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Soziale Bewegungen in El Salvador | Lateinamerika | bpb.de

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Soziale Bewegungen in El Salvador

Heidrun Zinecker

/ 11 Minuten zu lesen

Generell vertraut die Bevölkerung in El Salvador nur ungern ihren Politikern. Niedrige Wahlbeteiligungen, aber auch eine selten aktive Zivilgesellschaft sprechen dafür. Die Gründe für diese Entwicklung liegen in der Vergangenheit des vom Bürgerkrieg heimgesuchten Landes.

Mütter warten mit ihren kleinen Kindern auf eine Behandlung im Benjamin Bloom Krankenhaus in San Salvador, El Salvador. (© AP)

Um die heutige Situation sozialer Bewegungen in El Salvador zu verstehen, muss der Blick zurück, mindestens auf den Beginn der 1970er-Jahre gerichtet werden, als sich jene politischen Kräfte konstituierten, die den zwischen 1981 und 1992 herrschenden Bürgerkrieg prägen oder vorbereiten sollten, der seinerseits noch bis heute politisch nachwirkt.

Aufschwung der sozialen Bewegungen im Prozess des Heranreifens einer revolutionären Krise (1970er- und 1980er-Jahre)

Die in den 1970er-Jahren erste demokratische Allianz war die Unión Nacional Opositora (UNO), ein Parteienbündnis, das zwar mehr sein wollte als nur ein Wahlbündnis, aber im engeren Sinne noch keine soziale Bewegung war. Zu ihm hatten sich 1971 der Partido Demócrata Cristiano (PDC), die christdemokratische Partei mit dem größten Einfluss auf dem Isthmus, der sozialdemokratische Movimiento Nacional Revolucionario (MNR) und die Unión Democrática Nacionalista (UDN) zusammengeschlossen. Der 1972 erreichte relative und der 1977 erkämpfte absolute Wahlsieg der UNO in den Präsidentschaftswahlen wurde jeweils durch Wahlbetrug zunichte gemacht. Daraufhin löste sich die UNO auf.

Die Lehrergewerkschaft ANDES 21 de Junio, die Studentenorganisation Frente Unitario de Estudiantes Revolucionarios "Salvador Allende" (FUERSA) und die Bauerngewerkschaft Federación Cristiana de Campesinos Salvadoreños (FECCAS) bildeten im Juni 1974 den Kern der ersten linken Volksorganisation Frente de Acción Popular Unificada (FAPU). Letztere stellte den nach der UNO zweiten demokratischen Allianzversuch dar, der bereits Charakteristika einer sozialen Bewegung besaß. Die FAPU bestritt zunächst kategorisch, mit einer Guerrilla verbunden zu sein, obgleich sie den Fuerzas Armadas de la Resistencia Nacional (FARN) nahe stand. Sie präsentierte sich als gremial und antifaschistisch und setzte sich gegen die hohen Lebenshaltungskosten zur Wehr. Gleichzeitig aber wollte sie schnell den Sozialismus, konstituierte sich im Gegensatz zur UNO und war weder aus Parteien zusammengesetzt noch auf Wahlen orientiert.

Während FAPU und UNO insbesondere nach den Massakern der Regierungstruppen gegen Studenten und Bauern im Juli 1975 an Kraft verloren, gewann die Bauerngewerkschaft Federación Cristiana de Campesinos Salvadoreños - Unión de Trabajadores del Campo (FECCAS-UTC) an Einfluss. Sie gab auf einer Demonstration im August 1975 das Signal zur Bildung einer zweiten, mit der FAPU konkurrierenden Volksorganisation, dem Bloque Popular Revolucionario (BPR), der von Beginn an mit der Guerrilla Fuerzas Populares de Liberación "Farabundo Martí"(FPL) liiert, ja von ihr lanciert war.

In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre gab es erste Versuche, die revolutionären Volksorganisationen mit den demokratischen Parteien in gemeinsame Allianzen zusammenzuführen: Am 1. Juli 1976 wurde COP–30 de Julio gebildet. Hier hatte sich der Partido Comunista Salvadoreño (PCS) erstmals nicht nur mit seinen traditionellen Partnern aus der UNO (MNR und PDC) und den ihm selbst nahe stehenden Gewerkschaften zusammengeschlossen, sondern auch mit Organisationen, die sich dem außerparlamentarischen Kampf widmeten und bewaffnete Aktionen unterstützten – mit der FAPU und den Ligas para la Liberación (LL). Das COP–30 de Julio machte gegen die Verletzung der Menschenrechte Front und erklärte den Sturz der Diktatur zu seinem strategischen Nahziel.

Im September 1977 bildete sich mit den Ligas Populares 28 de Febrero (LP-28) die nach FAPU und BPR dritte Volksorganisation, die ihren Namen in Erinnerung an den Wahlbetrug vom 28. Februar 1977 und das nachfolgende Blutbad auf dem Plaza Libertad in San Salvador wählte. Sie war von der Guerrilla Ejército Revolucionario del Pueblo (ERP) als Initiative zur Schaffung einer Massenbasis für einen kurzfristigen Aufstand lanciert worden. Als letzte Guerrilla rief 1979 der Partido Revolucionario de los Trabajadores Centroamericanos (PRTC) seine Volksorganisation ins Leben, die zum Teil den LP-28 entstammte und unter dem Namen Movimiento de Liberación Popular (MLP) firmierte.

Damit verfügten alle fünf bewaffneten Linksorganisationen über eigene Volksorganisationen. Auf diese Weise ergab sich eine symmetrische Allianzstruktur der Guerrillas, die sich vorerst auf die revolutionären Volksorganisationen beschränkte. Diese Symmetrie sowohl hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung als auch der revolutionären Ausrichtung der Volksorganisationen, die in der Resultante ihres Zusammenwirkens den Hegemonismus von Seiten einzelner Guerrillas austarierte, war ein stabiles Fundament für ihre spätere Kohäsion.

Im September 1979 bildeten die früheren UNO-Glieder PDC, MNR und UDN, aber auch die LP-28 sowie, über die Gewerkschaft FENASTRAS, die FAPU und damit eine - nach dem COP-30 de Julio - zweite zwischen Volksorganisationen und Parteien kombinierende Allianz. Diese Allianz war als Gegenstück zum Diálogo Nacional konzipiert, der von Präsident General Carlos Humberto Romero Anfang 1979 initiiert worden war und nannte sich Foro Popular. Von ihm isolierte sich nur der BPR. Das Foro Popular war moderater in seinen Zielstellungen als das COP–30 de Julio, denn es vermied den Aufruf zum Sturz der Diktatur, indem es die Möglichkeit eines Dialogs mit ihr einräumte. Bis auf die LP-28, die sich am 24. Oktober 1979 aus dem Foro zurückzogen, unterstützte das Foro Popular in seiner Gesamtheit die durch den Putsch der "Jungen Offiziere" am 15. Oktober 1979 an die Macht gekommene erste zivil-militärische Junta unter Oberst Adolfo Arnoldo Majano, mit der eine demokratische Öffnung eingeleitet wurde. An der widersprüchlichen Haltung der Linken gegenüber dieser ersten zivil-militärischen Junta zerbrach schließlich das Foro Popular.

Höhepunkt der sozialen Bewegungen im Kontext des Bürgerkrieges (Ende der 1970er- bis Ende 1980er-Jahre)

Der schnelle Rhythmus der revolutionären Entwicklung in El Salvador, aber auch der Einfluss Fidel Castros und des Sieges der Sandinisten in Nicaragua ermöglichten auch in El Salvador die Bildung eines Guerrilla-Daches: Aus der Dirección Revolucionaria Unificada Político Militar (DRU-PM) ging am 10. Oktober 1980, allerdings erst im Nachtrab zur größten Zuspitzung der revolutionären Situation zwischen Oktober 1979 (Putsch der "Jungen Offiziere") und März 1980 (Ermordung des Erzbischofs Oscar Arnulfo Romero und nachfolgende massive Proteste), die Frente "Farabundo Martí" para la Liberación Nacional (FMLN) hervor, die aus den fünf Guerrillas FPL, PCS/FAL, ERP, FARN/RN und PRTC bestand. Langjähriger Generalkoordinator der FMLN und ihre wichtigste Führungspersönlichkeit in Krieg und Nachkrieg war der Kommunist Schafik Jorge Hándal. Die fünf (späteren) FMLN-Glieder vermochten es in wenigen Jahren, zuerst – wie bereits gezeigt - in symmetrischer, um die jeweilige einzelne Guerrillagruppierung, und dann – wie im Folgenden zu zeigen ist - in konzentrischer Form, um die zur Front vereinten Guerrillas, Arbeiter- und Bauerngewerkschaften, Studenten- und Schülerorganisationen, christlichen Basisgemeinden und Stadtteilorganisationen an sich zu binden, einer gemeinsamen Koordination zu unterstellen und – auch dies schon im Vorfeld des Bürgerkrieges - linksdemokratische Parteien und andere Gruppierungen zu einer demokratischen Front zu vereinen. Dabei wurde eine Koinzidenz von Massenbewegung und Guerrilla-Aktion möglich, die der FMLN dazu verhalf, im Bürgerkrieg, bereits seit dessen Beginn, der mit der Generaloffensive vom Januar 1981 eingeläutet worden war, ein politisch-militärisches Patt gegenüber der Regierung zu erreichen.

Schon zuvor, am 11. Januar 1980, hatten sich vier revolutionäre Volksorganisationen BPR, UDN, FAPU, LP-28 zur Coordinadora Revolucionaria de Masas (CRM) vereinigt. Der MLP durfte auf Betreiben der FAPU erst ab Mai 1980 dazugehören. Damit wurde der die Guerrilla konzentrisch umschließende erste und engste Allianz-Kreis noch vor der Konstituierung der FMLN, ja sogar der DRU-PM, gezogen.

Dagegen besannen sich die linksdemokratischen Parteien der intellektuellen Mittelklasse – die bis dahin mit einem imaginären politischen Zentrum kokettiert hatten - erst in der nach März 1980 schon im Abschwung befindlichen reifen revolutionären Situation darauf, mit der von der CRM koordinierten revolutionären Volksbewegung zu koalieren und mit der Formung des zweiten, schon etwas weniger engen – demokratischen – Allianz-Kreises zu beginnen: Am 2. April 1980 bildeten MNR, Movimiento Popular Social Cristiano (MPSC), Movimiento Independiente de Profesionales y Técnicos de El Salvador (MIPTES), Asociación General de Estudiantes Universitarios Salvadoreños (AGEUS), Gewerkschaften und zeitweilig – bis 1982 – auch zwei Unternehmerverbände die Frente Democrático (FD). Diese schloss sich ihrerseits mit der CRM am 18. April 1980 zur Frente Democrático Revolucionario (FDR) zusammen, die das von der CRM erarbeitete revolutionäre Programm einer Gobierno Democrático-Revolucionario und die DRU-PM als ihre Avantgarde anerkannte. Nach der Ermordung des ersten FDR-Präsidenten Enrique Álvarez Córdoba am 27. November 1980 übernahm die Funktion der Sozialdemokrat Guillermo Manuel Ungo, MNR-Generalsekretär und späterer Vizepräsident der Sozialistischen Internationale.

Damit hatte sich in völliger strategischer Übereinstimmung mit der Guerrilla, aber bei Wahrung ideologischer Unterschiede der zweite konzentrische Allianz-Kreis um die Guerrilla vollendet, in dem nun auch, über die linksdemokratischen Parteien, die "organischen Intellektuellen" der FMLN organisiert waren. Bald jedoch musste seine Führungsspitze angesichts der Repression das Land verlassen, ein Teil der FDR-Basis wechselte zur Guerrilla, ein weiterer Teil brach seine Verbindungen zur linken Opposition ab. Nun bestand die FDR nur noch aus ihrer im Exil befindlichen Führung, die sich auf die diplomatische Tätigkeit und auf die Arbeit mit politischen Flüchtlingen konzentrierte. Im Land selbst war sie so gut wie nicht mehr aktiv. Ihre Allianz mit der FMLN wurde zunehmend unbequem, in dem Maße, wie sich einerseits die politischen Räume (etwas) vergrößerten und andererseits die FDR nicht mehr – wie noch zu Beginn ihres Wirkens – von der FMLN als eine ihren bewaffneten Kampf legitimierende Kraft benötigt wurde. Daraufhin wurden zwei weitere, komplementäre Allianzen geschlossen: Erstens suchte die FMLN ihre Massenbasis stärker weg von ihren Volksorganisationen und hin in die Gewerkschaften zu verlagern, wofür – nach einem ersten, von Januar 1983 bis November 1984 dauernden Versuch mit dem Movimiento Unitario Sindicalista y Gremial de El Salvador (MUSYGES) – die im Februar 1986 neu gegründete Unidad Nacional de Trabajadores Salvadoreños (UNTS) dienen sollte. Diese sollte einerseits dem PDC die gewerkschaftliche Basis entziehen – was ihr mit der Unidad Popular Democrática (UPD) auch gelang – und andererseits zunehmend politische Aufgaben erfüllen. Die UNTS, die auch Studenten- und Bauernorganisationen einschloss, wurde als "Massenfront mit gewerkschaftlicher Deckung" gebildet. Ihre Führung wurde, auch noch im Frieden, von der FMLN gestellt. Obgleich Gewerkschaftsvereinigung erfüllte sie politische Aufgaben. Bis zu ihrer Ermordung im Oktober 1989 wurde die UNTS von Febe Elisabeth Velásquez geführt.

Zweitens wurde am 13. Oktober 1987 im Kontext des zentralamerikanischen Friedensprozesses Esquipulas II und der damit eingeleiteten leichten demokratischen Öffnung in El Salvador eine weitere Allianz geschlossen, die jedoch nicht als ein weiterer die Guerrilla konzentrisch umschließender Kreis gedeutet werden kann, sondern eher als ein "Ausfluss" aus der inzwischen überholten FDR – die Convergencia Democrática (CD), die unter Führung von Rubén Zamora vom MPSC, vormaliger Vizepräsident der FDR, stand. Sie suchte einen nationalen Konsens zu einer Verhandlungslösung und stützte sich auf die Punkte der Proclama der "Jungen Offiziere" vom Oktober 1979, die sie konkretisierte und in einen umfassenderen sozioökonomischen Forderungskatalog einbettete, der aber, anders als bei der FDR, keine antioligarchischen Positionen enthielt. Bei der CD handelte es sich um ein nur zwischen Parteien geschlossenes Bündnis. Spätestens seit 1991 dominierten bei der CD Autonomisierungsbestrebungen von der FMLN. Am 3. Oktober 1993 fusionierte sie zusammen mit der UDN, aber ohne den MNR zur Partei. Danach fristete die CD ein Schattendasein.

Abschwung der sozialen Bewegungen nach dem Bürgerkrieg (1990er-Jahre bis heute)

Anders als es die FMLN glaubte, partizipierten die Massen nach dem Friedensvertrag 1992 nicht verstärkt an der Politik. Zwar hatten sich beide früheren Kriegsgegner und dann vertragschließenden Seiten, die Regierungspartei Alianza Republicana Nacionalista (ARENA) und die nunmehrige Oppositionspartei FMLN, im Krieg auch deshalb stark präsentiert, weil sie – die FMLN mehr, ARENA weniger – ein hohes Aktivierungspotenzial besaßen, doch nach der Kriegsbeendigung schien dieses wie weggeblasen. Es gab ein massives, aber eben auch nur passives Votum für die Implementierung des Friedensvertrages. Die ARENA-Regierung hatte die Absicht, eine "zu gute" Implementierung zu vermeiden, weil dadurch die FMLN hätte zu sehr erstarken können, und ergriff subtil-autoritäre Maßnahmen, um oppositionelle Partizipation zu unterbinden, da sie diese immer als ein Pfund ansah, mit dem die FMLN hätte wuchern können: Auch gegenüber den NGOs, insoweit nicht von US-AID finanziert, verhielt sie sich reserviert: So hatte die ARENA-Regierung am 21. November 1996 das Gesetz Ley de Asociaciones y Fundaciones erlassen, das die Registrierung von NGOs beim Innenministerium erschweren sollte. Die Regierung vermutete in den NGOs, die angesichts der Finanzhilfen im Nachkriegskontext einen Boom erfuhren, grundsätzlich ein Unterstützungsreservoir der FMLN. Die FMLN wiederum, die durch ihre Mobilisierungskapazität im Krieg – ob militärisch oder als Verhandlungspartner – mit ARENA lange Zeit auf gleicher Augenhöhe operiert hatte, musste im Frieden erst wieder damit beginnen, die Massen mit einer neuen Strategie für ihre Ideen zu mobilisieren.

Das am 11. Mai 1992 aus Regierungs-, Gewerkschafts- und Unternehmervereinigungs­vertretern gebildete Foro de Concertación Económico-Social (FOCES), das auf den Kompromiss in den Friedensgesprächen zurückging, sich des im Friedensvertrag kaum angesprochenen sozioökonomischen Themas im Prozess des "post conflict peace building" doch noch anzunehmen, stand für den Versuch einer Konzertation zwischen Staat, Gewerkschaften und Unternehmern. Die oppositionellen Gewerkschaften waren in FOCES kaum, regierungsnahe Gewerkschaften mit zwei Vertretern repräsentiert. Bereits im Dezember 1993, als der Unternehmersektor angekündigt hatte, sich aus ihm zurückzuziehen, hat FOCES seine Tätigkeit eingestellt. Die im Krieg stark politisierten Gewerkschaften und vor allem deren Konföderationen überlebten die Transition zur Nachkriegsgesellschaft nur selten, auch weil ihre alte Politisierung ihre neue Funktion zur Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Arbeitnehmer- und Unternehmerschaft behinderte. Nur im öffentlichen Sektor haben Gewerkschaften noch einen gewissen Einfluss

Es dominiert bis heute politische Apathie in El Salvador, und die Bevölkerung hat in die Politik generell wenig Vertrauen. Dies zeigt sich nicht nur in der hohen Wahlabstinenz, sondern auch und vor allem darin, dass die Zivilgesellschaft, die nun eigentlich viel breitere Entfaltungsmöglichkeiten besitzt als zu Zeiten des Autoritarismus, von den Parteien lange Zeit generell eher deaktiviert denn aktiviert wurde. Hatten die Kriegsparteien die Zivilgesellschaft zweigeteilt und jenen Teil, in denen sie vorherrschten, aufgesaugt, aber auch aktiviert, blieb die Zivilgesellschaft nach dem Friedensvertrag unstrukturiert und als Waise zurück, ohne sich selbst profilieren zu können. Die Erfahrung El Salvadors scheint zu bestätigen, dass sich Nachkriegsgesellschaften mit der über soziale Bewegungen organisierte Partizipation der Subalternen an der Politik schwerer tun als Transitionsgesellschaften, in denen es keinen Bürgerkrieg gegeben hat. Dies hängt natürlich auch mit der heute existenziellen Frage zusammen, ob und inwieweit sich Partizipation lohnt, solange persönliche Sicherheit nicht gewährleistet ist, wie die in El Salvador heute (2007) im zentral-, ja im lateinamerikanischen Kontext höchsten Gewaltraten zeigen. Statt sozialer Bewegungen sind es die Maras, gewalttätige Jugendbanden, die gegenwärtig, zumindest unter den Jugendlichen, in besonderer Weise soziale Unzufriedenheit und Streben nach Gewinn kanalisieren.

Literatur

Bases programáticas de la UNO. San Salvador 1971.

Cabarrús, Carlos Rafael: Génesis de una revolución. Análisis del surgimiento y desarrollo de la organización campesina en El Salvador. México D.F. 1983.

Costa, Gino: La Policía Nacional Civil de El Salvador (1990–1997). San Salvador 1999.

Guidos Béjar, Rafael: Orden social y cultura democrática en el período post-acuerdos de paz en El Salvador. In: Roggenbuck, Stefan (Hg.): Cultura política en El Salvador. San Salvador 1995.

Pearce, Jenny: Promised Land. Peasant Rebellion in Chalatenango, El Salvador. London 1986.

Plataforma Programática de la Convergencia Democrática. In: Análisis, 1 (1988) 9/10.

Ribera Sala, Ricardo: Los partidos políticos en El Salvador entre 1979 y 1992. Evolución y cambios. San Salvador 1996.

Rojas Bolaños, Manuel: Zehn Jahre nach Esquipulas II (1987). In: Tangermann, Klaus-Dieter (Hg.): Demokratisierung in Mittelamerika. Demokratische Konsolidierung unter Ausschluß der Bevölkerung. Münster 1998.

Spence, Jack/Dye, David R./Lanchin, Mike/Thale, Geoff/Vickers, George: Chapultepec: Cinco años después. La realidad política salvadoreña y un futuro incierto. In: Hemisphere Initiatives, 16 de enero de 1997, Cambridge (Mass.).

Zinecker, Heidrun: El Salvador nach dem Bürgerkrieg. Ambivalenzen eines schwierigen Friedens. Frankfurt a.M. (Campus) 2004.

Zinecker, Heidrun: Kolumbien und El Salvador im longitudinalen Vergleich. Ein kriti­scher Beitrag zur Transitionsforschung. Baden Baden (Nomos) 2007.

Zinecker, Heidrun: Vom Exodus zum Exitus - zu den Ursachen der Nachkriegsgewalt in El Salvador. HSFK-Report, 3/2007, Frankfurt a.M.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Heidrun Zinecker ist Senior Researcher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Frankfurt am Main und Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig, Promotion 1987, Habilitation 2004. Wichtigste Publikationen zum Thema: Kolumbien und El Salvador im longitudinalen Vergleich. Ein kritischer Beitrag zur Transitionsforschung. Baden Baden 2007; El Salvador nach dem Bürgerkrieg. Ambivalenzen eines schwierigen Friedens. Frankfurt a.M. 2004; Vom Exodus zum Exitus - zu den Ursachen der Nachkriegsgewalt in El Salvador. HSFK-Report, 3/2007, Frankfurt a.M.