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Punk in Deutschland | Jugendkulturen in Deutschland (1950-2005) | bpb.de

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Punk in Deutschland

Klaus Farin

/ 3 Minuten zu lesen

Punk in Deutschland war von Anfang an durch die Medien geprägt. Eher Mode als soziale Bewegung. Natürlich ging es auch um Musik, doch im Mittelpunkt des Interesses stand die Möglichkeit der Abgrenzung und Provokation allein schon durch das Outfit.

1984: Punks am"NKZ", dem Neuen Kreuzberger Zentrum - einem bekannten Treffpunkt der Szene in Berlin. (© AP)

"Meine Mutter ist bei den Hardcore-Katholiken von Opus Dei. Aus diesem bleiernen Zustand musste ich mich erst mal befreien. Zuerst über Kiffen und Drogengeschichten. Und dann bin ich zu Beginn der achten Klasse zum ersten Mal von der Schule geflogen. Da hatte ich nur Scheiße gemacht. Toiletten angezündet. Nur rumrandaliert. Um so was ging es dann auch in der Musik. Ich habe etwas richtig Wildes gesucht. Ich bin dann in den Sommerferien 1977 nach London gefahren. Das war kulturschockmäßig. Ich habe die Hälfte meiner Klamotten weggeschmissen – und den Koffer voll gestopft mit Punkplatten, -klamotten und blauer Haarfarbe. Zu Hause war das dann völlig irre. In der U-Bahn war das mit den blauen Haaren echt Spießrutenlaufen. Die sind völlig schockiert gewesen. Aber das wollte ich ja. Ich zog mir mitten im Unterricht eine Sicherheitsnadel durch Wange und Ohr, sodass die Mathelehrerin noch einmal nach Luft schnappte und einfach umfiel. In der Folge habe ich schnell gemerkt, dass diese ganzen 68er Hippielehrer mit langen Haaren im Grunde genauso faschistoid waren wie irgendwelche Pfaffen. Gerade unter den Hippies waren viele, die extrem auf meine Haare reagiert haben. Für die gab es nur kurzhaarige Spießer und langhaarige coole Typen. Von daher passte ich nicht in deren dialektisches Weltbild. Für die hatte man in meinem Alter in Teestuben rumzuhängen und Cat Stevens und diese ganze Dudelmusik zu hören." (Gode, Jahrgang 1961, Gitarrist bei den Coroners, Front und Mona Mur, a.a.O., S. 59f.)

"Ich war damals schon Anfang 20, war in Polit-, Sponti- und Alternativkreisen unterwegs und machte einen Laden namens 'Schwarzmarkt', eine Mischung aus Buchladen und Infozentrum. Während dieser RAF-Anschläge haben wir auch Infos rausgegeben, wo deren Erklärungen abgedruckt wurden. Einfach aus unserem demokratischen Verständnis heraus, dass nichts unterdrückt werden darf. Bis dahin hatte ich mich nur wenig für Musik interessiert. Bis die Sex Pistols in England explodierten. Was meine Alternativenfreunde gar nicht verstehen konnten. Ich wurde als Faschist beschimpft. Weil ich solche Platten mitbrachte. Was wolle ich denn auf einmal mit diesen rechten Typen, die alle kurze Haare haben?" (Klaus Maeck, Inhaber des Rip-Off-Vertriebs und Manager der Einstürzenden Neubauten, a.a.O., S. 63f.)

"Mit den Linken wollte ich mich nicht identifizieren. Für mich standen die für: Strickpullover, Jesuslatschen, Teestube und Karl-Marx-Bücher-Lesen. Das war alles so langweilig und geschwätzig." (Harry Rag, Jahrgang 1959, Sänger und Gitarrist von S.Y.P.H., a.a.O., S. 73f.)

"Das war die beste Abgrenzung zu diesen ganzen Grün-Alternativen. Und das waren in den Siebzigern ja die typischen Jugendlichen. Punk richtete sich ja weniger gegen die ältere Generation. Sondern es ging darum, was politisch völlig unkorrekt gegenüber diesen Grün-Alternativen wäre. Die immer über alles diskutieren wollen." (Ralf Dörper, Jahrgang 1960, Musiker bei S.Y.P.H., den Krupps und Propaganda, a.a.O., S. 52)

Der links-alternative Zeitgeist der Siebzigerjahre war den Punks suspekt. Die Repräsentanten der "Linken", von den Punks meist klischeehaft als "Hippies" tituliert, erschienen ihnen zu langweilig, zu verkopft-intellektuell, zu spaßfeindlich, zu dogmatisch, zu "weich", und das bedeutete für viele auch: zu wenig "männlich". "Von denen kam nie was Aggressives zurück. Dazu waren die immer zu lasch." (Ralf Dörper, a.a.O.) Die Punks nahmen den "Hippies" ihre Toleranz und Friedfertigkeit ebenso wenig ab wie ihre Bereitschaft zur Veränderung der Gesellschaft. Für sie waren die "Hippies" von gestern Lehrer, Musikredakteure und scheinheilige Spießbürger; und so setzten sie viel Energie dafür ein, ihnen Verhaltensweisen zu entlocken, die ihre (Vor-) Urteile bestätigten.

"Die Siebzigerjahre waren ja Kleinbürgertum in vollendeter Form. Deswegen hat es ja auch so Spaß gemacht, diese Leute zu provozieren. Aber das musste wirklich überlegt sein. Es ging mir immer darum: Wo sind Schwachpunkte? Wo wird geheuchelt?" (Chrislo Haas, Jahrgang 1956, Synthesizer- und Sequencermann bei Minus Delta +, DAF und Liaisons Dangereuses, a.a.O., S. 177)

Quellen / Literatur

Teipel, Jürgen: Verschwende Deine Jugend. Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave. Frankfurt am Main 2001.

Fussnoten

Weitere Inhalte

ist Fachautor, Dozent und Leiter des Externer Link: Archiv der Jugendkulturen sowie des gleichnamigen Verlages.