Die Geschichte jüdischer Frauen in der Moderne bedeutete auch stets ein Ringen um eine mehrfache Emanzipation: als Frau, als Jüdin und als Frau innerhalb des Judentums.
Unter jüdischen Zeitgenossinnen des 19. und 20. Jahrhunderts ebenso wie in verschiedenen wissenschaftlichen Zugängen zur Geschichte von Frauen in der jüdischen Minderheit war und ist die Rede von der doppelten Diskriminierung jüdischer Frauen allgegenwärtig: als Angehörige einer Minderheit seien Ausgrenzungserfahrungen für sie ebenso alltäglich wie als Frauen, denen die gesellschaftliche Gleichberechtigung und Gleichstellung versagt blieb. So ermöglicht uns der Blick auf die Besonderheit weiblicher Geschichte innerhalb der jüdischen Geschichte zugleich eine Perspektivierung, die über die rein jüdische Geschichte hinausweist – denn als Frauen waren Jüdinnen historisch deutlich länger von vollständiger gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen als Männer. Verschiedene, beinahe stereotype und doch divergierende Bilder sind bis heute eigentümlich prägend für unsere Sicht auf die Rolle der jüdischen Frau in der deutsch-jüdischen Geschichte und Geschichtsschreibung: Dazu gehören die bürgerliche Salonnière (Interner Link: Rahel Varnhagen) ebenso wie die kommunistische Revolutionärin (Rosa Luxemburg), oder die vielfache Mutter, die weltlichen Unternehmersinn und religiöse familiäre Traditionsvermittlung im orthodoxen Sinne verbindet (Interner Link: Glickl von Hameln), bis hin zur liberalen Jüdin als erster in Deutschland ausgebildeter Rabbinerin (Interner Link: Regina Jonas).
In diesem Beitrag wird versucht, die Genese dieser verschiedenen Bilder zu erläutern. Es soll sichtbar werden, welche Besonderheiten die weibliche Seite der deutsch-jüdischen Geschichtserfahrung mit sich brachte. Hierzu gehört an erster Stelle die Frage, inwiefern die Geschichte jüdischer Frauen in der Moderne mit dem Ringen um eine mehrfache Emanzipation verbunden war – als Frau, als Jüdin, aber auch als Frau innerhalb des Judentums. Denn, andersherum formuliert: jüdische Frauen fanden sich häufig in einer mehrfachen Marginalisierungserfahrung. Als Frauen war ihnen in der patriarchal geprägten jüdischen Minderheit häufig länger die komplette Teilhabe verwehrt, als ihnen die gleichberechtigte Teilhabe als Staatsbürgerin am Leben der deutschen Gesellschaft verwehrt blieb. So etwa, wenn in Hamburg Frauen das innergemeindliche passive Wahlrecht erst 1933 erhielten – über ein Jahrzehnt nach Einführung des allgemeinen Interner Link: Frauenwahlrechts. Und zu guter Letzt gehört in ein solches Panorama auch der Hinweis auf die Fremdbeschreibung und stereotypen Zuschreibungen über "die jüdische Frau" – so etwa in literarischen Weiblichkeitsentwürfen, wie sie Anna-Dorothea Ludewig in ihrer Habilitationsschrift beschrieben hat.
II. Vor der Emanzipation: Zur Spannung zwischen festgelegten Rollen in der Vormoderne und offenen Handlungsräumen
Die historisch bedingt starke Konzentration der jüdischen Minderheit in Handelsberufen trug bereits in der Vormoderne zu einer besonderen Form des gemeinsamen Wirtschaftens bei. Zwar lag die prinzipielle Verantwortung auch in jüdischen Familien beim männlichen Familienoberhaupt, doch waren Frauen stark in die familiären Geschäfte eingebunden – zwar in einer geschlechtsspezifisch formierten, jedoch nicht nachrangigen Arbeitsteilung. Bereits für das Spätmittelalter geht man von etwa einem Drittel selbständig Handel treibender weiblicher Gemeindemitglieder aus. Zuweilen übernahmen Frauen alle wichtigen Funktionen im Geschäft, wenn ihre Ehemänner teils wochenlang abwesend waren und z.B. auf Handelsmessen reisten. Gerade als Minderheit in prekärer rechtlicher Lage schien es umso wichtiger, die Familien- und Eheverhältnisse möglichst gut abzusichern. Dies schlug sich auch in der Heiratspraxis nieder: die angebahnte Ehe über EhevermittlerInnen war lange selbstverständlich und häufig lebten junge Ehepaare zunächst in einem der Elternhäuser, bevor sie einen eigenen, in der Regel vergleichsweise kleinen Haushalt gründeten. Freilich, im Falle eines Ehezerwürfnisses war die Situation für Frauen ungleich schwieriger als für Männer, denn nur Männer konnten eine Scheidung einreichen und bewirken, Frauen waren dafür auf das Wohlwollen ihrer Männer angewiesen, musste doch ein Ehemann in eine etwaige Scheidung aktiv einwilligen und seiner Frau den Scheidungsbrief (den Get) gewähren. Witwen hingegen konnten deutlich selbständiger handeln und als Geschäftsfrauen tätig sein.
Die wohl bekannteste Jüdin in einer solchen Rolle ist Glikl bas Ley Pinkerle (auch: Glikl bas Juda Leib), bekannt als Interner Link: Glückel von Hameln (1645/6-1724). Ihre Memoiren, die sie auf jiddisch für ihre Familie verfasste und die Interner Link: Bertha Pappenheim (1859-1936) in deutscher Übersetzung 1910 veröffentlichte, gewähren uns Einblicke in die Alltags- und Lebenswelt einer Jüdin im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert – unmittelbar vor dem Jahrhundert der Interner Link: Emanzipation der deutschen Jüdinnen und Juden. Glückel von Hameln war bereits als Ehefrau aktiv in die Geschäfte des Mannes eingebunden. Zugleich wurde sie Mutter von 14 Kindern, von denen 12 das Erwachsenenalter erreichten und für deren religiöse Erziehung ebenso wie für ihre Verheiratung sie ebenfalls Sorge trug.
Diese besondere Form der Arbeitsteilung fand vor dem spezifischen Hintergrund der Interner Link: jüdischen Religiosität statt, die die Geschlechterhierarchie eher religiös festlegte. Gesellschaftlicher Status bemaß sich demnach eher am Erfolg im Studium von Talmud und Thora und war damit eine männliche Domäne. So lernten Jungen bereits früh lesen und schreiben – zunächst im Cheder (Bezeichnung für traditionelle, religiös geprägte Schulen), ab dem Alter von 13 Jahren in der Bar Mitzwa (mit der die religiöse Mündigkeit erreicht wird), dann möglichst in der Jeschiwa (Talmud-Hochschule). Durch die Notwendigkeit, Haushalt und Geschäft selbständig führen können zu müssen, lernten vermutlich auch Mädchen schon recht früh zuhause jiddisch lesen und schreiben. Diese klare geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – religiöse Bildung einerseits, weltliche Geschäftstätigkeit und Familienpflege andererseits – sollte jedoch nicht allzu sehr verallgemeinert werden. Dafür waren die Lebenswelten selbst der kleinen jüdischen Minderheit zu verschieden: bei den wohlhabenderen Familien der jüdischen Oberschicht – etwa der Hofjudenfamilien – war die Situation eine ganz andere als bei den städtischen Juden und erst recht anders in der ärmeren Landbevölkerung, die bis weit ins 18., teils auch noch im 19. Jahrhundert den Großteil der deutschen Juden ausmachte.
III. Zeitalter der Emanzipation
Salons und weibliche Handlungsräume
Die Situation der jüdischen Minderheit veränderte sich grundlegend ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Maßgebend dafür war die Haskala, die jüdische Aufklärungsbewegung. Sie läutete zwar das Zeitalter der Emanzipation ein – doch für jüdische Frauen schien sie zunächst neue Geschlechtsstereotype zu zementieren. In der neuen dichotomen Sicht sollte gerade das Bildungsideal der Aufklärung, der Maskil, keinesfalls auch auf Frauen übertragen werden. Die Lichtfigur der Haskala, Interner Link: Moses Mendelssohn, fasste dies in klare Worte gegenüber seiner Verlobten Fromet Guggenheim: "Eine mässige Lectür kleidet dem Frauenzimmer, aber keine Gelehrsamkeit. Ein Mädchen, das sich die Augen rotgelesen, verdint ausgelacht zu werden." Und doch veränderte sich in der Epoche der Aufklärung auch für Jüdinnen das vormoderne, hier schematisch dargestellte Rollenmodell, indem sie in der nun entstehenden bürgerlichen Gesellschaft neue Räume für neue Formen der Geselligkeit nutzten. Vielleicht gerade weil ihnen die bürgerliche Öffentlichkeit der Vereine verschlossen blieb, etablierte sich eine neue Form der weiblich geprägten Geselligkeit: die als "Salons" bekannt gewordenen offenen Häuser bürgerlicher Töchter und Ehefrauen wie etwa Henriette Herz (1764-1847) – sie gilt als erste jüdische Salonnière (wenngleich der Begriff erst nachträglich geprägt wurde) –, Dorothea Mendelssohn (1764-1839) oder Rahel Levin (1771-1833). Derartige Zusammenkünfte gingen zwar zurück auf eine adlige Form der Salonkultur, entwickelten sich jedoch ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer neuen Form der bürgerlichen Geselligkeit: sie ermöglichte jüdischen Frauen Begegnungen, mit der sie die Zurücksetzungen als Jüdinnen in der nichtjüdischen Gesellschaft und als Frauen in einer männlich geprägten Gesellschaft gleichermaßen zu überwinden vermeinten. Die Erinnerung an diese jüdisch und weiblich geprägten Salons der europäischen Großstädte nehmen einen fast schon ikonischen Platz in der Erinnerungskultur an die deutsch-jüdische Vergangenheit ein. Denn sie werden meist als ein Ort beschrieben, in dem Frauen und Männer konfessions- und standesübergreifend zusammenkamen. Meist vermögende Frauen luden dabei zum Tee zu sich nach Hause. Im Rahmen dieser Nachmittage boten KünstlerInnen, MusikerInnen, SchriftstellerInnen teils neueste Werke dar. So trat etwa die Komponistin Fanny Hensel (1805-1847) als Pianistin in diesem Rahmen auf. Allein dies zeigt die Besonderheit der Salons: denn Hensel blieb eine eigene, öffentliche Karriere als Pianistin verwehrt – im Rahmen der Salons jedoch konnte sie sich in einer neuen Nischenform einer Quasi-Öffentlichkeit präsentieren.
Transformation der Stellung von Frauen im Judentum: Debatte über die Emanzipation von Juden und Frauen im 19. Jahrhundert
Mit nur rund einem Jahrzehnt Abstand voneinander erschienen Ende des 18. Jahrhunderts zwei Streitschriften, die eine für unseren Kontext hier eindrucksvolle Parallele der Emanzipationsgeschichte aufmachen: Der preußische Regierungsbeamte Interner Link: Christian Wilhelm von Dohm (1751-1820) publizierte 1781 seine Schrift "Über die bürgerliche Verbesserung der Juden", 1792 legte Theodor Gottlieb Hippels den verblüffend analog formulierten Titel "Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" vor.
QuellentextChristian Wilhelm von Dohm: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781)
Nur der Pöbel, der es für erlaubt hält, einen Juden zu hintergehen, gibt ihm schuld, daß er nach seinem Gesetze fremde Glaubensgenossen (Leute anderen Glaubens) betrügen dürfe, und nur verfolgungssüchtige Priester haben Märchen von den Vorurteilen der Juden gesammelt, die nur ihre eigenen beweisen. Die der Menschlichkeit und der Politik gleich widersprechenden Grundsätze der Ausschließung, welche das Gepräge der finsteren Jahrhunderte tragen, sind der Aufklärung unserer Zeit unwürdig und verdienen schon längst nicht mehr befolgt zu werden. Unseren fest gegründeten Staaten müsste jeder Bürger willkommen sein, der die Gesetze beobachtet und durch seinen Fleiß den Reichtum des Staates vermehrt. Auch der Jude hat auf diesen Genuß, auf diese Liebe Anspruch. Seine Religion macht ihn ihrer nicht unwürdig, da er bei ihrer strengsten Befolgung ein sehr guter Bürger sein kann. Ich wage es, selbst die standhafte Anhänglichkeit an die nach ihrem Glauben ihren Vätern verliehene Lehre von Gott dem jüdischen Charakter als einen guten Zug anzurechnen. Was der Christ Blindheit und verstockte Hartnäckigkeit nennt, ist beim Juden standhafte Beharrlichkeit bei dem, was er einmal als göttliches Gebot glaubt. Wer kann sich versagen, den Juden hochzuachten, den keine Marter bewegen konnte, von seiner Religionsvorschrift abzugehen, und den Nichtswürdigen zu verachten, der um des Vorteils willen sich (von ihr) lossagt und den christlichen Glauben mit den Lippen bekennt? Schon allein die Anhänglichkeit an den uralten Glauben gibt dem Charakter der Juden eine Festigkeit, die auch zur Bildung ihrer Moralität überhaupt vorteilhaft ist. Ihre Armen fallen dem Staate nicht zur Last; die ganze Gemeinde nimmt sich ihrer an. Das häusliche Leben genießen sie mit mehr Einfachheit. Sie sind meistens gute Ehemänner und Hausväter. Der Luxus ist auch unter ihren Reichen noch lange nicht soweit gestiegen, als bei den Christen von gleichem Vermögen. Dem Staate sind sie überall ergeben, und sie haben oft in Gefahren einen Eifer bewiesen, den man von so wenig begünstigten Gliedern der Gesellschaft nicht erwarten sollte.
Julius Höxter, Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur, hg. u. erg. von Michael Tilly, Wiesbaden 2009, S. 481
Immer wieder ist in der Forschung festgestellt worden, dass "Juden, genauer: jüdische Männer, sehr viel schneller und gründlicher als Frauen, in der bürgerlich-modernen Gesellschaft Fuß" fassen konnten. Erst wenn wir also unsere historische Betrachtung der deutsch-jüdischen Geschichte um die weibliche Perspektive erweitern, können wir die lange Dauer dieses von vielen Rückschlägen begleiteten Emanzipationsprozesses begreifen. Wenn die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Minderheit zwar im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm, so ist sie doch erst im 20. Jahrhundert, als auch jüdische Frauen die vollen Rechte erhielten, tatsächlich abgeschlossen gewesen. Dohms Versprechen an die deutschen Juden besagte: die Bereitschaft, zu "nützlichen" Bürgern der Gesellschaft zu werden, würde mit dem Recht auf volle Gleichstellung belohnt werden. Die Aussicht hierauf nahm die jüdische Minderheit begeistert an, so dass die Verbürgerlichung gleichsam zum Topos des 19. Jahrhunderts wurde – sowohl von den Zeitgenossen wie auch in der geschichtswissenschaftlichen Bewertung. Hippel nun ergänzte diese zweckmäßig geprägte Gesellschaftsidee um die potenzielle Nützlichkeit der Frau: "Ist es nicht unverzeihlich, die Hälfte der menschlichen Kräfte ungekannt, ungeschätzt und ungebraucht schlummern zu lassen-?"
Ebenso wie in der Gesamtgesellschaft am Beginn der Moderne wurde nun zunehmend auch innerjüdisch über Interner Link: Geschlechterrollen diskutiert – zunächst jedoch weitgehend von Männern unter Männern. Ausgehend von der zweiten Generation der jüdischen Aufklärer (Maskilim) befassten sich im 19. Jahrhundert zahlreiche Abhandlungen – in religiösen Dokumenten wie Predigten ebenso wie in neuen Zeitschriften – mit der Rolle der jüdischen Frau und den neuen Herausforderungen, etwa im Kontext der jüdischen Interner Link: religiösen Reformbewegung. Diese erhob die Bedeutung der Frau nun zur "Priesterin des Hauses": in der neuen, aufgeklärt und modern verfassten religiösen Gemeinschaft sollte Frauen die Funktion zukommen, innerhalb der Familie jüdische Religiosität zu vermitteln, während die Männer sich im nurmehr bürgerlichen Idealbild in der Rolle des Ernährers und neuen Staatsbürgers sahen. Damit veränderte sich die traditionelle Geschlechterdichotomie und -hierarchie nicht, sondern verwandelte sich nur in eine neue Form der geschlechtsspezifischen familiären Arbeitsteilung. Zwar wurde nun in der religiösen Praxis etwa der Reformjuden auch ein Religionsunterricht für Mädchen eingeführt und diese konnten eine eigene Form der "Konfirmation", die Bat Mitzwa, erlangen. Doch nach wie vor war die jüdische Religion noch weit von einer Gleichstellung der Frau im Judentum entfernt – diskutiert wurde diese aber zunehmend. Die Reformbewegung mit gemischtem Chorgesang und geöffneter Frauenempore – die Frauen die sichtbare Teilnahme am Gottesdienst ermöglichte – sind ein Beispiel für die sich eröffnenden Handlungsspielräume im 19. Jahrhundert.
IV. Kaiserreich
Jüdinnen in der deutschen Frauenbewegung
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzten sich Frauen zunehmend für die Ausweitung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe ein. Die für die Emanzipation der Frauen kämpfende neu entstehende Interner Link: Frauenbewegung trat etwa für ein Recht auf weiterführende Bildung und die Öffnung von Berufsfeldern für Frauen ein. Auch Jüdinnen engagierten sich in diesem Rahmen, wenngleich auf verschiedene Weise: teils als publizistische Stimme in der Öffentlichkeit – wie etwa Fanny Lewald-Stahr (1811-1889), Jenny Hirsch (1829-1902) oder Hedwig Dohm (1831-1919) –, teils als Pionierinnen einer Interner Link: modernen Form der Wohltätigkeit, die z.B. den neuen Frauenberuf der Sozialarbeiterin förderte, wie etwa Alice Salomon (1872-1948) und Jeanette Schwerin (1852-1899). In Vereinen der allgemeinen Frauenbewegung ging es freilich weniger um jüdische Angelegenheiten, doch auch innerjüdisch organisierten sich Frauen: 1897 gründeten sie als Variante der in Deutschland 1882 gegründeten Bnai Brith-Logen eigene Bnai Brith-Schwesternverbände. Der bedeutendste Schritt in diesem Feld war zweifellos der 1904 gegründete Jüdische Frauenbund (JFB), den Bertha Pappenheim und Sidonie Werner (1860-1932) maßgeblich auf den Weg brachten. Den nötigen Schwung für die Gründung lieferte ihnen wohl eine Tagung des International Council of Women in Berlin. Zentrales Thema und Beweggrund war dabei der Kampf gegen den jüdischen Mädchenhandel. Dieser hatte um die Jahrhundertwende besorgniserregend zugenommen, als tausende von armen jüdischen Familien aus Osteuropa nach Deutschland kamen und Armut und Hilflosigkeit alleinstehende jüdische junge Frauen häufiger zu Opfern von Menschenhändlern werden ließen.
Eine zweite zentrale Forderung der frühen Frauenbewegung war es, Ausbildungsplätze für Frauen zu schaffen. Eine der Vorkämpferinnen dafür war die jüdische Frauenrechtlerin Henriette Goldschmidt (1825-1920), die zu diesem Zweck 1911 in Leipzig die Hochschule für Frauen gründete. Dort konnten Frauen Abschlüsse als Fürsorgerinnen bis hin zu Qualifikationen zur Leitung von Wohlfahrtsorganisationen erwerben. In diese Richtung gehört ebenfalls die 1908 von Alice Salomon gegründete "Soziale Frauenschule": sie verstand sich als Ausbildungsstätte für Frauen, die die Modernisierung des städtischen Fürsorgesystems voranbringen sollte, zu der eben auch die Professionalisierung weiblicher Wohltätigkeit gehörte. Vermutlich lässt sich sagen, dass jüdische Frauen um 1900 über das Vehikel der weiblichen Fürsorgepflicht sich die staatsbürgerliche Gleichberechtigung und Anerkennung zu erarbeiten erhofften – ebenso wie es sich rund ein Jahrhundert zuvor ihre männlichen Glaubensgenossen auf das Versprechen von Dohm hin von der "bürgerliche[n] Verbesserung der deutschen Juden" erhofft hatten.
Der JFB sollte zur größten jüdischen Frauenorganisation im Interner Link: Deutschen Kaiserreich und der Interner Link: Weimarer Republik werden: 1935 hatte er eine Mitgliederzahl von mehr als 50.000 und war in 42 Ortsgruppen mit 430 angeschlossenen Vereinen organisiert. Ab 1907 war er Teil des Bundes Deutscher Frauenvereine, Dachverband der Frauenvereine in Deutschland. In seiner Satzung setzte sich der JFB zum Ziel: die Förderung der Berufsausbildung und damit des Erwerbslebens jüdischer Frauen, die Bekämpfung der Prostitution, die Stärkung der Rolle von Frauen innerhalb der jüdischen Gemeinden und allgemein die Hebung des Selbstbewusstseins jüdischer Mädchen und Frauen.
Bertha Pappenheim, die Gründerin des JFB, stammte aus Wien und erfuhr am eigenen Leib die Zurücksetzung als Frau, konnte sie doch trotz außergewöhnlicher Begabung als Frau keine weiterführende Schulausbildung erhalten. Bereits 1890 hatte sie begonnen, in Frankfurt am Main ehrenamtlich für die Israelitische Suppenanstalt der jüdischen Gemeinde zu arbeiten. Diese unmittelbare Begegnung mit Armut und Bedürftigen mag ein weiterer Auslöser dafür gewesen sein es sich zur Lebensaufgabe zu machen, sich für stärkere Selbständigkeit von Frauen einzusetzen. So scheint es nur folgerichtig, dass sie ab 1895 die Israelitische Mädchenwaisenanstalt leitete und sich fortan auch öffentlich verschiedentlich für das Recht von Frauen auf Bildung und Berufstätigkeit einsetzte.
Zum Arbeitsfeld des JFB gehörte auch der Kampf für das Wahlrecht von Frauen in den jüdischen Gemeinden – eine Forderung, die in einigen Gemeinden erst zum Ende der Weimarer Republik umgesetzt werden konnte. Innerjüdisch mussten Frauen mancherorts länger auf ihre Gleichstellung warten als in der deutschen Gesamtgesellschaft. Der JFB bestand zwar über das Jahr 1933 hinaus, wurde gleichwohl nach den Interner Link: Pogromen im November 1938 verboten und in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland überführt.
Der JFB war aber nur eine von zahlreichen Vereinigungen, in denen Frauen sich zu organisieren begannen. Auch die Zionistische Organisation (Gründung beim 1. Zionistischen Weltkongress 1897) versprach Frauen mehr Teilhabe – hier jedoch (trotz eigener Organisationseinheiten wie der Interner Link: Women’s International Zionist Organisation, WIZO) eher als Teil der gesamten zionistischen Idee, die ihnen die Gleichberechtigung in der neu aufzubauenden Gesellschaft in Aussicht stellte. Dies schlug sich zumindest symbolisch darin nieder, dass Frauen auf dem zweiten Zionistenkongress in Basel im Jahr 1898 sowohl das aktive wie passive Wahlrecht erhielten – auch wenn dadurch keine wirklich quantifizierbare Beteiligung von Frauen in der zionistischen Organisation sichtbar wurde. Doch schon früh schlossen sich Zionistinnen etwa in Jüdisch-Nationalen Frauenvereinigungen zusammen, gründeten 1907 den "Jüdischen Frauenverein für kulturelle Arbeit in Palästina" und vereinten sich im Dachverband des Bundes Zionistischer Frauen im Jahr 1923.
V. Weimarer Republik – Jüdische Frauen in Wissenschaft und Öffentlichkeit
Nach dem Interner Link: Ersten Weltkrieg hatten Jüdinnen eine zuvor ungekannte Gleichstellung als Frauen und als jüdische Staatsbürgerinnen gleichermaßen erlangt: 1918 wurde das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen eingeführt und mit Gründung der Weimarer Republik schien die vollständige rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Jüdinnen und Juden erreicht. Die Jahre der Weimarer Republik konnten sie somit sowohl als Jüdinnen wie auch als Frauen als Blütezeit erleben, wie vielen Selbstzeugnissen und literarischen Zeugnissen jener Jahre zu entnehmen ist. Zu diesen gehörte die Selbst- und Fremdwahrnehmung als Interner Link: "Neue Frau", die erwerbstätig war, sich dabei unverändert weiterhin als Hüterin der Familie sah und zugleich politisch und kulturell am gesellschaftlichen Leben aktiv teilnahm. Diese Entwicklung war eine insbesondere großstädtische, wo mit neuen Dienstleistungsberufen wie etwa in den Warenhäusern und als Angestellte ganz neue Betätigungsfelder für Frauen entstanden. Von den erwachsenen Jüdinnen unter 65 Jahren waren etwa ein Drittel erwerbstätig; eine in Berlin entstehende Sektion des Soroptimist-Klubs, einer internationalen Vereinigung berufstätiger Frauen, zeugt von diesem neuen, von Berufstätigkeit geprägten Selbstverständnis der "Neuen Frau". Auch im akademischen Feld bemühten sich Frauen um Anerkennung und Teilhabe, auch wenn dies weiterhin von erheblichen Hindernissen geprägt war. So ist etwa die Karriere der Historikerin Externer Link: Selma Stern (1890-1981), eine der ersten in Deutschland promovierten Frauen im Fach Geschichte, eher als Ausnahme denn als Selbstverständlichkeit zu sehen. Waren zwar die Vorbehalte gegenüber Juden im akademischen Dienst vielleicht allmählich von der Realität überholt worden, so blieben sie gegen Frauen im wissenschaftlichen Betrieb unvermindert bestehen. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts konnten Frauen einen höheren Schulabschluss erwerben, ab 1900 öffneten erste deutsche Universitäten – zunächst in Baden – ihre Tore auch für Frauen. Seither waren Jüdinnen überproportional stark in weiterführenden Schulen vertreten und strömten, sobald die Barrieren fielen, auch an die Hochschulen und Universitäten. Selma Stern publizierte als Historikerin über jüdische Frauen und die jüdische Geschichte Preußens. Von 1920 bis zu ihrer Schließung im Jahr 1934 arbeitete sie als Historikerin bei der Akademie für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. An diese Karriere konnte sie nach der Flucht aus Deutschland mit ihrem Ehemann Eugen Täubler im amerikanischen Exil zwar nicht anknüpfen. Sie forschte und publizierte jedoch weiter und arbeitete als Archivleiterin der American Jewish Archives am Hebrew Union College in Cincinnati. Ebenfalls gehörte sie zu den Mitbegründerinnen des Interner Link: Leo Baeck Instituts, der bedeutendsten Forschungseinrichtung deutsch-jüdischer Emigranten, die 1955 in Jerusalem, London und New York entstand und erst 1992 mit der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des LBI eine Vertretung in West-Deutschland erhielt.
VI. Nationalsozialismus – Geschlechtsspezifische Verfolgungserfahrung
Bereits frühe nationalsozialistische Gesetze wie das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 betrafen jüdische Männer und Frauen in erheblichem Maße. Und im weiterhin größeren Sektor der Erwerbstätigkeit der jüdischen Bevölkerung, dem Handels- und Angestelltenwesen, traf eine Kündigung häufiger als erstes Frauen statt Männer, da diese als Familienväter teils länger in Dienst gehalten wurden. Zugleich führten der steigende Verfolgungsdruck und die vielfach daraus folgenden finanziellen Engpässe jüdischer Familien dazu, dass es häufig Frauen waren, die in zwar schlecht bezahlten, aber weiterhin verfügbaren Arbeitsbereichen wie etwa als Näherinnen oder Haushaltshilfen für das Auskommen ihrer Familien sorgen mussten. So fanden sich beispielsweise im Jahr 1937 dreimal mehr Stellenanzeigen für Frauen als für Männer im Israelitischen Familienblatt.
Zu den geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Verfolgungserfahrungen im NS für Frauen gehörte auch die unterschiedliche Erfahrung in der Emigration. Vor allem in den Anfangsjahren emigrierten deutlich mehr Männer – häufig mit der Absicht, im potenziellen Exilland zunächst Fuß zu fassen und anschließend die Familie nachzuholen. Um dem entgegenzuwirken, förderte zum Beispiel der JFB mit eigenen Ausbildungsstätten (1933 waren dies noch vier, 1938 schon 21) die Vermittlung von Frauen ins Ausland. In Deutschland blieben kurz vor Interner Link: Kriegsbeginn 1939 vor allem jüdische Frauen, Arme und Alte zurück: 75 Prozent der jüdischen Bevölkerung waren älter als 40, ein Drittel älter als 60, ca. 40 Prozent waren weiblich, und von den alleinstehenden Verwitweten waren 28.347 Witwen gegenüber 6.674 Witwern.
Beispielhaft sei hier Gabriele Tergit (1894-1982), geborene Elise Hirschmann, genannt: sie hat die Erfahrungen des Bruchs von der großen Freiheit in der Weimarer Republik zur neuerlichen Verunsicherung und Heimatlosigkeit infolge der NS-Verfolgung und Vertreibungen in ihrem Familienroman "Effingers" verarbeitet. Tergit war bereits 1933 mit ihrem Mann und Sohn über die Tschechoslowakei zunächst nach Palästina geflohen und von dort 1938 weiter nach London emigriert. Was aus diesem Roman freilich auch hervorscheint, ist die Neugier und beinahe Abenteuerlust, die nach geglückter Ankunft im Exilland einige Frauen ergriff – und sie darin deutlich vom Umgang der männlichen Emigranten unterschied, deren Erfahrung eher von der Verlusterfahrung geprägt war, die mit dem unmittelbaren, meist professionellen Statusverlust durch die Emigration zusammenhing.
VII. Neuanfänge nach 1945
1933 lebten über 500.000 Jüdinnen und Juden in Deutschland. Nach Kriegsende befanden sich auf deutschem Boden schätzungsweise 18.000 bis 20.000 als Jüdinnen und Juden verfolgte Deutsche. Diese hatten zu einem großen Teil in so genannten "privilegierten Mischehen" überleben können, zu einem kleineren Teil in Versteck und "Illegalität". Hinzu kamen rund 9.000, die Todesmärsche und Konzentrationslager überlebt hatten und eine etwa gleich große Gruppe an Remigranten, die bis in die 1960er Jahre hinein nach Deutschland zurückkehrten. Die größte Gruppe jedoch, aus der sich das deutsche Nachkriegsjudentum entwickelte, waren die Interner Link: jüdischen Displaced Persons (DPs), die Ende 1946 ca. 250.000 Jüdinnen und Juden zumeist osteuropäischer Herkunft zählten – der Großteil davon in der amerikanischen Zone.
In den DPs-Lagern kam es zu einem regelrechten Baby-Boom, auf zahlreiche Eheschließungen folgte eine Kinderanzahl, die die Geburtenrate in Nachkriegsdeutschland kurzfristig massiv nach oben schnellen ließ. Die Mehrheit dieser DPs verblieb freilich nicht in Deutschland, sondern wanderte baldmöglichst aus – die meisten in den Interner Link: 1948 neugegründeten Staat Israel. Etwa 30.000 jüdische DPs verblieben in Deutschland. Diese bildeten den Grundstock der jüdischen Gemeinden. Dort gelangten wieder Männer in die Führungspositionen und Frauen (häufig zugleich die Ehefrauen der Funktionäre) übernahmen die fürsorgerischen Aufgaben wie etwa die Versorgung in den Altenheimen, den Kindergärten und den Küchen in den Gemeinden.
Ein ganz eigenes Kapitel bildete die Geschichte jüdischer und kommunistischer Frauen, die unter anderem ebenso wie Männer (wenngleich in deutlich geringerer Zahl) nach 1949 aus ihren Exilländern zurück nach Deutschland kamen, um die sozialistische Gesellschaft in der DDR aufzubauen. Bis heute bleibt es allerdings Interner Link: ein wenig beachtetes Kapitel deutsch-jüdischer Geschichte; und auch die Frage, Interner Link: warum diese Frauen ins Land der Täter zurückgegangen sind – zum Beispiel die Kinderärztin Interner Link: Inge Rapoport (1912-2017) –, bleibt noch weiter zu erforschen. Die Geschichte jüdischer Frauen in der DDR konnte mithin auch rein symbolischer Natur sein: so trugen rund 150 Einrichtungen und Kollektiven in der DDR den Namen der 1942 ermordeten Olga Benarios (1908-1942) und erinnerten damit an eine Kommunistin, die bereits mit 17 Jahren das erste Mal wegen des Verdachts auf Vorbereitung zum Hochverrat kurzzeitig verhaftet worden war und sich später als Revolutionärin militärisch ausbilden ließ, 1935 nach Brasilien emigrierte, wo sie sich an der Revolution gegen die antikommunistische Diktatur Getúlio Vargas beteiligte und vier Jahre später im Untergrund verhaftet und an das nationalsozialistische Deutschland ausgeliefert wurde. Weder zeitgenössisch noch in der Erinnerung war dabei die jüdische Herkunft wesentlich – bekannt und erinnert wurde Olga Benario, ebenso aber auch die später zur Antikommunistin gewandelte Ruth Fischer (1895-1961) oder Rosa Luxemburg (1871-1919), wegen ihrer politischen Aktivitäten und nicht in erster Linie als Frau oder Jüdin.
In der BRD gründeten die Frauenrechtlerin Interner Link: Jeanette Wolff(1888-1976), Ruth Galinski (1921-2014) und Lilli Marx (1921-2004) im Jahr 1953 erneut unter dem Namen "Jüdischer Frauenbund" eine Organisation, die sich als Erbe und Nachfolgerin des in der NS-Zeit aufgelösten JFB sah. Die Aufgaben, die nun im Zentrum standen, waren jedoch andere – vor allen Dingen gehörte dazu die Unterstützung der Überlebenden der Shoah. Der JFB besteht mit rund 30 Ortsgruppen bis heute. Ebenfalls die zionistische Frauenorganisation WIZO, die ab 1947 in Westdeutschland erneut Fuß fassen konnte und kurz darauf 4.000 Mitglieder hatte. Die in der öffentlichen Wahrnehmung männlich geprägten Anfänge des Wiederaufbaus jüdischen Lebens wurden schließlich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend durch prominente Frauen aufgebrochen – hoher symbolischer Bedeutung kommt dabei sicherlich Charlotte Knobloch (geb. 1932) zu, die von 2006 bis 2010 Präsidentin des Zentralrats der Juden wurde. Seitdem ist die Zahl sichtbarer Jüdinnen in der jüdischen und nichtjüdischen Öffentlichkeit größer und selbstverständlicher geworden. In Vielem knüpfen Frauen zumindest symbolisch an Vorbilder aus der Vorkriegszeit an: feministische, religiöse Jüdinnen beten gemeinsam mit längst Interner Link: in Deutschland ausgebildeten Rabbinerinnen, berufen sich auf die 1944 in Auschwitz ermordete und erste in Deutschland zur Rabbinerin ausgebildete Regina Jonas (1902-1944), organisieren sich in der Interner Link: jüdischen Fraueninitiative Bet Debora oder treffen sich in neuen Formen Jüdischer Salons. Die neue jüdische Gemeinschaft, die seit den 1990er Jahren maßgeblich vom Erbe Interner Link: der als "Kontingentflüchtlinge" bezeichneten Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion geprägt ist und zunehmend auch außerhalb der jüdischen Gemeinden präsent ist, knüpft damit an das deutsch-jüdische Vermächtnis der Vorkriegszeit an – freilich in neuer Form und mit neuen Themen.
Miriam Rürup ist Historikerin und Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien und Professorin an der Universität Potsdam. Sie ist zugleich Vorsitzende der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Institutes und befasst sich seit langem mit Projekten der Digital Humanities in den Jüdischen Studien, aktuell mit dem Aufbau eines Portals zur Jüdischen Geschichte Online.