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Wie kann man Kriminalität messen?

Tobias Singelnstein

/ 5 Minuten zu lesen

Gesellschaftliche Debatten über Kriminalität orientieren sich oft an der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Doch deren Aussagekraft hat Grenzen. Weiteren Aufschluss geben Dunkelfeldstudien.

Das Hellfeld der Kriminalität wird in Deutschland jedes Jahr in der Polizeilichen Kriminalstatistik festgehalten. Ein Auszug aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2024 für Nordrhein-Westfahlen. Aus den Länderdaten ergibt sich dann die bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik. (© picture-alliance/dpa, Henning Kaiser)

Was ist Kriminalität?

Als Kriminalität werden Verhaltensweisen bezeichnet, die gegen zentrale gesellschaftliche Normen verstoßen. Dies umfasst höchst unterschiedliche Dinge, vom bagatellhaften Ladendiebstahl bis zu schwerer Gewalt- oder Umweltkriminalität.

Aus rechtlicher Sicht sind Kriminalität alle Handlungen, die durch ein Strafgesetz mit Strafe bedroht sind, wie zum Beispiel Körperverletzung, Betrug oder Korruption. Sozialwissenschaftliche Perspektiven stellen demgegenüber auf die Sozialschädlichkeit des Verhaltens ab oder die Abweichung von geltenden sozialen Normen.

Kriminalität ist das negativste soziale Label, das wir als Gesellschaft für Menschen oder ihre Verhaltensweisen vergeben. Kriminalisierung ist dementsprechend auch ein Mechanismus sozialen Ausschlusses, der Marginalisierung herstellt und gesellschaftliche Ungleichheit reproduziert.

Wie lässt sich die Kriminalitätslage in Deutschland erfassen?

Wieviel Kriminalität es in einer Gesellschaft gibt, wie viele Straftaten also begangen werden, ist nicht einfach zu bestimmen. Bei dieser Messung wird in Hellfeld und Dunkelfeld unterschieden. Als Hellfeld gelten all jene Verdachtsfälle, die den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis gelangen und daher statistisch erfasst werden, insbesondere in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). In der Regel geschieht dies durch eine Anzeige von Bürgerinnen und Bürgern.

Das Dunkelfeld beinhaltet demgegenüber all jene Fälle, die den Behörden nicht zur Kenntnis gelangen, und beträgt ein Vielfaches der Größe des Hellfeldes. Sein Umfang kann in Teilen durch wissenschaftliche Untersuchungen, die sogenannte Dunkelfeldforschung, genauer bestimmt werden. Diese Teile werden als relatives Dunkelfeld bezeichnet. Darüber hinaus gibt es noch das absoluten Dunkelfeld, das sich nicht durch Forschung aufhellen lässt. Erschlossen wird das relative Dunkelfeld insbesondere durch Bevölkerungsbefragungen. Auf Bundesebene wird zum Beispiel seit 2020 die wiederkehrende Bevölkerungsbefragung „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland (SKiD)“ durchgeführt. Ergebnisse der zweiten Erhebungswelle werden im Herbst 2025 erwartet. Das Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld ist nicht konstant und unterscheidet sich zwischen verschiedenen Deliktsbereichen ganz erheblich. So werden etwa Einbrüche als Versicherungsfall meistens angezeigt, Sexualstraftaten und häusliche Gewalt hingegen eher selten gemeldet.

Was misst die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)?

In der PKS zählt die Polizei alle Verdachtsfälle, die sie im vergangenen Kalenderjahr bearbeitet und an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Da die Statistik nur die durch die Polizei endbearbeiteten Fälle dokumentiert, ist sie eine sogenannte Ausgangsstatistik. Die Statistik bildet daher nicht die Kriminalitätswirklichkeit ab, sondern vielmehr die Tätigkeit der Polizei im jeweiligen Berichtsjahr. Schlüsse auf die Kriminalitätswirklichkeit lassen sich anhand dessen nur mit großer Vorsicht ziehen.

Die PKS erfasst

  • die Art und Anzahl der polizeilich registrierten Fälle,

  • den festgestellten Tatort und die Tatzeit,

  • die Anzahl der mutmaßlichen Opfer und die Schäden,

  • sowie Merkmale der Tatverdächtigen wie Alter, Geschlecht und Nationalität.

Neben den absoluten Zahlen aller Fälle, Tatverdächtigen und Opfer führt die PKS die Häufigkeit von Verdachtssituationen pro 100.000 Personen der Wohnbevölkerung insgesamt sowie bestimmter Teilgruppen auf, zum Beispiel Altersgruppen, Geschlecht und Nationalität. Diese Verhältniszahlen sollen die Vergleichbarkeit der Zahlen über mehrere Jahre ermöglichen und Schwankungen in den Größen dieser Gruppen ausgleichen.

Staatsschutzdelikte, Ordnungswidrigkeiten, Verkehrsdelikte sowie Delikte, die außerhalb des Aufgabenbereichs der Polizei liegen, wie Finanz- und Steuerdelikte, werden nicht in die PKS aufgenommen.

Was sind Tatverdächtigenbelastungszahlen?

Tatverdächtigenbelastungszahlen werden in der PKS verwendet. Es handelt sich um Verhältniszahlen, die die Zahl der erfassten Tatverdächtigen pro 100.000 Personen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe angeben – zum Beispiel der Wohnbevölkerung insgesamt oder bestimmter Altersgruppen. Auf diese Weise kann zum einen die Belastung einer definierten Gruppe mit aufgeklärten Verdachtsfällen abgebildet werden. Zum anderen wirken sich bei einem Vergleich über mehrere Jahre Veränderungen in der Größe der jeweiligen Gruppe nicht aus – wenn zum Beispiel die Wohnbevölkerung wächst, werden auch mehr Straftaten und Verdächtige erfasst.

Wer veröffentlicht die PKS?

Das Bundeskriminalamt (BKA) gibt einmal im Jahr die PKS für den Bund heraus. Sie wird im Frühjahr von Innenministerium, BKA und dem/der Vorsitzenden der Innenministerkonferenz vorgestellt. Die PKS basiert auf den Daten, die die 16 Landeskriminalämter dem BKA übermittelt haben und die die polizeiliche Arbeit in den einzelnen Bundesländern dokumentieren.

Warum müssen die Daten der PKS mit Vorsicht interpretiert werden?

Aussagen zur Entwicklung der tatsächlichen Kriminalität können der PKS nur mit größter Vorsicht entnommen werden. Denn erstens zeigen die Zahlen nur das Hellfeld und damit nur einen kleinen, verzerrten Ausschnitt der Kriminalitätswirklichkeit (siehe Grafik Trichtermodell). Zweitens handelt es sich nur um Verdachtsfälle und eine polizeiliche Bewertung, während die Bearbeitung durch die Justiz noch aussteht. Das heißt auch, dass die PKS keine Aussagen über Täterinnen und Tätern zulässt, sondern lediglich über Tatverdächtige.

(© bpb)

Die Daten der PKS können durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden:

  • die Veränderung des Anzeigeverhaltens

  • die Veränderung der polizeilichen Kontrollintensität

  • die Änderung der statistischen Erfassung

  • die Änderung des Strafrechts

  • tatsächliche Veränderung des Kriminalitätsgeschehens.

Aus wissenschaftlicher Sicht bedarf es anderer Formen der Messung, um belastbare Aussagen über Kriminalität treffen zu können. Dennoch wird die Statistik in der öffentlichen Wahrnehmung meist als Abbild der Realität betrachtet und ihre Bedeutung für Aussagen über Kriminalität überschätzt.

Wie gelangt ein Fall in die Statistik?

Welche Verhaltensweisen als Verdachtsfälle Eingang in die amtlichen Statistiken finden und so das gesellschaftliche Bild von Kriminalität prägen, hängt in erster Linie vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung ab. Dieses ist indes nicht gleichmäßig ausgeprägt, sondern unterscheidet sich je nach Deliktsbereichen und Personen. Denn es hängt davon ab, was Menschen wahrnehmen, als Kriminalität bewerten und für relevant halten: Manche Delikte sind eher sichtbar als andere, manche werden eher als besonders bedrohlich eingeschätzt. Die Motivation zur Anzeige hängt von Faktoren wie der Schwere des Delikts und der eigenen Betroffenheit ab, aber zum Beispiel auch von der Notwendigkeit einer Anzeige, um eine Versicherung in Anspruch nehmen zu können. Die angezeigten Fälle stellen daher keinen repräsentativen Ausschnitt der Kriminalitätswirklichkeit dar, sondern bieten nur einen stark verzerrten Einblick.

Werden alle Verdachtsfälle vor Gericht verhandelt?

Die Verfolgung von Straftaten beziehungsweise dem, was Anzeigeerstattende als Straftaten ansehen und bezeichnen, erfolgt durch Polizei und Justiz. Den ersten Zugriff hat dabei in der Regel die Polizei, Herrin des Ermittlungsverfahrens ist aus rechtlicher Sicht allerdings die Staatsanwaltschaft. Sie entscheidet nach Abschluss der Ermittlungen, ob ein Strafverfahren eingestellt, gegen Auflagen beendet oder mittels Strafbefehls oder Anklage weiterbetrieben wird.

Nur in den letzten beiden Fällen gelangt das Verfahren dann zum Gericht und wird dort von Richterinnen und Richtern abschließend entschieden. Ein klassischer Strafprozess mit öffentlicher, mündlicher Hauptverhandlung findet nur in einem geringen Teil der ursprünglich von der Polizei erfassten Fälle statt (siehe Grafik Trichtermodell).

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Prof. Dr. Singelnstein ist Inhaber der Professur für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Kriminologie sowie im Straf- und Strafprozessrecht.