zu „Querfront“-Angeboten von Rechtsextremisten, die auf eine gemeinsame Ablehnung von „Globalisierung“, „Kapitalismus“, „US-Imperialismus“ und „Westen“ abstellten. Die dabei ausgestreckte Hand wurde aber nicht von den jeweiligen Linksextremisten ergriffen, was sich insbesondere durch deren „Antifaschismus“ als konstitutives Selbstverständnis erklärt. Man sah in den gemeinten „Faschisten“ politische Feinde, eine eigene Bündnispolitik mit Rechtsextremisten war daher für sich unvorstellbar.
Adaption von Diskursmustern, Organisationsformen und Strategien
Demgegenüber lässt sich eine Adaption von Diskursmustern, Organisationsformen und Strategien belegen, wobei rechtsextremistische Akteure hier Konzepte von linksextremistischen Protagonisten übernahmen. Dabei strebten sie aber keine direkte Bündnispolitik an, sondern wollten Innovationen im eigenen Interesse nutzen. So diente etwa das bei den Autonomen präsente Modell einer netzwerkähnlichen Organisationsstruktur dazu, ähnlich ausgerichtete „Kameradschaft“-Strukturen im Neonazismus zu etablieren. Die linke „Kapitalismuskritik“, die angesichts einer Fixierung auf Identitätsfragen immer mehr an Relevanz verlor, sollte fortan verstärkt von Rechtsextremisten mit anderen ideologischen Vorzeichen propagiert werden. Eine Bündnispolitik über eine „Mosaik-Linke“ wurde wenig ideenreich für eine „Mosaik-Rechte“ übernommen. Und der israelfeindliche Antisemitismus artikulierte sich dann als „Palästinenser“-Solidarität bei den Rechtsextremisten. In all diesen Fällen gab es eine instrumentalisierende Praxis, die nichts mit einer Änderung der eigentlichen Positionierung von Rechtsextremisten zu tun hatte.
Fazit
In der Bilanz bedeutet dies für die Gegenwart, dass ein reales Bündnis von Links- und Rechtsextremisten angesichts deren Spannungsverhältnis‘ unwahrscheinlich ist. Dagegen spricht das Bewusstsein davon, hier jeweils im anderen Interesse instrumentalisiert zu werden. Eine Bereitschaft dazu besteht bei Linksextremisten nicht, müssten sie doch mit „Faschisten“ und „Reaktionären“ kooperieren. Gerade der „Antifaschismus“ als bedeutsames eigenes Identitätsmerkmal schließt so etwas aus. Außerdem würden derartige Bündnisse die Linksextremisten öffentlich diskreditieren, was nicht im eigenen Interesse für ein längerfristiges Vorgehen wäre. Demgegenüber dürften rechtsextremistische Akteure immer wieder ihre Bereitschaft artikulieren, mit Linkextremisten eine „Querfront“ einzugehen. So hofft, man aus einer politischen Isolation heraus zu kommen. Indessen gehören zu einer Kooperation mindestens zwei Partner. Allenfalls dürfte es zu einer fortgesetzten Adaption von Diskursmustern, Organisationsformen und Strategien kommen, sieht man darin doch gelegentlich nachahmenswerte Erfolgsmodelle für das eigene Wirken.