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"Antiimperialistische" und "antideutsche" Strömungen im deutschen Linksextremismus | Linksextremismus | bpb.de

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"Antiimperialistische" und "antideutsche" Strömungen im deutschen Linksextremismus

Rudolf van Hüllen

/ 6 Minuten zu lesen

"Nie wieder Deutschland!": Mit der deutschen Einheit erschien 1990 eine neue Strömung im linksextremen Spektrum. Die "Antideutschen" und "Antinationalen" haben sich längst als feste Größen in der linksextremen Ideenwelt etabliert. Ihre Herausbildung aus der klassisch "antiimperialistisch" ausgerichteten extremen Linken ist durchaus bemerkenswert.

"Antideutsche" Demonstranten. Foto: Ralf Fischer / Agentur Ahron (CC, Ralf Fischer / Agentur Ahron)

"Antiimperialismus" und "Antizionismus"

"Imperialismus", bei Lenin definiert als "höchstes Stadium des Kapitalismus", ist für Linksextremisten stets ein Gegenstand heftigster Ablehnung gewesen. Nach der klassischen marxistisch-leninistischen Imperialismus-Theorie neigen "kapitalistische" Ökonomien und Staaten dazu, sich zwecks Maximierung des Profits Märkte für Rohstoffe, Arbeitskräfte und den Absatz von Produkten notfalls gewaltsam zu erschließen. "Imperialismus" führt in dieser Lesart einerseits zu Kolonialismus, andererseits zu Kriegen zwischen "kapitalistischen" Staaten um Marktanteile und Rohstoffe.

Diese Analyse legte für Linksextremisten eine zugleich "antiimperialistische" und "internationalistische" Ausrichtung nahe: Sie verstanden sich stets als solidarisch mit den "um ihre nationale Befreiung von kolonialistischer Ausbeutung kämpfenden Völkern". "Antiimperialistische Solidarität" wurde indessen nicht vorbehaltlos gewährt: Befreiungsbewegungen, die auf Einführung einer westlichen Demokratie abzielten, galten als "konterrevolutionär" und wurden nicht unterstützt. "Solidarität" empfingen lediglich solche "Befreiungsbewegungen", die ein "sozialistisches" Regime errichten wollten. Die von ihnen verübten Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen wurden ignoriert. Generell blendeten die holzschnittartigen und bewusst parteilichen "antiimperialistischen" Sichtweisen je spezifische Hintergründe und Problemlagen von Konflikten in der Dritten Welt aus.

Dies galt seit den 1960er Jahren auch für den Nahost-Konflikt. Aus "antiimperialistischer" Perspektive avancierte das von Frankreich und den USA gestützte Israel zur "Kolonialmacht". Umgekehrt galten die von der Sowjetunion aufgerüsteten arabischen Staaten als "antikoloniale" Kräfte. Diesen Status erhielten nach dem Sechstagekrieg 1967 auch die Palästinenser: Die Wertschätzung für die - seinerzeit prosowjetische - PLO und die terroristische "People's Front for the Liberation of Palestine" (PFLP) erstreckte sich über das gesamte Spektrum des deutschen Linksextremismus. Sie reichte von der DKP über die maoistischen und stalinistischen so genannten K-Gruppen bis hin zu den terroristischen Organisationen "Revolutionäre Zellen" und "Bewegung 2. Juni", die 1976 gemeinsam mit palästinensischen Terroristen eine israelische Linienmaschine nach Entebbe entführten.

Eine solche "antiimperialistische" Grundhaltung zum Nahost-Konflikt kollidiert allerdings mit einem anderen zentralen Ideologem linker Extremisten: dem Antifaschismus. Der Palästina-Solidarität ging es nicht um differenzierte Kritik an der Politik Israels. Sie erklärte Israel zu einem "imperialistisch-zionistischen Projekt" und sprach ihm implizit die Existenzberechtigung ab. Die Übergänge dieser als "Antizionismus" drappierten Politik zu manifestem Antisemitismus - bei den "antiimperialistischen" palästinensischen Gruppen ohnehin grassierend - waren fließend, manchmal unübersehbar. Gleichwohl blieb die "antiimperialistische" Orientierung in der herkömmlichen Form bis heute im Mainstream der revolutionär-marxistischen und auch der autonomen Gruppen tonangebend.

Die "antideutsche" Strömung im Linksextremismus

Kritik und Gegenbewegungen zum "Antiimperialismus" entwickelten sich erst nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus zunehmend deutlicher. Unter Linksextremisten wuchs die Zahl derer, denen die orthodox-kommunistische Erklärung des NS-Regimes als Diktatur im Dienste der aggressivsten Teile des Kapitalismus (so genannte "Agentur"-Theorie) nicht ausreichte, weil sie die spezifisch antisemitisch-rassistische Komponente des Nationalsozialismus ausblendete. Als 1989/90 die deutsche Einheit auf der politischen Agenda erschien, bildeten sich "antideutsche" bzw. "antinationale" Gruppen, die ein "IV. Reich" befürchteten. Sie unterstellten, dass einem Streben der Deutschen nach Wiedervereinigung zwangsläufig ein imperialistischer Ausgriff und ein Vernichtungskrieg gegen fremde Ethnien folgen müsse. Ob man sich diesen Mechanismus als historisch-kulturelle Vorbelastung oder sogar als biologisch-genetischen Defekt der Deutschen dachte, wurde nicht immer klar. Jedenfalls forderte ein Bündnis "Radikale Linke" 1990 mit der Parole "Nie wieder Deutschland" einen Verzicht auf die Einheit und die Auflösung des deutschen Volkes in eine multikulturelle Gesellschaft. Jahre später hatte die "antideutsch" akzentuierte Agitation paranoide und bisweilen groteske Züge angenommen. "Antideutsche" Autonome agitierten beispielsweise bei Gedenktagen zur Bombardierung Dresdens im Frühjahr 1945 mit Parolen wie "Keine Träne für Dresden" und "Deutsche Täter sind keine Opfer". Zynisch forderten sie mit Blick auf den alliierten Protagonisten der Flächenbombardements im zweiten Weltkrieg: "Bomber-Harris - do it again!"

Eine zweite Wurzel der "antideutschen" Position lag im Entsetzen über die Gleichgültigkeit linksextremistischer "Friedensdemonstranten" gegenüber irakischen Raketenangriffen auf Israel während des Golfkrieges im Winter 1991. Ein Teil des zerfallenden "Kommunistischen Bundes" (KB) und die linksextremistische Monatszeitschrift "Konkret" schwenkten auf einen "bellizistischen" Kurs: Sie befürworteten nunmehr die Militäraktion der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak aus einer pro-israelischen und damit glaubwürdig antifaschistischen Position heraus. Den herkömmlichen "Antiimperialismus" mit seiner "antizionistischen" und latent antisemitischen Fassade lehnten sie ab. In den folgenden Jahren entwickelten sich vor allem im Weichfeld der Autonomen "antideutsche" und "antinationale" Gruppen. Trotz ihrer pro-israelischen Ausrichtung bekräftigten sie beharrlich linksextremistische Ziele, allerdings mit neuen und ungewohnten Untertönen. Den Verhältnissen in islamischen Staaten sei die westliche kapitalistische Demokratie entschieden vorzuziehen. Sie stelle eine notwendige Voraussetzung für eine spätere Errichtung des Kommunismus dar. Israel als Refugium der Überlebenden des Holocaust sei der Versuch der Juden, den Kommunismus lebend zu erreichen. Ende 2000 führte die von der PLO in Lauf gesetzte so genannte Al-Aksa-Intifada mit ihren Terroranschlägen gegen israelische Zivilisten zu einer Verschärfung der antideutschen Agitation: Nunmehr sprach das zum informellen ideologischen Zentralorgan der Antideutschen avancierte Blatt "Bahamas" – ein Zerfallsprodukt des KB - von "Islamfaschismus". Er sei "genauso antiamerikanisch wie antisemitisch; in dieser Bewegung reichen sich Pol Pot und Adolf Hitler die Hand." ("Bahamas" 39-2002). Insbesondere nach der amerikanisch-britischen Militärintervention gegen den Irak im Frühjahr 2003 spitzten sich die Konflikt zwischen den "Antideutschen" und den "Antiimperialisten" weiter zu: Es kam zu Schlägereien in und am Rande von "Friedensdemonstrationen". Häufig war das Mitführen von US-amerikanischen sowie israelischen Fahnen durch "Antideutsche" der Auslöser.

Seither hat sich das "antideutsche" Segment im Linksextremismus ausdifferenziert. Es besteht aus einem kompromisslos "israel-solidarischen" Flügel um die Zeitschrift "Bahamas" und dem Monatsblatt "jungle world" (eine Abspaltung von der traditionsstalinistischen "jungen Welt") und einigen kleineren Zusammenschlüssen. Die Parteinahme für Israel ist hier zu einer gewissen Obsession geronnen und produziert als Gegenstück verfestigte Feindbilder über "muslimische Banden". Eine Fähigkeit, zwischen Islam und Islamismus zu differenzieren, lassen die israel-solidarischen Akteure zumeist vermissen. Dennoch kann man in den zu entschiedenen Verfechtern westlich-demokratischer Werte gewandelten Autoren von z.B. "Bahamas" nur noch schwerlich Linksextremisten erkennen. Das verhält sich mit dem "antinationalen" Flügel anders. Er geht davon aus, dass Nationen generell künstliche Konstrukte seien, mit deren Hilfe Staaten das Funktionieren eines kapitalistischen Verwertungszusammenhangs sicherstellten. Notwendigerweise führe ein als "Nation" definiertes Kollektiv zur Ausgrenzung "Anderer" und damit auch zur Fortschreibung des Antisemitismus. Die Abschaffung aller Nationen und Staaten könne demnach auch nicht vor Israel Halt machen. Solche an anarchistische und kommunistische Utopien anknüpfenden Vorstellungen lehnen mithin auch Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ab; ihre revolutionäre Rhetorik ist zumeist an anarchistische Modelle angelehnt. Innerhalb des Linksextremismus handelt es sich um sehr kleine Grüppchen, die seit Jahren vergeblich versuchen, breitere Bündnisse gegen Symbole und Auswirkungen "kapitalistischer Verwertungszusammenhänge" in Gang zu setzen.

Würdigung

Die Herausbildung der "antideutschen" Strömung und ihrer unterschiedlichen Facetten stellt eine der interessantesten Entwicklungen im deutschen Linksextremismus seit langem dar. Ihre Protagonisten bewegen sich - vermutlich unwissentlich - ein Stück auf die Trennlinie zu, die demokratisches Engagement für die Dritte Welt und gegen Rechtsextremismus / Antisemitismus bisher von ihren linksextremistischen Verzerrungen "Antiimperialismus" und "Antifaschismus" geschieden hat. Hier sind Ablösungsprozesse von totalitären Ideologien des Marxismus-Leninismus, aber auch einer anarchistischen Verherrlichung angeblich stets legitimer "indigener Befreiungskämpfe" in Gang gekommen. Auch die offensichtliche Bewusstwerdung des rassistisch-antisemitischen Charakters des Nationalsozialismus bei den "Antideutschen" verdient Anerkennung, denn die Ausblendung des Antisemitismus stellt einen der gravierendsten ideologischen Fehlleistungen des linksextremen "Antifaschismus" dar. Allerdings ist die undifferenzierte Assoziation des Islam mit islamistischer Gewalt gegenaufklärerisch und geeignet, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu fördern. Das gilt auch für die Suggestion, "die Deutschen" seien aufgrund historischer, kultureller kollektiver mentaler Prägungen in besonderem Maße für extremistische Gewalt gegenüber anderen prädestiniert.

Bei den "Antideutschen" handelt es sich nicht um ein Phänomen, dessen Anhängerzahl sich bestimmen ließe - viele Grüppchen bestehen aus wenigen elitär wirkenden Vordenkern. Ihre Wirkung weist jedoch über die linksextreme Szene hinaus, denn der Impuls dieser Strömung konfrontiert den traditionellen Linksextremismus mit seiner realen Verbrechensgeschichte und legt zudem die dort fest verankerten doppelten Standards zu Menschenrechtsverletzungen in den Aktionsfeldern "Antiimperialismus" und "Antifaschismus" bloß. Denn schließlich ist es ein gravierender Unterschied, ob man sich wie die israel-solidarischen "Antideutschen" mit der einzigen gefestigten Demokratie im Nahen Osten oder wie die "Antiimperialisten" mit Terroristen von der PFLP bis zur Hamas solidarisiert. Den Versuch der parteinahen Zeitung "Neues Deutschland" vom 19.8.2014, diesen Impuls zu "kriegerischer Hetze" und pathologischen "Linken-Hass" in die Nähe des Rechtsextremismus zu rücken, kann man demnach auch eher als Versuch lesen, davon abzulenken, dass nicht nur in isolierten und politisch bedeutungslosen linksextremistischen Zusammenhängen traditioneller Antiimperialismus und antisemitisch gefärbter 'Antizionismus' außenpolitische Positionen nach wie vor maßgeblich mitbestimmen können.

Politikwissenschaftler, Studium der Politischen Wissenschaft, neuere Geschichte und Jura in Bonn, Magister Artium 1983, Promotion 1989, 1987 - 2006 Referent / Referatsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, Forschungsschwerpunkte: Links- und Rechtsextremismus.