Dana de la Fontaine, Jahrgang 1979, studierte Politikwissenschaft (Schwerpunkt Lateinamerika und Entwicklungstheorie) und Romanistik an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Seit 2007 Promotion am Doktorandenkolleg "Global Social Policies and Governance" an der Universität Kassel als Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung.
Bernhard Leubolt, geboren 1979 in Klosterneuburg (Österreich), hat Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert und absolvierte den Interdisziplinären Universitätslehrgang für Höhere Lateinamerika-Studien in Wien. Derzeit promoviert er an der Universität Kassel im Kolleg "Global Social Policies and Governance" als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung. Er hat zahlreiche Beiträge zur brasilianischen Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie zur Rolle der sozialen Bewegungen veröffentlicht.
Soziale Bewegungen in Brasilien
Ein Zusammenschluss der wichtigsten sozialen Bewegungen in Brasilien unterstützt die derzeitige Regierung von Präsident Lula. Kritiker bemängeln jedoch diese Nähe, da sie die Unabhängigkeit der Organisationen gefährdet sehen.
Die sozialen Bewegungen können in ihrer heutigen Ausprägung am besten beschrieben werden, wenn ihre historische Entwicklung bekannt ist. Daher wird eingangs erst die Entstehung dargestellt, um dann anschließend eine aktuelle Bestandsaufnahme durchführen zu können. In Brasilien gab es in den vergangenen Jahrzehnten drei Zyklen der Massenmobilisierung sozialer Bewegungen:
1. Ab dem Machtantritt der Regierung Getulio Vargas 1930 wurden nationalistische Bewegungen dominant, wobei oft starke Beziehungen zu kommunistischen Parteien bestanden. Als sich diese Bewegungen radikalisierten – was insbesondere während der Regierung von João "Jango" Goulart ab 1961 geschah – ergriffen Militärs die Macht und bildeten Militärdiktaturen.
2. Nach dem Vorbild der kubanischen Revolution von 1959 prägte bewaffneter Guerilla-Kampf im ländlichen und städtischen Bereich gegen die Diktaturen und für Sozialismus das Bild der 1960er- und 1970er-Jahre.
3. Ab der einsetzenden Demokratisierung in den 1980er-Jahren verlagerte sich das Engagement sozialer Bewegungen stark auf institutionelle Praxis und Widerstand gegen die aufkommende liberale Vorherrschaft. Speziell während der Zeit der Demokratisierung – im Übergang vom zweiten zum dritten Zyklus – waren soziale Bewegungen sehr präsent, da der Protest gegen die Militärdiktatur (1964-1985) breite Akzeptanz unter der Bevölkerung fand. Diese sozialen Bewegungen wiesen deutliche Unterschiede zu denjenigen der Zentrumsökonomien auf. Während letztere vorrangig aus der jüngeren Generation der Mittelschicht bestanden, waren es in Brasilien vor allem die Unterschichten, die die Stärke der Bewegung ausmachten. Bewegungen wie zum Beispiel die Umweltbewegung bekamen daher nicht die gleiche Bedeutung wie in Europa. In Brasilien war es in den 1980er-Jahren vor allem der Kampf um demokratische und soziale Rechte. Viele Bewegungen forderten im Zuge der ökonomischen Krise die Berücksichtigung ihrer materiellen Bedürfnisse ein – wie etwa Trinkwasser, Kanalisation, Wohnraum oder öffentliche Gesundheitsvorsorge –, politische Forderungen an den Staat, wobei sie gleichzeitig auf demokratische Mitsprache pochten. Obwohl der Höhepunkt der Mobilisierung mit der Konsolidierung der bürgerlichen Demokratie überschritten wurde, konnten die sozialen Bewegungen Brasiliens ihre Stärke relativ gut beibehalten, was hauptsächlich an der institutionellen Verankerung liegt.
Anschließend werden die aktuell einflussreichsten Bewegungen kurz dargestellt. Dies ist nicht einfach, da die Definitionen, was denn eigentlich genau eine soziale Bewegung sei, stark differieren. Außerdem ist es nahezu unmöglich, alle Bewegungen genau zu erfassen.
Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung (AB)
Geschichte
Entstand in den 1930er-Jahren. Wurde bis in die 1980er-Jahre vom Arbeitsministerium kontrolliert und finanziert. Eine Unabhängige AB gewann erst im "neuen Syndikalismus" ab den 1970er-Jahren an Bedeutung.
Ziele
Die AB ist institutionell und ideologisch zersplittert. Die "Central Única dos Trabalhadores" (CUT) fordert mehr Sozialpolitik, die Etablierung von Branchengewerkschaften und eine staatsunabhängige Gewerkschaftsfinanzierung. Die "Central Geral dos Trabalhadores do Brasil" (CGT) befürwortet ein neokorporatistisches System und die "Confederação Geral dos Trabalhadores" (CGTB) sowie die FS sind pragmatisch und
unterstützen die neoliberale Reformpolitik.
Methoden
Seit den 1980er-Jahren werden die Interessen der Gewerkschaften in erster Linie durch die 1981 gegründete Arbeiterpartei "Partido dos Trabalhadores" (PT) und die Dachverbände CUT, CGT, CGTB und FS vertreten.
Persönlichkeiten
Der heutige Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva war seit den 1960er-Jahren in der Gewerkschaftsvertretung der Metallarbeiter aktiv und Mitbegründer der PT.
Landarbeiterbewegung (LB)
Geschichte
Bis in die 1950er-Jahre war die LB über den "Confederação Nacional dos Trabalhadores na Agricultura" (CONTAG) an den Staat annektiert. Mit Hilfe der Katholischen Kirche und der neuen AB bildete sich in den 1970er-Jahren eine autonome LB, aus der wiederum Landlosen- und Kleinbauernorganisationen entstanden. Die "Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra" (MST) ist dabei mit rund 1.5 Millionen Aktivisten die bedeutendste Bewegung.
Ziele
Die LB fordert eine Landreform mittels der Enteignung von unproduktivem Großgrundbesitz und eine Umverteilung an Kleinbauern. Zudem will sie Subventionen und Kredite erhalten und ein Ende der neoliberalen Landwirtschaftspolitik erreichen.
Methoden
Die LB versucht, ihre Ziele anhand direkter Verhandlungen mit der Exekutive durchzuführen. Land- und Straßenbesetzungen, Demonstrationen, Märsche und Medienkampagnen erzeugen Verhandlungsdruck.
Persönlichkeiten
João Pedro Stédile ist der bekannteste Aktivist der MST.
Schwarzenbewegung (SwB)
Geschichte
Die SwB bildete sich mit der "Frente Negra Brasileira" (FNB) der 1930er- und der "Associação Cultural do Negro" (ACN) der 1950er-Jahre. In den Siebzigern institutionalisierte sich die neue SwB mit der "Movimento Negro Unificado Contra a Discriminação Racial" (MNU).
Ziele
Bekämpfung der Rassendiskriminierung in der Gesellschaft und in der Politik. Zudem: Aufarbeitung der Sklaverei und Förderung der kulturellen Eigenständigkeit.
Methoden
Die SB artikuliert auf nationaler Ebene mittels des Rats "Conselho de Participação e Desenvolvimento da Comunidade Negra".
Persönlichkeiten
Die PT-Politikerin Benedita da Silva und der Musiker und derzeitige Kultusminister Gilberto Gil sind wichtige Vertreter der SwB.
2016 ist Brasilien Gastgeber des Megaevents Olympische Spiele. Das Land befindet sich in einer politischen Krise und das Ansehen der Spiele hat durch Dopingskandale gelitten. Wofür steht Sport und wie geht es dem größten Land Lateinamerikas?
Bisherige Versuche, auf dem Subkontinent sozialistische Politik umzusetzen, sind am Widerstand der USA und an gravierenden Fehlern der reformistischen und revolutionären Regime gescheitert.
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