Die Interner Link: Frühgeschichte der Friedberger Interner Link: Mikwe liegt im Dunkeln - als Ulrich III. von Hanau sie nach den Verfolgungen in der Interner Link: Zeit des Schwarzen Todes an die Stadt Friedberg verkaufte, bestand sie bereits seit etwa 100 Jahren. Wann in der folgenden Zeit das Ritualbad wieder in den Besitz der jüdischen Gemeinde gelangte, bleibt unsicher. Diese veräußerte es nach dem Bau einer modernen Mikwe zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Für wenige Jahrzehnte wurde der Tiefbau als Kühlhaus genutzt, bevor gegen Ende des Jahrhunderts das steigende Interesse an Denkmalpflege und Architekturgeschichte dazu führte, dass die jüdische Gemeinde den Komplex wieder erwarb. Unter maßgeblicher Beteiligung des Vereins für jüdische Geschichte und Altertümer wurde die Mikwe schließlich ab 1902 instandgesetzt und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Denkmaleigenschaft des Baus, das Interesse von Friedberger Bürgern daran und die besondere Atmosphäre, der sich auch Interner Link: NSDAP-Angehörige nicht ganz entziehen konnten, waren mit Ursache, dass die Mikwe nicht zugeschüttet oder zerstört wurde. 1939 ging das Ritualbad in den Besitz der Stadt Friedberg über.
Historischer Kontext
Ort eines jüdischen Rituals und Verbindungspunkt für Juden und Christen
Wer heute Friedberg in der Wetterau nördlich von Frankfurt am Main besucht, kann sich die einstige Bedeutung der kleinen Mittelstadt nur schwer vorstellen. Allein die ertragreiche Landwirtschaft auf den fruchtbaren Lössböden und die erhaltenen mittelalterlichen Bauwerke erinnern daran, dass es sich um ein durch reiche Ernten und den Handel mit Tuchwaren wichtiges Zentrum der Region handelte. Die Burg stellt mit etwa 325 x 200 m umbauter Fläche die größte Burganlage Deutschlands dar. Die Stadtkirche wurde im 13. Jahrhundert monumental und in den modernsten gotischen Formen neu errichtet. Doch die Bauten der jüdischen Gemeinde standen denen der christlichen Gemeinde in nichts nach: Die Interner Link: Synagoge wurde nach 1938 zerstört, die Mikwe jedoch ist erhalten und gibt Zeugnis des großen Aufwands zu ihrem Bau.
Im Unterschied zu Köln, Colmar oder den SchUM-Städten, wo das Ritualbad sich unmittelbar im Synagogenhof befindet, ist die Friedberger Mikwe etwa 40 Meter von der dortigen Synagoge entfernt. Sie liegt im Hinterhof eines Hauses der Judengasse. Von außen lässt sich nicht erahnen, welch bemerkenswerter Tiefbau sich hinter der historistischen Fassade des 1902 erneuerten Vorderhauses befindet: Mit 25 Metern Tiefe und 5,50 Metern Breite ist das jüdische Ritualbad in Friedberg das größte bekannte in Europa.
Über einen schmalen, kellerartigen Vorraum ist die Eingangstür in den quadratischen Schacht zu erreichen. Dort führen steile Treppenläufe an den Wänden entlang in die Tiefe zum Wasser. Sie werden von Bögen überspannt, die auf aufwendig gestalteten Säulen, Viertelsäulen und Konsolen ruhen. Die Freisäulen werden von Kelchkapitellen mit zur Bauzeit modernen Blattornamenten bekrönt. Ähnliche Formen sind auch an weiteren Bauten des mittleren 13. Jahrhunderts wie der Friedberger Stadtkirche, kleineren Sakralbauten der Region, aber auch größeren Kathedralbauten im weiteren Umkreis zu finden. Wie in den romanischen Mikwen in Worms und Speyer werden auch im folgenden Jahrhundert in Friedberg Bauten der jüdischen Gemeinde nach der allgemein vorherrschenden Mode gestaltet – ein Absetzen von der Mehrheitsgesellschaft scheint nicht beabsichtigt zu sein.
Jüdische Gemeinden in Speyer, Worms, Mainz und Frankfurt a. M.
Jüdische Geschichte in Deutschland hat eine lange Tradition. Erstmals erwähnt im Jahre 321, entstanden spätestens im Mittelalter jüdische Gemeinden, vornehmlich in Städten entlang des Rheins.
Das Besondere der Mikwenbauten besteht darin, dass sie dazu dienen, das Grundwasser zu erreichen, um dort eine rituelle Reinigung vornehmen zu können. Die Reinigung durch das vollständige Untertauchen des unbekleideten Körpers in "lebendigem Wasser" ist im Judentum in bestimmten Fällen notwendig: bei Frauen etwa nach der Menstruation oder der Geburt eines Kindes. Je nach religiöser Ausrichtung tauchen auch Männer regelmäßig, vor hohen Feiertagen oder der Übernahme einer Patenschaft unter, Sopherim, die jüdischen Schreiber, reinigen sich dort vor dem Schreiben des Gottesnamens.
Als "lebendiges Wasser" kann ein natürlicher Zusammenfluss von nicht geschöpftem Wasser dienen - zisternenartige Becken waren etwa im antiken Israel in Gebrauch. Auch das Untertauchen in natürlichen Quellen, in Ozeanen und (mit Einschränkungen) in Flüssen ist möglich. Im mittelalterlichen Europa werden Mikwen üblich, die mit Grundwasser betrieben werden. Dazu wurden entweder kleinere Becken von Kellerräumen aus abgetieft oder aber eigenständige, monumentale Bauten errichtet - wie hier in Friedberg. Um einen solch breiten und tiefen Schacht abteufen und mit Steinen auskleiden zu können, wurden nicht nur reichlich Arbeitskräfte und Geldmittel benötigt, sondern vor allem auch eine Bauleitung mit Erfahrung im Berg- bzw. Brunnenbau. Dass dies nicht immer ganz einfach war, zeigt das Beispiel eines nahe gelegenen Brunnens, der im 17. Jahrhundert neu gebaut wurde, im nächsten Jahr jedoch bereits einstürzte.
Die Mikwe in Friedberg zählt zu den wenigen Ritualbädern, die von einem christlichen Autor besucht und beschrieben wurden, als sie noch in Nutzung waren - besonders früh und ausführlich berichtet Feldkaplan Thomas Carve um 1640 über einen Besuch der Friedberger Synagoge und Mikwe und zeigt sich tief beeindruckt davon, ebenso wie die ihm folgenden Besucher des 18. und 19. Jahrhunderts. Dagegen wird bis ins 19. Jahrhundert hinein in Atlanten und Kompendien wie etwa Merians Topographia Germaniae regelmäßig auf bedeutende jüdische Gemeinden und deren Synagogen verwiesen, Mikwen allerdings - mit Ausnahme der Friedberger - nicht erwähnt.
Für den Wissenschaftler, der heute auf der Suche nach Informationen über diese Bauten ist, kann dies frustrierend sein - gibt es doch zu den meisten großen christlichen Bauten zeitgenössische Schriftquellen: sie reichen von Gründungslegenden über Belege von Altarstiftungen bis hin zu Bauberichten - der Bericht Abt Sugers zum Bau der Kathedrale von St. Denis dürfte zu den bekanntesten dieser Berichte zählen.
Warum aber schreibt denn niemand über so technisch anspruchsvolle und monumentale Bauwerke wie die großen Gemeindemikwen von Worms, Köln, Montpellier oder Carpentras? Liegt es alleine daran, dass sie unter der Erde liegen, die Eingänge meist im Synagogengarten oder - wie in Friedberg - im Hinterhof von Privathäusern? War ausschließlich die Friedberger Gemeinde so stolz auf ihr Bad oder Fremden gegenüber so aufgeschlossen, dass sie dieses zugänglich machte? Diese Frage lässt sich nicht endgültig beantworten, sicher ist jedoch, dass das Ritualbad in Friedberg mit seinen Bauformen, seiner Geschichte und Rezeption lebendiges Zeugnis geteilter Geschichte ist.
Persönliche Geschichte
Geheimnisvolle Glocken im jüdischen Viertel
Emil Hirsch, Professor in Heidelberg, hatte in seiner Jugend in Friedberg gewohnt und sich auch später noch in Aufsätzen und kleineren Beiträgen mit der Mikwe beschäftigt. Besonders interessant ist sein 1927 erschienener Beitrag über einen Bodenfund, der beim Bau des Vorderhauses gemacht wurde: unterhalb der Eingangsschwelle von der Judengasse her wurden Reste einer Glocke gefunden, die Hirsch als Zeugnis eines Bauopfers durch die christlichen Bauleute der Mikwe wertet. Hier ist es relevant, zu wissen, dass bei der Untersuchung von Gebäuden immer wieder eingemauerte Gegenstände und Tiere gefunden werden - etwa irdene Gefäße, Eier oder auch Hunde und Katzen. In ländlichen Gebieten war es zum Teil noch bis in das frühe 20. Jahrhundert üblich, Gegenstände mit zu verbauen, um Schäden und Unheil vom Bauwerk und dessen Bewohnern abzuhalten.
Interner Link: Waren hier an der Mikwe also ängstlich-abergläubische Christen am Werk, die sich vor andersgläubigen Mitmenschen zu schützen suchten? Wäre nicht auch eine andere Interpretation möglich? Könnte es sich zum Beispiel um verpfändetes oder verkauftes Rohmaterial aus einem Fehlguss handeln, das wiedereingeschmolzen werden sollte? Wurde wertvolles Material verborgen? Müssen es zwangsläufig Christen gewesen sein, die diese Fragmente vergruben?
Die Informationen zur Auffindung sind ebenso spärlich wie Schriftquellen zum Haus aus dessen Bauzeit. Einige Informationen sind allerdings den Fragmenten selbst zu entnehmen: Emil Hirsch hat zwei mit gotischen Minuskeln beschriftete Reste gesehen, von denen lediglich das größere erhalten ist. Die Inschrift dieses Fragments ergänzt Hirsch überzeugend zu "[t]onitruum * r[umpo]" (Donner breche ich). Damit handelte es sich um eine Glocke, die mit einem Spruch zur Abwehr von Unwettern beschriftet war.
Gotische Minuskeln waren zur Zeit der Entstehung der Mikwe noch nicht gebräuchlich. Emil Hirsch gibt zudem den Hinweis, dass die Mehrzahl der Glockeninschriften mit "tonitruum rumpo" aus der Umgebung von Friedberg auf einen Gießer zurückgehen, der in der Zeit um 1450 tätig war. Hier besteht ein wesentlicher Widerspruch zwischen Hirsch‘s Deutung und der anzunehmenden Datierung der Fragmente. Dies ist auch ihm bewusst, und er stellt klar: "Wer Minuskeln auf einer Glocke von 1260/70 für unmöglich hält, müsste den Bau des Häuschens hundert Jahre später ansetzen. Das ist wenig wahrscheinlich; die Überlieferung gibt keinen Anhalt."
Seit der Publikation des Aufsatzes haben sich einige Forscher intensiv mit Glocken und deren Inschriften beschäftigt, so dass die grundlegenden Beobachtungen von Emil Hirsch zu Minuskeln und Inschriften konkretisiert werden können: In der Tat lassen sich gotische Minuskeln im Glockenguss erst ab etwa 1380 nachweisen. Inschriften mit der Formel "tonitruum rumpo" erscheinen dabei wesentlich seltener als das häufigere "fulgura frango".
Die meisten Glocken mit eben dieser Inschrift im weiteren Umland von Friedberg können Kölner Gießern zugewiesen werden. Sie stammen aus den Jahren 1449-1460. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Fragmente ebenfalls der Mitte des 15. Jahrhunderts zuzuweisen sind, sollte also sehr hoch sein. Damit sind die Beobachtungen Hirschs korrekt, auch wenn er selbst sich dies anders gewünscht hätte. Dass er sich der Widersprüche bewusst ist und diese dennoch nennt, ist ihm hoch anzurechnen. So kann sein Artikel jedem heutigen Forscher die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufzeigen und dazu einladen, die eigenen Sichtweisen und Interpretationen zu hinterfragen.
Seit 2018 betreut Stefanie Fuchs beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege den Fachbereich mineralische Baustoffe und Mauerwerk. Zuvor war sie als Steinmetzin und Kunsthistorikerin in der Bauforschung und Archäologie tätig. In ihrem Dissertationsprojekt zu mittelalterlichen Mikwen behandelt sie bautechnische und typologische Fragestellungen. Zuletzt erschienen: Mittelalterliche Mikwen – Hochbau in der Tiefe?, in Asrih, Lena (Hrsg.): Mittelalterliche Bergbautechnik in historischen und archäologischen Quellen (Der Anschnitt, Beiheft 45), Rahden 2020, 65–74.