Das Objekt
Alfred Lichtensteins Flöte
Sylvia Lichtenstein stiftete in den späten 1980er Jahren die aus einer Silberlegierung gefertigte Flöte mit ziseliertem Mundstück (und eine Piccolo-Flöte) der Alfred Lichtenstein Collection (AR5899) im Archiv des Leo Baeck Instituts. Die Sammlung umfasst offizielle Dokumente, Briefe, Zeitungsartikel, Partituren, Tonaufnahmen und Fotografien, die aus dem Besitz des im Bild dargestellten Flötisten stammen. König Konstantin von Griechenland schenkte Lichtenstein für seinen Auftritt im Rahmen der Hochzeit von Kronprinz Georg II. im Jahr 1921 in Bukarest eine goldene Flöte. So wurde er als "der Mann mit der goldenen Flöte" bekannt. Seine Tochter Sylvia ließ diese Flöte 1987 auf einer Auktion bei Christies in London versteigern. Die goldene Flöte spielte Lichtenstein auch bei Konzerten des Interner Link: Kulturbundes. Ebenso spielte er auf der gestifteten Flöte aus Silberlegierung, die er, zusammen mit der goldenen Flöte, bei seiner Auswanderung im Gepäck hatte.
Historischer Kontext
Von einer erfolgreichen Karriere in ganz Europa zu Verfolgung und Auswanderung
Alfred Lichtenstein, Aufnahme vermutlich 1955. (Leo Baeck Institute – New York | Berlin) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de
Alfred Lichtenstein, Aufnahme vermutlich 1955. (Leo Baeck Institute – New York | Berlin) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de
Im Jahr 1922 ließ ein Interner Link: Königsberger Flötist seine Flöte "zu Exportzwecken" in Berlin registrieren. Die Reichsbank stellte den "außerordentlich hohen Wert" des Musikinstruments fest, das aus mit 18-karätigem Gold beschichtetem Silber bestand. Das Geschenk des griechischen Königshauses, verziert mit Diamanten, Rubinen und Saphiren, brachte 516 Gramm auf die Waage. Aus einer Fülle von in vielen verschiedenen Sprachen abgefassten Dokumenten lässt sich die spätere Ausfuhr der Flöte aus Deutschland und der Weg ihres Besitzers Alfred Lichtensteins nach seiner Interner Link: Emigration nachzeichnen. Nachdem die Karriere des Interner Link: Musikers jüdischer Abstammung in Deutschland auf Grund der Ausgrenzung jüdischer Künstlerinnen und Künstler durch die gerade Interner Link: an die Macht gekommenen Nationalsozialisten zum Erliegen gekommen war, trat er die Flucht an, die ihn über drei Kontinente führen sollte. Über England gelangte er nach Argentinien und schließlich in die Vereinigten Staaten, wo er bis zu seinem Tod lebte. Seine Flöte war immer dabei. Das von Emil Rittershausen gefertigte Instrument war für den klangvollen Spielstil Lichtensteins ideal, den er beim Spielen von Orchester- und Kammermusikstücken bewies, und wurde von ihm auch – als ihm der berufliche Auftritt mit Nichtjuden verboten war – für die von ihm erteilten Privatstunden verwendet.
Auf die Anfänge seiner Konzertkarriere hatte sich seine jüdische Abstammung nicht ausgewirkt. Aus seinen Papieren geht seine Religionszugehörigkeit hervor, Erfolg hatte Lichtenstein jedoch nicht aufgrund seines Glaubens, sondern aufgrund seiner Fähigkeiten. Nach dem Studium am Kühns Konservatorium in Königsberg nahm er Privatunterricht, darunter vier Jahre bei Emil Prill, Soloflötist der Berliner Staatskapelle, die in der Staatsoper Unter den Linden residiert. Lichtensteins musikalische Vielseitigkeit und sein umfangreiches klassisches Repertoire eröffneten ihm Mitte der 1920er Jahre den Zugang zu internationalen Orchestern und kleinen Ensembles. Im Berliner Varietétheater La Scala spielte er mit Klavierbegleitung, zusammen mit anderen Blasinstrumenten und als Solist (1930). Er zeigte sein Talent auf kulturellen Veranstaltungen, bei denen sich Juden und Nichtjuden sowohl im Publikum als auch auf der Bühne mischten.
Dr. Kurt Singer war Intendant der Städtischen Oper Berlin im Bezirk Charlottenburg. Das Schicksal des bekannten Dirigenten ist lose mit dem von Lichtenstein verwoben: Im Zuge des "Interner Link: Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" von 1933 gab es für Interner Link: assimilierte jüdische Frauen und Männer wie Lichtenstein und Singer keine Möglichkeit mehr, mit Nichtjuden zusammenzuarbeiten. Singer war Mitbegründer des Kulturbundes Deutscher Juden, der es Schauspielern und Musikern ermöglichte, mit ihrer Kunst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der Jüdische Kulturbund musste sich dem Reichspropagandaministerium unterstellen. Der durch Mitgliedsbeiträge finanzierte Bund, der Orchester, Chöre und Opernensembles unterhielt, aber auch Filmaufführungen und Vorlesungen anbot, wurde unter der Bedingung toleriert, dass Künstler und Publikum ausschließlich Juden waren. Entsprechend wurde in der Satzung des Kulturbundes verankert, dass nur Juden Mitglieder werden und Theater- und Musikveranstaltungen besuchen konnten. Auch als Kritiker waren lediglich Juden vorgesehen, die ihre Kritiken in jüdischen Zeitungen zu veröffentlichen hatten. Lichtenstein konnte dem Bläserensemble des Kulturbundes beitreten. Da es nach 1933 nur wenige Bläser gab – viele waren ausgewandert – standen ihm viele Auftrittsmöglichkeiten im Rahmen der Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbunds offen, ob in Berlin oder einer der 45 Zweigstellen der rein jüdischen Kulturorganisation, die im Jahr 1935 600.000 Mitglieder zählte. Mit der Verabschiedung der Interner Link: Nürnberger Gesetze wurde Lichtensteins jüdische Abstammung jedoch zum Ausschlusskriterium für jeglichen musikalischen Kontakt zu Nichtjuden. Flötenunterricht durfte er nur noch Juden geben. Im Rahmen des Kulturbundes trat er im Dezember 1935 im Josef-Wagner-Haus in Breslau und am 21. Januar 1936 bei einer Benefizveranstaltung zugunsten von Künstlern in der Jüdischen Interner Link: Reformgemeinde zu Berlin auf.
Lichtenstein, ein leidenschaftlicher Musiker, widersetzte sich mithilfe der Musik den Einschränkungen des Kulturlebens, die der Nationalsozialismus ihm auferlegen wollte. Laut dem Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt spielte er die Sonate in C-Dur für Flöte und Cembalo von Johann Sebastian Bach,
Ab März 1939, als die Mitglieder des Kulturbundes sich zunehmend auf ihre Emigration vorbereiteten, traf auch Lichtenstein Vorkehrungen, Deutschland zu verlassen. Er zahlte seine Jahresgebühr an die jüdische Gemeinde Berlin und die obligatorische Reichsfluchtsteuer an das Finanzamt. Mit Unterstützung der Stiftung von Lord Balfour konnte er mit seiner Familie über den Ärmelkanal fliehen; die Reise endete schließlich 1940 in Argentinien. 1954 brach er mit seinem Flötenkoffer nach New York auf. Die Herausforderungen der Auswanderung waren ihm bewusst. So schrieb er 1957 in einem Brief: "Ich muss völlig von vorn anfangen, trotz der goldenen Flöte, der ganzen Reklame, der Erfahrungen".