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Chile: Kampf gegen Umweltverschmutzung | Lateinamerika | bpb.de

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Chile: Kampf gegen Umweltverschmutzung

zibechi Raúl Zibechi

/ 15 Minuten zu lesen

In ihrer Heimatregion im Süden Chiles kämpfen die dort ansässigen Mapuches und Fischer gegen den Bau einer Papierfabrik. Sie sind damit nicht allein, in ganz Südamerika wächst der Widerstand gegen multinationale Forstkonzerne und die rücksichtslose Ausbeutung der Wälder.

Protestplakat in Mehuin: Gegend frei von Umweltverschmutzung

Die weltweite Papierfertigung verlagert sich von Externer Link: Nord nach Süd. Dabei profiliert sich Südamerika als ein wichtiger Zelluloselieferant für die großen Absatzmärkte in den Industrieländern, der zudem noch äußerst günstige Voraussetzungen für weitere Expansionsmöglichkeiten bietet. Ein von Externer Link: Greenpeace Argentinien 2006 erstellter Bericht zeigt die Ansiedlung von Zellulosefabriken in Südamerika als Teil eines globalen Trends auf. "Der weltweite Papierkonsum nimmt rasant zu und dürfte in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen.

Im Jahr 2000 wurde der Papierverbrauch auf 300 Millionen Tonnen geschätzt; 2005 war der Bedarf bereits auf 366 geklettert. Bis zum Jahr 2020 wird mit einem weiteren Anstieg auf 566 Millionen gerechnet", heißt es im Bericht. Die Aufteilung zwischen Absatzmärkten und Produktionszentren hat zu der Niederlassung der Zellstoffindustrie in klimatisch und wirtschaftlich besonders günstigen Gebieten geführt". Besonders besorgniserregend ist dabei die Tatsache, dass 60% des weltweit produzierten Papiers Verpackungszwecken dient, also eigentlich überflüssig ist.

Gegenwärtig lassen sich europäische Zellstofffabriken entlang der gesamten brasilianischen, argentinischen und uruguayischen Küste nieder. Damit verbunden ist die Zerstörung der Naturwälder, die durch Baumplantagen für die Zellstoffgewinnung ersetzt werden. Ein weiteres großes Problem ist die Verschmutzung von Flüssen und Meeren durch die von den Fabriken eingeleiteten Abwässer. Auch in Chile ist die Massenproduktion von Zellstoff nichts Neues. Das Land ist seit längerem der viertgrößte Papierexporteur der Welt. Die Zellstoffexporte stellen Externer Link: 7% der Gesamtexporte Chiles dar.

Vor diesem Hintergrund ist auch der wachsende Widerstand der Bevölkerung gegen die großindustrielle Ausbeutung der Forstressourcen zu sehen. So Externer Link: widersetzen sich die Bewohner einer kleinen Fischerbucht im Süden Chiles seit beinahe 12 Jahren dem Bau einer Pipeline des Externer Link: Papierproduzenten Celulosa Arauco y Constitución (CELCO) zur Einleitung giftiger Abwässer ins Meer. Anfang April 2008 kam es erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Handlangern des Zelluloseherstellers und Fischern. Bei dem Vorfall, bei dem gegen die Fischer mit Steinen und Schusswaffen vorgegangen wurde, erlitten mehrere Menschen Verletzungen. Auch das Gewerkschaftshaus der Fischer in der Nachbarbucht Missisipi, von wo aus die Umweltschützer ihren Aktionsplan koordinieren, wurde zerstört. Dabei geht es der Firma darum, die von den Fischern ausgelegten Netze zu zerstören. Die Netze verhindern das Andocken von Schiffen, die im Auftrag von CELCO Umweltverträglichkeitsstudien durchführen sollen. Die Umweltverträglichkeitsstudien sind eine Auflage der chilenischen Regierung an den Fortwirtschaftskonzern. (Quellen: Externer Link: olca.cl, Externer Link: valdivianoticias.cl)

Ein offener Brief vom 11. April an die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet, den 80 Organisationen unterzeichneten, fasst die Lage der Fischer zusammen: "In der 80 km südlich von Valdivia gelegenen Bucht Missisipi sowie in der Ortschaft Mehuín", heißt es darin, "tauchte in der vergangenen Woche unverhofft eine Gruppe von Personen auf, die der Firma CELCO ihre Unterstützung versicherten. Die Gruppe pöbelte die Einwohner an, wurde sogar handgreiflich und nahm nicht nur gegenüber den Mitgliedern des Ausschuss zur Verteidigung des Meeres von Mehuín eine drohende Haltung ein, sondern belästigte auch ganz allgemein Männer, Frauen und Kinder". (Quelle: Externer Link: jovenestehuelches.blogspot.com)

Zu den Hintergründen heisst es dort: "Im vergangenen Jahr schloss eine kleine Minderheit in dieser Ortschaften einen Millionenvertrag mit CELCO ab. Darin verpflichtete sich diese Gruppe als Gegenleistung für wirtschaftlichen Vorteile zur Zusammenarbeit mit der Firma . Dabei handelt es sich um kaum mehr als 40 Personen, die aber seit Tagen mit drohenden Gebärden völlig unbehelligt auf schweren Fahrzeugen durch die Ortschaft ziehen. Die Militärpolizei (Carabineros) schaut tatenlos zu, die Kriegsmarine hat mit Gewalt die von den Fischern ausgelegten Netze beseitigt und die Medien haben sich in ein skandalöses Schweigen gehüllt".

Die Vorfälle im Süden Chiles reihen sich in eine lange Liste weiterer Aktionen in dem nunmehr schon Jahre andauernden Widerstand von Fischern, Mapuche-Einwohnern und Bauern gegen die großen Forst- und Zellstoffkonzernen ein. Einer dieser Großkonzerne ist die Firma CELCO, die der Familie Angelini gehöret. CELCO besitzt allein im Süden Chiles vier Werke, die insgesamt 3 Millionen Tonnen Zellstoff pro Jahr produzieren. Ein Großteil der Produktion wird nach China und Europa geliefert. In dem 30 Kilometer von Mehuin entfernt gelegenen Werk Valparaiso ist es schon mehrfach zu Umweltkatastrophen gekommen. Dabei verursachten die giftigen Abwässer der Fabrik 2004 den Tod von Hunderten von Schwarzhalsschwänen im Naturschutzgebiet Rio Cruces, ein Zwischenfall der weltweit Aufsehen erregte. (Quelle: Externer Link: olca.cl, Externer Link: olca.cl)

Trotz der Umweltproblematik und der zunehmend ablehnenden Haltung in der Bevölkerung stiegen die Papierexporte unaufhaltsam von 1,8 Mrd. Dollar 1997 auf 4,8 Milliarden Dollar 2007. Sie stellen heute die zweitwichtigste Devisenquelle des Landes dar. Die chilenische Forstwirtschaft wird von zwei großen Unternehmen beherrscht, dem CMPC-Konzern in Besitz der Familie Matte und Empresas Arauco der Familie Angelini. Beide Unternehmen standen seinerzeit in der Gunst von Augusto Pinochet, so die Rechercheergebnisse eines Buchs von Lucia Cuenca, Oscar Rojas, Rachel Gold und Manuel Zuñiga "Aproximación crítica al modelo forestal chileno" Heute erlebt die Zellstoffproduktion einen wahren Boom. Allein in den letzten Jahren wurden 3 neue Werke eingeweiht, mit denen sich die Gesamtproduktion verdoppelt.

Den Interessen der Großindustrie widersetzen sich in Chile im Wesentlichen die Lafkenche, ein regionaler Stamm der Mapuche, und die örtlichen Fischergemeinden. Das Volk der Mapuche zählt sechs Untergruppen, von denen das Seevolk der Lafkenche besonders durch die Einrichtung der Zellstofffabriken betroffen ist. Die Lafkenche-Mapuches leben zusammen mit der Gemeinschaft der Fischer in kleinen Dörfern und Buchten. Eines dieser Dörfer ist Mehuín. Der kleine Badeort liegt 80 Kilometer von Valdivia entfernt und zählt knapp 1.700 Einwohner. Er liegt in einer von kleinen Gehöften geprägten Berglandschaft. Zu den umliegenden Ortschaften gehört auch Missisipi, die von Mehuín durch den Fluss Linque getrennt ist.

In einem vom Externer Link: Lateinamerikanischen Observatorium für Umweltkonflikte (Spanisch Observatorio Latinoamericano de Conflictos Ambientales – OLCA) verfassten Bericht heißt es zu der im Einklang mit der Natur stehenden Lebensart der Fischer: "Die Fischer und Taucher von Mehuín betreiben eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meeresfrüchte. Je nach Klima, Marktbedingungen und eigene Bedürfnissen wechseln sie Flussfischerei mit Hochseefischerei und Tauchaktivitäten ab. Somit wird eine Überfischung der Fanggründe verhindert und es bleiben große Bestände an Muscheln (Cholgas), Meeresschnecken und Seeigeln erhalten. Gleichzeitig weisen diese Gruppen eine hohe soziale Mobilität auf, da ihnen der Erhalt der Ressourcen Arbeitsplätze und Einkommen sichert". (Quelle: "Mehuin, sustentabilidad y resistencia", herausgegeben von dem Lateinamerikanischen Observatorium für Umweltkonflikte (Spanisch Observatorio Latinoamericano de Conflictos Ambientales – OLCA, Santiago,1999, S 21.) Diese nachhaltige Lebensart ist nun durch die Papierwirtschaft bedroht.

Eine in zwei Etappen ausgetragene "Seeschlacht"

Die ersten Pläne zum Bau einer Abwasserleitung für die Zellstoffindustrie reichen bis in das Jahr 1996 zurück. Die Firma CELCO entsandte zum damaligen Zeitpunkt erstmalig Fachleute nach Mehuín, die eine von den Umweltbehörden Chiles angeforderte Umweltverträglichkeitsstudie durchführen sollten. Vor der Errichtung neuer Zellstofffabriken sollte sichergestellt werden, dass keine giftigen Abwässer in den Rio Cruces gelangten, da der Fluss durch das Naturschutzgebiet Carlos Andwandter fließt. Den Fischern wurde allerdings das eigentliche Anliegen verheimlicht. Stattdessen wurden Ausbauarbeiten an der Mündung des Rio Lingue als Vorwand angegeben. Die Wahrheit trat nur durch Zufall zu Tage, als einer der Vertreter der Firma CELCO https://betrunken das eigentliche Vorhaben preisgab. Eine ins Meer führende Abwasserleitung aber würde nicht nur Strand und Meer verschmutzen, sondern auch die traditionelle Lebensart der "Comunidades" zerstören.

Oktober 2007 demonstrieren Mapuche Gemeinde und Fischer von Mehuin gegen die Ausweitung der Zellulose Fabrik CELCO.

Die Fischer verlangten ab diesem Zeitpunkt von jedem Vertreter der Firma CELCO eine ordnungsmäßig vom Staat ausgestellte Genehmigung. Konnte eine solche Genehmigung nicht beigebracht werden, mussten die Mitarbeiter von CELCO unverrichteter Dinge wieder abziehen. Auf einer eilig einberufenen Großversammlung wurde ein "Ausschuss zur Verteidigung von Mehuín" gegründet. Unterstützt wurde das Vorhaben von der gesamten "Comunidad", also der örtlichen Gemeinschaft, einschließlich der Kirche. In seiner ersten Erklärung machte der Ausschuss deutlich, dass der Bau einer Abwasserleitung dazu führen würde "die Lebensgrundlagen von Fischern, Tauchern, Handel, Hotelgewerbe und Fremdenverkehr zu zerstören". Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gemeinschaft nicht tatenlos zusehen werde, wie giftige Abwässer in die Gewässer eingeleitet werden sollen".

Von Anfang an war die Strategie der Mehuín-Bewohner darauf ausgerichtet, die Durchführung der Umweltverträglichkeitsstudie zu verhindern. Es sollte bei der Firma erst gar nicht die Vorstellung aufkommen eines Tages die Abwässer ins Meer leiten zu können. Auch das Angebot des Unternehmens, als Gegenleistung für die Abwasserleitung Infrastrukturarbeiten im Werte von einer Million Dollar durchzuführen, wurde von der örtlichen Bevölkerung abgelehnt. Vor den Küsten Mehuins ist der Pazifik sehr flach. Erst nach ca. 9 bis 10 Stunden Seefahrt ist das Meer tief genug um eingeleitete Chemikalien zu absorbieren, so dass sie mit der Flut nicht wieder zurück an die Küste geschwemmt werden.

Am 28. August 1996 veröffentlichte Präsident Frei eine Dienstanweisung an die öffentlichen Bediensteten, in der er sie darauf hinwies, dass sie nicht zu entscheiden hätten, ob ein Investitionsprojekt durchgeführt werde oder nicht, sondern sicherzustellen, dass die Projekte nach Maßgabe des Umweltschutzgesetzes ausgeführt werden". (Quelle: Externer Link: normativaconstruccion.cl - PDF) Damit wurde deutlich, auf wessen Seite der Staat stand. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Der "Ausschuss zur Verteidigung von Mehuin" gab jedoch nicht auf. Es wurden Tag und Nacht Wachposten aufgestellt, um jede Untersuchung zu verhindern. Wann immer ein fremdes Schiff die Bucht ansteuerte, wurde ihm die Weiterfahrt von Booten versperrt, die durch das Warnsystem der Feuerwehr alarmiert wurden. An den Aktionen nahmen 250 in zwei Gewerkschaften zusammengeschlossenen Fischer teil.

Eine besondere Rolle kam den Frauen zu. Sie organisierten Tombolas, Feste und Volksessen mit dem Ziel, die für die Aktionen erforderlichen Mittel einzutreiben. Es kam zu Demonstrationen vor den Hotels, in denen die Vertreter von CELCO untergebracht waren. Ende 2006 traf das Schiff Rainbow Warrior von Greenpeace in der Bucht ein, um sich mit der Bevölkerung zu solidarisieren. CELCO scheiterte mit seinem Versuch, unter Beteiligung der LKW-Fahrer ein Komitee zur Unterstützung des Werks zu gründen. Allerdings gelang es der Firma die Unterstützung des Rektors der Universidad Austral Manfred Max Neef zu gewinnen. Demgegenüber gelang es den Einwohnern von Mehuín einen Fischereigenossenschaft zu gründen, die sich für den Erhalt der Lebensart und die Umwelt einsetzte. Ferner schlossen sich die Fafkenche-Gemeinden und Umweltschützer aus ganz Chile dem Kampf und den Forderungen der Fischer an.

CELCO unternahm am 12. Januar 1998 einen erneuten Versuch, die Umweltverträglichkeitsstudien durchzuführen, dieses Mal sogar in Begleitung eines von der Kriegsmarine zur Verfügung gestellten Patrouillenbootes. Über 100 Fischer demonstrierten in den Tagen davor, legten ihre Netze aus, um die Fahrt der Schiffe zu behindern und setzten ein Überwachungs- und Kommunikationssystem in Alarmbereitschaft.

Am 12. Januar kam es zu einer wahren "Seeschlacht", deren Ausgang das Projekt um Jahre zurückwarf. Tausende von Menschen hatten sich am Strand versammelt, Feuer angezündet und Volksküchen eingerichtet. Als sich ein riesiger von der Firma CELCO im Hafen von Talcahuano angeheuerter Schlepper der Bucht näherte, ertönten die Sirenen. 200 Fischerboote bildeten eine Barriere, die den Schlepper daran hinderte, sich der Bucht zu nähern, und schließlich dazu zwang, unverrichteter Dinge wieder abziehen. Am 16. Oktober 1998 genehmigte die Umweltbehörde den Bau der Papierfabrik. Die Abwässer sollten nun doch in den Rio Cruces und nicht in die Bucht von Mehuín eingeleitet werden. Der Sieg der Gemeinschaft von Mehuin sollte sieben Jahre anhalten.

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Das Militär schützt Anlagen von CELCO gegen Demonstranten, Valdivia 2003

Im Januar 2004 nahm das Werk von CELCO in Valdivia seinen Betrieb auf. Wenige Wochen später kam es zu einem Massensterben der seltenen Schwarzhalsschwäne, worauf 2005 die Regierung von Ricardo Lagos erneut den Bau einer Abwasserleitung genehmigte. Damit sollte die durch die Umweltkatastrophe ausgelöste politische Krise überwunden und die aufgebrachte Öffentlichkeit beschwichtigt werden. 2006 formierte sich die Bewegung zur Verteidigung des Meeres erneut. Im August kam es zu einer zweiten "Seeschlacht", bei der CELCO und die Marine erneut mit ihrem Versuch sich der Bucht zu nähern scheiterten. Das Unternehmen änderte daraufhin seine Strategie. War es ihm nicht gelungen auf diese Art den Widerstand der Fischer zu brechen, so sollten jetzt Zwietracht unter den Fischern gestiftet werden.

CELCO erwarb zwei lokale Radiosender (Mehr dazu bei Externer Link: Informativo Mapuche - Mapuexpress), die Propaganda für die Abwasserleitung sendeten und den Widerstand der Gemeinde verunglimpften. Am 9. Oktober 2007 unterzeichnete CELCO mit der Fischergewerkschaft von Mehuín eine Vereinbarung, die der Gewerkschaft erhebliche Mittel zusicherte und im Gegenzug der Firma Unterstützung bei dem Bau der Abwasserleitung zusicherte. Zwar beharrten die Gemeinschaften der Lafkenche und Fischer auf ihrem Standpunkt und ließen sich auch nicht durch Angriffe und Drohungen von den Drahtziehern CELCOs einschüchtern. Aber die Firma konnte immerhin mit Geld einige wenige Fischer auf ihre Seite bringen und somit die Widerstandsbewegung schwächen.

Eine Gruppe von ca. 100 Unternehmer-freundlichen Fischern kam am 2. April gegen 17.00 Uhr in 15 Booten über den Fluss und zielten mit Schusswaffen auf Fischer und Lafkenche und entführten zwei Frauen des "Comité de Defensa del Mar". Als der Vorfall bekannt wurde, kamen rund 100 Lafkenche-Bauern von den Bergen in die Ortschaft, um die Fischer bei einem eventuellen zweiten Überfall zu unterstützen.

Der Einsatz von Mafia-Methoden seitens von CELCO beweist, wie groß das Interesse des Unternehmens ist, die Umweltverträglichkeitsstudie möglichst schnell durchzuführen. Im April 2009 läuft die von der Regierung gesetzte Frist ab. In den kommenden Monaten dürfte sich also der Kampf zwischen den Unternehmensinteressen und den Interessen der Völker, die um den Erhalt ihrer traditionellen Lebensformen kämpfen und sich für ein Miteinander mit der Natur einsetzen, weiter verschärfen.

Ein sehr lukratives Geschäft

Lucio Cuenca, Koordinator von OLCA, einer den Fischern von Mehuin nahe stehenden NGO weist auf das lukrative Geschäft hin, das die Hartnäckigkeit der Firma CELCO erklärt. In den letzten Jahren ist die Forstwirtschaft um über 6 % pro Jahr gewachsen. Von 1975 bis 2004 sind die Anpflanzungen von 0,2 Mio. Hektar auf 2,3 Mio. Hektar gewachsen. Auf die Forstwirtschaft entfallen 13% der chilenischen Exporte. Davon werden rund 50% an asiatische Länder exportiert. Über 2 Mio. Hektar Baumplantagen liegen im Süden Chiles, wo sich die Heimat der Mapuches befindet. (Quelle: Externer Link: elmercuriodigital.es)

Die größte Eigentumskonzentration fand unter dem Pinochet-Regime statt. In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten sowohl christdemokratische als auch sozialistische Regierungen eine Agrarreform eingeleitet, die den Mapuches das Recht auf Land zusicherte und die Gründung von Bauerngenossenschaften förderte. Begleitet wurde die Reform von einer aktiven Forstwirtschaftspolitik des Staates.

Die Militärdiktatur leitete eine Gegenreform ein, die sowohl die Eigentumsverhältnisse als auch die Nutzung von Grund und Boden veränderte. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre übertrug der Staat seine sechs wichtigsten Forstbetriebe an private Unternehmen: Celulosa Arauco, Celulosa Constitución, Forestal Arauco, Inforsa, Masisa und Compañía Manufacturera de Papeles y Cartones. "Sie alle wurden an verschiedene Konzerne zu 78% ihres Wertes verkauft", erläutert Cuenca die unter Pinochet betriebene Politik. (Quelle: "Aproximación crítica al modelo forestal chileno", S. 6) Während in den übrigen Ländern Südamerikas sich die Forstwirtschaft überwiegend in Händen großer multinationaler europäischer oder amerikanischer Konzerne befindet, ist die Situation in Chile anders. Hier teilen sich zwei große chilenischen Firmen den Markt. Hauptaktionäre sind Anacleto Angelini und Eleodoro Matte. Allein die Gruppe Angelini besitzt 770.000 Hektar, während die Gruppe Matte auf etwa eine 500.000 Hektar Wald kommt.

"Die Regionen, in denen sich dieses profitable Geschäft abspielt", fährt Cuenca fort, "gehören heute zu den ärmsten des Landes." Während Angelini zu den reichsten Männern Lateinamerikas zählt, gilt im Süden Chiles fast ein Drittel der Bevölkerung als arm, was der höchste Anteil in ganz Chile ist. "Die Gewinne werden nicht verteilt. Außer Raubbau, Verschmutzung, Verlust von Artenvielfalt und Kultur sowie zunehmender Armut verbleibt in der Region nichts", schließt der Koordinator von OLCA. (Quelle: Die Umweltschutzgruppe Externer Link: Acción por los Cisnes, Valdivia, hat zahlreiches Informationsmaterial über die Umweltkatastrophe gesammelt.)

Der Vormarsch der Forstwirtschaft bedeutet das Ende der Mapuches als Volk. Jahr für Jahr verschiebt sich die Forstgrenze um ca. 50.000 Hektar. Abgesehen davon, dass die Mapuches wortwörtlich von den Plantagen erstickt werden, macht sich Wasserknappheit breit, verändern sich die Flora und Fauna und der Naturwald stirbt rasch. Einem Bericht der Zentralbank zufolge wird es in 25 Jahren in Chile keinen einzigen Naturwald mehr geben. Dennoch deutet alles darauf hin, dass der Ausbau der Forstwirtschaft unaufhaltsam voranschreiten wird. Aufgrund schwacher Umweltgesetzgebung und niedriger Löhne kann Chile auf dem Weltmarkt punkten. Eine Tonne chilenischer Zellstoff kostet 222 US-Dollar. Damit leigen die Preise um ein Drittel unter denen der Komkurrenz, in Kanada betragen die Kosten 344 US-Dollar und in Schweden und Finnland 349 US-Dollar.

Aktion zur Rettung der Schwäne

Das Zellstoffwerk der Firma CELCO wurde am 30. Januar 2004 in Betrieb genommen. Bereits im Februar war der Geruch in der 56 Kilometer entfernten Stadt Valdivia so penetrant, dass sich Widerstand gegen das Werk bildete. Verschiedene Gruppen stellten einen Aktionsplan auf. Auch die Behörden stellten mehrfache Verstöße von CELCO fest. Unter anderm hatte das Werk zusätzliche Abwasserrohre verlegt, die in der Umweltverträglichkeitsstudie nicht aufgeführte Industrieabwässer in den Fluss leiteten. Mit schlimmen Konsequenzen für die Umwelt. Ende Oktober waren auf den Straßen die ersten Schwarzhalsschwäne zu sehen. Die Tiere waren orientierungslos, zeigten neurologische Probleme und waren unterernährt. Die Gruppe, die das Naturschutzgebiet Carlos Anwandter überwacht, durch das der Fluss Cruces läuft, in den CELCO seine Abwässer einleitet, fanden zahlreiche tote Schwäne. Bis 2003 lebten in dem Naturschutzgebiet etwa 6.000 Schwarzhalsschwäne. Die in den Fluss Cruces eingeleiteten Abwässer verursachen den Tod von mindestens Tausend Schwänen. Heute gibt es im Naturschutzgebiet keinen einzigen Schwan mehr. (Quelle: Externer Link: accionporloscisnes.org)

Inmitten der öffentlichen Empörung fand am 2. November in Valdivia eine große öffentliche Versammlung stand, auf der die Gruppe Aktion zur Rettung der Schwäne gegründet wurde. Es handelte sich um eine bis dahin nie da gewesene Bürgerbewegung, in der sich Tausende von Menschen aller Altersgruppen, Schichten und sozialen Bewegungen zusammengefunden haben. Auf Massendemonstrationen wurde die Schließung des CELCO-Werkes in Valdivia gefordert. Das Sterben der Schwarzhalsschwäne war eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte Chiles. Der Bewegung zur Rettung der Schwäne gelang es in nur kurzer Zeit die Vorfälle in Valvidiva in einen nationalen Konflikt zu verwandeln. In der Hauptstadt Santiago wurde ein Koordinierungsbüro zur Verteidigung des Naturschutzgebietes eingerichtet.

Ärzte aus dem betroffenen Gebiet informierten gleichzeitig über zahlreiche Fälle von Atemwegserkrankungen, Bronchitis, Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein als Folge der Abgase des Zellulosewerkes. Ein Arzt des Krankenhauses aus San José de la Mariquina informierte im April 2005, dass von den 50 Patienten, die ihn täglich aufsuchten, bei 15 eine dieser Krankheiten diagnostiziert wurde. Aus einer Studie der Universidad Austral ging hervor, dass die Konzentration der für die menschliche Gesundheit hochgefährlichen Dioxine und Furane, deutlich erhöht war.

Die Gruppe "Aktion zur Rettung der Schwäne" ist auch heute noch aktiv und wird von zahlreichen Umweltschutzorganisationen und Einzelpersonen unterstützt. Darunter sind zahlreiche Studenten, Bürgergruppen sowie Vertreter der Tourismusbranche. Denn der Fremdenverkehr ist um ein Drittel zurückgegangen ist, seitdem die toten Schwäne gefunden wurden. Die Bewegung hält monatlich eine offene Versammlung ab und wöchentlich tagen Arbeits- und Forschungsgruppen.

Verfassungsreform

In den letzten Jahren hat sich der Kampf des Mapuche-Volkes gefestigt. Sie erhalten Unterstützung, sowohl aus Chile, als auch dem Ausland. Auch die Regierung von Michelle Bachelet unterstützt nun zentrale Forderungen der Umweltschützer und Fischer. Chile ist eines der wenigen Länder in Lateinamerika, die der Externer Link: ILO-Konvention 169 nicht beigetreten sind, die den indigenen Völkern politische, territoriale und kulturelle Rechte einräumt.

Hinzukommt, dass auf die Mapuches ein aus der Zeit von Pinochet stammendes Antiterrorgesetz zur Anwendung gelangt, mit dem der soziale Kampf dieser ethnischen Minderheit kriminalisiert wird. Im März 2007 hat der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen Chile die Revision seiner Politik und Gesetzgebung in Bezug auf indigenes Land empfohlen. Damit soll die Anerkennung der ILO-Konvention forciert und verhindert werden, dass bei geplanten Investitionsprojekten die Menschenrechte verletzt werden.

Vor diesem Hintergrund verabschiedete am 10. Januar 2008 der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Senats eine "Auslegungserklärung" der ILO-Konvention. Darin werden die Rechte, die vorgeblich anerkannt werden, de facto wieder zurückgenommen. Am 7. April haben 23 Organisationen von Mapuches, Aymaras und sie unterstützenden Gruppen angesichts der "unmittelbaren verfassungsmäßigen Anerkennung" der indigenen Völker eine Eingabe an den Senat gerichtet. Darin fordern die indigenen Völker, zu den Gesetzesvorlagen gehört zu werden, die sie direkt betreffen.

Alles deutet daraufhin, dass der Staat sich anschickt Maßnahmen zu ergreifen, um dem internationalen Druck zu begegnen, ohne dass er die kollektiven Rechte als Völker anerkennt, wie die Unterzeichneten des Briefes an den Senat befürchten. In dem offenen Brief der Mapuche-Organisationen heißt es: "die Anerkennung der indigenen Bevölkerung in der Verfassung erwähnt nicht unsere kollektiven Rechte als Völker – politische, territoriale, linguistische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die bereits in den internationalen Menschenrechtsverträgen aufgenommen sind: UN-Erklärung über die Rechte der Indigenen Völker, die Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und die Konvention 169 selbst. Sie ruft den Senat auf "eine konsensfähige Verfassungsreform einzuleiten, um unsere tatsächliche Mitsprache zu garantieren"

Quellen

Fussnoten

Raúl Zibechi, Jahrgang 1952 geb. in Montevideo, Uruguay, ist Journalist und für die Seiten "Internationales" bei der Wochenzeitung Brecha (Uruguay) verantwortlich, von 1990–1997 war er Korrespondent der argentinischen Tageszeitung Página 12. Er arbeitet als Kolumnist für die Tageszeitung La Jornada in Mexiko und ist Gewinner des Lateinamerikanischen Journalistenpreis "José Martí" 2003.Daneben ist als er Dozent und Forscher an der "Multiversidad Franciscana de América Latina" (Institut für Allgemeinbildung), Uruguay tätig.