Die USA zwischen Internationalismus und Isolationismus
David Sirakov
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Die USA sind die bedeutendste Weltordnungsmacht. Doch immer wieder scheint ihre Außen- und Sicherheitspolitik zwischen den beiden Extremen Internationalismus und Isolationismus hin und her zu pendeln. Wie kommt es dazu?
Welche Vorstellung, ja Traditionen, unterliegen den Pendelbewegungen der US-amerikanischen Außenpolitik? Und welche weiteren Faktoren beeinflussen zudem das Außenverhalten der USA? Auf die Frage nach den Bestimmungsfaktoren der Außen- und Sicherheitspolitik von Staaten gibt es viele verschiedene Antworten. Je nachdem, welche Brille die Betrachterin aufhat oder welches Weltbild sie vertritt, rücken unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Darunter finden sich der Zustand des internationalen Systems und die dadurch von Staaten als einheitliche Akteure zu wählenden Überlebensstrategien (Realismen), die gegenseitigen Abhängigkeiten von Staaten (Interdependenztheorien) oder gesellschaftliche Akteur*innen und die innerstaatlichen Aushandlungsprozesse (liberale Theorien) sowie die soziale Konstruktion der Realität (Konstruktivismus) oder auch des Geschlechterverhältnisses (Feminismus).
Aufgrund ihrer weltpolitischen Rolle sind gerade Interner Link: die USA beliebter Gegenstand solcher Analysen. Diese Theorien der internationalen Beziehungen spielen allerdings nicht nur in solchen Untersuchungen eine Rolle, sondern auch bei den Entscheidungsträger*innen selbst. So lässt der Blick in die Geschichte der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik ideologische Muster erkennen, die als Traditionen der US-Außenpolitik bezeichnet werden können. Ihnen allen unterliegt das Selbstverständnis der Vereinigten Staaten als Vorbildnation. Dieser US-amerikanische Exzeptionalismus tritt mal als "City upon a Hill" auf, die nach innen gewandt das eigene Gemeinwesen stabilisieren will, allerdings auch wiederholt nativistische und xenophobe Entwicklungen anfacht. Nach außen soll sie gleichwohl nur als Vorbild und Ansporn dienen. Dieser breit verstandenen "America first"-Interpretation steht die "America number one"-Interpretation gegenüber. Dieser extrovertierten Lesart des Exzeptionalismus‘ nach tritt die USA als "crusader state" oder Kreuzfahrernation auf, welche die eigenen Wertvorstellungen missionarisch und unter Umständen sogar mit Waffengewalt nach außen trägt.
Vor diesem Hintergrund bewegt sich die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik zumeist entlang zweier Achsen: Internationalismus/Globalismus vs. Isolationismus sowie Realismus vs. Idealismus.
Die Traditionen der US-Außen- und Sicherheitspolitik
Insbesondere zwei Autoren haben sich bei der Identifizierung dieser Traditionen verdient gemacht: Walter Russell Mead im englischen Sprachraum und Gebhard Schweigler im deutschen. Beide entwickeln Idealtypen, die sich in einer 4-Felder-Matrix verorten lassen (siehe Darstellung "Ideologische Vorstellung"). Während Mead auf ehemalige Staatsmänner (drei US-Präsidenten sowie einen Finanzminister) als Namensgeber zurückgreift, verwendet Schweigler zentrale politische Begriffe zur Umschreibung. Wichtig zu verstehen ist dabei, dass diese US-amerikanischen außenpolitischen Traditionen nur sehr selten in Reinform vorkommen und deshalb auch stets als das angesehen werden sollten, was sie sind: Idealtypen.
Ideologische Vorstellung
An Gebhard Schweigler (2008, S. 350) angelehnte und mit den Begrifflichkeiten Walter Russell Meads (kursiv) ergänzte Darstellung.
Realismus
Idealismus
Haltung zu Nation und internationalem System
Fortress America
Jacksonian tradition
Great Society
Jeffersonian tradition
Isolationismus America first
Battleship America
Hamiltonian tradition
Global Society
Wilsonian tradition
Internationalismus America No. 1
Die isolationistische Haltung
Blickt man zurück auf die 246-jährige Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, so war die – zumindest zeitlich gesehen – überwiegende Haltung zum internationalen System eine isolationistische. Bereits Gründungspräsident George Washington fragte in seiner Abschiedsrede 1796: "Why quit our own to stand upon foreign ground?" (Warum das Eigene aufgeben, um auf fremdem Boden zu stehen?)
Der hier anklingende idealistisch geprägte Isolationismus wurde ein Grundgedanke von Thomas Jefferson, von 1801 bis 1809 dritter Präsident der USA. In dieser Tradition ist der Blick nach innen gewandt und steht für die Überzeugung, dass nur durch ein gesundes und funktionierendes Gemeinwesen die ökonomischen Möglichkeiten der USA gedeihen können. Jeffersonians appellieren an den Idealismus der US-Amerikaner*innen, die eigene Nation zu einer "more perfect union" zu formen, wie es in der Präambel der US-Verfassung heißt. Um als Vorbild in der Welt zu gelten, steht die eigene Perfektionierung im Zentrum der Aufmerksamkeit, während außen- und sicherheitspolitische Verflechtungen oder gar Krieg unter allen Umständen vermieden werden sollten.
Entwicklungsachsen
Die Achse Internationalismus/Globalismus vs. Nationalismus drückt nahezu selbsterklärend die Haltung gegenüber dem internationalen System und damit die Zu- oder Abwendung zu selbigem aus. Demgegenüber bezeichnet die Realismus vs. Idealismus-Achse die ideologischen Vorstellungen insbesondere mit Blick auf die verfügbaren Machtinstrumente. So sehen Realist*innen zuvorderst die auf wirtschaftlicher Macht fußende militärische Macht als zentrale Voraussetzung und Instrument staatlichen Handelns, Machtstrebens und -zugewinns an.
Während Realist*innen also die hard power in den Blick nehmen, stellen Idealist*innen die vom US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph S. Nye formulierte soft power als zweites Gesicht der Macht in den Mittelpunkt. Hier sind es Ideen und Ideale, welche staatliches Handeln leiten sollten. Damit verbunden ist auch die Vorstellung, dass ein erfolgreiches politisches und gesellschaftliches System zur weltweiten Attraktivität beiträgt. Macht wird mithin, so Idealist*innen, durch Überzeugung und nicht durch Zwang ausgeübt.
Literatur: Nye, Joseph S. (2004): Soft Power. The Means to Success in World Politics, New York.
Der idealistische Isolationismus erfuhr in den 1960er Jahren nochmals Aufwind, als der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson (1963-1969) unter dem Eindruck des laufenden Interner Link: Vietnamkriegs die Rückbesinnung auf die Vervollkommnung der US-amerikanischen Gesellschaft mittels seiner sozialpolitischen Reformagenda propagierte. Die "Great Society" war das Ziel, welches durch außenpolitische Abenteuer ins Hintertreffen geraten sei. Dem Versuch der Demokratieförderung anderswo wurde das nation-building at home entgegengestellt. Ein zentraler Baustein Johnsons Politik war dabei die Bürgerrechtsgesetzgebung (Civil Rights Act 1964), welche die Gleichberechtigung von Afroamerikaner*innen herstellen und der Rassentrennung sowie Diskriminierungen ein Ende setzen sollte.
Im Gegensatz zur politisch linken Interpretation der Jeffersonian tradition unter Johnson findet sich diese Haltung aktuell in einer deutlich stärker rechten Auslegung bei libertären Vertreter*innen sowie in Kreisen des der Interner Link: Tea Party nachgefolgten Freedom Caucus.
Dem idealistischen steht mit dem realistischen Isolationismus eine deutlich stärker nach außen gerichtete Tradition gegenüber, der es im Gegensatz zu den Idealist*innen im Kern um harte Machtprojektion geht. Der Hauptvertreter ist der siebte Präsident der USA, Andrew Jackson (1829-1837). Er verkörpert einen populistischen Nationalismus, der sich gegen Eliten stellt, ein "Amerika den Amerikanern" verspricht und das Exzeptionelle der USA nicht als Verpflichtung ansieht, die Welt ein Stück besser zu machen, sondern mit so wenig staatlichen Eingriffen wie möglich den – zumeist weißen – Amerikaner*innen Sicherheit und wirtschaftliches Wohlergehen zu bieten. Politik als Ganzes und damit eben auch die Außen- und Sicherheitspolitik spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Damit einher geht eine tiefe Abneigung gegenüber internationalen Bündnissen jedweder Art. Nichtsdestotrotz befürworteten Jacksonians in der US-amerikanischen Geschichte immer wieder mit Verweis auf die manifest destiny eine territoriale Ausdehnung der Vereinigten Staaten auf dem nordamerikanischen Kontinent und legitimierten so manche interventionistischen Impulse. Im Kern geht es aber um die Errichtung einer Festung, der "Fortress America", wie es sich bei Schweigler findet.
Manifest Destiny
Manifest Destiny ist ein in das Jahr 1845 zurückreichender Begriff für die kontinentale Ausdehnung der USA nach Westen bis hin zum Pazifischen Ozean. Im heutigen Verständnis verkörpert es das US-amerikanische Selbstverständnis als "grenzenloses, zivil-religiöses, kapitalistisches Gesellschaftsprojekt in der Welt". Die tiefe Verwurzelung in der US-amerikanischen politischen Kultur sowie dem institutionellen Gefüge zeigt sich zuweilen auch heute noch in einer Überlegenheitshaltung gegenüber anderen Nationen und dient als Legitimation für interventionistische Politik.
Literatur: Koschut, Simon (2012): Exzeptionalismus, Interventionismus und Isolationismus (Die Außenpolitik der USA. Theorie - Prozess - Politikfelder - Regionen), in: Koschut, Simon/Kutz, Magnus-Sebastian (Hrsg.), Die Außenpolitik der USA. Theorie - Prozess - Politikfelder - Regionen, Opladen, S. 31-37.
Die isolationistische Haltung und hier vor allem die Jacksonians prägten die Interner Link: Politik der Vereinigten Staaten von Amerika insbesondere vor dem Zweiten Weltkrieg. Doch mit der Wahl Interner Link: Donald J. Trumps zum 45. Präsidenten der USA (2017-2021) kehrten sie mit neugewonnener Stärke zurück. Bereits während des Wahlkampfs 2016 verwies Mead auf Trumps Potenzial für die Jacksonian tradition: "Donald Trump, for now, is serving as a kind of blank screen on which Jacksonians project their hopes." (Donald Trump dient im Moment als eine Art leere Fläche, auf die die Jacksonians ihre Hoffnungen projizieren).
In der darauffolgenden Amtszeit waren die Übereinstimmungen unübersehbar. Sie reichten von der autoritär-populistischen Grundüberzeugung, über eine protektionistische und isolationistische Außen(handels)politik, die Handelsabkommen als gemeinhin unfair abstempelte, bis hin zu einer America first-Außenpolitik. Sie beinhaltet auch eine pessimistische Sicht auf die internationalen Beziehungen, in denen sich jeder selbst der Nächste sei und Verteidigungsbündnisse, namentlich die Interner Link: Nato, als überholt galten.
Der neuerliche Aufstieg der Jacksonian tradition kam für viele Beobachter*innen überraschend, stellte doch die Politik der "Fortress America" vermeintlich "keine glaubwürdige Alternative mehr dar. Im Zeitalter der Globalisierung", so Gebhard Schweigler 2008, "ist eine Abschottung von der internationalen Umwelt weder möglich noch wünschenswert." Es kam anders. Die Wahl Donald Trumps markierte eine Zäsur für die US-amerikanische Außenpolitik und machte anschaulich, dass die fortschreitende Globalisierung und der US-amerikanische Internationalismus der vorherigen 70 Jahre starke Gegenreaktionen provoziert hatte.
Die internationale Haltung
Dabei war die Ära des US-amerikanischen Internationalismus insgesamt gesehen eine Erfolgsgeschichte für die USA. Der Eintritt in den Zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 markierte den Anfang vom Ende des zuvor maßgeblichen Isolationismus und die USA stiegen nach dem Krieg zur Interner Link: Weltordnungs- und westlichen Führungsmacht auf.
Der realistische Internationalismus war bei dieser Entwicklung besonders hilfreich. Als sein Hauptvertreter gilt Alexander Hamilton, erster Finanzminister der USA (1789-1795) und Gegenspieler von Thomas Jefferson. Ganz im Gegensatz zu den Jeffersonians sehen die Hamiltonians die Wahrung und den Ausbau der wirtschaftlichen Interessen als prioritär gegenüber der Entwicklung des Gemeinwesens an. Um dies zu erreichen, braucht die ökonomische Macht eine militärische Entsprechung, die im Zweifel Erstere zu schützen weiß. Das Prinzip der Freiheit der Meere und Seewege geht auf diese Tradition zurück und die Vorstellung von Freihandel – zugegebenermaßen aus einer Position der Stärke – findet hier ihre glühendsten Verfechter.
Das "Battleship America" (Schlachtschiff Amerika) verkörpert dabei sinnbildlich das US-amerikanische Sendungsbewusstsein und die Projektion von Macht und Größe. Die auf den fünften Präsidenten der USA, James Monroe (1817-1825), zurückgehende gleichnamige Monroe-Doktrin gilt als Wegbereiter dieser die US-Außenpolitik des 20. Jahrhunderts überwiegend bestimmenden Tradition. Der Kalte Krieg mit den Konflikten in Korea und Vietnam, als auch der Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt kann dabei ebenso in der Hamiltonian tradition gesehen werden wie auch die Interventionen der USA nach dem Ende des Ost-West-Konflikts im Irak 1991, Somalia 1996 und dem ehemaligen Jugoslawien 1999.
Allerdings zeigen diese Interventionen wie auch der Afghanistankrieg 2001 und der Irakkrieg 2003 die Fallstricke von Idealtypen, die in der Realität nur selten in Reinform daherkommen. Auch wenn hier mitunter idealistische Gründe zur Legitimierung humanitärer Interventionen vorgebracht wurden, macht Schweigler zu Recht darauf aufmerksam, dass die Konflikte letztlich bewusst mit militärischen Mitteln ausgetragen wurden und damit weit weniger idealistisch geprägt waren.
Doch Walter Russell Mead sieht in den Amtszeiten von Bill Clinton (1993-2001), George W. Bush (2001-2009) und Barack Obama (2009-2017) vielmehr einen Widerstreit von Hamiltonian, Jacksonian und Jeffersonian tradition einerseits sowie der vierten noch zu besprechenden Wilsonian tradition andererseits.
Letztere entspricht dem idealistischen Internationalismus, der wohl durch kaum einen anderen Präsidenten deutlicher verkörpert wurde als durch Woodrow Wilson (1913-1921). Wilson ebnete nicht nur 1917 mit den berühmten Worten "The world must be made safe for democracy" den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, sondern hatte mit seiner Idee eines Völkerbunds maßgeblichen Einfluss auf die Gründung der Vereinten Nationen. Der Kern des Wilsonianism ist dementsprechend die Verteidigung und der Ausbau der Demokratie mit friedlichen Mitteln, wobei die Attraktivität des demokratischen Modells als weiches Machtinstrument dienen soll. Der häufig zu beobachtende missionarische Reflex in der US-amerikanischen Politik erklärt dann auch die immer wieder auftretenden Konflikte des Wilsonianism mit anderen Traditionen der US-Außenpolitik.
Das Ende des Kalten Krieges und die Polarisierung in den USA
Es kommt nicht von ungefähr, dass mit Clinton, Bush jr. und Obama drei der vergangenen vier ehemaligen Präsidenten keinem einzelnen Idealtypus zugeordnet werden können, sondern vielmehr ein Konflikt zwischen verschiedenen außenpolitischen Traditionen zutage tritt. Die Gründe liegen zum einen in der veränderten internationalen Lage nach dem Ende des Kalten Krieges. Der Wegfall des die Traditionen vereinenden Feindes in Form der Sowjetunion und des Warschauer Pakts eröffnete die Möglichkeiten eines offenen Wettbewerbs um die besten Konzepte für die künftige US-Außenpolitik. Zum anderen stieg im Zeitraum von 1993 bis heute der Grad der politischen als auch Interner Link: gesellschaftlichen Polarisierung in den USA auf einen Höchststand. Die damit verbundene Unfähigkeit zur politischen Einigung hat nicht nur die zunehmende Dysfunktionalität des politischen Systems der USA nach innen zur Folge. Sie zeitigt zudem auch immer deutlichere Auswirkungen auf die Interner Link: US-amerikanische Außenpolitik. Während über Jahrzehnte der auf den einflussreichen republikanischen Senator Arthur Vandenburg (1928-1951) zurückgehende parteiübergreifende Konsens galt, dass "partisan politics must stop at the water’s edge", die USA also nach außen mit einer Stimme sprechen müsse und innenpolitische Auseinandersetzungen die Außenpolitik nicht tangieren dürfen, zeigen sich hier seit geraumer Zeit Risse. Unter anderem wird diese Entwicklung bei internationalen Verträgen augenscheinlich. Sie gelten als Goldstandard der diplomatischen Bemühungen und wirken aufgrund der im US-Senat notwendigen Zweidrittelmehrheit zugleich als international vertrauensbildende Maßnahmen. Doch zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre, dass die Verabschiedung von internationalen Verträgen zunehmend zum Spielball parteipolitisch-ideologischer Auseinandersetzungen wird und viele Vertragsinitiativen ob der Gefahr des Scheiterns nicht mehr den Weg durch den Senat nehmen. Die Folge ist eine empfindliche Schwächung der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der USA.
Politische Polarisierung
In den USA existiert eine nahezu vollständige Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, jedoch überlappen sich eine Vielzahl von Kompetenzen: Bei der Gesetzgebung müssen beispielsweise beide Kammern des US-Kongresses Entwürfen zustimmen, um sie dem Präsidenten zur Unterschrift vorlegen lassen zu können. Dieser hat wiederum ein Veto-Recht, dass nur mit einer Zweidrittelmehrheit beider Kammern überstimmt werden kann. Auch bedürfen Nominierungen bspw. von Minister*innen, Botschafter*innen und Richter*innen an Bundesgerichten durch den Präsidenten der Bestätigung durch die Mehrheit des US-Senats. Zwar werden internationale Verträge vom Präsidenten unterzeichnet, sie benötigen aber die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit im US-Senat. Das Impeachment-Verfahren, welches neben dem Ableben und dem Rücktritt die einzige Form der Amtsenthebung eines Präsidenten darstellt, ist ebenfalls auf verschiedene Teile der Gewalten aufgeteilt. So tritt in diesem Prozess das Repräsentantenhaus als Ankläger und der Senat als Richter auf. Und auch die Entscheidung über Krieg und Frieden ist zwischen Exekutive und Legislative verschränkt. So ist der Präsident oberster Befehlshaber, der Kongress hat demgegenüber aber das alleinige Recht zur Kriegserklärung.
Dieses System der checks and balances basiert auf der Idee der Kompromissfindung. Denn angesichts eines Zwei-Parteien-Systems und der in der Regel recht knappen Mehrheiten im Kongress sind Entscheidungen nur über den Ausgleich von Interessen erreichbar. Dies ist gerade dann besonders schwierig, wenn die Mehrheiten in den beiden Kammern des Kongresses unterschiedlich sind. Dann spricht man von einer divided government. Sie ist die Regel in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg und trifft in den vergangenen 25 Jahren auf eine sich verstärkende Polarisierung.
Dabei wird unter Polarisierung das Auseinanderdriften der ideologischen Positionen der Demokratischen (liberal) und der Republikanischen Partei (konservativ) verstanden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und gehen auf gesellschaftliche wie institutionelle Entwicklungen zurück. Die Folge ist die fortschreitende Dysfunktionalität des politischen Systems der USA. Wichtige sozial-, wirtschafts-, umwelt-/klima- oder außenpolitische Entscheidungen scheitern an den ideologischen Gegensätzen und mithin den fehlenden Mehrheiten.
Literatur: Sirakov, David (2020): Polarisierung. Ursachen und Konsequenzen (Handbuch Politik USA), in: Lammert, Christian/Siewert, Markus B./Vormann, Boris (Hrsg.), Handbuch Politik USA, 2. Auflage, Wiesbaden, S. 365-385.
Ein Ausblick
Mit den genannten Konsequenzen muss auch der amtierende Interner Link: Präsident Joe Biden umgehen. Zudem muss er nach den im November 2022 abgehaltenen Zwischenwahlen seit Januar 2023 mit unterschiedlichen Mehrheiten in den beiden Kammern des US-Kongress arbeiten. Während die Republikaner*innen die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellen, verfügt die demokratische Partei über eine knappe Mehrheit von 51 zu 48 Sitzen im Senat.
Dies wird auch Auswirkungen auf die Formulierung der künftigen US-Außenpolitik haben. In den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit wurde die Interner Link: internationalistische Ausrichtung Bidens mehr als deutlich. Dabei weist sie realistische Elemente der Hamiltonian tradition auf, wenn es um die Stärkung der wirtschaftspolitischen und sicherheitspolitischen Verbindungen der Vereinigten Staaten von Amerika zu Europa geht. Hinzu kommt ein deutlich zutage tretender Wilsonianism immer dann, wenn der womöglich letzte transatlantisch gesinnte US-Präsident die westliche Staatengemeinschaft verbindenden demokratischen Werte hervorhebt, die Verteidigung der Demokratie anmahnt und zugleich das nation-building at home in den Blick nimmt.
Insbesondere der Interner Link: russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Mischung beider Traditionen deutlich werden lassen. Ob dies angesichts fehlender Mehrheiten in Teilen des US-Kongress auch in den kommenden zwei Jahren noch möglich sein wird, muss sich zeigen. Die republikanischen Vertreter*innen der Jacksonian tradition sind trotz des durchwachsenen Abschneidens der Trump-Fraktion in den Zwischenwahlen im November 2022 weiterhin zahlreich vertreten und werden versuchen ihre außenpolitischen Vorstellungen durchzusetzen.
David Sirakov ist Politikwissenschaftler und Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die US-Innenpolitik mit besonderem Schwerpunkt auf die politische und gesellschaftliche Polarisierung, den Aufstieg des Populismus in Europa und den USA sowie die Außen- und Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika.
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