Bei gegenwärtigen israelfeindlichen Demonstrationen können mitunter erstaunliche Kooperationen wahrgenommen werden: Islamisten und Linksextremisten praktizieren auf der Straße eine reale Zusammenarbeit. Angesichts ihrer ideologischen Differenzen führt das bei manchem Betrachter zu einer gewissen Verwunderung. Denn während Islamisten ihre extremistische Islamdeutung zu realer totalitärer Politik machen, streben Linksextremisten angeblich eine herrschaftsfreie Ordnung an. Und es gibt viele weitere grundlegende ideologische Differenzen, etwa beim Bild von Frauen, die im Islamismus abgewertet werden. Linksextremisten sprechen sich hingegen für ihre Emanzipation aus. Eine grundlegende Gemeinsamkeit besteht indessen in einer Prägung, die mit dem Schlagwort „Antiimperialismus“ beschrieben werden kann. In Frankreich führte dies bereits zu einer neuen Wortschöpfung: „Islamo-gauchisme“, also „Islam-Linke“.
Bezugsebenen für „Islam-Linke“ als Terminus
Dazu bedarf es aber zunächst einiger Anmerkungen zu den Bezugsgruppen, die mit „Islam-Linke“ als Terminus verbunden werden. Es geht nicht allgemein um die politische Linke, sondern um bestimmte Strömungen in der Linken. Und es geht auch nicht um den Islam im Ganzen, sondern um bestimmte Gläubige. Die Bezeichnung kann demnach nur sinnvoll sein, wenn sie Extremisten aus beiden Spektren adressiert, also Islamisten und Linksextremisten. Dafür müssten die politischen Aktivisten zunächst einmal identifiziert werden, um danach die mögliche Kooperationsweise zu untersuchen. Irreführend am Begriff „Islam-Linke“ ist, dass er zunächst nur als Bezeichnung für eine bestimmte „Linke“ verstanden werden kann, so wie z. B. „demokratische Linke“ oder „extremistische Linke“. Genau das ist aber bei der Anwendung des Terminus nicht gemeint, denn er sich auf eine Kooperation politischer Partner. Insofern ist die Bezeichnung für das Gemeinte zumindest diffus, wenn nicht gar falsch, was genauere Erläuterungen zum Verständnis nötig macht.
Blick nach Frankreich: „Islamo-gauchisme“ als Terminus
Der Blick nach Frankreich soll dabei mehr Klarheit bringen, denn erstmals kam vor einigen Jahren im Nachbarland der genannte Terminus auf. Als dessen Begründer gilt der Ideenhistoriker und Rassismus-Forscher Pierre-André Taguieff, der damit 2002 auf gemeinsame Aktionen von Islamisten und Linken verwies. In Frankreich gab es seinerzeit Anti-Globalisierungsproteste, meist auch mit einer ausgeprägten Feindlichkeit gegen Israel verbunden. Mit dieser Begriffsschöpfung konstatierte Taguieff dabei eine gefährliche Verbindung.
„Islam-Linke“ als inner-extremistische Zusammenarbeit
Gleichwohl ermöglichten diese Auseinandersetzungen in Frankreich, für das Begriffsverständnis mehr Klarheit zu finden. Denn die benannte Entwicklung war keine ideologische Fiktion. Es ließen sich immer wieder einschlägige Kooperationen ausmachen, aber meist von einzelnen Linksextremisten, nicht von der politischen Linken allgemein. Daher wären pauschale Gleichsetzungen nicht angebracht, was auch den genutzten Terminus problematisch machte. Bezogen auf einen besonderen „Antiimperialismus“ und einen besonderen „Antirassismus“ ließ sich eine inner-extremistische Kooperation als lagerübergreifende Zusammenarbeit konstatieren. Auch und gerade die bekannte Autorin Caroline Fourest wies als bekennende politische Linke auf derartige Sachverhalte hin, wobei sie das egalitäre, feministische, säkulare und universalistische Selbstverständnis ihres eigenen politischen Spektrums hervorhob.
Strategische Ausgangspunkte für Kooperationen im Linkextremismus
Berechtigt lässt sich auf die angesprochenen Gegensätze verweisen, was es für die anvisierten Bündnisbestrebungen nötig machte, dafür eine ideologische Rechtfertigung vorzutragen. Eine derartige frühe Abhandlung stammt aus Großbritannien von Chris Harman, der ein führender Funktionär der trotzkistischen „Socialist Workers Party“ war. Zu seinen zahlreichen Broschüren gehörte 1994 auch eine Schrift, worin er den islamischen Fundamentalismus als revolutionäres Subjekt deutete.
Ideologische Gemeinsamkeiten für eine strategische Kooperation
Damit soll gesondert die Frage nach ideologischen Gemeinsamkeiten gestellt werden, welche für beide Extremismen eine strategische Kooperation ermöglichen würden. Eigentlich bestehen grundlegende inhaltliche und politische Differenzen, da Linkextremisten eine egalitäre und säkulare Gesellschaftsordnung erreichen wollen, Islamisten aber einen autoritären und religiösen Staat als Ziel haben. Es gibt aber im „Antiimperialismus“ als Feindbild entsprechende Gemeinsamkeiten, wobei sich die Auffassungen gegen die angebliche oder tatsächliche Politik der westlichen Staaten richten. Dabei ist auch die Einstellung gegen Israel beiden Extremismen eigen, wenngleich unter anderen Rahmenbedingungen und politischen Vorzeichen. Darüber hinaus ist der „Antirassismus“ ein gemeinsames Handlungsfeld, wobei angebliche oder tatsächliche Muslimenfeindlichkeit für ein verbindendes Thema steht. Bei diesem Engagement scheint es Linksextremisten oft nicht sonderlich wichtig, dass Islamisten dabei ihre reaktionären Wertvorstellungen verteidigen wollen.
Frühe Aufforderungen zur Kooperation durch deutsche Linksextremisten
Auch in Deutschland forderten Linksextremisten früh eine Zusammenarbeit, wobei man gar auf Bekundungen gewaltorientierter Islamisten verwies. Dafür steht eine Aussage von Nikolaus Brauns, heute Co-Chefredakteur der Tageszeitung „Junge Welt“
Ideologische Brücken über migrantisch geprägten Linksextremismus
Die erwähnten Differenzen zum Islamismus stellen ein Legitimationsproblem für deutsche Linksextremisten dar. Es bestehen aber auch ideologische Brücken, einerseits zwischen dem deutschen und migrantischen Linksextremismus, andererseits zwischen dem migrantischen Islamismus und migrantischen Linksextremismus. Der migrantische Linksextremismus bildet demnach die diskursive wie reale Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen politischen Spektren. Ein frühes Beispiel dafür kann für den deutschen Linksextremismus in der „Popular Front for the Liberation of Palestine“ (PFLP) gesehen werden, die auch bei Flugzeugentführungen in den 1970er Jahren mit deutschen Linksterroristen kooperierte. Andere der gemeinten Bündnispartner stammen insbesondere aus dem türkischstämmigen Linksextremismus, etwa der marxistisch-leninistischen Jugendorganisation „Young Struggle“, die auch führend an israelfeindlichen Aktionen an Hochschulen teilnahm und das Massaker vom 7. Oktober 2023 als legitimen „Widerstand“ deutete.
Israelfeindliche Kooperationen im dogmatischen deutschen Linksextremismus
Bei den Demonstrationen gegen Israel, die nach deren Bekämpfung der Hamas 2024 eskalierten, kam es bezogen auf Kooperationen im Protestmilieu zu wichtigen Veränderungen. Darüber informieren Analysen zweier Institutionen, die hinsichtlich ihrer Ergebnisse für die erkenntnisleitende Fragestellung relevant sind: Das Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlichte mit „Palästinasolidarität im dogmatischen Linksextremismus“ ein ausführlicheres Statement. Demnach sei es im dortigen politischen Lager zu einer Spaltung gekommen. Während die Autonomen eher eine israelfreundliche Einstellung aufwiesen, nähmen die Dogmatischen eine propalästinensische Position ein. Dabei müsse aber bei den einzelnen propalästinensischen Akteure und deren Einstellung differenziert werden. Während die Hamas etwa von der „Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands“ (MLPD) als „faschistisch“ verurteilt werde, bekunde die „Kommunistische Organisation“ (KO) ihre „volle Solidarität“ allen Widerstandsfraktionen gegenüber.
Erosion der Grenzziehungen zwischen Islamisten und Linksextremisten
Kurz danach erschien von der Antonio Amadeu-Stiftung herausgegeben das „Lagebild Antisemitismus: Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober“, worin Entwicklungen im Protestgeschehen bezogen auf diverse politische Spektren hervorgehoben wurden. Demnach „nehmen die Berührungsängste zwischen islamistischen, antiimperialistischen und sich selbst als progressiv verstehenden Milieus immer weiter ab.“ Es war darin gar von einer erneuten Fusionierung die Rede, Demosprüche aus beiden Lagern flössen ineinander. Einige Beobachtungen aus dem Protestgeschehen sollten die skizzierte Wahrnehmung veranschaulichen. Darüber hinaus wurde auf einen nach Schwierigkeiten durchgeführten Vortrag verwiesen, habe doch der ägyptische Aktivist Hossam el-Hamalawy über „Leftists and Islamists working together?!“ referiert. Organisatorin sei die „Radikale Linke“, eine trotzkistische Splittergruppe, gewesen. Ausführlichere Belege über einzelne Fallbeispiele hinaus fanden sich für das Gemeinte aber im Text nicht mehr. Dort heißt es, der Vortrag habe sich vor allem mit dem Verhältnis von Muslimbruderschaft und linken Studiengruppen in Ägypten beschäftigt. Islamismus habe seine Wurzeln in den antikolonialen Kämpfen, so el-Hamalawy, sein Ziel sei nicht die Zerschlagung der Arbeiterbewegung.
Dimensionen der Kooperation und die Problematik des gesicherten Wissens
Hinsichtlich der Dimensionen der Kooperation besteht also das Problem, das es kaum genauere Informationen und damit gesichertes Wissen gibt. Dabei geht es um diverse Ebenen einer Kooperation, wobei folgende Formen in der Praxis idealtypisch unterscheidbar sind: Es kann erstens um eine von islamistischen wie linksextremistischen Organisationen fest geplante strategische Zusammenarbeit gehen. Im Bewusstsein ideologischer Differenzen will man dann für eine bestimmte Entwicklungsetappe bei gewissen Themen gemeinsam vorgehen. Es kann zweitens aber auch um eine anlassbezogene und spontane Kooperation gehen, etwa bedingt durch aktuelle Ereignisse und darauf bezogene Protestmotive. Dabei kämen etwa bei Demonstrationen jeweils Islamisten und Linksextremisten eher ungeplant zusammen. Gegenwärtig dürfte die letztgenannte Form die dominierende Variante sein.
Akteure der islamistischen und linksextremistischen Kooperation
Bei dieser Einschätzung handelt es sich aber lediglich um eine aktuelle Hypothese, gibt es doch zu den einschlägigen Demonstrationsteilnehmern keine sozialwissenschaftliche Forschung. So können nur allgemeine Aussagen zu den jeweils Beteiligten gemacht werden, wovon etwa in Berlin viele aus der palästinensischen Diaspora stammen. Anhänger beispielsweise von Hamas, Hizb Allah oder Hizb ut-Tahrir agieren nicht als so öffentlich erkennbare Protagonisten, sondern treten als Angehörige einschlägiger Interessenvertretungsorganisationen auf. Bezogen auf die bündnisbereiten deutschen Linksextremisten fällt auf, dass dabei insbesondere Trotzkisten relevant sind. Dabei handelt es sich innerhalb der Dogmatischen eigentlich um eine marginale Strömung, die aber bereits früher immer wieder gegenüber Islamisten für Kooperationen eintrat. Aktuell kommt dabei einzelnen Aktivisten der „Gruppe ArbeiterInnnenmacht“ (GAM) große Relevanz zu. Aus einer außenstehenden Betrachtung lässt sich indessen das Geflecht zwischen den Protagonisten bei solchen Veranstaltungen nur schwer verorten.
Beabsichtigte Kooperationen als Strategien auf einem politischen Weg
Gleichwohl stehen gemeinsame Demonstrationen auch in loser Form für eine Kooperation, was aber nicht für eine ideologische Annäherung oder eine politische Übereinstimmung stehen würde. Auch die beispielhaft erwähnten linksextremistischen Befürworter einer solchen Praxis verwiesen auf die ideologischen Widersprüche. Denn es es gibt erkennbare Differenzen etwa hinsichtlich von Frauenrechten oder Säkularität, wobei um ihres politischen Erfolgs willen für Linksextremisten derartige Wertvorstellungen nicht relevant sind. Dass sie für angestrebte Bündnisse auch mal zur Disposition gestellt werden können, macht die fehlende Glaubwürdigkeit der gemeinten Protagonisten deutlich. Bei derartigen Beobachtungen sollten keine Irritationen aufkommen, denn dafür sind Extremisten auch eben Extremisten. Es geht bei diesen Bündnissen um kurz- oder längerfristige Erfolge, wobei dafür Doppelstandards für eine Entwicklungsphase akzeptiert werden, um dann an deren Ende neue politisch-strategische Wege zu beschreiten.
Interessenlage islamistischer und linksextremistischer Kooperationspartner
Bezogen auf Bündnisse von Islamisten und Linksextremisten ist auch die damit einhergehende Strategie wichtig, denn beide Akteure beabsichtigen jeweils eine Instrumentalisierung der anderen Seite. Es geht dabei um eigene Interessen, nicht eine ehrliche Zuneigung. Ganz allgemein bestehen in der Bekämpfung identischer „Feinde“ die jeweiligen Gemeinsamkeiten, hier dann etwa „Israel“, der „Staat“ oder der „Westen“. Man betreibt Bündnispolitik, um dabei mehr „Gegen-Macht“ zu entfalten. So können die Akteure existente Offenheit und Vielfalt suggerieren. In den erwähnten Aufforderungen von Linksextremisten, hier eben mit Islamisten eine Kooperation anzustreben, wurden mitunter offene Worte für die Zielsetzung gewählt. Bereits der oben erwähnte Harman schrieb etwa: „In manchen Fragen werden wir uns auf der gleichen Seite wie die Islamisten gegen den Imperialismus und den Staat wiederfinden … Da, wo sich die Islamisten in der Opposition befinden, sollte unsere Leitlinie sein: ‚Mit den Islamisten manchmal, mit dem Staat niemals.‘“
Abschließende Einschätzung zu „Islam-Linke“ als fachlichem Terminus
Welche Einsichten ergeben sich nun als Fazit zu „Islam-Linke“ als fachlichem Terminus? Bevor eine Erörterung dieser Frage erfolgt, sollte folgende Feststellung noch einmal ins Licht gerückt werden: Es gibt belegbar eine von Islamisten und Linksextremisten geprägte Zusammenarbeit. Als Begriff hierfür ist aber „Islam-Linke“ ungeeignet. Denn er bezieht sich auf den Islam, also eine besondere Religion, und nicht auf die Islamisten als extremistische Strömung. Der Begriff ist außerdem allgemein auf ein politisches Lager bezogen, hier eben die „Linke“, womit dann pauschale Zuordnungen einhergehen. Eine mit Islamisten beabsichtigte Kooperation lässt sich ebendort nur in bestimmten Teilen wahrnehmen. Die demokratische Linke gehört erklärtermaßen nicht dazu, die extremistische Linke nur teilweise. Demgemäß ist die Bezeichnung viel zu allgemein und in der Einordnung pauschalisierend. Dies erklärt auch ihre diskursive Anwendung als politisches Schlagwort, dem sich auch extremistische Akteure von rechter Seite bedienen.
Alternative Bezeichnungen für Kooperationen als Vorschlag
Daher sollte an alternative Bezeichnungen für die gemeinte Kooperation gedacht werden, um für ein reales Phänomen einen inhaltlich passenden Terminus zu nutzen. Hierzu bieten sich zwei Formulierungen umfangreicherer Längen an: Erstens würde dazu „kooperatives Agieren von einigen Islamisten und einigen Linksextremisten“ zählen, womit die gemeinten Akteure begrifflich genauer erfasst werden können, ohne dabei pauschale Zuordnungen vorzunehmen. Es bedarf dabei auch einer Differenzierung hinsichtlich der Intensität, etwa bezogen auf eine geplante und längerfristige Kooperation oder hinsichtlich einer anlassbezogenen und spontanen Zusammenarbeit. Zweitens bietet sich als Formulierung „eine aus Islamisten und Linksextremisten bestehende ‚Querfront‘“ an. Der letztgenannte Begriff entstand in der Endphase der Weimarer Republik, wobei es um eine Kooperation von „Linken“ und „Rechten“ gegen dieses politische System gehen sollte.