von Hermann Simon Die Interner Link: Jüdische Gemeinde Berlin existiert seit 1671; bereits 1672 wurde ein Friedhof eingerichtet, der sich im Laufe der Jahre als zu klein erwies, so dass in den Jahren ab 1827 ein Grundstück in der Schönhauser Allee als Begräbnisort diente. Am 9. September 1880 wurde wiederum ein neuer Friedhof der Jüdischen Gemeinde zu Berlin eingeweiht, und zwar im Nordosten Berlins im Bezirk Weißensee, heute zu Pankow gehörig. Auf 42 Hektar (etwa 1,0 km lang und 0,5 km breit) befinden sich mehr als 115.000 Grabstätten; die erste Beisetzung erfolgte am 22. September 1880.
Historischer Essay
Der Friedhof in Weißensee steht für die Geschichte der Juden in Deutschland und spiegelt die Interner Link: jüdische Geschichte Berlins, die Judenemanzipation, den Nationalsozialismus, die DDR und die Wiedervereinigung wider.
Die Gründung eines Friedhofs galt und gilt als besonders verdienstliche Erfüllung einer religiösen Pflicht (Mizwa). Jüdische Gräber dürfen niemals eingeebnet werden, damit Platz für eine erneute Belegung entsteht. Sie haben, da sie Eigentum der in ihnen Ruhenden für alle Zeit sind, dauernden Bestand.
"Es war und bleibt die vornehmste Aufgabe des jüdischen Friedhofes einer jeden und einem jeden Verstorbenen das individuelle Grab dauerhaft, ohne jede zeitliche Begrenzung zu bewahren. Eine Vorstellung, die sich bereits in der biblischen Erzählung von Abrahams Erwerb der Grabstätte für Sarah in Hebron andeutet [Genesis 23].“ (Michael Brocke)
Deutsche Geschichte, europäische, ja Weltgeschichte des 19., 20. und 21. Jahrhunderts sind hier in Weißensee ablesbar wie vielleicht nirgendwo in Berlin. Der Friedhof Weißensee ist ein herausragendes Zeugnis von Ruhestätten international bedeutender Persönlichkeiten der Medizin, Natur- und Geisteswissenschaften, bildenden Kunst, Literatur und Publizistik, Technik, Industrie, Handel, und Wirtschaft.
Auch deshalb ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten über diesen Ort viel publiziert worden. Die intensive Beschäftigung begann mit einem kleinen Heft, das die Ostberliner Jüdische Gemeinde im Jahre 1980 herausbrachte. Viele weitere Publikationen in beiden Teilen der Stadt sollten folgen.
Heinz Galinski, langjähriger Vorsitzender der Westberliner Jüdischen Gemeinde war sich immer, vor allem aber sofort nachdem er Vorsitzender der logischer- und konsequenterweise vereinigten beiden jüdischen Gemeinden geworden war, der Bedeutung des Friedhofes bewusst. Seinem Engagement ist in den 1990er Jahren ein erster Digitalisierungsversuch des Archivs des Friedhofs zu verdanken.
Inzwischen wurden flächendeckend ca. 115.000 Grabstätten von den Mitarbeitern des Fachgebiets Bau- und Stadtbaugeschichte der Technischen Universität Berlin im Auftrag des Berliner Landesdenkmalamts in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde aufgenommen.
Aus den erhobenen Daten der Grabsteine und der damit korrespondierenden schriftlichen Überlieferung ergeben sich für die wissenschaftliche Forschung unendlich viele Möglichkeiten zur Rekonstruktion der Sozialstruktur der Berliner Jüdischen Gemeinde im Zeitraum von 1880 bis 1933 und auch darüber hinaus. Von besonderem Interesse ist die Tatsache, dass der Friedhof auch während der Verfolgung durch die Nazis ständig in Betrieb war. Friedhof und Jüdisches Krankenhaus in der Iranischen Straße repräsentierten den letzten Rest der Berliner Jüdischen Gemeinde.
Auf dem Friedhof, der sich für manche Verfolgte als Refugium bewährte, wirkte nach dem 10. Juni 1943 Interner Link: Martin Riesenburger und nahm in jüdischer Verantwortung seine Aufgaben wahr; in seinen Erinnerungen hat er darüber berichtet: "Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass jeder Jude, der bis zur Stunde der Befreiung im Jahre 1945 starb, genau nach Vorschrift unserer jüdischen Religion beerdigt wurde. Die ungeheure und oft seelisch schwer belastende Tätigkeit der wenigen auf dem hiesigen Friedhof wirkenden jüdischen Menschen darf nie vergessen werden."
Auch in der Zeit des finstersten Terrors hat Interner Link: Riesenburger an die Befreiung und die Zukunft der jüdischen Gemeinde geglaubt. Die Rettung von über 500 Torarollen, die auf dem Friedhof durch ihn versteckt worden waren, ist ein Beweis dafür. Nach dem Ende der Naziherrschaft standen die Torarollen der sich wieder findenden jüdischen Gemeinschaft zur Verfügung.
Eindrucksvoll schildert Riesenburger die Befreiung des Friedhofs am 23. April 1945, die zugleich seine persönliche war: "Als es 15.00 Uhr nachmittags war [...], da durchschritt das Tor unseres Friedhofes der erste sowjetische Soldat! Aufrecht und gerade war sein Gang. Ich hatte das Gefühl, dass er mit jedem Schritt bei seinem Kommen zu uns ein Stück des verruchten Hakenkreuzes zertrat." Nur noch 7.000 Mitglieder hatte die nun entstehende Nachkriegsgemeinde. Dies war, so Bruno Blau, "der Bestand, mit dem sie ihren Neuaufbau begann". Die Einheit der Gemeinde war nicht von Dauer; es entstanden 1952/53 Ost- und Westberliner Gemeinde. Weißensee befand sich im Osten und war für Westberliner schwer zu erreichen, so dass die Westberliner Gemeinde 1955 einen neuen Friedhof an der Heerstraße anlegte.
Die immer kleiner werdende Ostberliner Jüdische Gemeinde war dem gewaltigen Erbe "Friedhof Weißensee" kaum gewachsen. Immer wieder kam es in den 1950er Jahren zu Buntmetalldiebstählen und später auch Interner Link: Schändungen (z. B. 1971, 1977, 2008). Vornehmlich durch die Bemühungen des Vorsitzenden der Westberliner Gemeinde Interner Link: Heinz Galinski und das Engagement kirchlicher Kreise konnte ein Straßenbau über den Friedhof in letzter Minute (Oktober 1986) verhindert werden. Es war ein alter Plan, den Verkehr über einen auf dem Friedhof freigehaltenen Streifen stadtauswärts zu führen, der jetzt realisiert werden sollte.
Heute wird sowohl in der Heerstraße als auch in Weißensee beerdigt, die Fläche für die nicht gebaute Straße, die quer durch den Friedhof Weißensee führen sollte, ist längst belegt; auffällig sind die vielen Gräber von Interner Link: Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die nach dem Fall der Mauer nach Berlin kamen.
Grab von Rudolf Mosse auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. (Wikimedia, Z thomas) Lizenz: cc by-nd/3.0/de
Persönliche Geschichte
Eines der Mausoleen in Weißensee ist dem Gedenken der Familie Mosse gewidmet, insbesondere dem des Zeitungsverlegers Rudolf Mosse.
von Frank Mecklenburg Bei einem Gang über den Friedhof Weißensee lässt sich, so gut wie kaum an einer anderen Stelle, der Aufstieg von Jüdinnen und Juden in das Interner Link: Berliner Bürgertum beobachten. Die gut erhaltenen Matzewot (jüdischen Grabsteine) und imposanten Grabmale berichten von dem Erfolg Einzelner und bezeugen die Entstehung von Dynastien. Angesichts der Bedeutung des Friedhofs ist es kaum überraschend, dass sich in den Beständen des LBI auch zahlreiche Photographien des Friedhofs Weißensee finden lassen. Darunter auch eine Reihe von Aufnahmen des Historikers George L. Mosse aus den 1980er Jahren, die ihn beim Besuch des Familienmausoleums zeigen.
Interner Link: Die Familie Mosse, und insbesondere der erfolgreiche Interner Link: Zeitungsverleger Rudolf Mosse, waren im Berlin der Kaiserzeit und der 1920er Jahre jedem ein Begriff. Eine kurze Straße durch die Anlage des heutigen Jahnparks, zwischen Gaudystraße und Eberswalder Straße im Prenzlauer Berg, wurde zu Ehren Rudolfs Mosses anlässlich seines 70. Geburtstages nach ihm benannt. Für die Nazis hingegen war Mosse ein besonders verhasster Name, und 1936 war die zuvor noch im Berliner Adressbuch verzeichnete Rudolf-Mosse-Straße verschwunden. Die neuen Machthaber hatten sie in Sonnenburger Straße umbenannt, um den Namen Interner Link: Mosse aus dem Gedächtnis zu tilgen. Inzwischen gibt es wieder eine Rudolf-Mosse-Straße in Berlin Wilmersdorf, in ihr befindet sich der 1895 errichtete Mosse Stift, den Rudolf und Emilie Mosse einst als Waisenhaus eingerichtet hatten.
Rudolf Mosse war es auch, der unmittelbar nach dem Tod seines Bruders Wolfgang im Jahre 1885, die Errichtung eines Mausoleums in Weißensee beauftragte. Ein Jahr später war das beindruckende Bauwerk fertig. Auf dem nicht weit vom Friedhofseingang befindlichen Gräberfeld M1 liegen seither eine Reihe von Familienmitgliedern. Neben seinem 1840 geborenen Bruder Wolfgang Mosse, der in die USA ausgewandert war und am amerikanischen Bürgerkrieg teilgenommen hatte, fand auch ihre 1888 gestorbene Mutter Ulrike Mosse, geborene Wolff, dort ihre letzte Ruhestätte. Auch Rudolf Mosse selbst und seine Frau Emilie wurden dort bestattet.
Rudolf besaß dreizehn Geschwister. Somit ist es kaum verwunderlich, dass mehrere Familienmitglieder ebenfalls in Weißensee und in unmittelbarer Nähe des Familienmausoleums liegen. Dazu gehört der älteste Bruder, Salomon Mosse und dessen Familie; der mit Rudolfs Schwester Therese verheiratete Sanitätsrat Dr. Carl; der 1916 im Krieg gefallene drittälteste Bruder Theodor; der ebenfalls 1885 verstorbene Bruder Paul; und der 1911 verstorbene Bruder Emil Mosse, der zugleich Rudolfs Geschäftspartner war. Jedoch gab es auch Ausnahmen: Ein weiterer Bruder, Albert Mosse, 1925 gestorben, sowie seine Frau Caroline, 1934 gestorben, und deren Sohn Hans, 1916 im Krieg bei Verdun gefallen, sind auf dem alten Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee begraben.
Rudolf Mosse, dessen Ehe mit Emilie kinderlos war, adoptierte 1910 seine leibliche Tochter Felicia Marx und gestattete deren Ehemann, den Namen Mosse zu führen. Zehn Jahre später starb Rudolf Mosse als angesehener und geschätzter Bürger Berlins. Sein Enkelsohn George L. Mosse, musste sich wenige Jahre später dem Zugriff der Nazis als Jugendlicher entziehen. George L. Mosse wanderte über England in die USA aus, wo er erfolgreich an der Universität von Wisconsin in Madison unterrichtete. Zusammen mit seinem Cousin Werner Mosse bemühte er sich, die Geschichte seiner Familie vor dem Vergessen zu bewahren und die Errungenschaften seiner Vorfahren wieder ans Licht zu bringen. Währenddessen verfiel in den Jahrzehnten nach der Vertreibung der Familie das prächtige Mausoleum in Weißensee. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde mit einer umfassenden Restaurierung des Familiengrabes begonnen, die 1999 abgeschlossen wurde. George L. Mosse erlebte die Fertigstellung nicht mehr - er starb am 22. Januar 1999.
Hermann Simon ist 1949 in Berlin geboren. Schulbesuch und Studium in Berlin (Ost). 1975 bis 1988 Staatliche Museen zu Berlin; 1988 bis 2015 Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum. Veröffentlichungen zu numismatischen Themen und vor allem zur Geschichte der Juden in Deutschland.
Frank Mecklenburg ist Forschungs- und Archivleiter am Leo Baeck Institut. Er promovierte in Neuerer Deutscher Geschichte an der Technischen Universität Berlin. Er kam 1984 als Archivar zum Leo Baeck Institut und übernahm 1996 seine jetzige Funktion.