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Der Marxismus zwischen Ideologie und Wissenschaft Eine Darstellung der inhaltlichen Grundpositionen und Analyse der extremistischen Potentiale

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber Armin Pfahl-Traughber

/ 14 Minuten zu lesen

In einer BBC-Umfrage nach dem größten Philosophen aller Zeiten landete Karl Marx 2005 mit 28 Prozent auf Platz eins der Liste. Dennoch: Die Vorstellungen des Marxismus weisen auch zentrale Elemente auf, die in Form und Inhalt kompatibel sind mit diktatorischen Systemen.

Karl-Marx-Monument in Chemnitz. (© AP)

Bei einer Umfrage des britischen Fernsehens BBC bei, wo die Zuschauer nach dem größten Philosophen alle Zeiten gefragt wurden, landete 2005 Karl Marx mit knapp 28 Prozent mit Abstand auf Platz 1. Im gleichen Jahr brachte ihn "Der Spiegel" auf seine Titelseite, versehen mit der Überschrift "Ein Gespenst kehrt zurück. Die neue Macht der Linken". Offenbar ist Marx wieder im Kommen und dies keineswegs nur in der politischen Linken. Dabei lässt sich aber ein ambivalentes Bild in der Deutung ausmachen: Einerseits gilt er als Klassiker der sozialwissenschaftlichen Gesellschaftsanalyse, der grundlegende Beiträge zur Entwicklung der Geschichte und Funktionsweise des Kapitalismus veröffentlichte. Andererseits enthalten seine Werke auch hochideologische Bestandteile, welche ihn zum geistigen Vorbild linksextremistischer Bestrebungen und kommunistischer Diktaturen machten. Die vorliegende Abhandlung will seine inhaltlichen Grundpositionen beschreibend darstellen und dessen extremistische Potentiale kritisch aufzeigen.

Die methodischen Probleme der Marx-Darstellung und -Interpretation

Dabei bestehen allerdings einige methodische Probleme, die mit dem ambivalenten und fragmentarischen Charakter der Veröffentlichungen von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) zusammenhängen. Ihre in vierzig Bänden der "Marx-Engels-Werke" (fortan als MEW zitiert) vorliegenden Schriften enthalten keineswegs eine inhaltlich entwickelte und stringent aufgebaute politische Theorie. Darin findet man auch keine genaue Beschreibung des Weges hin zu einem sozialistischen System oder der Gegebenheiten in einer angestrebten klassenlosen Gesellschaft. Hierzu äußerten sich beide eher allgemein und kursorisch. Dies erklärt zu großen Teilen auch, warum Marx und Engels politisch ambivalent gedeutet wurden: Auf ihre Schriften beriefen sich humanistische Philosophen wie Erich Fromm als auch totalitäre Diktatoren wie Josef W. Stalin, sozialdemokratische Reformer ebenso wie kommunistische Revolutionäre. Insofern verbieten sich aus wissenschaftlicher Sicht sowohl unkritische Huldigungen wie pauschale Verdammungen.

Die Kritik des Idealismus als wirklichkeitsfremde Auffassung

Den Ausgangspunkt für die Hinwendung zum Sozialismus bildete für Engels die Kenntnis der schlechten Lebenssituation der Arbeiter in Großbritannien, für Marx die kritische Auseinandersetzung mit dem Idealismus des seinerzeit bedeutendsten deutschen Denkers Georg Wilhelm Hegel (1770-1831). Dieser ging davon aus, dass die Ideen die gesellschaftliche und geschichtliche Entwicklung bedingten. Hierzu bemerkten Marx und Engels aus ihrer Perspektive: "Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie, welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. D. h., es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen, auch nicht von den gesagten, gedachten, eingebildeten, vorgestellten Menschen, um davon aus bei den leibhaftigen Menschen anzukommen; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt" (MEW Bd. 3, S. 26f.).

Dialektisches Denken als methodisches Prinzip der Philosophie

Ein anderer Gesichtspunkt von Hegels Philosophie methodischer Art wurde demgegenüber von Marx und Engels für ihre Theorie übernommen: das Prinzip der Dialektik. Darunter kann allgemein so viel wie das Denken in Gegensätzen verstanden werden. Im Unterschied zu weit verbreiteten Auffassungen besteht die Welt nicht aus abgeschlossenen und fertigen Dingen und Sachverhalten. Auch verlaufen Entwicklungen nicht eindimensional und gradlinig. Vielmehr muss von einem ständigen Prozess der Auseinandersetzung und des Wandels ausgegangen werden. Die Dialektik ist in dieser Perspektive "die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens" (MEW, Bd. 20, S. 131f.). Hierbei treffen ständig Gegensätze aufeinander, welche miteinander in einer höheren Einheit verschmelzen sollen. Nach Hegel folgt einer These eine Antithese, welche beide in einer Synthese münden, woraus sich dann wieder eine These mit Antithese und weiterer Synthese als ständigem Prozess der Erneuerung bildet.

Die Benennung des Materialismus als philosophische Alternative

Dem kritisierten Idealismus stellen Marx und Engels ihren Materialismus gegenüber. Dieser geht davon aus, dass die Ideen keine eigenständigen Phänomene des Geistes, sondern Widerspieglungen der materiellen Verhältnisse seien. Denn das Ideelle sei nichts anderes "als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle" (MEW, Bd. 23, S. 27). Die gesellschaftlichen Verhältnisse seien demnach in Geschichte und Gegenwart primär vom Stand der ökonomischen und technischen Entwicklung, also der "Produktivkräfte", und dem sozialen Miteinander in der Produktion, also den "Produktionsverhältnissen", geprägt. Letzteres bedinge auch zentral die Auffassungen der jeweiligen Individuen: "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt (MEW, Bd. 13, S. 7). Demnach spiele für das Denken und Empfinden der Menschen die soziale Stellung in den Produktionsverhältnissen – also letztendlich die Zugehörigkeit zu einer "Klasse" - eine zentrale Rolle.

Das Verhältnis von "Basis" und "Überbau" in einer Gesellschaft

So unterteilten Marx und Engels die Gesellschaft auch in eine entscheidende "Basis", also die ökonomischen Beziehungen und die wirtschaftliche Struktur, und in den sekundären "Überbau", also Kultur, Moral, Politik und Religion. Es geht ihnen dabei um die "einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; dass also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben" (MEW, Bd. 19, S. 335). Demnach bedinge die "Basis" kausal den "Überbau". Also führe ein ökonomischer auch zu einem politischen Wandel: "Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsam oder rascher um" (MEW, Bd. 13, S. 9).

Der Klassenkampf als zentraler Gesichtspunkt materialistischer Geschichtsauffassung

So erklären sich Marx und Engels denn auch die ökonomischen und politischen Umbrüche im Laufe der Geschichte, welche letztendlich alle auf den Konflikt um die Stellung im Produktionsprozess zurückgeführt wurden: "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigner, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte, standen im steten Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete" (MEW, Bd. 4, S. 462). So etwas erwarteten Marx und Engels auch für den entwickelten Kapitalismus, standen sich dort doch die Kapitalisten ("Bourgeoisie") als Besitzer von Produktionsmitteln und die Arbeiter ("Proletariat") als abhängig Beschäftigte gegenüber. Beide hatten für Marx und Engels unvereinbare soziale Interessen: Erstere strebten eine Steigerung ihrer Gewinne auf Kosten der Arbeiter, diese eine Erhöhung der Löhne auf Kosten der Unternehmer an.

Die Erwartung eines notwendigen Niedergangs des Kapitalismus

Für Marx und Engels war der Wert einer Ware durch die in ihr enthaltene menschliche Arbeitskraft ("Wertgesetz") bedingt. Hierdurch kann jeweils mehr Wert geschaffen werden als für den Erhalt des Menschen notwendig ist. Den damit entstandenen Überschuss aus der Produktion ("Mehrwert") eigne sich der Kapitalist einseitig an, d. h. es handele sich eigentlich um die Ausbeutung fremder Arbeit im eigenen Interesse. In der Erzeugung dieses Mehrwerts sahen Marx und Engels das Kernprinzip des Kapitalismus, erlaube dieses doch erst den Unternehmern möglichst hohe Profite zu erlangen. Die ständige Erhöhung der Produktion von Waren würde allerdings zu Absatzkrisen führen, könnten diese doch nicht mehr verkauft werden. Insofern käme es im Kapitalismus aufgrund dieser inneren Logik zu kontinuierlichen Wirtschaftskrisen. In der Folge dieser Entwicklung würden zum einen immer mehr kleinere und mittlere Unternehmen bankrott gehen, danach in den Besitz von größeren Unternehmen wechseln und eine Konzentration und Zentralisation des Kapitals vorantreiben.

Die Krise des Kapitalismus und der Übergang zum Sozialismus

Andererseits löst diese Entwicklung nach Marx und Engels eine steigende Proletarisierung anderer sozialer Schichten, eine wachsende Verarmung und Verelendung der Arbeiterklasse und einen quantitativen Anstieg der gesellschaftlichen Bedeutung dieser sozialen Klasse aus. Marx schrieb daher: "Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten ... wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt" (MEW, Bd. 23, S. 790f.). Kurzum, aus dem Niedergang des Kapitalismus ergebe sich der Übergang zum Sozialismus.

Der Weg von der Revolution über den Sozialismus zum Kommunismus

Mit dieser Entwicklung produziert nach Marx und Engels die kapitalistische Wirtschaftsweise in Gestalt des Proletariats "ihre eigenen Totengräber" (MEW, Bd. 4, S. 447). Bei der Zuspitzung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation würde es daher zu einer offenen Revolution kommen, wobei die Arbeiterklasse durch den "gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie" (MEW, Bd. 4, S. 493) ihre Herrschaft begründet. Dies führe notwendig "zur Diktatur des Proletariats" und diese Diktatur bilde den "Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft" (MEW, Bd. 28, S. 508). Über die danach vorgesehenen Entwicklungen äußerten sich Marx und Engels nur kursorisch: Es müsste demnach eine Übergangsphase von der kapitalistischen zur sozialistischen und dann zur kommunistischen Gesellschaft geben. Während dieser Entwicklung sollte der Staat als Instrument zur politischen Umsetzung des Sozialismus zunächst erhalten bleiben und erst im Rahmen des Wandels zum Kommunismus langsam absterben.

Das Bild von der klassenlosen Gesellschaft ohne Entfremdung

Auch von dem Endziel des eingeforderten und prognostizierten Entwicklungsprozesses, nämlich der klassenlosen Gesellschaft, zeichnen Marx und Engels kein genaues Bild. Allgemein geht es ihnen um die Aufhebung von sozialen Unterschieden, würden doch die Produktionsmittel nicht mehr im Privatbesitz sein. Offenbar soll es eine Art Kollektivbesitz an Fabriken und Unternehmen geben, sprach Marx doch von einer "genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft" (MEW, Bd. 19, S. 19). In ihr würde eine "Assoziation freier Produzenten" (MEW, Bd. 18, S. 62) bestehen, welche ihr soziales Miteinander nach dem Motto "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" (MEW, Bd. 19, S. 21) regeln sollten. In diesem Kontext wäre auch endgültig die Entfremdung und Selbstentfremdung des Menschen überwunden, entstünde sie doch aus der Arbeitsteilung und dem Privatbesitz im Kapitalismus. Erst dann nähert sich der Mensch nach Marx und Engels seinem wahren Wesen wieder an.

Unangemessene Kritik an den extremistischen Potentiale des Marxismus

Nach der vorstehenden reinen Beschreibung der Grundpositionen des Marxismus sollen nun einige kritische Einschätzungen formuliert werden. Dabei geht es aber nicht um die Frage der wissenschaftlichen Angemessenheit von bestimmten Auffassungen, sondern um die extremistischen Potentiale dieser politischen Theorie. So würde zwar eine Kritik an den unzutreffenden Prognosen zur Entwicklung des Kapitalismus gegen die Kompetenz von Marx als Ökonom sprechen, aber daraus ergeben sich nicht notwendigerweise Aussagen zum Verhältnis seiner Lehre zu den Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates und einer offenen Gesellschaft. Hier geht es allein um die Aspekte, die Marx für eine diktatorische und extremistische Zielsetzung kompatibel machen. Außen vor bleiben dabei Aspekte seiner Persönlichkeit, galt Marx doch selbst seinem engen politischen Umfeld als autoritär und herrisch, intolerant und rücksichtslos. Derartige Charaktereigenschaften sprechen zwar gegen die Person, aber nicht notwendigerweise gegen die Lehre eines Denkers.

Das diffuse Dialektikverständnis als Legitimation von Willkürentscheidungen

Das dem Marxismus eigene Dialektikverständnis weist zutreffend darauf hin, dass sich Entwicklungsprozesse in der Gesellschaft häufig als Ergebnis des Aufeinandertreffens gegensätzlicher Kräfte vollziehen. Will man aus dieser Erkenntnis einen Nutzen für eine differenzierte und nachvollziehbare Analyse ableiten, muss das Dialektikverständnis aber inhaltlich stärker entwickelt sein. Allenfalls dient es sonst auch zur Legitimation widersprüchlicher oder willkürlicher Einschätzungen. Ein solches Vorgehen räumte Marx in einem Brief an Engels ein: "Es ist möglich, dass ich mich blamiere. Indes ist dann immer mit einiger Dialektik wieder zu helfen. Ich habe natürlich meine Aufstellungen so gehalten, dass ich im umgekehrten Fall auch noch recht habe" (MEW, Bd. 29, S. 160f.). Hier geht es nicht mehr um die genaue Einschätzung von Entwicklungen, sondern die Rechtfertigung gegensätzlicher Bewertungen. Daraus konnten spätere kommunistische Diktaturen ein methodisches Instrument zur Legitimation ihrer Herrschaft entwickeln.

Die Inanspruchnahme des Wissen um das "wahre Wesen" des Menschen

Marx beanspruchte sowohl in seiner Frühphase, als auch während der Arbeit an seinen späteren ökonomischen Studien immer wieder, es ginge ihm um die wahre Emanzipation des Menschen, müsse er doch wieder seinem "wahren Wesen" zugeführt werden. Auch der Kritik an der "Entfremdung" ist dieser Anspruch eigen, setzt er doch im Umkehrschluss ein genaues Wissen über die eigentliche Identität des Menschen voraus. In Marx´ umfangreichem Schrifttum gibt es aber keine ausführliche Darstellung mit notwendigen Belegen dazu, was dem "wahren Wesen" des Menschen nun eigen sein soll. Er beansprucht eine Art exklusives Deutungsmonopol auf dieses Wissen, das sich aber einer genauen Begründung und kritischen Prüfung verweigert. Daraus lässt sich die Auffassung ableiten, nur die eigenen politischen Auffassungen und Ziele würden den Werten des "wahren Menschen" entsprechen. Mangels Einsicht in dieses höhere Wissen können dann Andersdenkende als Anhänger falscher Ideologien ausgegrenzt, diskriminiert oder verfolgt werden.

Der autoritäre Staat als Voraussetzung für den Übergang in die freie Gesellschaft

Längerfristig gesehen plädierten Marx und Engels für die Abschaffung des Staates durch ein langsames Absterben im Rahmen des Übergangsprozesses vom Sozialismus zum Kommunismus. Gleichwohl sollte am Beginn dieser Entwicklung die Etablierung eines autoritären Staates zur Überwindung der bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaftsordnung stehen. Demnach lief die Staatsauffassung für diese Phase auf ein autoritäres, repressives und zentralistisches System hinaus. Dies warfen Marx schon seine zeitgenössischen Kritiker aus dem anarchistischen Lager wie Michael Bakunin (1814-1876) vor: Demnach sei Marx ein autoritärer und zentralistischer Kommunist, der durch die Diktatur einer despotischen Regierung die soziale Gleichheit erringen wolle. Er verwandle dabei die Internationale der Arbeiterschaft in einen disziplinierten Staat, welcher die ganze Macht in seinen Händen konzentriert. Gerade angesichts der späteren Entwicklung kommunistischer Diktaturen erwies sich diese anarchistische Marx-Kritik als prophetisch.

Das offene Bekenntnis zur Forderung nach einem diktatorischen und repressiven Staat

Betrachtet man sich bestimmte Aussagen von Marx und Engels hielten sie sich mit dem offenen Bekenntnis zur Forderung nach einem diktatorischen und repressiven Staat nicht zurück. So heißt es etwa: "Die Arbeiter müssen ... nicht nur auf die eine und unteilbare deutsche Republik, sondern auch in ihr auf die entschiedenste Zentralisation der Gewalt in der Hand der Staatsmacht hinwirken. Sie dürfen sich durch das demokratische Gerede von Freiheit der Gemeinden, von Selbstregierung und so weiter nicht irremachen lassen" (MEW, Bd. 7, S. 252). Oder als weiteres Beispiel: "Da nun der Staat doch nur eine vorübergehende Einrichtung ist, deren man sich im Kampf, in der Revolution bedient, um seine Gegner gewaltsam niederzuhalten, so ist es purer Unsinn vom freien Volksstaat zu sprechen: solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner ..." (MEW, Bd. 34, S. 129). Kurzum, da man im Namen der einzig richtigen Lehre sprach, konnte man auch solche Konsequenzen einfordern.

Die Fixierung auf die Ökonomie und das Ausblenden des Pluralismus

Marx konzentrierte sich seit der mittleren Phase seines Lebens auf das Studium der Entwicklungsgesetze des Kapitalismus. Damit ging eine Fixierung auf die Ökonomie einher, welche den Menschen entsprechend des Basis-Überbau-Modells als primär durch seinen Stellenwert in den Produktionsverhältnissen ansah. Sein Denken war in diesem Sinne in erster Linie von den materiellen Gegebenheiten geprägt. Hierbei handelte es sich schon seinerzeit um eine Fehleinschätzung, hätte ein solcher Tatbestand doch zu einer massenhaften Hinwendung der Arbeiter zu den kommunistischen Organisationen führen müssen. Marx übertrug dieses Schema aber auch auf die Phase während und nach der Revolution. In dieser Perspektive würde sich die proletarische Mehrheit der Gesellschaft nicht nur sozial, sondern auch ethisch, kulturell und politisch gleich ausrichten. Dieses Auffassung ignorierte, dass der Mensch nicht nur über eine wirtschaftliche Identität verfügt. Gleichzeitig schloss sie anderslautende Auffassungen im Sinne eines Pluralismus aus.

Das identitäre Gesellschaftsverständnis und die Unterordnung des Individuums

Ganz eng mit diesem Gesichtspunkt hängt auch die Neigung zu einem identitären Gesellschaftsverständnis zusammen, welches von der politischen Homogenität der Menschen und deren Identität mit der staatlichen Führung ausgeht. Wenn, so die innere Logik der Argumentation, alle Menschen sozial gleich sind, bestehen auch keine Gründe mehr für Differenzen. Marx und Engels hielten die Sozialisierung der Produktionsmittel nicht nur für eine unabdingbare, sondern auch ausreichende Voraussetzung für die Begründung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Dabei ignorierten sie, dass Differenzen zwischen den Individuen auch aus nicht-ökonomischen Motiven wie ethischen Grundsätzen, individuellem Machthunger oder kulturellen Orientierungen entstehen können. Um damit verbundene Konflikte aus den Bereichen des "Überbaus" einzudämmen, bedürfte es einer rigorosen Unterwerfung unter die politischen Vorgaben des sozialistischen Staates. Jede Abweichung würde als Negierung oder Verrat am Gesamtinteresse des "wahren Volkswillen" gelten.

Die Annahme eines Geschichtsdeterminismus mit klarem Verlauf

Ein zentraler Bestandteil des Marxismus ist der historische Materialismus, der von einem stufenartigen Entwicklungsprozess von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft und den Feudalismus, den Kapitalismus und den Sozialismus bis hin zum Kommunismus ausgeht. Vorangetrieben werde die damit verbundene Dynamik durch die Widersprüche zwischen Produktivkräften (der ökonomisch-technologischen Entwicklung) und den Produktionsverhältnissen (den sozialen Verhältnissen der Menschen in der Produktion). Sie führen nach Marx und Engels auf einem langen historischen Weg notwendigerweise zu einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Demnach gingen sie auch von einer Art "Gesetz der Geschichte" oder einem "Sinn der Geschichte" aus. Solche Annahmen lassen menschliches Handeln letztendlich nur als determiniert und vorherbestimmt erscheinen. Problematisch hierbei ist aber nicht nur der damit verbundene methodische Fehler, sondern der alleinige Anspruch auf die Erkenntnis des historischen Prozesses.

Der Marxismus als Heilslehre zur Erlösung der Welt

Nicht wenige Kritiker des Marxismus wiesen auf dessen religiösen Charakter hin, wobei aber formale und inhaltliche Aspekte von Religion verwechselt werden. Bei den Lehren von Marx und Engels handelt es sich um eine säkulare Theorie. Gleichwohl gibt es in ihr auch formale Merkmale einer Religion: Hierzu gehört vor allem die Erwartung, nach der Überwindung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln und der Einführung des Sozialismus werde der Weg zum Heil für die Menschen beschritten. Die damit verbundenen prophetischen Hoffnungen prägten auch die Schriften von Marx, der nicht nur ein nüchterner Analytiker der Entwicklung des Kapitalismus, sondern auch ein unduldsamer Revolutionär für den Kommunismus war. Immer wieder überlagerte daher seine ideologische Voreingenommenheit die wissenschaftliche Perspektive. Gleichzeitig erhob Marx im Namen der Wissenschaft den Anspruch, die einzig richtige und wahre Gesellschaftsanalyse vorzunehmen. Andersdenkende stellten sich in dieser Wahrnehmung gegen Vernunft und Wissenschaft.

Schlusswort und Zusammenfassung

Der Marxismus kann sicherlich nicht auf die vorstehenden extremistischen Potentiale reduziert werden. Gerade der Blick auf die sozialen Auseinandersetzungen im Laufe der Geschichte bereicherte die Betrachtung des historischen Geschehens um eine bedeutsame Dimension. Bei aller Fehlerhaftigkeit der Kapitalismusanalyse wies der Marxismus doch zutreffend auf bestimmte Begleiterscheinungen und Folgen von der Globalisierung über die Krisenanfälligkeit bis zur Verelendung hin. Insofern verbietet sich auch eine pauschale und undifferenzierte Verdammung der Lehren von Marx und Engels. Gleichwohl ist ihnen auch eine ideologische Dimension neben dieser wissenschaftlichen Komponente eigen. Gerade die thematisierten Bestandteile griffen später Kommunisten auf, um ihre politischen Bestrebungen in der Bewegungs- oder Systemphase zu legitimieren. Insofern weisen die Vorstellungen des Marxismus auch zentrale Elemente auf, welche ihn in Form und Inhalt für extremistische Absichten und diktatorische Systeme kompatibel machen.

Literatur



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Hornung, Klaus: Der faszinierende Irrtum. Karl Marx und die Folgen, Freiburg 1978.

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Raddatz, Fritz J.: Karl Marx. Eine politische Biographie, Hamburg 1975.

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Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., Jg. 1963, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl mit den Schwerpunkten Extremismus und Ideengeschichte, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Herausgeber des seit 2008 erscheinenden Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung (Brühl).