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"Früher war alles besser..." | Jugendkulturen in Deutschland (1950-2005) | bpb.de

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"Früher war alles besser..."

Klaus Farin

/ 9 Minuten zu lesen

Früher war alles besser, möchte man fast glauben, wenn man "die Älteren" so reden hört. Weniger Gewalt, mehr Engagement, "Pflichtbewusstsein", statt "Immer nur Spaß haben wollen".

Indie-Rock aus Hamburg: Tocotronic wirkten nicht nur textlich stilbildend, sondern auch was den Kleidungsstil angeht. (© AP)

Früher war alles besser, möchte man fast glauben, wenn man "die Älteren" so reden hört. Weniger Gewalt, mehr Engagement, "Pflichtbewusstsein", statt "Immer nur Spaß haben wollen", und "wenn wir uns mal geprügelt haben und einer lag am Boden, dann haben wir dem wieder aufgeholfen und nicht noch mit zwanzig Mann draufgetreten wie die heute". Moderne Mythen. Modern allerdings nur in der thematischen Fokussierung. Aus dem Blickwinkel der Älteren war die gerade aktuelle Jugend schon immer die schlimmste, dümmste, respektloseste etc. – nur noch übertroffen durch die demnächst folgende, die garantiert noch schlimmer, dümmer, respektloser etc. ausfallen wird. So sahen Beobachter bereits in den frühen 60er-Jahren die Jugend fest im Griff der "Konsum- und Kulturindustrie". Die Folge: "Gelegentliche Formen des Ernstes und der Sammlung erweisen sich als Ausnahmen", stelllt Friedrich Tenbruck in seinem Standardwerk "Jugend und Gesellschaft" fest. Die Jugend im Eventtaumel:

"Unstetigkeit, Impulsivität und Unsicherheit gelten herkömmlich als jugendliche Merkmale. Sie blieben jedoch früher Einsprengsel innerhalb umfassenderer Verhaltensstrukturen von größerer Festigkeit. Bei der modernen Jugend herrschen sie vor. Labilität und Gestaltlosigkeit sind Kennzeichen des normalen jugendlichen Verhaltens geworden. Das zeigt sich sinnfällig schon an den in Musik, Tanz, Sprache, Umgang gepflegten Formen. Zu dem Formverlust gesellt sich ein Erlebnisdrang, der ebenso sinnfällig an den Mitteln und Inhalten der Unterhaltung, der Freizeit und des Umgangs hervortritt. Auch hier ist die Radikalisierung unverkennbar. Aus dem Hunger nach dem bewegenden Erlebnis, der Teile der europäischen Jugend bereits um die Jahrhundertwende erfasst hatte, ist der Traum geworden, das Leben als eine bloße Folge von Ereignissen zu verbringen" (Tenbruck 1962, S. 47f.).

"Wenn nicht ein grundsätzlicher Wandel eintritt, kann eine Umkehrung des Machtverhältnisses der Generationen in naher Zukunft die Folge sein, zumal bei der älteren Generation teilweise schon deutliche Anzeichen der Resignation und Kapitulation vor der neuen Jugendmacht festzustellen sind", versuchte neun Jahre später der 29-jährige Horst Opaschowski (1971, S. 34) die Alten vor seiner eigenen Generation zu warnen und dokumentierte in seinem erschütternden Report "Der Jugendkult in der Bundesrepublik" schauerliche Fallbeispiele einer entarteten Jugend: "Wussten Sie schon,

  • dass der Protest-Sänger Bob Dylan die Losung ausgab: "Trau keinem über 30";

  • dass ein 25-köpfiges Gremium 14 bis 21-jähriger Jugendlicher ("Jugendrat") das Recht hat, in allen "gesamtpolitischen Interessen und Bedürfnissen" der Jugend Anträge an den Stadtrat der Stadt Nürnberg zu stellen, über die innerhalb von drei Monaten beraten werden muss;

  • dass sich 1968 westdeutsche Schülerzeitungsredakteure in Bad Lauterberg versammelten und dafür plädierten, Leute über 60 einzuschläfern ..." (a.a.O., S. 15f.).

"Tatsächlich waren Rebellionen der Jugend gegen die Generation ihrer Eltern und gegen Obrigkeiten selten und nur auf Minderheiten beschränkt", stellt dagegen Klaus Wahl vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. "Der Großteil der Jugend war zu allen Zeiten recht angepasst, er imitierte die ältere Generation in vielen Dingen." (Das Parlament 3- 4/1996)

Dennoch muss man wirklich nicht lange suchen, um beinahe aus jedem Jahrhundert seit Aristoteles entnervte Kommentare meist älterer Männer über die nachrückende Jugend aufzuspüren. Auch die meist überdeutlich mitschwingenden Motive für diese konstante Jugendfeindlichkeit sind immer die gleichen:

  • die Glorifizierung und Verschönerung der eigenen Jugendzeit bei gleichzeitiger Verdrängung der eigenen Fehltritte;

  • Konkurrenzgefühle und Neid nicht nur im Wettstreit um die schwindenden materiellen Ressourcen: In einer Gesellschaft, in der Jugend zum Kult erhoben wird und Ältere mangels einer eigenen Lebensstilidentität nur die Wahl haben zwischen jung oder peinlich, signalisieren reale Jugendliche, dass man selbst nicht mehr dazugehört, so sehr man sich auch anstrengt, "jung" zu bleiben. "Hinter dem Jugendkult der Erwachsenen verbergen sich unterschwellige Gefühle des Lebensneides. Was sie in ihrer Jugend mit Mühen aufgebaut und geschaffen haben, kostet die heutige Jugend nun ganz selbstverständlich aus. Sie müssen täglich mitansehen, wie die Jugend ihr Jungsein erlebt und genießt; sie fühlen sich betrogen. Hinter ihren oft massiven Klagen über die heutige Jugend verstecken sich Traurigkeit und Bitterkeit darüber, dass sie eine bedauernswert "normale Jugend verlebt haben. Ihr verständlicher Wunsch, sich wenigstens heute die Privilegien des Jungseins zurückzuholen, bleibt unerfüllt. Je mehr sie ihrer verlorenen Jugend nachlaufen, umso mehr tragen ihre vergeblichen Versuche die Züge einer Zivilisationsneurose, die die Jugendlichen nur noch jünger und die Erwachsenen älter erscheinen lässt" (Opaschowski 1971, S. 46).

Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenslage und der Gesellschaft und Politik im Allgemeinen: Jugend als Blitzableiter und Sündenbock für die Erwachsenenwelt. Eigene Unsicherheit: Die Gesellschaft unterliegt einem steten Wandel, und der Motor dieses Wandels scheinen die Jungen zu sein. Also sind diese schuld, wenn ich nicht mehr mit dem Tempo des Wandels mithalten kann, das Neue nicht mehr verstehe.

Richtig ist: Die Welt wird immer komplexer, jeder Einzelne von uns immer abhängiger von anonymen Instanzen und Prozessen, deren Logik und Funktionsweisen wir nicht mehr vollständig erfassen. So gibt es inzwischen neben den nationalen, gewählten Regierungen mehr als 15000 transnationale Institutionen, die sich mit globalen oder zumindest mehrere Länder betreffenden Themen befassen, von denen 90 Prozent erst nach 1960 gegründet wurden. "Während es in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur zwei oder drei Konferenzen im Jahr gab, die von internationalen Regierungsorganisationen ausgerichtet bzw. unterstützt wurden, sind es gegenwärtig nahezu 4000 jährlich." (Roth 2002, S. 23) Globalisierung und der gewaltige Sprung von der traditionell organisierten Industriegesellschaft in das komplexe Netzwerk der "Risikogesellschaft" bedeuten vor allem "Zerstörung des Vertrauten (der Natur und Um-/Mitwelt, der Traditionen und der traditionellen Sozialstruktur und Kultur sowie des Glaubens an Wissenschaft, Politik und Fortschritt), d.h. Unsicherheit und "neue Unübersichtlichkeit" (Habermas) in der Gegenwart, Ungewissheit und Angst mit Blick auf die Zukunft" (Griese 2000, S. 28).

Allerdings: Ausgerechnet die Jugend für den Wandel – und die Fehlentwicklungen – der Gesellschaft verantwortlich zu machen, hieße wohl, den Einfluss der Jugend krass zu überschätzen. Oder wie viele einflussreiche Politiker, Firmenbosse, NGO-Manager oder Chefredakteure unter 30 kennen Sie? Gerade weil die Jugend eben nicht über gesellschaftliche Macht verfügt, eignet sie sich so hervorragend als Blitzableiter für die Sorgen und Probleme der Erwachsenen. "Die Erwachsenengesellschaft setzt ihre Ratlosigkeit gern in Jugenddebatten um", bemerkte schon die Shell-Studie "Jugend 2000" (Deutsche Shell 2000, Bd. 1, S. 94).

Richtig ist, dass die Jugend für die Gesellschaft eine Art Frühwarnsystem darstellt, denn sie reagiert auf gesellschaftliche Wandlungen schneller als die Älteren – weil sie es muss: Während für die meisten Menschen ab 30, 35 die wesentlichen Weichen für ihre berufliche und private Zukunft in der Welt schon gestellt sind, müssen Jugendliche sich noch ihren Platz in der Welt erkämpfen, sehr wach die Trends verfolgen und bei Bedarf sehr flexibel reagieren, wollen sie z.B. nicht morgen schon arbeitslos sein, weil sie einen Beruf erlernt haben, der zum Auslaufmodell geworden ist. "Die Mittelschichtsvorstellung, dass man mit Mitte zwanzig ins Berufsleben eintritt, irgendwann eine Familie gründet, ein Häuschen baut, die Kinder das Haus verlassen und man sich mit der Rente auch den Lebensabend verdient hat, gehört für die heute Heranwachsenden einer märchenhaften Vergangenheit an. Es werden immer mehr speziellere Lebenswege möglich und auch nötig, die sich nicht mehr als Ausnahmen darstellen lassen." (Leander Scholz, 2003) Flexibilität macht den Kern der Anforderungen aus, die Gesellschaft und insbesondere der Arbeitsmarkt (nicht nur) an Jugendliche stellen. Der heimatverbundene, sesshafte Jugendliche, der sich darauf fixiert, bis zu seinem Lebensabend in dem Betrieb zu arbeiten, in dem auch schon sein Vater beschäftigt ist, ist evolutionär gesehen ein Auslaufmodell. Die Gesellschaft wandelt sich und die Jugend muss, ob sie will oder nicht, bei dieser immer rasanter werdenden Fahrt ganz vorne auf der Lokomotive mitreisen, will sie nicht Gefahr laufen, als Ballast hinten abgeworfen zu werden. Und wenn Menschen in einem zentralen Bereich ihres Lebens, dem Arbeitsmarkt, immer wieder bedeutet wird, nicht Kontinuität, sondern nur steter Wandel garantiere ihnen eine Zukunft, so ist es wohl kaum überraschend, dass sie diese Lehre auch auf andere Bereiche ihres Lebensalltags übertragen.

Die Jugend hat sich in den letzten 25 Jahren in eine für die meisten Angehörigen älterer Generationen und sogar für viele Jugendliche selbst unüberschaubare Vielfalt oft widersprüchlichster Kulturen ausdifferenziert. Inmitten eines zahlenmäßig nach wie vor dominanten jugendlichen Mainstreams entstanden unzählige subkulturelle Szenen und Cliquen, Gangs und Posses, Tribes und Families mit jeweils eigener Mode und eigener Musik, eigener Sprache und eigenen Ritualen, mit zum Teil fließenden Übergängen und gleichzeitig scharf bewachten Grenzlinien, die für Außenstehende oft nicht einmal erkennbar sind. "Szenen sind "wolkige" Formationen: Sie sind ständig in Bewegung und ändern fortwährend ihre Gestalt. Aus der Ferne scheinen die Ränder scharf zu sein und eine klare Gestalt zu ergeben. Je mehr man sich ihnen jedoch nähert, desto stärker verliert sich dieser Eindruck. Abgrenzungen erweisen sich als äußerst diffus, die Ränder überlappen sich mit anderen Szenerändern oder erstrecken sich – nach unterschiedlichen Richtungen ausfransend – in heterogene Publika hinein" (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 211).

Die Zahl und Vielfalt dieser Kulturen stieg in dem Moment explosionsartig an, in dem der Prozess der "Individualisierung" der bundesdeutschen Gesellschaft einen ersten Höhepunkt erreichte. Soziale Milieus und andere einstmals verbindliche Grenzen zwischen Klassen und Ethnien, Religionen und Regionen erodierten zusehends, traditionelle Familienstrukturen verloren ihre Monopolstellung zugunsten von Wohngemeinschaften, Single- und Alleinerziehenden-Haushalten; informelle Gleichaltrigencliquen, die neuen faszinierenden Welten der Computerkulturen (Techno, Internet) und weitere attraktive Konsum- und Identifikationsangebote des kommerziellen Freizeitmarktes verdrängten die Partizipationsangebote der konventionellen Erwachsenenstrukturen (Parteien, Kirchen, Jugendverbände etc.) von der Agenda des jugendlichen Lebensalltags. Mit dem formalen Ende der DDR brach schließlich der wohl letzte Versuch auf deutschem Boden zusammen, eine staatlich gelenkte, generationsübergreifende "Monokultur" heranzuzüchten. Die Kirchen, für breite Gesellschaftsschichten längst nicht mehr Orte spiritueller Erfahrungen, leerten sich spätestens nach der Konfirmationsfeier; fortbestehende religiöse Bedürfnisse verlagerten sich zunehmend in die säkularisierteren Bereiche der Pop- und Alltagskultur. Die Politik schließlich büßte spätestens in dem Moment ihre Legitimation als "moralsetzende Instanz" ein, in dem sie sich als unfähig oder nicht willens erwies, ihrer Rolle umfassend gerecht zu werden, z.B. die langfristige Sicherung des materiellen Wohlstandes und die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl an Arbeits- und Ausbildungsplätzen voll gewährleisten zu können.

Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Lebensgestaltung sind so zunehmend individualisiert worden. So bewirkten die soziostrukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zwar einerseits den Anstieg des durchschnittlichen Einkommens und der frei verfügbaren Zeit, setzten aber andererseits den Einzelnen "immer größeren Kompetenz-, Flexibilitäts- und Mobilisierungserwartungen und einem immer höheren und "unberechenbareren" Konkurrenzdruck aus. Einerseits wird das Individuum aus überkommenen Beziehungen freigesetzt, wodurch es mehr Entscheidungschancen und Lebensoptionen erhält. Andererseits verliert es nicht nur gemeinschaftliche, sondern zusehends auch bislang gesellschaftlich "garantierte" Verlässlichkeiten" (Hitzler/ Bucher 2000, S. 42).

Die Individualisierung von Lebenslagen führt also einerseits zu einer Vermehrung von Handlungsoptionen, bedeutet aber zugleich auch einen höheren Risikofaktor sowie die Notwendigkeit, in einer zunehmend komplexen Welt seine Positionierung selbst vorzunehmen. Mit dem Legitimationsverlust der staatlichen Institutionen und der Flexibilisierung sozialer und wirtschaftlicher Lebensverhältnisse reduzierten sich entgegen den Unkenrufen vieler Älterer zwar nicht die Moral oder der individuelle Wertekanon als solche, wohl aber der von Staat und Mehrheitsgesellschaft vorgegebene und für alle Bürger zumindest moralisch verpflichtende Wertekanon auf ein notwendiges Minimum. Zahlreiche Entscheidungen des Lebensalltags, die noch vor gar nicht so langer Zeit gesetzlich oder durch sehr enge moralische Konventionen geregelt wurden, blieben nun dem und der Einzelnen überlassen: Bleibe ich Mitglied der Amtskirche oder schließe ich mich lieber einer der 120 weiteren religiösen Gemeinschaften in Deutschland an? Organisiere ich mich in einer Partei, einem Jugendverband, einem Verein...? Lebe ich allein oder gründe ich eine Familie, mit einer Frau oder lieber mit einem Mann ...? Talkshows und Soap-Operas führen alltäglich nicht nur Jugendlichen vor Augen, wie extrem, vielfältig und schnelllebig die Palette der Handlungsoptionen und Lebensstile inzwischen gestaltet ist.

Da die herkömmlichen Institutionen und Einrichtungen mit ihren traditionellen Verbindlichkeitsansprüchen und Gesellungsformen jedoch dieser komplexen Realität nicht mehr gerecht werden, begibt sich der Einzelne notgedrungen selbst auf die Suche nach (post)modernen Teilzeit-Gemeinschaften. Die Jugendkulturen befriedigen dieses Bedürfnis nach temporären Sinn-Gemeinschaften, sie bringen Ordnung und Orientierung in die überbordende Flut neuer Erlebniswelten. Künstliche Grenzziehungen halten die verwirrende Außenwelt auf Distanz und schaffen zugleich unter den Gleichgesinnten und -gestylten der eigenen (Sub-)Kultur ein Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit. Denn – trotz aller "Individualisierung" – der Mensch ist nun mal ein Herdentier, ein im Wortsinn sozialisiertes, also vergesellschaftetes Wesen, das sich selbst erst im Spiegelbild der Mitbürger zu erkennen und zu schätzen weiß. So hat die Befreiung aus dem engen Korsett vermeintlich unhinterfragbarer Normen entgegen den Unkenrufen vieler Älterer keine Generation von Egoisten gezeugt, sondern lediglich tradierte Widersprüchlichkeiten in unserem Bild von "der Jugend" aufgelöst: Jugendliche des 21. Jahrhunderts sind kollektive Individualisten, "be different – inscene yourself!"

Letztendlich geht es also um ein uraltes Ding: die Suche nach Geborgenheit in einer Gemeinschaft von Individualisten, die Organisation von Freizeitaktivitäten im Kreise möglichst Gleichaltriger, um wahre Freundschaft.

Quellen / Literatur

Griese, Hartmut M.: Chancen und Risiken in Kindheit und Jugend. In: Gernert/Janssen (Hrsg.) 2000, S. 26 – 40.

Hitzler, Ronald/Bucher, Thomas/ Niederbacher, Arne: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Opladen 2001.

Opaschowski, Horst W.: Der Jugendkult in der Bundesrepublik. Düsseldorf 1971.

Roth, Roland: Globalisierungsprozesse und Jugendkulturen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 5/2002. Bonn 2002, S. 20 – 27.

Scholz, Leander: Schuld hat, wen es trifft. Ein paar Anmerkungen zum Verteilungs- kampf zwischen Jung und Alt. In: Freitag vom 10. Januar 2003, S. 16.

Tenbruck, Friedrich H.: Jugend und Gesellschaft. Freiburg im Breisgau 1962.

Fussnoten

Weitere Inhalte

ist Fachautor, Dozent und Leiter des Externer Link: Archiv der Jugendkulturen sowie des gleichnamigen Verlages.