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Corporate Amerika Das amerikanische Wirtschaftsmodell und seine Geschichte

Dr. Stormy Mildner Stormy Mildner

/ 9 Minuten zu lesen

Man könnte es fast als die Heimat der Marktwirtschaft bezeichnen. In kaum einem anderen Land ist der Glaube an die freien Kräfte des Kapitals größer als in den USA. Bei genauerer Betrachtung der Geschichte sind aber selbst die Amerikaner etwas flexibel, wenn denn staatliche Eingriffe in Krisenzeiten der einzige Ausweg scheinen.

Das Herz der amerikanischen Wirtschaft, die "New York Stock Exchange" in der Wall Street. (© AP)

Seit im September 2008 gleich mehrere große amerikanische Finanzinstitute kurz vor dem Zusammenbruch standen, haben sich die Stimmen gemehrt, die ein Ende des amerikanischen Wirtschaftsmodells prognostizieren. Die Entwicklungen diesen Jahres scheinen ihnen Recht zu geben: Als im März 2008 die Investmentbank Bear Stearns, das fünftgrößte Institut der Branche aufgrund von Liquiditätsproblemen in Bedrängnis geriet, unterstützte die amerikanische Zentralbank, die Federal Reserve Bank (Fed), die Übernahme der Bank durch JPMorgan Chase. Dass die Fed eine Privatbank rettet, hat es in den USA zuletzt in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre gegeben. Schon bald folgten weitere Eingriffe: Um größere Unruhen auf den Finanzmärkten zu vermeiden, übernahm die Regierung Anfang September die vorläufige Kontrolle über die angeschlagenen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac.

Einen Höhepunkt erreichte die Welle staatlicher Interventionen als Präsident Bush den Kongress um ein 700 Mrd. Dollar schweren Rettungspaket für angeschlagene Banken bat. Der zunächst im Repräsentantenhaus gescheiterte Gesetzesentwurf sprach dem Finanzministerium das Recht zu, unverkäufliche – insbesondere mit Hypothekenkrediten unterlegte – Wertpapiere aufzukaufen, um so den Zusammenbruch weiterer Banken zu verhindern. Es wäre die größte staatliche Intervention seit der großen Depression des Jahres 1929 gewesen. Der republikanische Abgeordnete Jim Bunning bezeichnete das Rettungspaket als "Finanzsozialismus und unamerikanisch". Der demokratische Abgeordnete Barney Frank, Vorsitzender des Ausschusses für Finanzdienstleistungen, fasste wie folgt zusammen: "Noch vor einem Jahr wurden wir aufgefordert, mehr zu deregulieren, heute müssen wir den Kapitalismus vor den Kapitalisten retten."

Das amerikanische Modell

In kaum einem europäischen Land ist das Wirtschafts- und Finanzsystem so stark am Konzept der freien Marktwirtschaft ausgerichtet wie das der USA. Ein Indikator hierfür ist die vergleichsweise niedrige Staatsquote: Der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt in den USA beträgt heute knapp 35 Prozent; in Deutschland liegt dieser Wert bei über 45 Prozent. Ein weiterer Indikator dafür, dass der Staat in den USA weniger stark in die Wirtschaftsprozesse einzugreifen versucht, ist die Abgabenquote: Der Anteil von Steuern und Sozialabgaben an der Wirtschaftsleistung der USA umfasst etwa 29 Prozent, während dieser in Deutschland bei rund 40 Prozent liegt (2006). Zurückhaltend ist der Staat in den USA aber nicht nur, was das finanzielle Engagement der öffentlichen Hand anbelangt. Die amerikanische Wirtschaft wird zudem durch deutlich weniger Vorschriften für einzelne Branchen reguliert als die Wirtschaftssysteme der meisten europäischen Länder. Die US-Wirtschaft zeichnet sich durch einen hohen Grad unternehmerischer Initiative aus; wirtschaftliche Innovationen und Entwicklungen können sich schnell durchsetzen. Andererseits werden strukturelle Wandlungsprozesse auch weniger stark vom Staat abgefedert; die Anpassungskosten für einzelne Sektoren sind dadurch ungleich höher, die sozialen Anpassungsprozesse für einzelne Bevölkerungsschichten ungleich schmerzvoller. Hinzu kommt, dass das soziale Netz weit weniger ausgebaut ist als beispielsweise das in Deutschland. Arbeitslosengeld wird nur 26 Wochen gezahlt, eine anschließende Arbeitslosenhilfe existiert nicht, es bleibt nur der Gang zum Sozialamt. Unbekannt sind in den USA auch die in Deutschland übliche gesetzliche Krankenversicherungspflicht, eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie Kinder- und Erziehungsgeld.Selbst wenn in den USA auch Sozialpolitik gemacht wird, gemessen an den europäischen Wohlfahrtsstaaten sind die Vereinigten Staaten kein Sozialstaat.

Hat die Phase staatlicher Intervention im Jahre 2008 also das Ende des amerikanischen Wirtschaftsmodells eingeläutet? Unbestritten haben sich große Schwächen bei der Regulierung der Finanzmärkte gezeigt, gerade bei der Aufsicht des Hypothekenmarkts. Risiken sind völlig falsch eingeschätzt, Verwerfungen viel zu lange ignoriert worden. Wahrscheinlich ist auch das amerikanische Modell der reinen Investmentbank tot – das amerikanische Wirtschaftsmodell aber höchstwahrscheinlich nicht. Denn zum einen ist es alles andere als das erste Mal, dass die USA auf eine Krise mit umfassenden Regulierungsreformen antworten. Große Krisen haben stets große Regulierungsanstrengungen nach sich gezogen – man denke nur an die Weltwirtschaftskrise. Zum anderen war Regulierung in den USA immer schon eine äußerst pragmatische Angelegenheit. Auch das Krisenmanagement folgt einem alten Muster: Der Staat übernimmt Teile des Risikos und schafft neue Regeln für den Markt. Von einem Dogmenbruch kann also nicht die Rede sein.

Am Anfang: Der Glaube an die Marktkräfte

Zurückzuführen ist die vergleichsweise große Autonomie der US-Wirtschaft auf einen tief verwurzelten Glauben an die Funktionstüchtigkeit und Selbstheilungskräfte der Märkte. Zwei amerikanische Grundwerte stehen hinter dem ausgeprägten Wirtschaftsliberalismus: Individuelle Freiheit und Gleichheit. Die viel zitierte Redewendung "vom Tellerwäscher zum Millionär" illustriert den Glauben, dass persönlicher Einsatz und Initiative Schlüssel zum sozialen Aufstieg sind. Nicht der Staat ist verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg eines Individuums, sondern das eigene Handeln. Für die wirtschaftliche Entwicklung ist der Staat nach dieser Sicht eher hinderlich, denn durch seine Bürokratie beschneidet er die Freiheit des einzelnen und somit auch Eigeninitiative und Unternehmergeist.

Die Wurzeln dieser Überzeugung liegen bereits in der Kolonialzeit: Als Nordamerika im 17. und 18. Jahrhundert besiedelt wurde, begann in Europa – insbesondere in England – gerade der bürgerliche Handelskapitalismus den zur staatlichen Wirtschaftskontrolle neigenden höfischen Kolonialismus und der wirtschaftliche Liberalismus den Merkantilismus zu verdrängen. Den neuen Kolonien wurde dementsprechend mehr wirtschaftliche Freiheit eingeräumt. Die in den USA zu beobachtende Risikofreude, die Kreativität aber auch der Pragmatismus in der amerikanischen Gesellschaft kann zudem auf die Pioniererfahrung während der der Erschließung neuen Landes im Zuge der Westwanderung und -besiedlung zurückgeführt werden: Sie war risikoreich und arbeitsintensiv, versprach aber auch die Chance auf Erfolg und Wohlstand, während im Falle eines Misserfolgs immer die Möglichkeit eines Neubeginns bestand.

Die Überzeugung, dass die beiden wichtigsten Aufgaben des Staates der Schutz des Bürgers in seinen Rechten und seiner wirtschaftlichen Entfaltung ist, spiegelt sich in der amerikanischen Verfassung von 1787 wider. Aus Angst vor einer übermäßigen Machtkonzentration schrieben die Verfassungsväter das Prinzip der Gewaltentrennung sowohl vertikal – zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten – als auch horizontal – also zwischen den Organen der Bundesregierung – in der Verfassung fest. Der Staat wurde nur mit begrenzten wirtschaftspolitischen Vollmachten ausgestattet: Laut Verfassung ist die Bundesregierung lediglich für Steuer- und Haushaltsangelegenheiten, das Geld- und Kreditwesen und den Handel zwischen den einzelnen Bundesstaaten sowie mit dem Ausland zuständig. Alle Rechte, die die Verfassung nicht ausdrücklich an die Bundesregierung überträgt, verbleiben bei den Einzelstaaten. Ursprünglich beschränkte sich der Bund denn auch weitestgehend auf die Förderung der Besiedlung des Westens, die Förderung und Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur und die Industrialisierung. Bis zum Sezessionskrieg (1861-1865) war die Wirtschaftspolitik auf Bundesebene grundlegend vom Prinzip des Laisser-faire geprägt.

Abkehr von der reinen Lehre des Marktes

Dass sich der Markt nicht immer selbst heilt, sondern staatliche Regulierung durchaus notwendig ist, um das effiziente Funktionieren der Märkte zu gewährleisten, zeigte sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht selten bestimmten einzelne Unternehmen ganze Märkte – prominente Beispiele sind die Öl- und Stahlindustrie. Um die ruinöse und diskriminierende Preispolitik der Eisenbahngesellschaften einzudämmen, nahm die Bundesregierung mit dem Interstate Commerce Act (1887) erste Regulierungsmaßnahmen wahr. Die durch das Gesetzt geschaffene Interstate Commerce Commission war die erste bundesweite Regulierungsbehörde der USA. Der Wunsch, die Wettbewerbsfreiheit zu sichern, aber auch dem politischen Einfluss dieser Großkonzerne (Trusts) Grenzen zu setzten, führte 1890 zum ersten Kartellgesetz auf Bundesebene, dem Sherman Antitrust Act. Auf ihm fußen alle weiteren Gesetze zur Wettbewerbspolitik; Kern der amerikanischen Wettbewerbspolitik sind auch heute noch der Sherman Antitrust Act, der Clayton Antitrust Act und der Federal Trade Commission Act: Sie verbieten die Bildung von Monopolen, Kartellen und Beschränkungen des Wettbewerbs und sollen den Verbraucher vor preislichen Übervorteilungen schützen.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts gewann die Wirtschaftspolitik immer mehr an Umfang und Bedeutung. Langsam bildete sich ein neuer politischer Konsens heraus, eine Synthese aus liberaler Grundeinstellung (Laisser-faire) einerseits und der Bereitschaft zur staatlichen Korrektur von Marktergebnissen sowie der gesamtwirtschaftlichen Nachfragesteuerung andererseits. Die Voraussetzung dafür, dass Steuer- und Haushaltspolitik zu bedeutsamen Steuerungsinstrumenten wurden, war die Einführung einer Bundeseinkommenssteuer (16. Verfassungszusatz von 1913). 1921 wurde dann mit der Errichtung des Bureau of the Budget, dem heutigen Office of Management and Budget, die institutionelle Grundlage für eine integrierte Haushaltsplanung gelegt. Zudem wurde 1914 ein modernes Zentralbank-System, das Federal Reserve System, gegründet.

Sozial- und Interventionspolitik

Dass die Geburtsstunde des modernen Sozial- und Interventionsstaats in den 1930er Jahren schlug, überrascht kaum angesichts der Schwere der Wellwirtschaftskrise: Um die Massenarbeitslosigkeit und -armut zu lindern, führte Präsident Roosevelt mit dem Social Security Act (1935) erstmalig eine bundesweite Arbeitslosen- und Rentenversicherung ein. Weitere Maßnahmen seines Wirtschafts- und Sozialprogramms waren Beschäftigungs-, Sozialhilfe- und Infrastrukturprogramme sowie die staatliche Förderung der Landwirtschaft. Gleichzeitig wurde eine ganz Reihe regulativer Maßnahmen durchgeführt, darunter auch der Glass-Steagall Act von 1933. Durch eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken sollte er mehr Stabilität im Bankensystem herstellen.

Eine wichtige Lehre aus der Weltwirtschaftskrise war, dass die restriktive Geld- und Fiskalpolitik der frühen 1930er Jahre die falsche Antwort auf die Krise gewesen war und zu einer die Wirtschaft lähmenden Deflation geführt hatte. Viel zu spät war die Regierung zu wachstumsfördernden Investitionen übergegangen, die durch öffentliche Schuldenaufnahme die Konjunktur ankurbelten. Später versuchten vor allem die demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson, privatwirtschaftliche Aktivität durch staatliche Nachfragepolitik zu beeinflussen. Zudem wurde im Rahmen von Präsident Johnsons War on Poverty eine Reihe neuer sozialpolitischer Programme eingeführt: Mit dem Social Security Act von 1965 wurden die Krankenversicherungsprogramme für Rentner (Medicare) und für sozial Schwache (Medicaid) geschaffen.

Rückkehr zum Markt

Doch mit dem Amtsantritts Ronald Reagans und seinem Wirtschaftsprogramm America's New Beginning: A Program for Economic Recovery. begann ein erneuter Paradigmenwechsel. Das Credo seiner Wirtschaftsexperten: Zu hohe Steuern verhinderten Investitionen und bedingten somit die hohe Arbeitslosigkeit. Das empfohlene Rezept zur Überwindung der Krise war eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die bessere Investitions- und Produktionsbedingungen für Unternehmen schafft. Der Staat sollte sich aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückziehen, staatliche Auflagen für einzelne Branchen abgebaut (Deregulierung) und Sozialleistungen drastisch gekürzt werden. Begleitet werden sollten diese Maßnahmen durch eine restriktive Geldpolitik, um die Inflation wieder auf ein vernünftiges Niveau zu senken. Auf ordnungspolitischem Gebiet sollte die Deregulierungspolitik der späten 1970er Jahre intensiviert werden; auf fiskalpolitischem Gebiet wollte die Reagan-Administration umfassende Steuersenkungen und Steuervereinfachungen bei der Einkommenssteuer vornehmen. Zahlreiche Regulierungsmaßnahmen wurden denn auch aufgehoben, Branchen in einen freien Wettbewerb überführt (so wurde der Großkonzern AT&T in acht Telefongesellschaften aufgespaltet) sowie leichte Kürzungen bei den Sozialprogrammen vorgenommen.

Auch die Clinton-Administration verfolgte eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, doch dachte ihr Konzept dem Staat wieder eine aktivere Rolle in der Wirtschaft zu. Clinton hatte seinen Wahlkampf mit dem Slogan "It´s the economy, stupid!" bestritten. Er hatte nicht nur ein Programm versprochen, das der Wirtschaft neuen Schwung verleiht, sondern auch die sozialen Härten der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik deutlich abfängt. Der Staat sollte wieder verstärkt in wirtschaftsnahe Bereiche investieren wie beispielsweise Forschung und Entwicklung; die Infrastruktur (Verkehr, Kommunikation, Bildung) sollte modernisiert und ausgebaut werden. Generiert werden sollten die hierfür notwendigen Reserven durch Haushaltsumschichtungen, Einsparungen und Steuererhöhungen für Spitzenverdiener. Durch selektive Steuersenkungen sollten zudem private Investitionsanreize geschaffen werden. Aufgrund der negativen Defizitprognosen Anfang der 1990er Jahre hatte aber auch für die Clinton-Administration die Konsolidierung des Haushalts oberste Priorität.

Präsident George W. Bush und seine wirtschaftspolitischen Berater schließlich sahen sich mit ihrer Politik in der Tradition der Reagan-Revolution: Die Rolle des Staates sollte wieder auf seine ordnungspolitischen Kernaufgaben reduziert werden; die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit sowie die Schaffung eines günstigen Klimas für privatwirtschaftliche Initiativen hatten Priorität. Und dennoch lassen sich auch unter der Bush-Administration zahlreiche Beispiele für regulative Eingriffe und pragmatisches Krisenmanagement finden: Mit dem Recovery Rebates and Economic Stimulus for the American People Act wurden für 2008 einmalige Steuergutschriften für private Haushalte sowie Investitionsanreize in Höhe von über zusammen 152 Mrd. Dollar festgelegt, für 2009 weitere 16 Mrd. Dollar eingeplant.

In Krisenzeiten werden schnell wirtschaftliche Ideologien über Board geworfen; auch vor ordnungspolitischen Sünden wird nicht zurückgeschreckt, sind sie denn Erfolg versprechend. Allerdings bergen dieser wirtschaftspolitische Pragmatismus und das Fehlen ordnungspolitischer Konstanz auch Gefahren, neigt doch die amerikanische Politik dadurch zu Übertreibungen: Mit ihrem letzten Konjunkturprogramm hat die Bush-Administration zwar den wirtschaftlichen Abschwung abgefedert – der Ausgleich des Staatshaushalts rückt damit aber in weite Ferne. Riskant ist auch die Geldpolitik der Fed – sie senkte 2008 gleich mehrmals den Leitzins: Die Zinssenkungen als Reaktion auf die Wirtschaftsschwäche entlasten zwar Unternehmen, doch schwächen sie auch den Dollar und haben eine höhere Inflation zur Folge.

Mit Pragmatismus durch die Krise

Sicherlich wird die Finanzkrise zu gravierenden Umwälzungen in der Finanzaufsicht in den USA führen. Bereits Ende März 2008 stellte Finanzminister Paulson seinen Blueprint for Stronger Regulatory Structure vor, womit er die Weichen für die politische Debatte nach der Präsidentschafts- und Kongresswahl im November 2008 stellte. Der Reformvorschlag sieht eine neue Regulierung in fast allen Teilen des Kreditmarkts vor. Die Neustrukturierung der Finanzmärkte und ihrer Aufsicht wird ein schmerzvoller Prozess werden, ist doch eine Besonderheit in den USA der enorme Einfluss der Finanzmärkte auf die Realwirtschaft. Ihre Marktorientierung und wirtschaftspolitischen Pragmatismus werden die USA aber nicht aufgeben. Auch in der jetzigen Krise bleiben die USA ihrem Motto treu: Marktfreiheit so weit wie möglich – staatliche Intervention so stark wie nötig. Und entschieden wird pragmatisch Fall zu Fall.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Stormy Mildner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. In der Forschungsgruppe Amerika ist sie für Handels- und Finanzfragen zuständig. Frau Mildner ist zudem Lehrbeauftragte der Hertie School of Governance und des John F. Kennedy Instituts der Freien Universität Berlin.