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Taiwan und die geopolitische Neuordnung in Asien

Jens Damm

/ 11 Minuten zu lesen

Die Volksrepublik China betrachtet die Inselrepublik Taiwan als "abtrünnige Provinz". Taiwan betont hingegen seinen demokratischen Status quo und die USA treten als enger Verbündeter der Insel auf.

Wenn sich ein chinesischer Flugzeugträger durch die enge Taiwanstraße bewegt, versteht man das in Taiwan als militärische Drohgeste. (© picture-alliance, EPA | DAVID CHANG)

Die Republik China (ROC), auch als Interner Link: Taiwan bekannt, unterhält nur zu 13 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und zum Heiligen Stuhl (Vatikanstadt) volle diplomatische Beziehungen. Fast alle anderen Mitgliedstaaten betrachten die Regierung der Volksrepublik (VR) China in Beijing als legitime Regierung Chinas, was auch Taiwan miteinschließt. Trotz dieser begrenzten internationalen Präsenz kann die strategische Interner Link: Bedeutung Taiwans sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für eine zunehmend selbstbewusste VR China gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Lage, die Wirtschaft und die Sicherheit der Insel sind für die US-amerikanischen Interessen – und indirekt auch für die Interessen anderer benachbarter Staaten wie Japan, Südkorea, die Philippinen, ja selbst Vietnam und die pazifischen Inselgruppen – von entscheidender Bedeutung. Sollte Taiwan ähnlich dem Hongkonger Modell "ein Land, zwei Systeme" oder gar durch militärische Annexion Teil der VR China werden, würde China sofort zu einer pazifischen Macht aufsteigen. Für die VR China stellt Taiwan einen Teil Chinas dar, der aufgrund der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) beziehungsweise der nachfolgenden Verwaltung durch die Republik China (1945 bis heute) "abtrünnig" wurde und ebenso wie das ehemals britische Hongkong oder das portugiesische Macau an die VR China "zurückgegeben werden sollte", um das Jahrhundert der Erniedrigungen nach den Opiumkriegen im 19. Jahrhundert endgültig zu beenden. Die VR China hätte nach der Übernahme Taiwans realistisch betrachtet dann auch die Kontrolle über einige der modernsten Technologien der Welt und wäre in der Lage, Öllieferungen nach Japan und Südkorea zu unterbinden. Damit könnte Beijing die USA aus Asien verdrängen.

Der Artikel bietet zunächst einen kurzen historischen Abriss, welche Rolle Taiwan geopolitisch einnimmt, und bietet im Anschluss einen Überblick über die Sichtweisen der beteiligten Akteure, insbesondere die der USA, der VR China und Taiwans. Er endet mit einem Ausblick über mögliche Szenarien einer zukünftigen Entwicklung.

QuellentextTaiwan und der Krieg gegen die Ukraine

Nachdem Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angegriffen hatte, stellten sich viele Expertinnen und Experten die Frage, ob auch die VR China versuchen würde, Taiwan zu annektieren. Viele westliche Stimmen betonen, dass eine Annexion Taiwans in absehbarer Zeit eher unwahrscheinlich sei. Als Gründe werden vor allem wirtschaftliche, militärische sowie langfristige strategische benannt. So verweist Bonnie S. Glaser, Direktorin des Asien-Programms des German Marshall Fund und ausgewiesene Taiwan-Expertin, schon kurz nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine darauf, dass China sehr wohl diplomatische, wirtschaftliche und andere militärische Aspekte untersuchen würde, um Parallelen und Unterschiede zwischen Taiwan und der Ukraine zu finden. Sie vermerkt aber auch, dass die Meinungen in den sozialen Medien Chinas, welche auf eine rasche, möglicherweise auch militärische Lösung dringen, nicht von der Führung geteilt würden. Andrew Scobell vom U.S. Institute of Peace betont die allgemeine Zurückhaltung Chinas in militärischen Fragen und das "Staatsmännische" in Xi Jinping. Der auch international renommierte Tiejun Zhang [Zhang Tiejun], Professor für internationale Beziehungen am Shanghai Global Institute, vertritt in The Diplomat die Ansicht, dass das Risiko eines Angriffs Chinas auf Taiwan generell gering sei. Auch Kevin Rudd, ehemaliger australischer Premierminister, sieht keine imminente Gefahr eines Angriffs auf Taiwan. Mark Harrison, Lektor für Chinastudien an der University of Tasmania, verweist auf die Unterschiede zwischen der geopolitischen Lage Taiwans und der Ukraine: "Während Russland und die Ukraine eine 1.300 Meilen lange Landgrenze teilen, sind Taiwan und China durch 110 Meilen Meer getrennt. Als wichtiger Teil der globalen Lieferkette ist Taiwan für die USA von großer Bedeutung, deren Engagement für die Insel in der offiziellen Politik verankert ist, während sich die Sicherheitsgarantie der NATO nicht auf die Ukraine erstreckt." Dies ist auch die generelle Sicht in Taiwan wie sie von Su Tzu-Yun [Su Ziyun], Analyst des Instituts für Nationale Verteidigungs- und Sicherheitsforschung, und Fan Shih-ping [Fan Shiping], Professor an der National Taiwan Normal University, geäußert werden.

Wirtschaftlich gesehen besitzt die VR China das zweitgrößte Bruttoinlandsprodukt der Welt. Im Gegensatz dazu beträgt das BIP Russlands weniger als 10 Prozent desjenigen der Vereinigten Staaten. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass China zur "Produktionsstätte der Welt" geworden ist, ist das Land wesentlich enger in die Weltwirtschaft eingebunden als Russland. Diese starke wirtschaftliche Verflechtung ist für Chinas Wirtschaftswachstum in Krisenzeiten jedoch auch eine gefährliche Komponente. In einem Szenario, in dem die VR China die Wiedervereinigung mit Taiwan gewaltsam durchsetzen würde, könnten die USA und ihre Verbündeten harte Sanktionen gegen China verhängen. Insbesondere ist China bei mehr als 80 Prozent seiner Halbleiternachfrage vom Rest der Welt abhängig, wobei drei Fünftel aus den USA, Japan und der EU stammen. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSM) stellt fast alle der modernsten Halbleiter her. China würde dadurch einen schwerwiegenden wirtschaftlichen Abschwung erleben, der tiefgreifendere Auswirkungen im eigenen Land hätte, als es bei Russland derzeit noch der Fall ist.

Militärisch verfügt Russland gemessen an der Anzahl der nuklearen Sprengköpfe über das größte Atomwaffenarsenal der Welt und über eine große konventionelle Streitmacht. Im Vergleich dazu liegt das chinesische Militär trotz seiner raschen Modernisierung immer noch Jahrzehnte zurück – zumindest hinter dem der Vereinigten Staaten.

Hinzu kommt, dass Taiwan ein schwierigeres Ziel für eine Invasion darstellt. Selbst wenn die USA nicht direkt militärisch eingreifen würden, wäre es für China angesichts der großen Zahl moderner Waffensysteme, die Taiwan aus den USA importiert, nicht einfach, die Insel zu übernehmen. Zudem versicherte US-Präsident Joe Biden im September 2022 erneut, dass die USA Taiwan militärisch verteidigen würden.

Der "chinesische Traum" von Präsident Xi Jinping besteht im Wesentlichen darin, China wieder zum Zentrum Ostasiens, ja sogar der Welt zu erheben. Das Vorhaben baut auf einer längerfristigen historischen Mission auf: Wenn China Hunderte von Jahren warten kann, um seinen rechtmäßigen Platz zurückzuerobern, warum kann es dann nicht noch ein Jahrzehnt oder länger warten? Hinzu kommt, dass es für eine aus VR-chinesischer Sicht erfolgreiche Übernahme Taiwans wichtig wäre, die taiwanische Bevölkerung von den Vorteilen eines Gesamt-Chinas zu überzeugen. Seit den späten 1980er Jahren fördert die VR-chinesische Regierung bereits die kulturellen, sozialen und verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Bürgern und Bürgerinnen Taiwans. Man ging davon aus, dass sich die Taiwanerinnen und Taiwaner durch mehr kulturelle Kontakte und soziale Kommunikation den Menschen auf dem Festland annähern würden. Die politischen Maßnahmen zeigen jedoch umgekehrte Auswirkungen. Mit mehr Kommunikation und Kontakten sehen die Taiwanerinnen und Taiwaner stattdessen zunehmend ihre Unterschiede zu den Festlandchinesinnen und -chinesen. Komplex wird es, wenn es um die Frage eines souveränen Staates geht. Dass die Ukraine ein unabhängiges Land ist, wird nicht bestritten. Russland hat die Souveränität und die Grenzen der Ukraine im Budapester Memorandum von 1994 anerkannt. Die Bürgerinnen und Bürger der VR China hingegen leben in einer medialen Realität, in der Taiwan als "unabtrennbarer Teil" der VR China ausgewiesen wird. So betonen auch die Medien in China – beispielsweise die nationalistische Global Times – dass "die sezessionistische Demokratische Fortschrittspartei (DPP) in Taiwan selbstgefällig Empathie für die Situation der Ukraine zum Ausdruck bringt, was die böswillige Absicht der DPP verbirgt, die Taiwan-Frage – eine rein interne Angelegenheit – zu 'internationalisieren' und Anti-Festland-Stimmungen auf der Insel zu schüren". Weiterhin heißt es, Taiwan sei nie ein souveräner Staat gewesen, und Chinas Ansatz zur Förderung und Verwirklichung seiner nationalen Wiedervereinigung habe nichts mit der Ukraine-Krise gemein. Im Antisezessionsgesetz von 2015 heißt es dann, dass auch eine militärische Lösung in Frage käme: "Wenn die 'Taiwanische Unabhängigkeit'-Abspaltungs-Kraft mit irgendeiner Begründung oder auf irgendeine Weise die Tatsache der Abspaltung Taiwans von China bewirkt, oder wenn es zu einem bedeutenden Zwischenfall kommt, welcher die Abspaltung Taiwans von China bewirken wird, oder wenn die Möglichkeiten für eine friedliche Wiedervereinigung gänzlich ausgeschöpft sind, muss der Staat nicht-friedliche Mittel und andere notwendige Maßnahmen ergreifen, um die staatliche Souveränität und die territoriale Unversehrtheit zu verteidigen." Auch Huang Jing, Professor an der Shanghai International Studies University, ebenso wie Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, bekräftigen, dass die Ukraine und Taiwan nicht vergleichbar seien. Hierbei liegt die Betonung aber wiederum darauf, dass es sich im Falle der Ukraine um einen internationalen Konflikt zwischen zwei souveränen Staaten handelt, während Taiwan als innerstaatliches Problem angesehen wird.

Was folgt daraus? Auf der einen Seite betont Xi Jinping sowohl im Weißbuch zu Taiwan als auch in seiner Rede zum 20. Parteikongress, dass Beijings Position zu Taiwan eindeutig sei: Die friedliche Lösung der Taiwan-Frage habe Priorität, und Verhandlungen über das Modell "ein Land, zwei Systeme" müssen vorangebracht werden. Falls die taiwanische Seite aber den "Konsens von 1992" nicht akzeptiert, wird militärische Gewalt das letzte Mittel sein, um die "vollständige Wiedervereinigung" mit Taiwan durchzusetzen. Auf der anderen Seite mutmaßen aber beispielsweise das der US-Regierung nahestehende Center for Strategic and International Studies in ihren jüngsten Studien, dass die "große Renaissance der chinesischen Nation" nicht erreicht werden könne, wenn eine Invasion Taiwans die Weltwirtschaft und damit auch China in eine schwere Rezession stürzt. Diese Studien gehen auch davon aus, dass der Führungsapparat der Kommunistischen Partei Chinas sich diesem Dilemma bewusst ist. Wahrscheinlicher ist daher, dass China stattdessen versuchen wird, Taiwan durch Cyber-Angriffe, wirtschaftliche Schikanen und Desinformation zur Kapitulation zu zwingen, wenn eine friedliche Kulturdiplomatie nicht den erwünschten Erfolg bringen wird.

Fußnoten

  1. Bonnie S. Glaser. "Ukraine and Taiwan: Parallels and Early Lessons Learned". Center for Strategic & International Studies. 22. März 2022. Externer Link: https://www.csis.org/analysis/ukraine-and-taiwan-parallels-and-early-lessons-learned.

  2. Andrew Scobell und Lucy Stevenson-Yang. "China Is Not Russia. Taiwan Is Not Ukraine." The United States Institute of Peace. 4. März 2022. Externer Link: https://www.usip.org/publications/2022/03/china-not-russia-taiwan-not-ukraine.

  3. Tiejun Zhang. "China Is Not Russia, Taiwan Is Not Ukraine". The Diplomat. 25. Juli 2022. Externer Link: https://thediplomat.com/2022/07/china-is-not-russia-taiwan-is-not-ukraine/.

  4. Zitiert in: Andrew Browne. "Beware Comparisons of Ukraine and Taiwan". Bloomberg. 19. Februar 2022. Externer Link: https://www.bloomberg.com/news/newsletters/2022-02-19/beware-the-comparisons-of-ukraine-and-taiwan-new-economy-saturday?leadSource=uverify%20wall.

  5. Zitiert in: Jordyn Haime. "Taiwan Has Its Eyes on Ukraine, but some Experts Discourage Comparisons". The China Project. 28. Februar 2022. Externer Link: https://thechinaproject.com/2022/02/28/taiwan-has-its-eyes-on-ukraine-but-experts-discourage-comparisons/.

  6. Jake Chung. "Comparing Taiwan, Ukraine Inappropriate: Forum". Taipei Times. 26. Februar 2022. Externer Link: https://www.taipeitimes.com/News/front/archives/2022/02/26/2003773799.

  7. Siehe Jürgen Matthes. "China-Abhängigkeiten der deutschen Wirtschaft: Mit Volldampf in die falsche Richtung". Institut der Deutschen Wirtschaft. IW-Kurzbericht, Nr. 68. 2022. Externer Link: https://www.iwkoeln.de/studien/juergen-matthes-china-abhaengigkeiten-der-deutschen-wirtschaft-mit-volldampf-in-die-falsche-richtung.html.
    David Lubin. "Why a More Inward-Looking China is Bad News for the World Economy". Chatham House, The Royal Institute of International Affairs 17. Oktober 2022. Externer Link: https://www.chathamhouse.org/2022/10/why-more-inward-looking-china-bad-news-world-economy.

  8. Anthony H. Cordesman. "Ranking the World’s Major Powers. A Graphic Comparison of the United States, Russia, China, and Other Selected Countries". CSIS Center for Strategic & International Studies. 16. Mai 2022. Externer Link: https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/220427_Ranking_Major_Powers.pdf?FVCpij.NHeBefpwCDCt9WDdzWNGlV19E.

  9. Anthony H. Cordesman. "Ranking the World‘s Major Powers". Center for Strategic & International Studies. 16. Mai 2022.
    David A. Ochmanek. "Determining the Military Capabilities Most Needed to Counter China and Russia". RAND. Juni 2022. Externer Link: https://apps.dtic.mil/sti/pdfs/AD1172419.pdf.

  10. David Sacks. "While Pledging to Defend Taiwan from China, Biden Shifted on Taiwan Independence. Here’s Why That Matters". Council on Foreign Relations. 22. September 2022. Externer Link: https://www.cfr.org/blog/while-pledging-defend-taiwan-china-biden-shifted-taiwan-independence-heres-why-matters.

  11. Liang Guo und Feng Jiang. "Is Cross Border Tourism an Affective Means to Achieve Political Goals? Evidence from Mainland China and Taiwan". Applied Economics Letters. Vol. 29, Issue 11.12. März 2021. Externer Link: https://doi.org/10.1080/13504851.2021.1899116.
    Chih-Jou Jay Chen und Victor Zheng. "Changing Attitudes toward China in Taiwan and Hong Kong in the Xi Jinping Era".Vol. 31. Issue 134. Journal of Contemporary China. 05. Juli 2021. Externer Link: https://doi.org/10.1080/10670564.2021.1945738.

  12. Deng Xiaoci. "DPP’s Taiwan-Ukraine Comparison Self-Indulging: Mainland Official". Global Times. 23. Februar 2022. Externer Link: https://www.globaltimes.cn/page/202202/1253020.shtml.

  13. Für die offizielle englische Version des Gesetzes siehe Externer Link: https://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/documents/fd/d-cn2005042601/d-cn2005042601en.pdf. Die deutsche Übersetzung des chinesischen Antisezessionsgesetzes stammt von Externer Link: https://download.jurawelt.com/download/aufsaetze/china_antisezession.pdf.

  14. Huang Jing. "Ukraine and Sino-American Relations: The Chinese View". China-US Focus. 17. Juni 2022. Externer Link: https://www.chinausfocus.com/foreign-policy/ukraine-and-sino-american-relations-the-chinese-view.
    Wang Wenbin zitiert in: "'Taiwan is Not Ukraine.' Linking the Two is to Create New Crisis across Taiwan Straits: Chinese FM". Global Times. 28. März 2022. Externer Link: https://www.globaltimes.cn/page/202203/1256993.shtml.

  15. Xinhua. "Full Text: The Taiwan Question and China's Reunification in the New Era" [Weißbuch zu Taiwan] 8. Oktober 2022. Externer Link: https://english.news.cn/20220810/df9d3b8702154b34bbf1d451b99bf64a/c.html. Sonny Lo Shiu Hing. "China’s 20th Party Congress, Constitutional Amendments and Personnel Change: Implications for the Mainland, Hong Kong, Macau and Taiwan". Macau Business. 23. Oktober 2022. Externer Link: https://www.macaubusiness.com/opinion-chinas-20th-party-congress-constitutional-amendments-and-personnel-change-implications-for-the-mainland-hong-kong-macau-and-taiwan.

  16. Jude Blanchette und Gerard DiPippo. "'Reunification' with Taiwan through Force Would Be a Pyrrhic Victory for China". November 2022. Center for Strategic and International Studies. Externer Link: https://www.csis.org/analysis/reunification-taiwan-through-force-would-be-pyrrhic-victory-china. Mark F. Cancian und Eric Heginbotham. "The First Battle of the Next War. Wargaming a Chinese Invasion of Taiwan". Januar 2023. Center for Strategic and International Studies. Externer Link: https://www.csis.org/analysis/first-battle-next-war-wargaming-chinese-invasion-taiwan.

  17. Yu-Shan Wu. "Ukraine and Taiwan: Comparison, Interaction, and Demonstration". Taiwan Insight. 04. April 2022. Externer Link: https://taiwaninsight.org/2022/04/04/ukraine-and-taiwan-comparison-interaction-and-demonstration. Jake Chung. "Comparing Taiwan, Ukraine Inappropriate: Forum". Taipei Times. 26. Februar 2022. Externer Link: https://www.taipeitimes.com/News/front/archives/2022/02/26/2003773799. Josh Rogin. "Taiwan is on the Frontlines of China’s Worldwide Cyberwar". Washington Post. 8. November 2022. Externer Link: https://www.washingtonpost.com/opinions/2022/11/08/taiwan-internet-resilience-china-cyberattacks-disinformation. Siehe auch Erica D. Lonergan und Grace B. Mueller. "What Are the Implications of the Cyber Dimension of the China-Taiwan Crisis?" Council on Foreign Relations. 15. August 2022. Externer Link: https://www.cfr.org/blog/what-are-implications-cyber-dimension-china-taiwan-crisis.

Das Selbstverständnis Taiwans

Bis zur Aufhebung des Kriegsrechts 1987 beharrten sowohl die Nationalpartei in Taiwan (die Kuomintang bzw. Guomindang) wie die Kommunistische Partei auf dem Festland in China darauf, dass es nur ein China gebe. Als sich Taiwan zu Beginn der 1990er Jahre jedoch von einer autoritären Regierung zu einer Demokratie wandelte, wurde die Regierungsform Teil der nationalen Identität. Die Bürger und Bürgerinnen sehen sich zunehmend als Taiwaner und Taiwanerinnen und betrachten Taiwan als eine Nation – und eben nicht als eine Provinz Chinas. Die meisten Bürgerinnen und Bürger Taiwans sind sich dieses Dilemmas sehr bewusst. Die Geopolitik lässt eine echte unabhängige nationale Identität – also die formale Unabhängigkeitserklärung einer taiwanischen Nation - (noch) nicht zu. Hinzu kommt, dass seit 2016 die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) sowohl die Präsidentin stellt, als auch im Parlament die Mehrheit besitzt. Diese Partei betont die Unabhängigkeit Taiwans. Dies bedeutet jedoch nicht die Erklärung einer formellen Unabhängigkeit, sondern die Fortsetzung des Status quo, wenn auch die Definition des Status quo immer wieder neu diskutiert wird – jedoch nicht zwischen den beteiligten Parteien, also der VR China, Taiwan und den USA, sondern innerhalb der Parteien. Präsidentin Tsai Ing-wen beschreibt die Position ihres Landes so: "Taiwan strebt keine militärische Konfrontation an. Taiwan hofft auf eine friedliche, stabile, berechenbare und für beide Seiten vorteilhafte Koexistenz mit seinen Nachbarn. Aber Taiwan wird auch alles tun, was nötig ist, um seine Freiheit und demokratische Lebensweise zu verteidigen." Taiwan betont auch die Bedeutung seiner hochentwickelten Halbleiterindustrie, von der sowohl China als auch die USA stark abhängig sind. Bis zu 92 % der weltweit modernsten Halbleiterproduktionskapazitäten, die für die meisten elektronischen Konsumgüter wie Smartphones, Computer und Automobile genutzt werden, sind direkt oder indirekt von Taiwan abhängig. Daher scheint es sowohl im Interesse Chinas als auch der USA zu liegen, das wirtschaftliche Wohlergehen Taiwans so wenig wie möglich zu stören und den Status quo beizubehalten. Laut Taiwans Wirtschaftsminister Wang Mei-hua ist die Halbleiterindustrie von entscheidender Bedeutung für das endgültige Schicksal der Insel.

Die Volksrepublik China und Taiwan

Für die VR China stellt Taiwan einen essentiellen Teil Chinas dar, wobei sich die Regierung in Beijing als einzige legitime Regierung versteht. Aufbauend auf den Ideen Interner Link: Deng Xiaopings würde Taiwan zum Zeitpunkt der "Wiedervereinigung" eine vom sozialistischen System der Volksrepublik getrennte Ordnung beibehalten und für einen langen Zeitraum weite Spielräume der Selbstverwaltung in den Bereichen Regulierung, Justiz und Verwaltung bewahren. Die Präsenz von Streitkräften der Volksbefreiungsarmee auf seinem Territorium wird darin zusätzlich garantiert. Die Rückgabe von Hongkong und Macao im Jahre 1997 an die Volksrepublik China bot die Gelegenheit, das heikle Konzept der Koexistenz zweier kosmopolitischer Enklaven innerhalb eines autoritären und zentralistischen Staates zu erproben. Die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass das liberale institutionelle Profil Hongkongs schwer mit den politischen Forderungen Beijings zu vereinbaren war. Beijing hat nun aber eine ganze Reihe von Zeichen gesetzt, die keinen Zweifel aufkommen lassen, dass die freie Meinungsäußerung in Hongkong stark beschnitten wird: Allem voran ist es das Mitte 2020 in Kraft getretene Nationale Sicherheitsgesetz, welches Kritik an der Beijinger und Hongkonger Regierung mit harten Strafen unterdrückt. Dieses Gesetz hat zusammen mit den zuvor nur spärlich angewandten Verordnungen aus der Kolonialzeit jede Form von Dissens und Protest im Keim erstickt. Dies führte zu einer Lähmung der einst so aktiven Zivilgesellschaft, da heute die Angst vorherrscht, sich öffentlich zu äußern, da jegliche kritische Meinungsäußerung schon als Verstoß gegen das Gesetz angesehen werden kann. Der Grundsatz "ein Land, zwei Systeme", unter dem die Rückgabe der britischen Kronkolonie Hongkong an die Volksrepublik China 1997 vereinbart war, endete de facto mit diesem Gesetz.

Spätestens jetzt ist auch die Hoffnung in Taiwan verflogen, dass Hongkong als Modell für Taiwans Eingliederung in die VR China dienen könnte – wobei Tsai Ing-wen, die Taiwan seit 2016 als Präsidentin regiert, den Vorschlag von Xi Jinping vom Januar 2019 für eine Wiedervereinigung Taiwans mit der Volksrepublik auf der Grundlage des Modells "ein Land, zwei Systeme" strikt ablehnte. Die VR China wiederum lehnt jede Internationalisierung des "Taiwan-Problems" ab, da Taiwan von der VR China nicht als Ausland verstanden wird. Demzufolge betrachtet die VR China Besuche wie jenen der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August 2022 als Provokation.

Die USA und Taiwan

Die Vereinigten Staaten bestehen offiziell darauf, dass die Zukunft Taiwans durch eine politische Übereinkunft zwischen Beijing und Taipei zu regeln sei und dass der Prozess mit den Mitteln der Diplomatie und nicht durch Zwang realisiert wird. Doch Präsident Xi Jinping behält sich vor, zur Lösung der Taiwanfrage "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen". Durch Chinas militärische Aufrüstung und seine verstärkte Präsenz im Indopazifik hat sich die Sicherheitslage rund um Taiwan verschlechtert – für die USA hinreichender Anlass, ihre Unterstützung für Taiwan weiter auszubauen. Das Weißbuch zu Taiwan der VR China aus dem Jahr 2022 ähnelt zwar den vorangegangenen aus den Jahren 1993 und 2000, einige Punkte stechen jedoch hervor: Bezugnehmend auf die Formel "ein Land, zwei Systeme" heißt es "Zwei Systeme sind einem Land untergeordnet und leiten sich von diesem ab". Das Weißbuch von 2022 verspricht zwar, dass "Taiwans Gesellschaftssystem und seine Lebensweise vollständig respektiert und das Privateigentum, die religiösen Überzeugungen und die gesetzlichen Rechte und Interessen der Menschen in Taiwan vollständig geschützt werden" – allerdings mit dem wichtigen Hinweis, dass dies nur möglich ist, "wenn Chinas Souveränitäts-, Sicherheits- und Entwicklungsinteressen gewährleistet sind". Auch die Aussage "Alle taiwanischen Landsleute, die die Wiedervereinigung des Landes und die Verjüngung der Nation unterstützen, werden die Meister der Region sein und zur Entwicklung Chinas beitragen und von ihr profitieren" lässt offen, was mit den anderen Taiwanern und Taiwanerinnen, die gegen eine Vereinigung sind, passieren würde. Die Anschuldigungen, die DPP sei "separatistisch" oder "sezessionistisch", könnten nach dem 2015 verabschiedeten Nationalen Sicherheitsgesetz Strafverfolgungen nach sich ziehen.

Zwei Schwerpunkte haben sich in der US-Außenpolitik in Bezug auf Taiwan herausgebildet: Zum einen betonen die Vereinigten Staaten, dass sie und Taiwan ähnliche Werte und tiefe Handels- und Wirtschaftsbeziehungen teilen. Zum anderen sichert US-Präsident Joe Biden im Falle eines Angriffskrieges Taiwan entschiedene militärische Unterstützung zu. Heute geht niemand mehr ernsthaft davon aus, dass Taiwan einen Krieg gegen China beginnen könnte, so wie es der frühere Kuomintang-Präsident Interner Link: Chiang Kai-shek [Jiang Jieshi] noch anstrebte.

Historisch bauen die derzeitigen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Taiwan auf dem 1979 verabschiedeten "Taiwan Relations Act" auf, der Taiwan, nachdem die USA offiziell diplomatische Beziehungen zu Beijing aufgenommen hatten, einen gewissen Schutz zusicherte. In diesem US-Gesetz hieß es u. a., dass die Entscheidung der USA, diplomatische Beziehungen zu China aufzunehmen, auf der Erwartung beruhte, dass die Zukunft Taiwans mit friedlichen Mitteln geregelt wird. Jeder Versuch, die Zukunft Taiwans mit anderen als friedlichen Mitteln, einschließlich Boykott oder Embargo, zu regeln, würde als Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit im westpazifischen Raum betrachtet und wäre für die Vereinigten Staaten von großer Bedeutung. In den 1970er Jahren hatten sowohl Taipei als auch Beijing darauf beharrt, dass es nur "ein China" gebe. Inzwischen aber existiert in Taiwan eine große Mehrheit, die dieses Konzept ablehnt. Während der Taiwan Relations Act also ursprünglich von der Prämisse ausging, dass langfristig eine friedliche Vereinigung stattfinden würde, ist dies heute nicht mehr gegeben.

Die Verbündeten und Partner der Vereinigten Staaten im ostasiatischen und indo-pazifischen Raum begrüßen heutzutage das Engagement der Regierung Joe Bidens, Allianzen neu zu schmieden und gleichgesinnte Koalitionen zur Unterstützung der "liberalen internationalen Ordnung" zu schaffen. Die Aufwertung der Beziehungen zu Taiwan begann schon unter Trump mit dem Taiwan Travel Act (2018) , durch den Besuche zwischen Taiwan und den USA gefördert werden sollten. Hinzu kommt, dass der "Taiwan Policy Act of 2022" parteiübergreifend vorangebracht wurde. Dieser Gesetzentwurf enthält Formulierungen zur Stärkung des Handels, der den USA und Taiwan Vorteile bieten könnten. Der neue Taiwan Policy Act würde die Einrichtung eines Zentrums zur Überwachung von Infektionskrankheiten durch das American Institute (die de facto diplomatische Vertretung) in Taiwan und Taiwans Teilnahme an internationalen Organisationen fördern. An anderer Stelle wird sogar vorgeschlagen, dass die USA Taiwan "wie einen wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten" behandeln. Taiwans Vertretungen sollen umbenannt werden, sodass sie den Namen des Landes und nicht wie bisher den der Hauptstadt verwenden, ohne jedoch deren diplomatischen Status zu ändern. Genau dies war der Stein des Anstoßes für den diplomatischen Konflikt zwischen Litauen und der VR China seit Ende 2021, der auch Auswirkungen auf das Verhältnis Chinas zur EU hatte. Werte sind die treibende Kraft in der Gesetzgebung durch den angestrebten Taiwan Policy Act: Begriffe wie "Demokratie", "regelbasierte internationale Ordnung", "Meinungsfreiheit" und "Freiheit" durchziehen den Text.

Wie geht es weiter?

Das neue trilaterale Interner Link: Sicherheitsbündnis AUKUS, ein Militärbündnis, geschlossen 2021 zwischen den USA, Australien und dem Vereinigten Königreich, wurde von China als "äußerst unverantwortlich" bezeichnet. Auf der anderen Seite erklärte Taiwans Außenministerium, Taipei sei "erfreut" über den Sicherheitspakt. Dass das Nicht-NATO-Mitglied Australien aufgrund des Paktes nun mit der Technologie zum Bau von Atom-U-Booten ausgerüstet wird, ist in Taipei willkommen. Ausgestattet mit Atom-U-Booten, wird die australische Marine ihre regionale Sicherheitspräsenz auf taiwanische Gewässer ausweiten können.

Dahingegen hat China seine Absichten deutlich gemacht, dass es in den Krieg ziehen würde, sollte Taiwan versuchen, seine Unabhängigkeit zu erklären. "Wenn irgendjemand es wagt, Taiwan von China abzuspalten", warnte im Juni 2022 Verteidigungsminister Wei Genghe, "wird die chinesische Armee definitiv nicht zögern, einen Krieg zu beginnen, koste es, was es wolle". 2021 hatte der chinesische Präsident Xi Jinping bereits erklärt: "Die historische Aufgabe der vollständigen Wiedervereinigung des Mutterlandes [China] kann und muss erfüllt werden."

Aber wie sieht man das auf Taiwan selbst? Umfragen auf der Insel deuten darauf hin, dass die einheimische Bevölkerung nicht nur weitgehend gegen eine sofortige Wiedervereinigung mit China ist, sondern auch gegen die Ausrufung der Unabhängigkeit. Eine in der ersten Jahreshälfte 2022 durchgeführte Studie vom National Chengchi University's Election Study Center (ESC) zu den wichtigsten politischen Einstellungen in Taiwan ergab, dass nur 1,3 Prozent der Befragten eine Wiedervereinigung mit dem chinesischen Festland "so bald wie möglich" wünschen. Aber auch nur 5,1 Prozent der Befragten wollen die sofortige Unabhängigkeit Taiwans. Taiwan wird daher weiterhin ein geopolitisches Problem darstellen, und eine Lösung der Taiwanfrage scheint nicht in Sicht.

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vertritt die Professur mit dem Schwerpunkt "Geschichte und Politik des Modernen China" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und ist assoziierter Mitarbeiter am European Research Center on Contemporary Taiwan (ERCCT) an der Eberhard Karls Universität Tübingen.
E-Mail: E-Mail Link: jens.damm@fu-berlin.de