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Die Autonomen zwischen Anarchie und Bewegung, Gewaltfixiertheit und Lebensgefühl Zu den Besonderheiten einer linksextremistischen Subkultur

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber Armin Pfahl-Traughber

/ 12 Minuten zu lesen

Durch ihr gewalttätiges Auftreten sind die Autonomen wohl die bekannteste Subkultur im Linksextremismus. Sie formulieren aber kaum konkrete politische Ziele über die Verteidigung oder Erweiterung von "Freiräumen" hinaus.

Autonome am Montag, 28.Mai 2007, in Hamburg: Mehrere tausend Menschen beteiligten sich im Zusammenhang mit dem ASEM-Treffen und dem bevorstehenden G8-Gipfel an Protestaktionen. (© picture-alliance/AP)

Die Autonomen werden über die Medienberichterstattung meist nur als "schwarzer Block" bei Demonstrationen wahrgenommen. Aggressive Parolen, martialisches Gehabe und schwarze Kleidung prägen ihr Bild. Doch worum handelt es sich hier? Bilden die Autonomen nur eine Gruppe gewaltfixierter Jugendlicher, geht es in erster Linie um das Ausleben von persönlichem Unmut, handelt es sich um eine von vielen Subkulturen dieser Altersgruppe, stehen sie für eine politische Bewegung mit konkreten Zielen? All diese Fragen lassen sich nur schwer beantworten, geht es hier doch nicht um eine politische Organisation mit klaren Strukturen und politischen Zielsetzungen. Selbst die eindeutige Identifikation einer Gruppe oder Person als den Autonomen zugehörig ist schwierig. Insofern kann die folgende Darstellung und Einschätzung dieses Teils des Linksextremismus hinsichtlich seiner Verallgemeinerung nur vorbehaltlich gelten. Immer wieder lassen sich von den allgemeinen Merkmalen abweichende Besonderheiten oder Unterphänomene ausmachen.

Herkunft der Bezeichnung aus der Autonomia Operaia

Bereits über die genaue Herkunft der Selbstbezeichnung "Autonome" - was für so viel wie Eigenständigkeit steht - lässt sich keine genaue und zweifelsfreie Aussage treffen. Allgemein wird angenommen, dass man hier an die "Autonomia Operaia" (Arbeiterautonomie) im Italien Ende der 1960er Jahre anknüpfte. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von jungen Fabrikarbeitern und Studenten, die sich mit ihren Aktionen bewusst gegen die etablierten Gewerkschaften und die Kommunistische Partei stellten. Ihnen warf man Anpassung und Verbürgerlichung vor. Statt dessen setzten die Anhänger der Autonomia Operaia auf Sabotageaktionen und Streiks. Bei den heftigen Auseinandersetzungen in den Fabriken, wie etwa 1969 bei Fiat in Turin, spielten sie eine bedeutende Rolle. Im Unterschied zur Situation in Deutschland gelang hier teil- und zeitweise ein Bündnis von Arbeitern und Studenten. Es zerbrach allerdings im Laufe der 1970er Jahre wieder. Gleichzeitig lösten sich viele Gruppen der Arbeiterautonomie aufgrund von internen Konflikten und Widersprechen wieder auf.

Die Spontis der 1970er Jahre als Vorläufer der Autonomen

Weitaus bedeutsamer für die deutschen Autonomen sollten die Spontis der 1970er Jahre werden, können sie doch hinsichtlich Aktion, Einstellung, Motivation und Organisation als direkte Vorläufer gelten. Bei den Spontis handelte es sich um ein spätes Überbleibsel der zerfallenen Achtundsechziger Bewegung und zwar von jenen Teilen, die sich weder in Richtung der sowjetmarxistischen DKP noch der maoistischen K-Gruppen orientieren wollten. Die Spontis traten für organisatorische Autonomie ein und legitimierten sich durch ihr Betroffenheitsgefühl. Statt einer entwickelten Ideologie verfügten sie primär über einen subjektiven Voluntarismus. Insbesondere an den Universitäten entstanden zahlreiche studentische Hochschulgruppen, die von Emotionalität und Lustprinzip geprägt mit humorvollen und unkonventionellen Aktionen auf sich aufmerksam machten. Die damalige Bedeutung der Sponti-Bewegung veranschaulicht ein 1978 in Berlin durchgeführter "Nationaler Widerstandskongress: Reise nach TUNIX" mit 6.000 Teilnehmern.

Ideologische Besonderheiten und Politik der ersten Person

Seit Beginn der 1980er Jahre kann von dem Bestehen der Autonomen als einer eigenständigen Subkultur gesprochen werden. Über ihr politisches Selbstverständnis geben folgende Auszüge aus einem Thesenpapier von 1981 Auskunft: "1. wir kämpfen für uns und führen keine stellvertreterkriege, alles läuft über eigene teilnahme, politik der ersten person, wir kämpfen nicht für ideologien, nicht fürs proletariat, nicht fürs volk, sondern für ein selbstbestimmtes leben in allen bereichen. ... 5. wir haben alle einen ‚diffusen anarchismus´ im kopf, sind aber keine traditionellen anarchisten. Die begriffe marxismus, sozialismus und kommunismus beinhalten für uns nach allen ihren theorien und praktiken den staat und können somit von uns auch als ‚zwischenstufe´ nicht akzeptiert werden" (Radikal, Nr. 98/1981). Hier fällt auf, dass bei der positiven Beschreibung des eigenen Wollens kaum politische Inhalte formuliert werden. Identitätsstiftend wirkt primär eine Einstellung, welche Emotionalität und Subjektivität zum zentralen Maßstab des Denkens erhebt.

Die selbstgewählte Isolation von der Mehrheitsgesellschaft

Unmittelbar aus dieser subjektiven Prägung folgt das durch gewollte Abgrenzung und selbstgewählte Isolation bestimmte Verhältnis zur Welt außerhalb der Subkultur. Offenbar befürchten Autonome mit dem Dialog mit oder dem Einwirken der Gesellschaft oder des Staates den Verlust von eigener Identität oder das Wegbrechen von Anhängern. Dies erklärt auch die unter ihnen immer wieder beschworene Notwendigkeit, sich nicht in das normale Arbeitsleben durch Berufstätigkeit integrieren zu lassen. Für die gesamtgesellschaftliche Umsetzung ihrer Auffassung können sie ebenso wenig Mittel, Strategie und Wege angeben. Vielmehr erschöpft sich die Haltung der Autonomen in der Verweigerung, die im politischen Engagement per se eine verwerfliche Handlungsweise sieht. Statt dessen strebt man die Eroberung und Verteidigung von Feiräumen an, welche in Form von besetzten Häusern oder dominierten Einrichtungen (z.B. Jugendclubs) gesehen werden. Darüber hinaus gehende positive Benennungen politischer Inhalte und Ziele sucht man bei den Autonomen meist vergebens.

Die politischen Betätigungsfelder in Protestbewegungen ab der 1980er Jahre

Die politischen Betätigungsfelder der Autonomen sind für diese Frühzeit au folgenden Gebieten zu sehen: Mit der Forderung nach eigenen "Freiräumen" kam es zu massenhaften Hausbesetzungen in größeren Städten, begleitet von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Großdemonstrationen gegen Atomkraftwerke nutzten Autonome, um aus der überwiegend friedlichen Gruppe der Teilnehmer heraus Angriffe gegen Polizeiangehörige und Beschädigungen von Einrichtungen durchzuführen. Darüber hinaus kam es zu Angriffen auf Banken, Baufirmen und Militäreinrichtungen, was letztendlich auch die durch Differenzen zur Militanzfrage ausgelöste Abspaltung der Autonomen von der Friedensbewegung bedingte. Andere friedliche Proteste gegen regionale Vorhaben wie die Startbahn West in Frankfurt/M. oder die bundesweit durchgeführte Volkszählung nutzten Aktivisten der Szene ebenfalls für ihr gewalttätiges Vorgehen. In diesen Fällen mangelte es häufig an einer kritischen Auseinandersetzung der friedlichen Demonstrationsteilnehmer mit den Autonomen.

Die politischen Betätigungsfelder in Protestbewegungen ab der 1990er Jahre

In den 1990er Jahren setzten die Autonomen auf weiteren Themenfeldern ihre Aktivitäten fort, sei es bei Protesten gegen den Golfkrieg oder gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Gegen Angehörige dieses politischen Lagers gingen Autonome auch gezielt vor. In ihrer Hochburg Berlin bildete der "Kampf gegen Umstrukturierung" eine Schwerpunkt der Aktivitäten, wobei es um militante Protestaktionen gegen den Ausbau der Stadt zur Regierungs- und Dienstleistungsmetropole ging. Seit Ende der 1990er Jahre nutzten Autonome auch Proteste gegen die Globalisierung in Deutschland und im Ausland als Forum für ihre Aktivitäten und Ausschreitungen. Insbesondere bei den Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm im Sommer 2007 zeigte sich die hohe Militanzbereitschaft der Szene. Auffällig bei all diesen Ausschreitungen ist aus der Gesamtschau, dass die Autonomen mit ihren Aktivitäten je nach Aktualität von Anlass zu Anlass und Thema zu Thema springen, ohne – mit Ausnahme der Verteidigung ihrer "Freiräume" – eigenständig ihnen wichtige Politikfelder anzugehen.

Die quantitative Entwicklung und soziale Zusammensetzung

Nach Angaben der Sicherheitsbehörden stieg die Zahl der Autonomen in den 1990er Jahren kontinuierlich an, gehörten ihnen 1990 2.300 Personen an, waren es 1996 6.000 und 2001 7.000. Erst ab 2002 kam es zu einem Rückgang auf 5.500 Personen und um diese Zahl bewegte sich das Potential auch Ende 2006. Bis 2009 stieg die Anhängerschaft der Autonomen auf 6.100 und bis 2011 auf 6.400. 2013 lies sich wiederum ein leichter Rückgang auf 6.100 konstatieren. Über die soziale Zusammensetzung liegen keine Forschungsergebnisse vor. Auch hier kann man sich nur auf die Angaben der Verfassungsschutzbehörden stützen. Demnach sind die Anhänger der Autonomen überwiegend zwischen 15 und 28 Jahre alt, Schüler, Studenten, Auszubildende oder haben eine gescheiterte Ausbildung hinter sich, viele sind arbeitslos, jobben gelegentlich oder beziehen "Staatsknete" (Sozialhilfe). Die Verweildauer in der Szene betrage oftmals nur wenige Jahre. Wie bei allen Verallgemeinerungen gibt es auch hier Ausnahmen: In dieser Subkultur findet man auch Alt-Autonome, die schon die Grenze zum halben Lebensjahrzehnt überschritten haben und ebendort über ein hohes Ansehen verfügen.

Die mangelnde Organisationsstruktur und der lockere Zusammenhalt

Bei den Autonomen existieren nur schwach organisierte Personenzusammenschlüsse, gelten doch festere Hierarchien und Strukturen als Ausdruck des abgelehnten autoritären Denkens. Einen Eindruck davon vermittelt folgende Beschreibung aus der Szene, wonach es nicht "die" typische autonome Gruppe gebe: "Statt dessen bilden sich die unterschiedlichsten Konstellationen: Aus Freundeskreisen werden mehr oder weniger kurzlebige Banden oder bei Bedarf aktivierbare Aktionsgruppen; aus Demo-Bekanntschaften ergeben sich spontan handlungsfähige und wieder zerfallende Chaoten-Combos; aus politischen Plena entwickeln sich dauerhafte Gruppen, die auch zur Tat schreiten, in wechselnden und sich auch überschneidenden Zusammensetzungen agieren Gruppen manchmal nur ein einziges Mal, manchmal über Jahre, einige verfestigen sich, andere bleiben lose, manche wandeln sich in Theoriezirkel oder Selbsthilfegruppen" (A.G. Grauwacke, S. 143). Insofern scheiterten auch immer wieder Bemühungen zur bundesweiten Integration und Organisation.

Die Bemühungen um eine Vernetzung der Aktivitäten

Gleichwohl gab und gibt es immer wieder einschlägige Versuche, wofür Projekte im Sinne einer Vernetzung der Aktivitäten stehen. Als bereits älteres Beispiel dafür kann seit 1989 "Avanti – Projekt undogmatische Linke" mit Ortsgruppen im norddeutschen Raum gelten, plädierte man doch etwa 2008 in der Erklärung "Intervention braucht Organisation" um einer gemeinsamen Handlungsfähigkeit willen für mehr Verbindlichkeit und zentralere Strukturen. Mit der 2005 entstandenen "Interventionistischen Linken" (IL) besteht gar ein bundesweit aktives informelles Netzwerk, worin aber einige beteiligte Autonomen-Gruppen die Entwicklung von festeren Organisationsstrukturen ablehnen. Und schließlich kann in diesem Kontext auch das 2010 entstandene "[3A]*Revolutionäre Bündnis" genannt werden, beabsichtigt man doch den "Aufbau einer bundesweiten revolutionären kommunistischen Organisation". Angesichts der Bejahung festerer Strukturen darf indessen auch gefragt werden, ob man es hier jeweils noch mit Autonomen im engeren Sinne zu tun hat.

Das besondere Verständnis von Gewalt als prägender Bestandteil der Bewegung

Die Gewaltbereitschaft bildet ein zentrales, nicht nur handlungs-, sondern auch identitätsbezogenes Merkmal des Agierens der Autonomen. So heißt es in einem Selbstzeugnis: "Aber allen ist gemeinsam, dass die Militanz zum identitätsstiftenden, prägenden Bestandteil der Bewegungserfahrung wird" (A.G. Grauwacke, S. 142). Oder: "Militanz ist in unseren Augen notwendiger Bestandteil linksradikaler Politik, sowohl im allgemeinen Sinn der konsequenten, kämpferischen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn von politischer Gewalt" (A. G. Grauwacke, S. 380). Dabei muss hervorgehoben werden, dass Gewalt nicht nur als Mittel zum Zweck verstanden wird. Vielmehr artikuliert sich in der Bereitschaft zu und der Anwendung von Gewalt auch ein für das Selbstverständnis wichtiges Lebensgefühl. Man empfindet derartige Handlungen als Akt der individuellen Selbstbefreiung von angeblich verinnerlichten Herrschaftsstrukturen. Insofern bedarf Gewalt auch keiner besonderen Legitimation, gilt sie doch als normale Handlungsoption.

Die Funktionen der Gewalt bei Gruppenintegration und Identitätsbildung

Das Überschreiten der Schwelle zur Strafbarkeit wird nicht nur nicht näher problematisiert, sondern als Ausdruck besonders konsequenten Agierens angesehen und geschätzt. Zu ihrer Funktion für die Identitätsbildung hier ein weiteres Selbstzeugnis: "Der Krawall wird zum politischen Ausdruck an sich, der nicht gezielt eingesetzt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern der ‚den Preis´ hochtreiben soll, den ‚das System´ zu zahlen hat – für ein Atomkraftwerk, ein geräumtes Haus ..." (A. G. Grauwacke, S. 142). Und für die Funktion der Gewalt zur Gruppenintegration steht folgendes Selbstzeugnis: "Wenn Steine und Mollis flogen, dann war das häufig auch eine Befreiung – von den Zwängen des Alltags, der Unterdrückung und Entfremdung. ... Das mitzubekommen, dabei gewesen zu sein, selbst Hand angelegt zu haben – davon konnten wir tagelang zehren, das gab uns Nahrung für den grauen Alltag. Das stärkte aber auch unsere Gruppenzusammenhalt und das stärkte unsere Gruppe in dem Gesamtgefüge autonomer Zusammenhänge." (A. G. Grauwacke, S. 148).

Die Formen der Gewaltanwendung von Anschlägen bis zu Straßenkrawallen

Bei den Gewalttaten lassen sich unterschiedliche Formen ausmachen: Bei Demonstrationen kommt es häufig zu Krawallen, welche zumeist relativ spontan erscheinen, gleichwohl szeneintern vorbereitet sind. Dabei greift man nicht nur Einrichtungen, Fahrzeuge und Gebäude mit Feuerwerkskörpern, Flaschen und Steinen, sondern auch gezielt Menschen wie Polizeibeamte und Rechtsextremisten an. Darüber hinaus lassen sich klandestine Aktionen ausmachen, wobei geplant und gezielt Brand- und Sprengstoffanschläge gegen Autohäuser, Dienstfahrzeuge, Elektrizitätswerke oder Job-Center durchgeführt werden. In den jeweiligen Taterklärungen, die sich häufig in gedruckter Form in dem Szene-Organ "Interim" wiederfinden, versucht man derartige Gewalttaten als notwendig zu rechtfertigen. Hierbei geht es den Tätern jeweils um die "Vermittelbarkeit" der Taten in das eigene politische Umfeld hinein. Insbesondere die "militante gruppe" (mg) und die "Revolutionären Aktionszellen" (RAZ) steigerten in den letzten Jahren zeitweise derartige Anschlagsaktivitäten, konnten aber in der Szene mit dieser Form der Gewaltanwendung kaum Anhänger und Nachahmer finden.

Die qualitative und quantitative Entwicklung der Gewaltintensität

Gleichwohl kann von einem qualitativen und quantitativen Anstieg der Gewaltintensität durch die Autonomen ausgegangen werden, lassen sich den Angehörigen dieser Subkultur doch nahezu alle einschlägigen Handlungen im Bereich des Linksextremismus zuordnen. Betrachtet man hierzu die statistischen Angaben zu den Gewalttaten, die sich allein auf Körperverletzungen (ohne Berücksichtigung der Widerstandsdelikte) beziehen, dann ergibt sich folgendes Bild: 2010 machten sie 541, 2011 583, 2012 471 und 2013 606 Fälle aus (Angaben zu den Widerstandsdelikten: 2010: 112, 2011: 135, 2012: 128, 2013: 243). Zu Tötungsdelikten kam es im genannten Zeitraum nicht, indessen 2010 zu 4, 2011, zu 3, 2012 zu 8 und 2013 zu 3 versuchten Tötungsdelikten. Besonders auffällig war in den letzten Jahren die Erhöhung der Gewaltintensität in Form von direkten Angriffen gegen Polizeibeamte, wobei man sich Fahnenstangen, Flaschen, Knüppeln, Pfefferspray oder Steinen bediente. Damit kalkulierten Autonome schwere Verletzungen von Menschen objektiv ein.

Der Konflikt zwischen den Antideutschen und den Antiimperialisten

Innerhalb der Autonomen-Szene kommt es immer wieder zu heftigen internen Kontroversen, die mitunter die ganze Subkultur lähmen oder spalten. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gehörte der "Sexismus" zu diesen Themen, warf doch ein gewisser Teil dem anderen Teil der Szene frauenfeindliches Verhalten vor. Danach bestand eine ähnliche heftige Kontroverse zwischen einem "antideutschen" und einem "antiimperialistischen" Flügel bei der Einschätzung des Nahost-Konflikts: Die erstgenannte Strömung orientiert sich an der Politik des Staates Israel aufgrund ihrer Solidarität mit den Opfern des Faschismus, die traditionellen Antiimperialisten sehen sich demgegenüber auf der Seite der Palästinenser. Ihnen werfen die "Antideutschen" Blauäugigkeit gegenüber dem "Islamo-Faschismus" vor. So rechtfertigten Antideutsche beispielsweise den Irak-Krieg und gingen mit amerikanischen und israelischen Flaggen demonstrieren. Die damit verbundene Kontroverse führte zu heftigen Auseinandersetzungen, die szene-intern auch teilweise gewalttätig ausgetragen wurden.

Das Phänomen "Autonome Nationalisten" im Rechtsextremismus

Derartige Entwicklungen erschweren die Einschätzung der Autonomen noch mehr als es schon unabhängig davon ist. Als weiteres verwirrendes Phänomen in diesem Umfeld kommen die "Autonomen Nationalisten" im Rechtsextremismus hinzu. Hierbei handelt es sich um einen Teilbereich des Neonazismus, wo sich jüngere Anhänger ganz bewusst den optischen Besonderheiten und politischen Parolen der linksextremistischen Autonomen bedienen. Dazu gehören nicht nur die Kleidung in Form von meist schwarzen Baseball-Kappen und Kapuzenpullovern, sondern auch die Parolen in Gestalt von antikapitalistischen und antiisraelischen Aussagen. Optisch lassen sich beide Spektren mitunter nur beim genauen Hinsehen - bezogen auf die genaue Formulierung der politischen Aussagen auf Aufnähern oder Transparenten – unterscheiden. Den Rechtsextremisten geht es mit dieser Form des Auftretens zum einen darum, Linksextremisten und Polizeibeamte zu verwirren, zum anderen erhoffen sie sich, neuen Zulauf von Jugendlichen zu erhalten.

Schlusswort und Zusammenfassung

Bezüglich der Einschätzung des Gefahrenpotentials der Autonomen-Szene lässt sich konstatieren: Einerseits verharren die Anhänger der Subkultur in einer selbstgewählten Isolation und finden durch ihr gewalttätiges Verhalten in der breiteren Bevölkerung keine Akzeptanz. Auch bewegte sich das quantitative Potential in den letzten Jahren meist unter 7.000 Personen, wovon ein bedeutender Teil in wenigen Hochburgen wie Groß- und Universitätsstädten präsent ist. Die Gewaltintensität stieg zwar qualitativ und quantitativ an, blieb aber unter der Schwelle eines strukturierten Terrorismus. Andererseits bilden die Autonomen für nicht wenige junge Menschen eine zeitweilige politische "Durchlaufstation", die mit entsprechenden Prägungen einhergeht. Den demokratischen und gewaltfreien Teilnehmern von Demonstrationen fehlt mitunter die politische Sensibilität, mangelt es doch nicht selten an einer Abgrenzung von Autonomen als Extremisten und Gewalttätern. Und schließlich stellt die enthemmtere Gewalt für viele Polizeibeamte eine objektive Gefahr dar.

Literatur



A. G. Grauwacke (Hrsg.), Autonome in Bewegung. Aus den ersten 23 Jahren, Berlin o. J. (2003). Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Militante Autonome – Charakteristika, Strukturen, Aktionsfelder, Köln 1997.

Geronimo, Feuer und Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen. Ein Abriß, Berlin-Amsterdam 1990.

Haunss, Sebastian: Identität in Bewegung. Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung, Wiesbaden 2004.

Mletzko, Matthias: Merkmale politisch motivierter Gewalttaten bei militanten autonomen Gruppen, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.), Jahrbuch Extremismus & Demokratie, Bd. 11, Baden-Baden 1999, S. 180-199.

Pfahl-Traughber, Armin. Die Autonomen – Portrait einer linksextremistischen Subkultur, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 9-10 vom 20. Februar 1998, S. 36-46.

Schultze, Thomas/Almut Gross, Die Autonomen. Ursprünge, Entwicklung und Profil der Autonomen Bewegung, Hamburg 1997.

Schwarzmeier, Jan: Die Autonomen zwischen Subkultur und sozialer Bewegung, Göttingen 2001.

Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., Jg. 1963, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl mit den Schwerpunkten Extremismus und Ideengeschichte, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Herausgeber des seit 2008 erscheinenden Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung (Brühl).