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Politische Geschichte Chinas 1900-1949 | China | bpb.de

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Politische Geschichte Chinas 1900-1949

Dr. Thoralf Klein Thoralf Klein

/ 7 Minuten zu lesen

Chinas politische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine Phase des Übergangs nach dem Ende der Monarchie, in der mit verschiedenen politischen Systemen experimentiert wurde. Dass sich schließlich der chinesische Kommunismus durchsetzte, ist eher einer Kombination aus strukturellen Faktoren und manchen Zufällen zu verdanken.

Trauerzug für den chinesischen Revolutionsführer und Staatsmann Sun Yat-sen im März 1925. (© AP)

Chinas politische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine Phase des Übergangs nach dem Ende der Monarchie, in der mit verschiedenen politischen Systemen experimentiert wurde. Eine Kombination aus strukturellen Faktoren und Zufällen führte schließlich zur Durchsetzung des chinesischen Kommunismus.

Reform oder Revolution

Der Beginn dieser Entwicklung lässt sich um 1895 ansetzen, als das alte monarchische System erstmals prinzipiell in Frage gestellt wurde und Alternativen formuliert und in die Praxis umgesetzt wurden. Dies erfolgte aus zwei Richtungen: Innerhalb der konfuzianischen Literaten entwickelte sich infolge der demütigenden Niederlage gegen Japan, die 1895 zur Abtretung Taiwans geführt hatte, eine Bewegung zur Reform von Staat und Gesellschaft. Unter ihrem Einfluss setzte der junge Guangxu-Kaiser 1898 die "Reform der Hundert Tage" ins Werk. Angestrebt wurden ein modernes Erziehungswesen, die Verschlankung der Bürokratie und das Recht aller Untertanen, sich direkt an den Kaiser zu wenden. Ein Staatsstreich konservativer Hofkreise um die Kaiserinwitwe Cixi (1835-1900) machte jedoch diese Reformen mit einem Schlag zunichte.

Yuan Shikai in Uniform als Präsident der Republik China. (© Public Domain)

Die politische Konstellation änderte sich jedoch radikal, als sich Cixi und die Konservativen am Hof im Frühsommer 1900 zur Unterstützung der volksreligiösen Boxerbewegung gegen den ausländischen Einfluss in China durchrangen. Die Attacken der Boxer lösten eine Militärintervention von acht Staaten in Nordchina aus, dier im September 1901 durch einen für China demütigenden Friedensschluss ("Boxerprotokoll") beendet wurde. Zwar hielten sich die Schäden des Krieges in Grenzen; vor allem kam es nicht zur von vielen Zeitgenossen befürchteten Aufteilung Chinas, da die USA mit ihrer "Open-Door-Note" von 1899 ein für allemal einen gleichberechtigten Zugang aller Mächte zum chinesischen Markt durchgesetzt hatten. Dennoch sah sich die Qing-Dynastie gezwungen, sich eine grundlegend neue Legitimationsbasis zu schaffen.

Parallel zum Versuch, die Kaiserherrschaft zu reformieren, entwickelte sich eine revolutionäre Bewegung, welche die Monarchie stürzen und China in eine Republik verwandeln wollte. Sie war zunächst unter den Überseechinesen in Südostasien und Nordamerika erfolgreich. Ihr wichtigster Führer war der christliche und westlich ausgebildete Arzt Sun Yatsen (1866-1925). Seit 1895 unternahm Sun eine ganze Reihe separatistischer Aufstände, die letztlich allesamt scheiterten. Langfristig wirksamer war die Gründung der "Chinesischen Revolutionären Allianz" ("Tongmenghui") 1905 in Tokio, die in den Folgejahren ein revolutionäres Netzwerk in China aufbaute.

So war zunächst der 1901 vom Kaiserhof initiierten Reformpolitik der größere Erfolg beschieden. Ihr politisches Kernstück war die Ausarbeitung einer Verfassung, die China in eine konstitutionelle Monarchie verwandeln sollte. Dabei geriet der Hof zunehmend unter den Druck der gesellschaftlichen Elite, die auf umfassendere und raschere Partizipationsmöglichkeiten drängte. Zugleich breiteten sich auch die revolutionären Netzwerke aus, insbesondere in Teilen der Armee.

Der Aufstand einer revolutionären Armeeeinheit in Wuchang am 10. Oktober 1911 führte trotz der großen Erfolge der Reformpolitik rasch den Zusammenbruch der Monarchie herbei; der letzte Kaiser dankte Anfang 1912 im Alter von nur sechs Jahren ab. Angesichts des politisch-militärischen Patts zwischen den Republikanern um Sun Yatsen im Süden und den Konservativen um den hohen Verwaltungsbeamten und Offizier Yuan Shikai (1859-1916) im Norden trat Sun im Frühjahr 1912 das Amt des Präsidenten an Yuan ab. Die gleichzeitig in Kraft getretene Provisorische Verfassung erklärte China zu einer Republik nach US-amerikanischem Muster.

Die fragile Republik

Dieser jungen Republik war keine politische Stabilität beschieden. Der autoritäre Yuan Shikai verbot die stärkste politische Kraft, die von politischen Weggefährten Sun Yatsens gegründete Nationalpartei (Guomindang, GMD). Er ließ sich eine auf seinen Herrschaftsanspruch zugeschnittene Verfassung zurechtschneidern, stützte sich in der Praxis aber vor allem auf das Militär. Binnen weniger Jahre hatte Yuan seinen politischen Kredit verspielt: Bei der städtischen Bevölkerung machte er sich unbeliebt, als er im Frühjahr 1915 die 21 Forderungen der japanischen Regierung annahm, die Tokio weitgehende territoriale, wirtschaftliche und politische Rechte in China verleihen sollten. Im republikanisch gesinnten Militär verlor er seinen Rückhalt, nachdem er sich Ende des Jahres zum Kaiser proklamiert hatte. Nach dem Tod Yuans im Frühjahr 1916 zerfiel China vollends in regionale Herrschaftsbereiche von als Warlords ("junfa") bezeichneten Militärführern, die sich untereinander permanent befehdeten.

Auswege aus dieser Krise suchten vor allem eine neue soziale Gruppe, die Intellektuellen. Aus ihren Reihen rekrutierten sich die Anhänger der "Bewegung für neue Kultur", die seit 1915 eine umfassende kulturelle Erneuerung Chinas forderte. Als angebliche Ursache der Misere Chinas sollte die konfuzianische Weltanschauung durch neue Leitbilder abgelöst werden: moderne Wissenschaft, individuelle Freiheit und Demokratie. Einen politischen Charakter nahm die Bewegung seit dem Mai 1919 an, als die Versailler Friedenskonferenz die deutschen Sonderrechte in der Provinz Shandong nicht an China zurückgab, sondern sie Japan übertrug, obgleich China 1917 in den Krieg gegen das Deutsche Reich eingetreten war. Die sogenannte "4.-Mai-Bewegung" (nach dem Datum der ersten großen Demonstration) entwickelte einen antiimperialistischen Nationalismus und setzte sich auch erstmals systematisch mit den Lehren des Marxismus auseinander. Indem sie die gesprochene Umgangssprache als Schrift- und Literatursprache durchsetzte, leistete sie zudem einen Beitrag zur Massenwirksamkeit politischer Ideen. Sie bildete daher eine Brücke zur Entstehung moderner Massenparteien in den 1920er-Jahren.

Sun Yat-sen (ca. 1866-1925), erster provisorischer Präsident der Republik China. (© Public Domain)

Massenparteien, "nationale Revolution" und Bürgerkrieg

Beinahe zeitgleich entstanden die beiden großen politischen Kräfte, die China in den folgenden drei Jahrzehnten prägen sollten: 1921 gründete Sun Yatsen die Guomindang neu; im gleichen Jahr wurde auch die Kommunistische Partei (KP) Chinas ins Leben gerufen. Mit sowjetrussischer Unterstützung gingen beide Parteien 1923 ein Zweckbündnis ein, in dem die nach leninistischem Vorbild als Kaderpartei reorganisierte GMD der stärkere Partner war. Das ideologische Gerüst der Partei bildeten die Drei Volksprinzipien (Volkstum, Volksrechte und Volkswohlfahrt), die Sun Yatsen 1924 erarbeitete, aber aufgrund seines Todes im folgenden Jahr unvollendet hinterließ. Als Suns Erbe setzte sich sein militärischer Berater Chiang Kaishek (Jiang Jieshi) gegen ältere und verdientere Parteifunktionäre durch. Für Chiang sprachen sein Rückhalt im Militär, seine Verbindung zur chinesischen Hochfinanz und seine Fähigkeit, Gegner gegeneinander auszuspielen.

Im Bündnis mit den Kommunisten unternahm Chiang zwischen 1926 und 1928 den sogenannten Nordfeldzug, auf dem er einen Teil der Warlords militärisch besiegte und andere zu Allianzen mit der GMD bewegen konnte. Neben den Militärmachthabern gerieten die ausländischen Imperialisten ins Visier der von der GMD ausgerufenen "nationalen Revolution"; eine von Nationalisten und Kommunisten unterstützte Massenbewegung forderte vehement die Abschaffung ihrer Sonderrechte. Zwar gelang die Liquidierung des Imperialismus endgültig erst 1943, doch nominell konnte die Guomindang das Staatsgebiet Chinas wieder vereinigen. Allerdings kontrollierte sie selbst zu ihren besten Zeiten nur etwa ein Drittel des Territoriums unmittelbar. Bis Mitte der 1930er-Jahre kam es immer wieder zu Rebellionen von Militärführern, die sich mit politischern Gegnern Chiang Kaisheks innerhalb der GMD verbündeten. Zudem hatten sich bereits auf dem Nordfeldzug die Spannungen zwischen Nationalisten und Kommunisten verschärft. Im Frühjahr 1927 begann Chiang Kaishek eine Unterdrückungskampagne gegen die Kommunisten, die viele Opfer forderte und das Startsignal für einen zehnjährigen Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten bildete. Die ständigen militärischen Auseinandersetzungen belasteten auch die Modernisierungsmaßnahmen, die der autoritäre Einparteienstaat der GMD einleitete: Beim industriellen Aufbau, der Schaffung einer modernen Infrastruktur, der Entwicklung des Erziehungswesens und der Effizienzsteigerung der Landwirtschaft hatte das Regime durchaus Erfolge zu verzeichnen, die jedoch durch den Krieg gegen Japan ab 1937 zunichte gemacht wurden.

Die Kommunistische Partei bemühte sich in den 1920er-Jahren um die Arbeiter, bildete jedoch auch das Rückgrat einer Bauernbewegung, die sich insbesondere für Kleinpächter und Landlose einsetzte. Nach Chiang Kaisheks Schlag gegen die Kommunisten verlagerte sich deren Machtzentrum aus den Städten in die ländlichen Basisgebiete Südchinas. Hier begann die Partei mit einer radikalen Landumverteilung. Vier Einkreisungsfeldzüge der GMD konnten die Kommunisten abwehren, beim fünften konnte sie der Vernichtung nur durch den berühmten "Langen Marsch" entgehen, der zwischen 1934 und 1936 über unwegsames Gelände nach Yan'an in Nordchina führte. Von rund 100.000 Menschen erreichte nur ein Zehntel das Ziel. Auf dem Marsch begann der Aufstieg von Mao Zedong (1893-1976), dem Hauptbefürworter und Theoretiker einer agrarrevolutionären Strategie, zum unumschränkten Führer der KP Chinas.

Der Aufstieg der KP Chinas

Für die Kommunisten erwies sich die japanische Aggression in China schließlich als Glücksfall. 1931 eroberte die japanische Armee die Mandschurei und setzte sich in den Folgejahren in weiteren Teilen Nordchinas fest. Gegen lautstarke öffentliche Proteste gab Chiang Kaishek der Bekämpfung der Kommunisten den Vorrang vor dem Kampf gegen Japan, er wurde jedoch im Dezember 1936 von zwei seiner Generäle in Xi´an festgesetzt und zu einer Einheitsfront mit der KP Chinas gezwungen. Obwohl dieses lockere Bündnis nur bis 1941 hielt, nutzten die Kommunisten den ab 1937 offen ausgebrochenen Krieg gegen Japan mit großem Erfolg, um ihre gesellschaftliche Basis zu verbreitern. Bei Kriegsende hatte die KP Chinas 1,2 Millionen Mitglieder.

Der asiatisch-pazifische Krieg, der nur durch das Eingreifen der USA entschieden wurde, ließ China wirtschaftlich ausgeblutet zurück. 1946 entbrannte zudem erneut der Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten. Die GMD erhielt dabei umfangreiche Hilfe aus den USA, während die KP Chinas von der Sowjetunion eher halbherzig unterstützt wurde. Doch konnte die kommunistische Volksbefreiungsarmee die GMD-Truppen seit Anfang 1947 in der Mandschurei und seit Ende 1948 in Zentralchina in die Defensive drängen. Ende 1949 floh die Regierung Chiang Kaisheks nach Taiwan. Schon zuvor, am 1. Oktober 1949, hatte Mao Zedong in Peking die Volksrepublik proklamiert.

Weitere Inhalte

Thoralf Klein (geb. 1967): Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Erfurt. Studium an den Universitäten Bonn, Guangzhou (VR China) und Freiburg/Breisgau. Promotion 1995, Habilitation 2007. Forschungsschwerpunkte: Chinesische Sozial- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Geschichte der Religion in China (besonders des Christentums), Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen, Kolonialgeschichte. Wichtigste Veröffentlichungen: Geschichte Chinas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn 2007; Kolonialkriege. Studien zur militärischen Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburg 2006 (mit Frank Schumacher, Hrsg.).