Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Demokratie und Wirtschaftwachstum | Lateinamerika | bpb.de

Lateinamerika Hintergrund Transformation Soziale Bewegungen Linksruck? Interview Klaas Dykmann Neue Popmusik Interview Paco Mendoza Argentinien Geschichte Soziale Bewegungen Nachrichten aus dem Niemandsland Arbeiterselbstverwaltung Selbstorganisation Menschenrechtsbewegung Weitermachen Erfahrung der Zeit Reaktivierte Unternehmen Zahlen und Fakten Bolivien Geschichte Soziale Bewegungen Verstaatlichungspolitik Kinderarbeit Zahlen und Fakten Brasilien Geschichte Soziale Bewegungen Gesundheitssystem Brasiliens Aufstieg Wandel durch Klimawandel? Umgang mit der Vergangenheit Zahlen und Fakten Chile Schwieriges Erbe Soziale Bewegungen Colonia Dignidad Abschied von Pinochet Zahlen und Fakten Costa Rica Geschichte Soziale Bewegungen Bananenanbau Zahlen und Fakten Dominikanische Republik Geschichte Juan Bosch Soziale Bewegungen 25. November 1960 Zahlen und Fakten Ecuador Geschichte Soziale Bewegungen Erdöl Zahlen und Fakten Guatemala Indigene Frauenrechte Soziale Bewegungen Zahlen und Fakten Honduras Soziale Bewegungen Hurrikan Mitch Zahlen und Fakten Kolumbien Geschichte Soziale Bewegungen Frauen in Kolumbien Zahlen und Fakten Kuba Fidel Castro Kubanische Metamorphosen Soziale Bewegungen Zahlen und Fakten Mexiko Geschichte Soziale Bewegungen Drogenhandel Zahlen und Fakten Nicaragua Geschichte Soziale Bewegungen Bildungspolitik Zahlen und Fakten Panama Geschichte Soziale Bewegungen Der Panamakanal Zahlen und Fakten Paraguay Geschichte Deutsche Kolonie Zahlen und Fakten Peru Geschichte Soziale Bewegungen Vargas Llosa Zahlen und Fakten El Salvador Geschichte Soziale Bewegungen Jugendgewalt Stadtteilsanierung Zahlen und Fakten Uruguay Geschichte Soziale Bewegungen Kirche und Religion Zahlen und Fakten Venezuela Geschichte Soziale Bewegungen PdVSA Zahlen und Fakten Redaktion Briefe aus Lateinamerika Kampf um Pascua Lama Bergbau in Lateinamerika Chile: Kampf gegen Umweltverschmutzung Brasilien: Aufstand der Obdachlosen

Demokratie und Wirtschaftwachstum Die Geschichte der Dominikanischen Republik in den letzten 15 Jahren

Hans-Ulrich Dillmann

/ 6 Minuten zu lesen

In der Dominikanischen Republik brummt der Wirtschaftsmotor seit einigen Jahren. Das Land weist eine der höchsten Wachstumsraten (fast neun Prozent) in ganz Lateinamerika auf. Sie ist das Resultat einer weitgehend konsolidierten Demokratie.

Präsident der Dominikanischen Republik Dr. Leonel Fernández Reyna. (© AP)

Die Präsidentschaftswahlen des Jahres 1994 stellen für die Dominikanische Republik eine historische Wende dar. Nach massiven Manipulationen vor und während des Urnengangs sowie offensichtlichen Fälschungen von Auszählungsergebnissen zugunsten der regierenden Sozialchristlichen Reformistischen Partei (Partido Reformista Social Cristiano - PRSC) und ihres Spitzenkandidaten Joaquín Balaguer Ricardo schaffte es internationaler Druck, dass der damals 87-jährige, schon völlig blinde Staats- und Regierungschef eine erneute, aber verkürzte Regierungszeit von zwei Jahren und für 1996 Neuwahlen für das Präsidentschaftsamt akzeptierte.

Das Jahr 1994 war gleichzeitig ein Bruch mit der Vergangenheit: Balaguer, der letzte Mann aus der Ära des dominikanischen Diktators Rafael Leónides Trujillo Molina willigte in seinen Abgang von der politischen Bühne ein. Seitdem bestimmen junge, nicht mehr von der historischen Tradition und durch ihre Beteiligung an der Trujillo-Ära belastete Politiker die politischen Geschicke des Landes, dass sich mit Haiti die zweitgrößte Karibikinsel Hispaniola teilt.

Mit eiserner Faust

Trotzdem prägt die Diktatur Trujillos die Dominikanische Republik mit ihren rund 9,2 Millionen Einwohnern. Der als Viehdieb und Räuber vorbestrafte Trujillo trat während der US-amerikanischen Besetzung der Insel (1916-1924) in die von den US-Militärs gegründete Nationalgarde ein und machte schnell militärische Karriere. 1930 putschte er sich an die Macht und regierte den östlichen Teil der Insel mit eiserner Faust. Damit beendete er die Diadochenkämpfe, die seit der nationalen Unabhängigkeit von Haiti 1844 die ehemalige spanische Kolonie politisch und wirtschaftlich paralysiert hatten. Diese wurden nur durch eine kurze Periode unterbrochen, als sich das Land erneut unter die Herrschaft Spaniens stellte. 1865 erfolgte die endgültige Unabhängigkeit von Spanien.

QuellentextJoaquín Antonio Balaguer Ricardo

(geb. 1. September 1906 in Navarrete, Santiago, gest. 14. Juli 2002 in Santo Domingo). Dr. Jur., u.a. Studium an der Pariser Sorbonne, Schriftsteller. Literaturpreisträger des Landes und Karrierediplomat. Diente Trujillo als Berater und war zum Zeitpunkt von dessen Ermordung Staatspräsident. Dieses höchste politische Amt hatte er insgesamt sieben Mal inne (1960-1962, 1966-1978, 1986-1996). Sein Spitzname lautete "der Fuchs", weil er das Spiel politischer Machtgefüge von "Teile und Herrsche" perfekt praktizierte. Trotz seiner völligen Blindheit und körperlichen Hinfälligkeit, hatte er noch bis zu seinem Tode erheblichen Einfluss auf die politischen Geschehnisse des Landes.

Großgrundbesitzer und Autokraten, Liberale und Intellektuelle konspirierten gegeneinander, um die Macht selbst einzunehmen. Erst Trujillo schaffte es mit seinem mehr als 30-jährigen Terrorregime, die "Kazikenkämpfe" der politischen Eliten im Land zu beenden und dem Land eine nationale Identität zu geben, in dem sich alles um ihn drehte. Unter Trujillo entwickelte sich eine nennenswerte nationale Wirtschaft und Industrie, auch wenn mehr als 95 Prozent aller Großbetriebe und Fabriken schließlich ihm bzw. seinen Familienangehörigen oder Strohmännern gehörten. Schon damals war Joaquín Balaguer einer seiner engsten Berater und Politikstrategen.

QuellentextLeonel Antonio Fernández Reyna

(geb. 26. Dezember 1953 in Santo Domingo), Rechtsanwalt, Dr. Jur., wuchs in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Nach seiner Rückkehr gründete er zusammen mit seinem "politischen Ziehvater" Juan Bosch die Partei der Dominikanischen Befreiung (Partido de la Liberación Dominicana – PLD), die er heute als Parteivorsitzender führt. Er steht gleichzeitig der von ihm gegründeten Stiftung für globale Demokratie und Entwicklung (Fundación Global Democracia y Desarrollo - Funglode) als Präsident vor. Funglode hat sich einen Namen als Denkfabrik über die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes gemacht. Erste Amtszeit als Staats- und Regierungschef von 1996 bis 2000, seine zweite Amtsperiode, die 2004 begann, endet 2008. Er wird für eine weiterte Amtsperiode kandidieren, nachdem eine Wiederwahl per Parlamentsbeschluss wieder zugelassen wurde. Fernández ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei Kinder.

Oppositionelle und Widersacher ließ Trujillo ermorden, die Form des Verschwindenlassens von politischen Gegnern verfeinerte er bis zur Perfektion. Trujillo ließ die Hauptstadt der Dominikanischen Republik, Santo Domingo, 1936 in Ciudad Trujillo (Stadt des Trujillo) umbenennen. Auch dem höchsten Berg des Landes, der Pico Duarte, trug fortan seinen Namen. In jedem Haushalt musste sein Foto hängen mit dem Spruch "Trujillo ist der Herr des Hauses". "Wohltäter des Vaterlandes" wurde er bei offiziellen Festlichkeiten genannt. "El Jefe", der "Chef", rief ihn der Volksmund.

QuellentextHipólito Mejía Domínguez

(geb. 22. Februar 1941 in Gurabo, Santiago de los Caballeros). Agraringenieur und Agarunternehmer. 1978 unter der sozialdemokratischen Regierung war er vier Jahre lang Landwirtschaftsminister. Der Versuch einer zweiten Amtsperiode - mit einem zuvor beschlossenen Gesetz, dass die direkte Wiederwahl eines Präsidenten erneut erlaubte -, scheiterte am Wählerwillen. Mejía wurde nur Drittplatzierter und zog sich aus dem aktiven politischen Leben zurück. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Bleichcreme als Maske

Während seiner Amtszeit ließ Trujillo 1937 in einer groß angelegten Militäraktion die Grenzregion zu der westlich gelegenen Republik Haiti von illegalen Einwanderern aus dem Nachbarland "dominikanisieren". Vorsichtige Schätzungen sprechen von mindestens 17.000 ermordeten Haitianern und Haitianerinnen. Ein Jahr später bot er auf der internationalen Flüchtlingskonferenz in Évian-Les-Bains die Aufnahme von Juden aus Österreich und Deutschland an, um die Ansiedlung von Immigranten in den unterentwickelten ländlichen Regionen des rund 47.000 Quadratkilometer großen Landes zu forcieren. Auch von Franco 1939 vertriebene spanische Republikaner nahm er auf. Dominikanische Historiker sprechen von dem Versuch Trujillos, die Bevölkerung des Landes, rund 73 Prozent Mulatten, 16 Prozent Weiße und elf Prozent Schwarze, "aufzuweißen". Trujillo selbst hatte haitianische Vorfahren und benutzte Bleichcreme, um seine leicht dunkel gefärbte Haut aufzuhellen.

Als der Diktator 1961 einem Attentat zum Opfer fiel, wurde das Land von einer innenpolitischen Krise nach der anderen erschüttert. Monatelangen Unruhen folgte die erste demokratische Präsidentschaftswahl, bei der 1962 Interner Link: Juan Bosch, der Spitzenkandidat der Revolutionären Dominikanischen Partei, des Partido Revolutionario Dominicano (PRD) gewann. Kaum ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt putschte 1963 das Militär. Die Erhebung verfassungstreuer Offiziere zwei Jahre später beendeten die USA unterstützt von der OAS mit einer erneuten Intervention, an deren Ende die Machtübernahme des schon unter Trujillo als "Marionettenpräsident" amtierenden Joaquín Balaguer. Die folgenden "zwölf blutigen Jahre" seiner Regentschaft, während der viele Linksoppositionelle ermordet wurden, haben die politische Elite des Landes nachhaltig dezimiert und eine erste Migrationswelle produziert, die seitdem anhält. Wer kann, geht ins Ausland, vornehmlich in die USA auf der Suche nach einem besseren Leben, denn nach wie vor müssen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung im informellen Sektor ihren Lebensunterhalt bestreiten – auch wenn das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf mit rund 1.700 Euro um ein Vielfaches höher ist als etwa im benachbarten Haiti (375 Euro). Heute leben vermutlich rund zwei Millionen außerhalb des Landes, etwa eine Million davon allein in New York, in Deutschland sind offiziell rund 6.000 dominikanische Einwanderer gemeldet.

QuellentextMigration:

Während rund zwei Millionen Dominikanerinnen und Dominikaner im Ausland (teils illegal ausgewandert) leben und mit ihren Geldüberweisungen maßgeblich an der Wirtschaftsentwicklung des Landes teilhaben, ist die Dominikanische Republik gleichzeitig Ziel einer Einwanderung aus dem Nachbarland Haiti. Zwischen 500.000 und eine Million so genannte Haitianos verdingen sich mehrheitlich illegal im Bausektor, der Landwirtschaft und auf den Zuckerrohrfeldern als "Braceros" genannte Zuckerrohrschnitter. Immer wieder kommt es zu antihaitianischen Exzessen, zunehmend auch zu Sammelfestnahmen und Zwangsabschiebungen. Probleme gibt es außerdem, weil nach dominikanischem Recht (jus soli) im Lande geborene Kinder ein Anrecht auf die dominikanische Staatsbürgerschaft haben, sofern sie nicht im Transit oder in diplomatischer Mission sind. Während dieses Recht zeitweise Anwendung fand, gibt es heute eine starke Tendenz, dieses Recht einzuschränken bzw. die rechtliche Grundlage neu zu interpretieren. Wer sich illegal aufhalte, befinde sich im "Transit", eine Anerkennung als dominikanischer Staatsbürger sei keine Rechtsgrundlage. Vor dem Internationalen Interamerikanischen Menschengerichtshof wurde die Dominikanische Republik bereits mehrmals wegen ihrer Weigerung im Land geborenen Nachfahren haitianischer Einwanderer Geburtsurkunden auszustellen, verurteilt. Nach inoffiziellen Angaben leben zwischen 8.000 und 10.000 Deutsche auf der Insel, auf der jedes Jahr durchschnittlich 220.000 Besucher aus Deutschland Urlaub machen.

Mit der Präsidentschaftswahl 1996 übernahm zum ersten Mal ein Politiker der jüngeren Generation die politische Führung des Landes. Leonel Fernández, ein Gefolgsmann von Juan Bosch, der in den 70er-Jahren die PRD verlassen und die zuerst pro-castristische, in späten Jahren immer stärker wirtschaftsliberal ausgerichtete Partei der Dominikanischen Befreiung (Partido de la Liberación Dominicana – PLD) gegründet hatte, schloss mit dem greisen Patriarchen und politischen Übervater ein "historisches politisches Bündnis" und besiegte im zweiten Wahlgang den sozialdemokratischen PRD-Kandidaten Francisco Peña, der sich für mehr soziale Gerechtigkeit und umfangreiche staatliche Sozialprogramme ausgesprochen hatte.

Hohes Wirtschaftswachstum

Umfangreiche staatliche Investitionen im öffentlichen Sektor – Straßenbau, Aufbau eines subventionierten Bussystems, Modernisierung in der staatlichen, städtischen und kommunalen Verwaltung –, die Reduzierung eines überbordenden Beamtenapparates, der nach jeder Wahl komplett ausgetauscht wurde, sowie die gezielte Privatisierung zahlreicher unrentabler staatlicher Betriebe bescherten der Dominikanischen Republik seit 1996 eine der höchsten Wachstumsraten der Wirtschaft im gesamten lateinamerikanischen Raum von bis zu acht Prozent. Außerdem brach Fernández mit der Tradition seiner Vorgänger, Beschäftigte in den Ministerien vor allem nach ihrer Parteizugehörigkeit anzustellen. Vielmehr gelang ihm mit seiner Einstellungspolitik nach beruflichen Qualifikationen der Bewerber, gut ausgebildete Akademiker, die in zahlreichen Nichtregierungsorganisationen während der autokratischen Regierungsepochen Balaguers "Unterschlupf" gefunden hatten, in die Staatsverwaltung zu integrieren.

Anfang des neuen Jahrtausends veränderte sich die Situation jedoch schlagartig. Als Resultat der Wahlkrise 1994 war eine direkte Wiederwahl des charismatischen Poltikers Fernández ausgeschlossen. Der PLD-Nachfolger unterlag dem PRD-Sozialdemokraten Hipólito Mejía, einem damals 59-jährigen Agrarökonom. Es folgten Vetternwirtschaft und ein Beamtenapparat aus Parteianhängern, der in Wochenfrist aufgebläht wurde. Aber auch der Rückgang des Tourismus nach den Terroranschlägen vom elften September 2001 machte der karibischen Ferieninsel schwer zu schaffen. Hinzu kam noch die Insolvenz einer der größten und zweier kleinerer Geschäftsbanken der Insel, die insgesamt zu einer Verdoppelung der Staatsverschuldung auf rund 56 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und einer Inflationsrate von 42,7 Prozent führten. Den Schadensbetrag der Großbank, rund drei Milliarden US-Dollar (70 Prozent des Staatshaushalts im Jahr 2003) traf vor allem die dominikanische Bevölkerung und die fast vollständig vom Warenimport abhängige Wirtschaft.

Die politische und wirtschaftliche Krise, die die rund 3,5 Millionen Wähler vor allem mit Vettern- und Misswirtschaft der PRD-Regierung verknüpfte, sicherte dem wieder kandidierenden PLD-Parteichef Leonel Fernández (53 Jahre alt) bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Seit seinem Amtsantritt am 16. August 2004, dem Tag der Restauration – in Erinnerung an die endgültige Unabhängigkeit der Dominikanischen Republik von Spanien – boomt die Wirtschaft wieder. Kurz nach der Amtsübernahme konnte die PLD-Regierung bereits ein BIP-Wachstum von zwei Prozent vermelden, im Gegensatz zu den Vorhersagen, die lediglich von einem Plus von 0,2 Prozentpunkten gesprochen hatten. In den Folgejahren schaffte es die dominikanische Regierung erneut, eine der besten Wachstumsraten – zwischen acht und neun Prozent - für Lateinamerika zu erzielen. Besonders Auslandsinvestitionen schwerpunktmäßig in den textildominierten Freihandelszonen, eine wieder prosperierende Tourismusbranche und die nach wie vor hohen Überweisungen der im Ausland lebenden Dominikaner bilden das Rückgrat der dominikanischen Wirtschaft - bei steigender Arbeitslosigkeit (um die 18 Prozent) - und gleich bleibender Armutsrate eines Großteils der Bevölkerung.

Weitere Inhalte

Hans-Ulrich Dillmann, Jahrgang 1951, gelernter Drucker und Journalist, Zentralamerika- und Karibik-Korrespondent für "Tageszeitung" und die "Jüdische Allgemeine" mit Sitz in Santo Domingo, Dominikanische Republik. Autor des Buches "Jüdisches Leben nach 1945", Rotbuch.