Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die historische Entwicklung Paraguays | Lateinamerika | bpb.de

Lateinamerika Hintergrund Transformation Soziale Bewegungen Linksruck? Interview Klaas Dykmann Neue Popmusik Interview Paco Mendoza Argentinien Geschichte Soziale Bewegungen Nachrichten aus dem Niemandsland Arbeiterselbstverwaltung Selbstorganisation Menschenrechtsbewegung Weitermachen Erfahrung der Zeit Reaktivierte Unternehmen Zahlen und Fakten Bolivien Geschichte Soziale Bewegungen Verstaatlichungspolitik Kinderarbeit Zahlen und Fakten Brasilien Geschichte Soziale Bewegungen Gesundheitssystem Brasiliens Aufstieg Wandel durch Klimawandel? Umgang mit der Vergangenheit Zahlen und Fakten Chile Schwieriges Erbe Soziale Bewegungen Colonia Dignidad Abschied von Pinochet Zahlen und Fakten Costa Rica Geschichte Soziale Bewegungen Bananenanbau Zahlen und Fakten Dominikanische Republik Geschichte Juan Bosch Soziale Bewegungen 25. November 1960 Zahlen und Fakten Ecuador Geschichte Soziale Bewegungen Erdöl Zahlen und Fakten Guatemala Indigene Frauenrechte Soziale Bewegungen Zahlen und Fakten Honduras Soziale Bewegungen Hurrikan Mitch Zahlen und Fakten Kolumbien Geschichte Soziale Bewegungen Frauen in Kolumbien Zahlen und Fakten Kuba Fidel Castro Kubanische Metamorphosen Soziale Bewegungen Zahlen und Fakten Mexiko Geschichte Soziale Bewegungen Drogenhandel Zahlen und Fakten Nicaragua Geschichte Soziale Bewegungen Bildungspolitik Zahlen und Fakten Panama Geschichte Soziale Bewegungen Der Panamakanal Zahlen und Fakten Paraguay Geschichte Deutsche Kolonie Zahlen und Fakten Peru Geschichte Soziale Bewegungen Vargas Llosa Zahlen und Fakten El Salvador Geschichte Soziale Bewegungen Jugendgewalt Stadtteilsanierung Zahlen und Fakten Uruguay Geschichte Soziale Bewegungen Kirche und Religion Zahlen und Fakten Venezuela Geschichte Soziale Bewegungen PdVSA Zahlen und Fakten Redaktion Briefe aus Lateinamerika Kampf um Pascua Lama Bergbau in Lateinamerika Chile: Kampf gegen Umweltverschmutzung Brasilien: Aufstand der Obdachlosen

Die historische Entwicklung Paraguays

Barbara Potthast

/ 12 Minuten zu lesen

Die Verfassung Paraguays erfüllt die Prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dennoch ist das Land mit seinen Strukturen noch weit davon entfernt, als gefestigt bezeichnet zu werden.

Nicanor Duarte Frutos während einer Wahlkampf-Fernsehdebatte am 23.4.2003, bei den Wahlen gewann Frutos und ist seit dem 15.8.2003 Präsident von Paraguay. (© AP)

Paraguays historische Entwicklung ist durch eine Reihe von Problemen gekennzeichnet, die sich aus seiner geografischen Lage ergeben. In der Mitte des südamerikanischen Subkontinents, aber abseits der wichtigen kolonialen Handelsrouten gelegen und ohne nennenswerte Bodenschätze, entstand auf der Basis relativer Armut eine mestizische Gesellschaft, in der die indigene Sprache, das Guaraní, zur von allen sozialen Gruppen gesprochenen Verkehrssprache wurde, ein Charakteristikum, das Paraguay bis heute von allen anderen lateinamerikanischen Gesellschaften abhebt. Diese Zweisprachigkeit, die als Zeichen ethnischer Homogenität gedeutet werden konnte, erlangte allerdings erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bedeutung für die nationale Identität.

1813 erklärte Paraguay als einer der ersten lateinamerikanischen Staaten seine Unabhängigkeit, diese wurde jedoch von Buenos Aires nicht anerkannt, was versuchte, durch die Blockade der Flüsse, auf die Paraguay für seinen Außenhandel angewiesen war, das Land in die Knie zu zwingen. Angesichts dieser Krise ernannte der Kongress den Rechtsanwalt Dr. José Gaspar Rodríguez de Francia zum alleinigen Diktator auf fünf Jahre, wenig später sogar auf Lebenszeit. Francia versuchte, den politischen Wirren seiner Nachbarstaaten durch strikte Nicht-Einmischung auszuweichen und dem wirtschaftlichen Druck aus Buenos Aires durch einen weitgehenden Verzicht auf Außenhandel aus dem Weg zu gehen. Gleichzeitig entmachtete er die alte Elite, die durch diese Politik verarmte. Paraguay blieb bis zum Tod Francias 1840 ein autoritär regiertes, isoliertes, wirtschaftlich auf Subsistenzproduktion ausgerichtetes Land, das allerdings auch keine Schulden hatte.

Wege aus der Isolation

1844 wurde Carlos Antonio López zum Präsidenten für zehn Jahre, 1854 für weitere drei und 1857 erneut für zehn Amtsjahre gewählt. Zwar war die politische Macht von López kaum weniger umfassend als diejenige des Diktators Francia, doch erließ er 1844 erstmals Verfassungsgrundsätze und zollte deren Institutionen größeren Respekt. Auch begann er mit dem Aufbau einer Verwaltung und räumte anderen sozialen Gruppen wieder etwas größeren Spielraum ein. Entscheidend für die weitere Entwicklung war vor allem die allmähliche Öffnung des Landes. López schloss Verträge mit europäischen "Experten", um das Bildungs-, Transport- und Kommunikationswesen zu modernisieren, ließ Fabriken bauen und professionalisierte das Militär. Die kleinbäuerliche Wirtschaft und der vom Staat monopolisierte Export von Yerba Mate blieben aber die Grundlage der Wirtschaft.

Carlos Antonio López starb 1862, und trotz des Widerspruches einiger Abgeordneter wurde seinem Sohn Francisco Solano die Präsidentschaft übertragen. Francisco Solano López verstrickte das Land ab 1864 in einen Krieg, der bis heute ein zentrales Ereignis der paraguayischen Geschichte und seiner nationalen Identität darstellt.

Diese so genannte Tripel-Allianz, in der Brasilien, Argentinien und Uruguay gegen Paraguay kämpften, wurde erst 1870 durch den Tod des Präsidenten López beendet. Paraguay, aber auch die Alliierten, hatten durch Kriegshandlungen und Epidemien erhebliche Verluste hinnehmen müssen, Paraguay verlor vermutlich etwas mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung sowie einen großen Teil seines Territoriums. Nach dem Krieg erhielt das Land eine liberale Verfassung nach argentinischem Vorbild. Die ausländischen Truppen verließen das Land 1876, doch das völlig zerstörte und politisch orientierungslose Paraguay blieb instabil und abhängig vom Einfluss der Besatzungsmächte. Eine gewisse Stabilisierung trat erst mit der Präsidentschaft Bernardino Caballeros (1880-86) ein, der auch Mitbegründer der Asociación Nacional Republicana (ANR, besser bekannt als Colorado-Partei) war. Diese dominierte die paraguayische Politik bis 1904, die darauffolgende Zeit bis zum Chaco-Krieg (1932-36) war durch die Vorherrschaft der Liberalen (Partido Liberal) gekennzeichnet. Allerdings kam es immer wieder zu Abspaltungen in der Parteienlandschaft sowie zu Aufständen.

Dünn besiedelte Parteienlandschaft

Trotz aller Demokratiedefizite konnten sich die beiden großen Parteien fest in der politischen Landschaft Paraguays etablieren, andere Gruppierungen waren meist nur von kurzer Dauer. Dies liegt weniger an ideologischen Unterschieden, die sehr gering sind, als vielmehr daran, dass die Parteien patriarchalische Schutz- und Hilfefunktionen für ihre Mitglieder übernahmen und durch einen Heldenkult auch die emotionalen Bindungen stärken konnten. Die Parteien, vor allem die langjährige Regierungspartei der Colorados verschaffen ihren Mitgliedern bis heute Posten in der Verwaltung und andere Vergünstigungen. Dies erklärt auch, warum heute 80 Prozent der registrierten Wähler in einer der beiden Parteien organisiert sind, auch wenn ein ebenso hoher Prozentsatz an Paraguayern die politischen Parteien für wenig vertrauenswürdig hält.

Die allmähliche demografische und ökonomische Erholung des Landes wurde flankiert durch die Einwanderung von Europäern. Diese wurden auch dadurch angezogen, dass Paraguay ab 1884 zur Konsolidierung des Haushaltes den Verkauf des ausgedehnten staatlichen Besitzes erlaubte. Dies zog zwar ausländische Investoren und Einwanderer an, initiierte aber auch einen Konzentrationsprozess, der zwar erst in späteren Jahrzehnten zu einem Problem für die ärmere Landbevölkerung werden sollte, von vielen aber auch als ein Ausverkauf des Landes verstanden wurde. Trotz aller Krisen und Probleme konsolidierte sich das politische System ab 1912 allmählich und die grassierende Korruption sowie die Dominanz der Militärs konnte teilweise eingedämmt werden. Allerdings lebte der größte Teil der – zumeist ländlichen - Bevölkerung weiterhin in Armut.

Krieg gegen Bolivien

Paraguay wurde von 1932 bis 1935 erneut in einen der blutigsten Kriege der lateinamerikanischen Geschichte verwickelt, den Krieg um den Chaco mit Bolivien. Diesmal ging Paraguay als Sieger aus dem Krieg hervor. Unmittelbar nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes brachen in Paraguay erneut die politischen Querelen auf, und durch den Krieg bekannt gewordene Militärs bestimmten zunehmend die öffentliche Debatte. In der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1936 putschte das Militär unter Oberst Rafael Franco, einem populären Helden des Chaco-Krieges. Sein Programm stand stark im Zeichen autoritären und nationalistischen Denkens, mit Anleihen an faschistisches Gedankengut. In seiner Regierung saßen jedoch auch Vertreter von Studenten- und Arbeiterorganisationen, die sich zu einer "nationalrevolutionären" Partei mit linker Orientierung zusammengeschlossen hatten. Mit Franco hielt die Vorstellung von der Armee als dem eigentlichen Hüter nationaler Interessen Einzug in die paraguayische Politik.

Die so genannte "Februarrevolution" war jedoch nur von kurzer Dauer, denn bereits im August 1937 wurde sie durch einen erneuten Militärputsch und die Ansetzung von Neuwahlen beendet. Der populäre General José Felix Estigarribia wurde zum Präsidenten gewählt, rief angesichts weiterer Unruhen jedoch den Ausnahmezustand aus und ließ eine neue Verfassung ausarbeiten. Diese trug stark autoritäre Züge, unter Einbeziehung einiger korporativer Elemente, und wurde im August 1940 mit großer Mehrheit, wenn auch bei geringer Wahlbeteiligung, angenommen. Noch bevor der neue Kongress zusammentreten konnte, kam Estigarribia, auf den die Verfassung zugeschnitten war, im September 1940 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die Militärs ernannten daraufhin einen weiteren General, Higinio Morínigo, zum Präsidenten. Dieser hatte mit weiteren Rebellionen sowohl von Teilen der Militärs als auch von Studenten und Arbeitern zu kämpfen. Er verbannte in der Folge schließlich auch die Parteien aus dem politischen Geschehen, bis er diese auf Druck der USA 1946 wieder zulassen und Wahlen anberaumen musste, damit aber einen Bürgerkrieg heraufbeschwor. Aus diesen Auseinandersetzungen gingen 1948 die Colorados als Sieger hervor, doch spalteten sie sich in den folgenden Jahren immer wieder in verschiedene Fraktionen, so dass es zu einer Reihe von instabilen Regierungen und Diktaturen kam. 1954 stellten die Colorados General Alfredo Stroessner, der bereits an mehreren Militärcoups beteiligt gewesen war, als Präsidentschaftskandidaten auf. Diese Kombination aus Partei und Militär stellte, neben der Repression und der Korruption, die Grundlage für folgende 35 Jahre währende Regierungszeit Stroessners dar.

Massenemigration nach Argentinien

In der Zeit der politischen Auseinandersetzungen und Bürgerkriege, die das ohnehin nach den Kriegen wirtschaftlich daniederliegende Land noch weiter schwächten, wanderte ein großer Teil der Bevölkerung ins benachbarte Argentinien ab. Die politische Repression unter Stroessner verstärkte diese Tendenz in den 1960er-Jahren noch weiter. Stroessners starke Stellung basierte neben der Repression und der Kontrolle des Militärs zunehmend auf der Korruption potenzieller Gegner sowie der erfolgreichen Kontrolle der Colorados und ihrer traditionellen Anhänger. Nach anfänglichen wirtschaftlichen Problemen bescherte dann der von 1973 bis 1982 währende Bau des Staudammes von Itaipú an der paraguayisch-brasilianischen Grenze dem Land einen Aufschwung und die Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze, was die Propaganda in das allgegenwärtige Motto "paz, trabajo y bienestar con Stroessner" (Friede, Arbeit und Wohlstand mit Stroessner) ummünzte.

Zu Zeiten des Kalten Krieges konnte sich die paraguayische Regierung, die einen streng antikommunistischen Kurs fuhr, auch der Unterstützung der USA sicher sein. 1979 schloss sich die bis dahin zersplitterte Opposition zum so genannten Acuerdo Nacional zusammen, das Liberale, Febreristas sowie dissidente Strömungen innerhalb der Colorados vereinigte. Zu Beginn der 1980er-Jahre begann die Katholische Kirche und nach dem Ende des wirtschaftlichen Booms zunehmend auch die Geschäftswelt, sich von Stroessner zu distanzieren. Das Ende der Bautätigkeit in Itaipú hatte viele Paraguayer in die Arbeitslosigkeit entlassen, sodass die Landfrage neue Aktualität gewann und vom staatlichen Landverteilungsprogramm, das im Wesentlichen in der Expansion in bislang ungenutzte Randgebiete bestand, nicht mehr aufgefangen werden konnte. Wachsender innerer und äußerer Druck, unterstützt durch die Demokratisierung in den Nachbarländern Argentinien und Brasilien, zwangen Stroessner schließlich zur endgültigen Aufhebung des Ausnahmezustandes und einer gewissen politischen Öffnung. Mittlerweile hatte er auch gegen den Widerstand der "Traditionalisten" innerhalb seiner Partei zu kämpfen, die eine behutsame Demokratisierung forderten und diese anlässlich der erneuten Kandidatur des mittlerweile 76-jährigen Stroessners bei den Präsidentschaftswahlen 1988 einforderten. Schließlich putschte einer seiner engsten Vertrauten, General Andrés Rodriguez, am 3./4. Februar 1989 gegen Stroessner, der daraufhin nach Brasilien ins Exil ging, wo er 2006 starb.

Der Demokratisierungsprozess erfolgte in Paraguay somit von oben, hervorgerufen durch eine Spaltung innerhalb der Regierungspartei – und diese Partei konnte sich bis heute an der Macht halten. Dies deutet schon darauf hin, dass es Rodríguez zunächst eher um den Erhalt seiner Macht und derjenigen der Streitkräfte ging als um Demokratisierung - und die politische Opposition sowie die Zivilgesellschaft zunächst keine Rolle im Transitionsprozess spielten.

Weitreichende Klientelpolitik

General Rodríguez setzte bereits für den Mai 1989 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, um seine Machtansprüche demokratisch abzusichern; die unvorbereitete Opposition verlor diese mit lediglich 26 Prozent der Stimmen deutlich. Zwischen Militär und der regierenden Colorado-Partei bestanden weiterhin enge Beziehungen, und diese beanspruchten ein Drittel der Staatsausgaben für sich. Auch blieb die Praxis bestehen, über die Parteiorganisation Klientelpolitik bis in den letzten Winkel des Landes zu betreiben und Ämter im öffentlichen Dienst nur an Parteimitglieder und deren Familienangehörige zu vergeben. Der Drogen- und Schmuggelhandel sowie Geldwäschegeschäfte, durch die unter Stroessner viele Offiziere sowie der neue Präsident reich geworden waren, wurden nur halbherzig bekämpft und nahmen in der Folgezeit eher noch zu, ebenso wie die weitverbreitete Korruption. Die Colorados vermieden es, bestimmte Bereiche der öffentlichen Ordnung überhaupt zu thematisieren. Auch die dringend nötige Landreform blieb aus.

Auf der anderen Seite verabschiedete die Regierung von General Rodríguez eine bedeutende Anzahl von Gesetzen, die für den Übergang zur Demokratie von entscheidender Bedeutung waren, auch wenn viele dieser Gesetze nicht beachtet bzw. umgangen wurden. Dennoch konnte die Opposition, insbesondere der Partido Liberal Radical Auténtico (PLRA) bei den Kommunalwahlen im Jahr 1991 erstmalig wieder gewisse Erfolge erzielen. Im gleichen Jahr wurde auch eine Versammlung gewählt, die 1992 eine neue Verfassung verabschiedete, die sicherlich die demokratischste in der Geschichte Paraguays ist. Sie sieht die Trennung der Gewalten sowie von Militär und Staat vor und verbietet die Wiederwahl des Präsidenten. Allerdings haben alle Präsidenten seither versucht, diesen Passus zu ändern, wenn auch bislang ohne Erfolg. Auch wird immer wieder versucht, die Gewaltenteilung durch Einmischungen seitens der Regierung auszuhebeln. Formal herrscht jedoch in Paraguay Gewaltenteilung, gibt es Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, und die Wahlen laufen frei und ordnungsgemäß ab. Die Dominanz der Regierungspartei und die klientelistische Struktur der traditionellen Parteien verhinderten allerdings bisher, dass es tatsächlich zu einem demokratischen Aushandeln von Interessen gekommen ist und Verwaltung und Justiz unabhängig arbeiten.

1991 trat Paraguay dem neu entstandenen gemeinsamen Markt MERCOSUR bei, wodurch die eingeleiteten Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen verstärkt, Preiskontrollen abgeschafft und der Wechselkurs freigegeben wurden. Eine effektive Erhöhung der Steuereinnahmen und Bekämpfung der Korruption gelang jedoch erst der jetzigen Regierung Duarte, wobei die großen staatlichen Unternehmen sowie die binationalen Betreiber der Kraftwerke Itaipú und Yacyretá nach wie vor ein Problem darstellen. Die gestiegenen Einnahmen des Staates aufgrund der Steuerreformen, die als Verdienst der Regierung Duarte gelten, erlaubten ihr auch, die Ausgaben für defizitäre Bildungssysteme weiter zu steigern. Inzwischen gibt Paraguay fast ein Fünftel seines Etats hierfür aus und liegt damit über dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Verbesserungen sind hier dringend nötig, denn die paraguayische Wirtschaft ist immer weniger wettbewerbsfähig, und die Armut hat sich in den letzten Jahren ausgeweitet. Etwa 40 Prozent der – noch immer schnell wachsenden - paraguayischen Bevölkerung muss als arm gelten.

Die Defekte in der paraguayischen Demokratie konnten allerdings bislang nicht behoben werden, und Duarte verspielte in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit seinen aufgrund der oben angeführten Maßnahmen erlangten guten Ruf. Das traditionelle Zweiparteiensystem, das sich durch zwei klassenübergreifende, programmatisch aber wenig unterschiedliche Klientelparteien auszeichnet, beginnt erst jetzt wirklich aufzubrechen.

Zunächst folgten auf Rodríguez weitere Colorado-Präsidenten, und alle politischen Krisen entsprangen, wie auch schon der Sturz Stroessners, Konflikten und Machtrivalitäten innerhalb der Regierungspartei oder dem Militär.

Präsidentenwechsel

Mit Juan Carlos Wasmosy (1993-1998) übernahm daraufhin ein reicher Industrieller die Macht, der zwischen den Interessen der Armee und der Partei stand. Präsident Wasmosys kleine demokratische Schritte, die vor allem die durch Korruptions- und Schmuggelskandale diskreditierten Militärs trafen, riefen starken Widerstand hervor und erlaubten dem ehrgeizigen General Lino Oviedo, sich als "Retter der alten Ordnung" zu profilieren und 1996 einen Militärcoup zu versuchen. Wasmosy versuchte anschließend, dessen Anhänger durch die Ernennung von Oviedo zum Verteidigungsminister einzubinden, musste dies allerdings auf nationalen und internationalen Druck zurücknehmen. Sein Nachfolger im Amt seit 1998, Raúl Cubas Grau, musste nach nur sieben Monaten abtreten, da ihm und dem Ex-General Oviedo der Mord an Vizepräsident Luis María Argaña angelastet wurde, der ein erbitterter Gegner und ernst zu nehmender Rivale der beiden gewesen war. Erstmals hatten eine Massendemonstration in Asunción und der Druck der inzwischen existierenden Zivilgesellschaft den Rücktritt eines Präsidenten erzwungen. Das Machtvakuum wurde zunächst von Senatspräsident Luís Angel González Macchi gefüllt, der am 29. März 1999 das Präsidentenamt übernahm. Er setzte eine Regierung der Nationalen Einheit ein, in der auch die Opposition vertreten war. Allerdings zog sich die PLRA Ende 2000 aus der Regierung zurück, und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung und dem Präsidenten, der erneut in Korruptionsskandale verstrickt war, wuchs. Eine Bankenkrise, wirtschaftliche Rezession, steigendes Staatsdefizit und die hohe Armuts- und Arbeitslosenrate führten darüber hinaus zum konstanten Absinken der Zustimmung zur Demokratie. Allerdings sind in den jüngsten Jahren neue Akteure hinzugekommen, wie eine organisierte Bauernbewegung, eine Gewerkschaft und neue Parteien, die stärker programmatisch ausgerichtet sind und sich an bestimmte Zielgruppen wenden (Encuentro Nacional, País Solidario oder Patria Querida). Diese konnten sich jedoch nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen und blieben damit chancenlos.

Aufgrund der Zerstrittenheit der Opposition gelang es bei der Wahl im Jahr 2003 den Colorados erneut, einen der ihren, Nicanor Duarte Frutos, mit nur 37 Prozent der Stimmen ins Präsidentenamt zu bringen. Trotz seiner Zugehörigkeit zu den Colorados begann Duarte eine Reihe von durchgreifenden Reformen durchzusetzen. Es gelang ihm, das Steuersystem zu revolutionieren, die Wirtschaft nachhaltig, wenn auch auf niedrigem Niveau, anzukurbeln. Seine Regierung erlangte eine gewisse Glaubwürdigkeit, bis er im Vorfeld der für 2008 anstehenden Wahlen nach alter Manier begann, erneut eine Verfassungsänderung anzustreben, die seine Wiederwahl ermöglichen sollte. Hierzu versuchte er, die Justiz wieder seiner politischen Kontrolle zu unterwerfen und die Opposition zu teilen, indem er einigen ihrer Interessengruppen Privilegien anbot, Methoden mithin, die auch schon Stroessner perfektioniert hatte. Als Duarte Anfang 2006, in offenem Bruch mit der Verfassung aber mit der Billigung der Mehrheit des Obersten Gerichtshofes, neben dem Präsidentenamt auch den Vorsitz in der Regierungspartei übernahm, kam es zu einer spontanen Demonstration von etwa 40 000 Menschen unter dem Motto "Dictadura nunca más" (Nie wieder Diktatur).

Der Marsch war von dem ehemaligen Bischof von San Pedro, Fernando Lugo Méndez, organisiert worden, der als charismatische Führungsfigur zum Kristallisationspunkt der Opposition wurde und innerhalb eines halben Jahres die politische Landschaft Paraguays radikal veränderte. Er trat von seinem Priesteramt zurück und etablierte sich als Präsidentschaftskandidat für die Wahl 2008, unterstützt von einer neuen politischen Bewegung unter dem Namen "Tekojojá" (Gleichheit). Seine Aussichten, gewählt zu werden, stehen so gut, dass die Regierungspartei mit allen Mitteln versucht, ihn zu diskreditieren und die Opposition zu spalten - bislang ohne Erfolg. Lugo versteht sich als Anwalt der Armen, darüber hinaus hat sein politisches Programm noch keine konkrete Gestalt angenommen. Ob das neue Bündnis halten wird und sich eine feste Struktur geben kann, die einen Sieg und eine stabile Regierung erlauben würden, ist noch offen.

Weitere Inhalte

Barbara Potthast studierte in Köln und Sevilla Geschichte und Hispanistik. 1992 habilitierte sie sich in der Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte der Universität zu Köln. Seit dem Wintersemester 2000 ist sie dort Universitätsprofessorin und Leiterin der Abteilung. Die Autorin ist Mitherausgeberin des Jahrbuches zur Geschichte Lateinamerikas und der "European Review of Latin America and the Caribbean" sowie seit 1996 Vorstandsmitglied der interdisziplinären "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lateinamerikaforschung" (ADLAF) und seit 2004 deren Vorsitzende.