Das Objekt
von Christiane Twiehaus
Der Amsterdam Machsor wurde im Mittelalter in Köln von Hand geschrieben. Dort wurde er vermutlich bis zur Interner Link: Vertreibung der Jüdinnen und Juden im Jahr 1424 genutzt. Erst ab 1669 ist der neue Aufenthaltsort des Machsor auf Grund von zwei Anmerkungen von Uri Fayvesh ben Aaron Halevi sicher belegt, einem berühmten Drucker in Amsterdam. Er stiftete den Kodex – den er von seinem Großvater erhalten hatte, dem Rabbiner Moses Uri Halevi – im Jahr 1669 der aschkenasischen Gemeinde von Amsterdam, um auf diese Weise einen Streit beizulegen. Seitdem blieb der Machsor im Besitz der jüdischen Gemeinde von Amsterdam (NIHS). Seit dem Jahr 1955 war der Machsor dem Jüdischen Historischen Museum Amsterdam als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden.
Historischer Kontext
Die Ursprünge des Amsterdamer Machsors
von Christiane Twiehaus
Der Amsterdam Machsor ist ein aschkenasisches Gebetbuch für die Interner Link: jüdischen Feiertage. Bei dem Kodex handelt es sich um eine der ältesten überlieferten mittelalterlichen Handschriften in hebräischer Sprache des deutschsprachigen Raums. Der Buchblock umfasst 331 Blätter und ist üppig mit Illustrationen, Schmuckbuchstaben und Schmuckwörtern sowie den Zeichen des Tierkreises verziert. Die Abbildungen nehmen Bezug auf den Text. An den Details der Ausführung lässt sich ablesen, dass mindestens drei verschiedene Kunsthandwerker den Machsor gestaltet und erstellt haben. Zwar ist der Schreiber nicht bekannt, doch verrät die markante Form der Buchstaben, dass er aus Nordfrankreich stammte. Tatsächlich bildeten Nordfrankreich und das Rheinland eine gemeinsame kulturelle Region.
Der Amsterdam Machsor enthält Gebete und hauptsächlich liturgische Verse. Diese Kompositionen werden an den verschiedenen Festtagen vorgetragen und sind als Pijjutim bekannt. Liturgie und Pijjutim können sich von Stadt zu Stadt unterscheiden. Die Pijjutim im Amsterdam Machsor entsprechen den in der Kölner Gemeinde bestehenden Traditionen. Der Machsor enthält außerdem eine Haggada, in welcher der rituelle Ablauf des Festmahls für Pessach mit den Gebets- und Liedtexten festgeschrieben ist. Diese Haggada enthält Pijjutim, die noch heute rezitiert werden.
Zwar wurde der Machsor zum Gebrauch in der Synagoge gefertigt, doch wurde er wahrscheinlich nicht dort aufbewahrt, sondern im Haus eines Gemeindemitglieds. An den jüdischen Feiertagen brachte ihn entweder ein Würdenträger der Gemeinde oder der Stifter der Handschrift in die Synagoge und legte ihn auf das Lesepult. Während des Gottesdienstes sang der Interner Link: Chasan (Kantor) die Gebete und Verse aus dem Machsor. Das Singen der Gebete ist ein Kernbestandteil des Feiertagsgottesdienstes. Angeleitet vom Chasan singt und betet die Gemeinde miteinander. Der Chasan ist in der jüdischen Liturgie ausgebildet und nimmt eine wichtige Position innerhalb der Gemeinde ein. Er rezitiert die Gebete für die Gemeinde als ein Bote zu Gott.
Die Herstellung einer illuminierten Handschrift wie des Amsterdam Machsor ist ein langwieriger und teurer Prozess, in den viele Kunsthandwerker eingebunden sind. Der Stifter eines solchen Werks ist häufig eine wohlhabende Persönlichkeit. In vielen Fällen wird eine so wertvolle Arbeit der jüdischen Gemeinde gestiftet und verweist auf den Wohlstand, den gesellschaftlichen Stand und die Frömmigkeit des Stifters. Schenkungen an die Gemeinde konnten dem Gedenken an eine Person oder ein Ereignis dienen oder dazu, Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen.
Der Amsterdam Machsor wurde für die jüdische Gemeinde in Köln hergestellt. Schriftliche Quellen und archäologische Funden belegen, dass diese mittelalterliche Gemeinde seit dem 11. Jahrhundert in der Stadt bestand. Der Machsor entstand während des 13. Jahrhunderts, einer Zeit der kulturellen Blüte und der friedlichen Koexistenz von Juden und Christen in Köln. Im Jahr 1248 wurden der Grundstein für den neuen Kölner Dom gelegt und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde die Bima, das in der Mitte des Synagogenraumes angeordnete Vorlesepult, neu gestaltet. Es ist davon auszugehen, dass die im Stil der Gotik gestaltete Bima von Steinmetzen der Kölner Dombauhütte für die jüdische Gemeinde gebaut wurde.
In dieser Epoche stellte der Erzbischof von Köln den Juden regelmäßig Schutzbriefe aus, in denen auch ein bestimmter Katalog an Rechten gewährt wurde. Üblicherweise wurden Urkunden dieser Art auf Pergament geschrieben. Im Kölner Dom findet sich allerdings das erzbischöfliche Privileg des Engelbert von Falkenburg, das er der jüdischen Gemeinde im Jahr 1266 gewährte und das in Stein gehauen wurde; noch heute ist dies im Chorumgang des Doms zu besichtigen.
Judenprivileg, Steintafel im Kölner Dom (Public Domain, Wikimedia Commons) Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de
Judenprivileg, Steintafel im Kölner Dom (Public Domain, Wikimedia Commons) Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de
Ein wesentliches durch das Privileg gewährtes Recht war dasjenige, die Toten auf einem jüdischen Friedhof zu bestatten. Im Mittelalter hatte nicht jede jüdische Siedlung einen eigenen Friedhof. Damit hatte eine jüdische Gemeinde, die einen Friedhof ihr Eigen nannte, einen Sonderstatus, da sie über alle diejenigen jüdischen Siedlungen die Rechtsprechung ausübte, die diesen Friedhof nutzten. Vor dem Interner Link: Pogrom von 1349 gehörten 40 jüdische Siedlungen dem Friedhofsbezirk der jüdischen Gemeinde von Köln an. Dies ist ein Hinweis darauf, dass im Mittelalter eine jüdische Gemeinde weder in organisatorischer noch in religiöser noch in geografischer Hinsicht auf das sogenannte jüdische Viertel oder die Grenzen der Stadt beschränkt war.
Im Jahr 2017 haben das Jüdische Historische Museum in Amsterdam und das MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln die weltberühmte Handschrift gemeinsam erworben. Dieser großartige gemeinsame Kauf wurde mit einer kleinen Ausstellung in den Jahren 2018 und 2019 gefeiert. Darüber hinaus haben die beiden Institutionen alle Blätter des schönen Amsterdam Machsor online unter Externer Link: www.amsterdammahzor.org verfügbar gemacht.
Persönliche Geschichte
Der geheimnisvolle Förderer des Amsterdamer Machsors
von Ephraim Shoham-Steiner
Der Amsterdam Machsor ist eine reich illuminierte jüdische liturgische Handschrift, die im gemeinsamen Eigentum des Jüdischen Historischen Museums in Amsterdam und des MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln steht und mit beiden Städten eine historische Verbindung aufweist. Zusätzlich zu den im Text und an den Blatträndern angebrachten Illuminationen sind auch einzelne Worte durch geometrische Verzierungen in Farbe und Blattgold hervorgehoben. Machsorim (Pluralform von Machsor) waren großformatige liturgische Handschriften, die vom Chasan (Kantor) der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde beim Vorbeten genutzt wurden.
Doch wo hat dieser Machsor seine Ursprünge, wann und wie ist er entstanden? Die Auswahl der liturgischen Verse (Pijjutim) war im deutschsprachigen Raum des Mittelalters von Gemeinde zu Gemeinde verschieden. Anhand der in der Handschrift enthaltenen Pijjutim und anderer Hinweise können wir sicher feststellen, dass der Amsterdam Machsor aus der jüdischen Gemeinde in Köln stammt. Üblicherweise enthielten mittelalterliche Handschriften einen Kolophon, in dem sich Angaben über den Auftraggeber eines so teuren Kunstwerks sowie über den Schreiber und den die der Kennzeichnung der Vokale und Worttrennungen dienende Punktation anbringenden Bearbeiter finden. Der Kolophon des Amsterdam Machsor fehlt, so dass Fragen zu Auftraggeber und genauem Zeitpunkt der Erstellung ohne Antwort bleiben.