Ist der Begriff "Linksextremismus" eine analytische Kategorie oder ein politisches Schlagwort? Der letztgenannten Auffassung neigen die Autoren des Sammelbandes "Verfassungsfeinde? Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit dem 'Linksextremismus' umgehen" zu: Danach handelt es sich um ein "disqualifizierend gemeintes Verdikt, das nicht nur Sicherheitsbehörden und konservativen Parteien zur ultimativen Wunderwaffe gegen politisch Andersdenkende gerät". Für sie drückt "sich im Begriff 'Linksextremismus' eine bestimmte ideologisch geprägte Form der politischen, wissenschaftlichen und exekutiven Auseinandersetzung mit oppositionellen Ideen, Organisationen und Praxen"
Negativ-Definition von Extremismus
In den Politikwissenschaften bildete sich erst ab Mitte der 1980er Jahre ein systematisch entwickeltes Verständnis von "Extremismus" heraus. Entscheidenden Anteil hatten daran die beiden Extremismusforscher und Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse, die zahlreiche Publikationen
Demnach bezog sich der Begriff nur auf politische Bestrebungen und Ideologien, die sich gegen die Grundlagen einer modernen Demokratie richten. Sofern gesellschaftskritische und oppositionelle Auffassungen und Organisationen deren Normen und Regeln teilen, kann in diesem Sinne nicht von "Extremismus" gesprochen werden. Die Verwendung des Terminus "Sammelbezeichnung" macht außerdem deutlich, dass damit sowohl hinsichtlich der ideologischen Ausrichtung als auch des politischen Vorgehens ganz unterschiedliche Bewegungen und Parteien, Organisationen und Personen erfasst werden können. Die Gemeinsamkeiten bestehen in der Ablehnung der Minimalbedingungen eines demokratischen Verfassungsstaates. Insofern nimmt dieses Verständnis entgegen anderslautenden Fehldeutungen auch keine Gleichsetzung der gemeinten Bestrebungen vor. Darüber hinaus bezieht sich die von Backes und Jesse zitierte Definition nicht nur auf politische Aktivitäten, sondern auch auf ideologische Prinzipien.
Diese Begriffsbestimmung von Extremismus setzt die Definition des demokratischen Verfassungsstaates voraus. Demnach wird hier zunächst nicht politischer Extremismus, sondern dessen erklärtes Gegenteil bestimmt. Allgemein gelten als grundlegende Merkmale solcher Staatsordnungen, die sich aber institutionell wie praktisch unterschiedlich gestalten: Gewaltenteilung und Individualität, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und Volkssouveränität.
Positiv-Definition von Extremismus
Hier besteht dann aber das bereits angedeutete Problem: Es wird nicht erklärt, was Extremismus ist, sondern was Extremismus nicht ist. Dies sieht auch Backes so, bestehe doch die Gefahr einer inhaltsleeren und zirkulären Begriffsbestimmung nach dem Motto: "antidemokratisch = extremistisch" und "antiextremistisch = demokratisch". Außerdem werde diese Negativ-Definition dem Phänomen nicht gerecht, da der Eindruck entstünde, "als sei der politische Extremismus etwas Sekundäres, dessen Existenz vom Primärphänomen des demokratischen Verfassungsstaates abhänge. Eine derartige Vorstellung muss jedoch ahistorisch sein." Die reine Negativ-Definition hat für Backes den "entscheidenden Nachteil, dass sie das Feld der extremistischen Phänomene nur in seinem Schattenriss abbildet, so dass das breite Spektrum der Extremismen strukturell unbestimmt bleibt. Daher kann der Eindruck entstehen, als handele es sich um ein Spiel mit antithetischen Begriffen, deren Definitionsbereich allzu Disparates zusammenzwingt".
Der bedeutende Schritt, den Backes gegenüber dem bisherigen Verständnis von Extremismus weiter geht, besteht in der aufgezeigten Notwendigkeit einer Positiv-Definition. Dies läuft bei ihm auf die Erfassung der formalen Gemeinsamkeiten bei der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates durch die gemeinten Extremisten hinaus. Angesprochen sind damit die Strukturmerkmale, die alle Formen des gemeinten Phänomens besitzen, so unterschiedlich sie auch in ideologischer Hinsicht sein mögen. Als solche benennt Backes offensive und defensive Absolutheitsansprüche, Dogmatismus, Utopismus bzw. kategorischer Utopie-Verzicht, Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, Fanatismus und Aktivismus.
Ähnliche Merkmale arbeitete der Autor nach einer Analyse des linken, rechten und religiösen Extremismus heraus: erstens den exklusiven Erkenntnisanspruch (Glaube an ein "höheres Wissen"), zweitens den dogmatischen Absolutheitsanspruch (Behauptung der unbezweifelbaren Richtigkeit eigener Positionen), drittens das essentialistische Deutungsmonopol (alleinige Erfassung des "wahren Wesens" der Dinge), viertens die holistischen Steuerungsabsichten (angestrebte ganzheitliche Kontrolle der Gesellschaft), fünftens das deterministische Geschichtsbild (Wissen um den vorgegebenen historischen Weg), sechstens die identitäre Gesellschaftskonzeption (Forderung nach politischer Homogenität der Gesellschaft), siebtens den dualistischen Rigorismus (Denken in kompromisslosen Gegensatzpaaren wie Gut-Böse) und achtens die fundamentale Verwerfung (rigorose Verdammung des Bestehenden).
Kritik am Extremismusverständnis
Im Rahmen der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den mit "Extremismus" gemeinten Bestrebungen wurden immer wieder Einwände gegen das referierte Verständnis erhoben. Diese Kritik lässt sich in drei Kernaussagen aufteilen: Erstens formulierte man den Vorwurf, es handele sich lediglich um einen "politischen Kampfbegriff". Hierzu einige Stimmen aus der Politikwissenschaft zur Veranschaulichung: Für Manfred Funke nutzen die Inhaber der "Definitionsherrschaft über die zentralen Standards einer Gesellschaftsordnung" die Bezeichnung, um erkannte oder vermutete "Zerstörer der Basisstabilität"
Ein zweiter Einwand unterstellt eine unangemessene Gleichsetzung unterschiedlicher Phänomene. Die Historikerin Helga Grebing spricht etwa von einer "falschen Gleichung"
Als dritter Einwand gegen das Extremismusverständnis kann der Vorwurf der mangelnden analytischen Reichweite gelten, wobei hier eine besondere Dimension des Erkenntnisinteresses angesprochen ist: Jaschke meint, diese Auffassung sei, "wenig geeignet, tieferliegende Ursachen ins Blickfeld zu bekommen. Die erzwungene Gegenüberstellung von Demokratie und Extremismus "individualisiert Ursachenkomplexe und vernachlässigt das gesellschaftliche Bedingungsgefüge"
Kritik der Kritik am Extremismusverständnis
Bei den referierten Auffassungen handelt es sich um Fehldeutungen und Missverständnisse, aber auch um Unterstellungen und Verzerrungen. Daher soll hier zu den drei Einwänden eine Kritik der Kritik erfolgen, was allerdings nur in kurzer Form geschehen kann.
Der zweite Einwand unterstellt eine unangemessene Gleichsetzung unterschiedlicher Phänomene: Hierbei handelt es sich um eine Fehlwahrnehmung, geht es dem Extremismusverständnis doch nur um die Hervorhebung einer Frontstellung gegen die Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates. Eine Auffassung nach dem Motto "Links gleich Rechts" oder "Rot gleich Braun" geht damit nicht einher, zumal es sich um ideologisch divergierende Auffassungen handelt. Das Extremismusverständnis nimmt auch keine Gleichsetzung des Gefahrenpotentials von Links- und Rechtsextremismus vor. Dies kann je nach Handlungsebene oder Rahmensituation ganz unterschiedlich ausgerichtet sein. Das Extremismusverständnis konzentriert sich in der vergleichenden Betrachtung auf die strukturellen Gemeinsamkeiten der politischen Auffassungen und Handlungsweisen, die sich gegen Demokratie und Menschenrechte richten. Die Gegner des Ansatzes müssten erklären, warum ihnen diese Perspektive nicht wichtig ist.
Und die dritte Kritik hebt die eingeschränkte oder mangelnde analytische Reichweite des Extremismusverständnisses hervor. Es ist in der Tat auf das Spannungsverhältnis zum demokratischen Verfassungsstaat fixiert, womit sich allein aber wichtige Fragen nicht beantworten lassen: Wie kommt es zur Herausbildung extremistischer Bestrebungen? Welche Faktoren erklären deren Entwicklung? Wie ist das Verhältnis zu etablierten politischen Kräften? Welche gesellschaftlichen Ursachen spielen eine Rolle? Das konventionelle Extremismusverständnis konzentriert sich mitunter allzu sehr auf die Einordnung der untersuchten politischen Bestrebungen im Spannungsfeld zur Demokratie. Aber diese Feststellung nötigt nicht zu deren Verzicht. Gleichwohl bedarf es der Ergänzung durch andere Problemstellungen. Denn die Frage nach dem Verhältnis einer Organisation zu Demokratie und Menschenrechten bedeutet nicht, dass man die Frage nach den Gründen für deren Entstehung und Entwicklung nicht mehr stellen muss.
Unterscheidung von "links" und "rechts"
Bevor der Linksextremismus im engeren Sinne definiert wird, sollen noch einige Erörterungen zur allgemeinen Unterscheidung von "links" und "rechts" angestellt werden. Auch heute noch dienen die beiden Kategorien aus dem 19. Jahrhundert häufig zur Einordnung von Personen oder Parteien. Gleichzeitig äußern kritische Stimme ihre Vorbehalte gegen die Angemessenheit der Unterscheidung. Daher fragt der Sozialphilosoph Norberto Bobbio nach einem geeigneten Kriterium, um die beiden politischen Richtungen zumindest in relativer Betrachtung hinsichtlich ihrer Differenzen zu erfassen. Er erblickt es in der Einstellung zur "Gleichheit": Als "Egalitarier" bzw. "Linke" gelten Bobbio jene, "die, ohne zu verkennen, dass die Menschen ebenso gleich wie ungleich sind, eher dem größere Bedeutung beimessen, was sie gleich statt ungleich macht", und als "Nichtegalitarier" bzw. "Rechte" jene, "die von der gleichen Feststellung ausgehen, um des selben Zieles willen dem größere Bedeutung beimessen, was die Menschen ungleich statt gleich macht."
Gegen diese Auffassung kann der Einwand erhoben werden, es handele sich um eine eindimensionale und vereinfachende Unterscheidung, die der Komplexität und Vielschichtigkeit zur Erfassung des politischen Spektrums der Gegenwart nicht entspricht. So suggeriere die Rede von einer "Linken" und einer "Rechten" eine Einheitlichkeit der gemeinten politischen Spektren, welche angesichts ihrer inneren Unterschiede über die Einstellung zu Demokratie, Staat oder Wirtschaft nicht bestehe. Darüber hinaus müssten andere Dimensionen wie "autoritär – demokratisch", "bewahrend – verändernd" oder "individualistisch – kollektivistisch" zur Differenzierung genutzt werden. So angemessen diese Einwände allgemein sein mögen, so treffen sie Bobbios Unterscheidung nur eingeschränkt: Er macht auch in der zitierten Formulierung deutlich, dass es ihm um ein Kriterium in relativierender und nicht in starrer Perspektive geht. Und Bobbio verwies selbst noch auf andere Dimensionen seiner Unterscheidung von "links – rechts".
Zunächst aber noch zu dem allgemeinen Merkmal, wozu Backes und Jesse kritisch formulieren: "Die von Bobbio zur Unterscheidung von 'links' und 'rechts' eingeführte Orientierung am Gleichheitsideal ist in Wirklichkeit zu einem so großen Ausmaß Gemeingut der freiheitlich-demokratisch ausgerichteten Parteien geworden, dass die so entstandene Rechts-Links-Dimension im breiten Mittelfeld des politischen Spektrums nur mehr graduelle Unterschiede kennt, jedenfalls keine tiefen, die Koalitionsfähigkeit stark beschränkenden Klüfte."
Definition "Linksextremismus"
Bobbios Auffassungen zu einer politischen Unterscheidung zweier Grundrichtungen ist darüber hinaus keineswegs eindimensional ausgerichtet. Für ihn dient auch das "Ideal der Freiheit" und nicht nur das "Ideal der Gleichheit" zur Differenzierung: "Es gibt sowohl auf der Rechten wie auf der Linken freiheitliche und autoritäre Doktrinen und Bewegungen. Und zwar deshalb, weil das Kriterium der Freiheit dazu dient, das politische Ordnungssystem nicht so sehr im Hinblick auf seine Ziele, als vielmehr im Hinblick auf seine Mittel oder auf seine Methode zu unterscheiden, die es zur Erreichung seiner Ziele einsetzt: das heißt es bezieht sich auf die Annahme oder auf die Verweigerung der demokratischen Methode unter der man die Gesamtheit von Regeln zu verstehen hat, die es möglich machen, kollektive Beschlüsse aufgrund freier Diskussionen und freier Wahlen zu fassen, und nicht, weil zu Mitteln der Gewalt gegriffen wird."
Ganz im Sinne dieser Perspektive findet auch die hier genutzte Bezeichnung "Linksextremismus" Verwendung: Es handelt sich zunächst einmal um eine Sammelbezeichnung, d.h. mit ihr sollen durchaus unterschiedliche Phänomene unter einem Oberbegriff erfasst werden. Demnach können bezüglich der Ideologie, Organisation und Strategie auch Differenzen bestehen. Folgende Gemeinsamkeiten erlauben es aber, die gemeinten politischen Bestrebungen unter die Bezeichnung "Linksextremismus" zu fassen: Erstens geht es um alle politischen Auffassungen und Handlungen, die der Gleichheit eine herausgehobene Position im eigenen politischen Selbstverständnis zuweisen. Zweitens müssen sich die damit einhergehenden Bestrebungen gegen die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates richten. Und demnach stehen dabei drittens primär die angewandten Mittel und weniger die beschriebenen Ziele im Zentrum des Interesses.
Eine demokratische und eine extremistische "Linke" können also in Deutungsmustern, Idealen oder Utopien durchaus gewisse Gemeinsamkeiten haben. Ihre grundlegende Differenz ergibt sich aus der Antwort auf die Frage, ob sie auf dem Weg zu deren Umsetzung Demokratie und Menschenrechte, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen wollen oder nicht. Daher müssen demokratische "Linke" keineswegs eine Position der "Mitte" einnehmen und auf grundlegende Gesellschaftskritik verzichten. Solange sie die erwähnten Minimalbedingungen akzeptieren, auf schrittweise Reformen setzen und eine gewalttätige Revolution ablehnen, können sie auch nicht als extremistische "Linke" gelten. Bilanzierend lässt sich somit "Linksextremismus" wie folgt definieren: Der Begriff steht für eine Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Bestrebungen, die im Namen der Forderung nach einer von sozialer Gleichheit geprägten Gesellschaftsordnung die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates grundsätzlich ablehnen und für nicht reformierbar halten.