Das Objekt
Puppe von Inga Pollak
Puppe von Inga Pollak - Mit freundlicher Genehmigung von IWM. Externer Link: Shared History Projekt, (© The Imperial War Museum EPH 3922)
Puppe von Inga Pollak - Mit freundlicher Genehmigung von IWM. Externer Link: Shared History Projekt, (© The Imperial War Museum EPH 3922)
Inga Jane Joseph (Inge Pollak) hatte diese Puppe bei sich, als sie mit ihrer Schwester Lieselotte nach dem Interner Link: Anschluss Österreichs durch die Nazis mit einem der Interner Link: Kindertransporte des Jahres 1939 nach Falmouth in Cornwall gebracht wurde. Die Puppe "Trixie" war ihr 1938 von ihrer Mutter zum Geburtstag geschenkt worden. Die Interner Link: Kindertransporte brachten gefährdete Kinder nach Frankreich, in die Niederlande, die Schweiz, nach Belgien, Schweden und England in Sicherheit; unter anderem starteten die Transporte in Prag, Wien, Frankfurt, Berlin, Leipzig, in der Freien Stadt Danzig und im polnischen Städtchen Zbąszyń. Fast 10.000 Kinder entkamen auf diese Weise dem Tod: Interner Link: der erste Transport verließ Deutschland am 1. Dezember 1938 und der letzte fuhr aus einem Land, in dem sie Zuflucht gefunden hatten, den Niederlanden, am Tag vor der Kapitulation der holländischen Armee im Mai 1940 ab. Einige Jahre später verließen auch die meisten Eltern dieser Kinder die Niederlande, doch blieb bei diesem Transport niemand zurück, der um sie getrauert hätte, als sie in Viehwaggons gesperrt und nach Osten verschleppt wurden.
Historischer Kontext
Nach den Novemberpogromen standen Eltern vor der qualvollen Entscheidung, ihre Kinder mit dem Kindertransport fortzuschicken.
Die Nachrichten über die Interner Link: Novemberpogrome, die zentral gelenkten Angriffe der Nazis überall in Deutschland und Österreich auf Synagogen, jüdische Gemeindehäuser, Geschäfte und Wohnhäuser, lösten im Ausland Mitleid aus und führten insbesondere in Großbritannien zu tätigem Handeln. Die Not der Kinder traf viele, die davon erfuhren, geradezu ins Herz. Die Anglo-jüdische Gemeinde trug die Angelegenheit Premierminister Interner Link: Neville Chamberlain vor, der keine sechs Wochen zuvor bei seiner Rückkehr aus Deutschland erklärt hatte, "Frieden für unsere Zeit" erreicht zu haben. Mittlerweile war diese Fehleinschätzung Chamberlains für alle offensichtlich geworden und er griff den Vorschlag, gefährdete Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren ins Land zu lassen, mit Verve auf. Unverzüglich begannen die jüdischen Gemeinden in den unter Naziherrschaft stehenden Ländern mit der Organisation der "Interner Link: Kindertransporte" genannten Sonderzüge für Kinder, die in Sicherheit gebracht werden sollten. Die Funktionäre der Gemeinden erstellten Listen gesunder Jugendlicher und Kinder, denen "die Internierung, der Tod ihrer Eltern [oder] das Fehlen jeglicher Möglichkeiten zum Lebensunterhalt" drohte. Diese Verzeichnisse wurden an die Geschäftsstelle des Movement for the Care of Children from Germany in London gesandt, wo sie geprüft und anschließend an das britische Innenministerium zur Erlangung eines Aufenthaltstitels für die Kinder weitergeleitet wurden. Die Papiere, versehen mit dem Stempel der damals “Passport Control Office” genannten britischen Einwanderungsbehörde, gingen per Luftkurier nach Berlin, Wien und Prag, wo die jüdischen Stellen sie den entsprechenden Behörden des Reichs vorlegten, um die Zustimmung zur Auswanderung zu erlangen. Mit einem weiteren Stempel versehen, wurden die Einreisekarten sodann den Begleitpersonen des jeweiligen Transports übergeben, die diese bei der Ankunft in England vorzuzeigen hatten.
Dezember 1938: Ein Kindertransport aus Deutschland erreicht England. (© picture-alliance/AP)
Dezember 1938: Ein Kindertransport aus Deutschland erreicht England. (© picture-alliance/AP)
Als der erste Kindertransport in Wien bekannt gegeben wurde, wandte sich die Israelitische Kultusgemeinde an die Interner Link: Jugend-Alijah; diese Bewegung, die sich bemühte, Kindern und Jugendlichen die Einwanderung nach Palästina zu ermöglichen, führte Listen von jungen Menschen, die Europa verlassen wollten. Zu der Zeit war der Student Fritz Deutsch dort tätig, der vor kurzem von der Universität ausgeschlossen worden war. Der Jugend-Alijah waren 100 freie Plätze zugewiesen worden und "wir arbeiteten wie besessen, sortierten die Namen nach Bezirken, um so schnell wie möglich so vielen Menschen wie möglich die Formulare zur Verfügung zu stellen." Die Kinder "mussten photographiert werden, sie mussten medizinisch untersucht werden und es mussten Antragsformulare ausgefüllt werden. Die von Angst erfüllten Eltern baten flehentlich und oft unter Tränen, ihre Kinder auf die Liste zu setzen."
Und so dringend die Eltern ihre Kinder in Sicherheit wissen wollten, so verzweiflungsvoll war der Abschied. “630 Children Quit Wien: One Jewish Mother Dies on Seeing Child Depart for Holland” (630 Kinder verlassen Wien – eine jüdische Mutter stirbt, als sie ihr Kind nach Holland abreisen sieht), titelte die New York Times am 11. Dezember 1938. “Müttern und Verwandten der Kinder war es nicht gestattet, den in einem Randbezirk Wiens gelegenen Bahnhof Hütteldorf zu betreten,” schrieb der Reporter und berichtete weiter: "Der Abschiedsschmerz war für manche zu groß. Eine Mutter starb an einem Herzinfarkt, kurz nachdem sie ihr fünfjähriges Kind mit einem Kuss verabschiedet hatte. Dem Kind wurde nichts gesagt. Sieben Mütter fielen in Ohnmacht, als ihre Kinder zum Zug marschierten."
Kinder, für die sich "guarantors" verbürgt hatten (Erwachsene, die zugesagt hatten, für ihren Unterhalt zu sorgen), wurden in London am Bahnhof abgeholt. Die in der Behördensprache "unguaranteed cases" genannten Kinder, die nicht von Pflegeeltern aufgenommen wurden, reisten direkt weiter in leerstehende Anlagen für Sommerferienlager. Die von Anna Essinger, einer ebenfalls geflüchteten, weithin bekannten Pädagogin, geleitete Anlage in Dovercourt Bay wurde als erstes eröffnet; dort wurde die größte Anzahl von Kindern und Jugendlichen untergebracht.
Kitty Pistol beschrieb das Vorgehen als "Hundeausstellung". Sie war mit dem Wiener Kindertransport aus Hütteldorf vom 10. Dezember nach England gekommen. In Dovercourt Bay hörte sie eines Tages, eine Mrs. Jacobs aus Manchester suche zehn Mädchen bis zum Alter von 14 Jahren. "Ich sagte: ‚Los, wir gehen zur Hundeausstellung. Vielleicht werden wir genommen!’ und tatsächlich hat sie uns auch genommen."
Die Mädchen kamen in ein für sie eingerichtetes Haus. Bis zum März 1940 war die im Februar 1939 eröffnete Herberge in Southport ihr Zuhause. Kitty und die anderen Mädchen machten Lehren, ließen sich als Hausangestellte ausbilden oder nahmen Stellen in den lokalen Geschäften an. Und sie bemühten sich, für ihre Verwandten zuhause Bürgen zu gewinnen.
Die Kriegserklärung Englands gegen Deutschland setzte dem ein Ende. "Wenn der Krieg zwei Wochen später ausgebrochen wäre," klagte Kitty, "dann hätte meine Mutter es geschafft." Eine Familie in Liverpool hatte ihr eine Stelle als Köchin angeboten. Als Kitty 1946 nach Wien zurückkehrte, fand sie den gepackten Koffer vor, den ihre Mutter bei nicht-jüdischen Freunden versteckt hatte. Ihre Mutter fand sie nicht.