Der Begriff der sexualisierten Gewalt umfasst verschiedenste sexuell übergriffige Verhaltensweisen. Die damit verbundenen Handlungen reichen „von einer verbalen sexuellen Belästigung bis hin zur Vergewaltigung“. Oft geht es hierbei vor allem um Machtausübung. Um gezielt über bestimmte Taten und deren Folgen für die Beteiligten sprechen zu können, ist eine Systematisierung sinnvoll.
Sexualdelikte nach dem Strafgesetzbuch
Aus rechtlicher Sicht werden Sexualdelikte in Deutschland den „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ zugeordnet. In der Öffentlichkeit wird hiermit insbesondere die Vergewaltigung in Verbindung gebracht, die zusammen mit dem sexuellen Übergriff und der sexuellen Nötigung im Externer Link: § 177 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt ist. Zudem gibt es zahlreiche weitere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die weniger stark im öffentlichen Blickfeld stehen. Dazu zählen etwa die Belästigung anderer Personen durch exhibitionistische Handlungen (Externer Link: § 183 StGB), also das Entblößen der männlichen Genitalien, oder die Zuhälterei (Externer Link: § 181a StGB).
Sind die Betroffenen minderjährig, so ist die Strafbarkeit der Taten in eigenen gesetzlichen Tatbeständen geregelt. Dies gilt beispielsweise für verschiedene Formen des sexuellen Missbrauchs an Kindern unter 14 Jahren (Externer Link: §§ 176 ff. StGB) oder die Verbreitung kinderpornografischer (Externer Link: § 184b StGB) oder jugendpornografischer (Externer Link: § 184c StGB) Inhalte. Eine Besonderheit der Sexualstraftaten gegenüber Kindern ist, dass hier – anders als bei erwachsenen Betroffenen – der entgegenstehende Wille keine Voraussetzung der Strafbarkeit ist: Eventuell von den Täterinnen oder Tätern abgenötigte, vermeintliche kindliche „Einwilligungen“ sind rechtlich unbedeutsam.
Strukturen sexualisierter Gewalt
In den überwiegenden Fällen sind Frauen die Betroffenen von Sexualkriminalität und Männer die Täter. Jedoch können auch männliche oder queere Personen betroffen sein. Frauen sind als Täterinnen zwar weniger häufig, kommen aber durchaus vor.
Grundsätzlich können auch alle Altersgruppen von sexualisierter Gewalt betroffen sein. Dabei stehen besonders Kinder als Betroffene häufiger im Mittelpunkt der Diskussionen, ältere Menschen dagegen weniger. Außerdem können alle Altersgruppen sexualisierte Gewalt ausüben. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern sind laut dem Bundeslagebild des Bundeskriminalamts (BKA) für 2024 rund 30 Prozent der Tatverdächtigen Erwachsene ab 40 Jahren. Das ist anteilig die größte Gruppe. Allerdings kommt ein bedeutender Teil dieser Sexualdelikte auch unter Gleichaltrigen vor: zwölf Prozent sind kindliche Tatverdächtige bis 13 Jahre und fast 20 Prozent jugendliche Tatverdächtige zwischen 14 und 17 Jahren.
Allgemein handelt es sich bei den Täterinnen und Tätern mehrheitlich um Personen aus dem sozialen Umfeld, also um flüchtige oder auch nähere Bekannte, um Freundinnen oder Freunde, um Personen aus dem familiären Umfeld oder aus (ehemaligen) Partnerschaften. Nicht selten herrscht in diesen Beziehungen ein Machtungleichgewicht. Gänzlich fremde Personen kommen als Täterinnen oder Täter weniger häufig vor: Dunkelfeldstudien zeigen hier unterschiedliche Zahlen zwischen sieben und 15 Prozent.
Tatkontexte, die regelmäßig eine Rolle spielen, sind private und häusliche Zusammenhänge, aber auch Begegnungen beim abendlichen Ausgehen (gelegentlich mit vorherigem Online-Kontakt, beispielsweise über Dating-Apps), berufliche Zusammenhänge oder Kontakte über Institutionen, beispielsweise Vereine oder Kirchen. Neben sexuellen Grenzverletzungen in der analogen Welt sind zudem entsprechende Übergriffe in der digitalen Welt des Internets – insbesondere zwischen jungen Menschen – ein wachsendes Problem.
Im Folgenden liegt der Fokus auf schweren Sexualdelikten, also Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, zwischen Erwachsenen. Für diese körperlichen Handlungen wird der Begriff der sexuellen Gewalt verwendet. Diese Festlegung bedeutet keinesfalls, dass Delikte gegenüber anderen Personengruppen, insbesondere Kindern, von untergeordneter Bedeutung sind. Jedoch sind deren Deliktsstrukturen zum Teil andere, was eine gesonderte Betrachtung nötig macht.
Stetiger Wandel der gesellschaftlichen und rechtlichen Einordnung
Gesellschaftliche Bewertungen sexueller Gewalt sind vielschichtig und befinden sich in einem stetigen Wandel. Dieser geht oft mit Veränderungen im Sexualstrafrecht einher.
Bis 1973 wurden Sexualdelikte im Gesetz als „Interner Link: Sittlichkeitsdelikte“ bezeichnet: Unter Strafe stand hier ein Handeln entgegen gesellschaftlich-moralischen Vorstellungen von „Sittlichkeit“. Eine Vergewaltigung wurde lange Zeit vor allem mit dem Verlust von Ehre und gesellschaftlichem Ansehen der betroffenen Frauen verbunden. Heute werden Sexualdelikte als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung verstanden. Bestraft werden nicht mehr Verstöße gegen gesellschaftliche Sittlichkeitsvorstellungen, sondern sexuelle Handlungen, die gegen den Willen der betroffenen Person erfolgen – die also gegen das individuelle Recht eines jeden Menschen verstoßen, über die eigene Sexualität frei zu bestimmen.
Das Sexualstrafrecht wurde seitdem in Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen noch mehrfach verändert, etwa 1997 mit der Wertung von Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechenstatbestand. Ende 2016 wurde die sogenannte Nichteinverständnislösung („Nein-heißt-Nein“) eingeführt. Diese stellt sexuelle Handlungen unter Strafe, wenn sie „gegen den erkennbaren Willen“ (Externer Link: § 177 StGB) der betroffenen Person ausgeführt werden. Zuvor war die Anwendung oder Androhung von Gewalt erforderlich, um eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung zu begründen. Mit dieser Reform wurde unter anderem auch die sexuelle Belästigung (Externer Link: § 184i StGB) als eigener Straftatbestand eingeführt. 2021 wurde das so genannte „Upskirting“, also das Verletzen des Intimbereichs durch Bildaufnahmen (Externer Link: § 184k StGB), unter Strafe gestellt. Derzeit wird eine Einführung der Strafbarkeit des so genannten „Catcallings“, also sexuell anzüglicher Äußerungen im öffentlichen Raum wie zum Beispiel Hinterherrufen oder Pfeifen, diskutiert.
Auch ein Wegfall von Tatbeständen, die sich nicht mehr mit den gesellschaftlichen Vorstellungen eines modernen Zusammenlebens decken, ist im Bereich der Sexualstraftaten gelegentlich zu beobachten. Das prominenteste Beispiel ist die endgültige Interner Link: Abschaffung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen Männern im Jahr 1994.
Klischeehafte Vorstellungen über Sexualkriminalität und die Tatbeteiligten
Gesellschaftliche Bewertungen von Sexualdelikten haben nicht nur Auswirkungen auf die Gesetze, sondern auch auf die Tatbeteiligten – besonders auf die Betroffenen. Bis heute existieren klischeehafte Vorstellungen über Vergewaltigungen. Diesen Vorstellungen zufolge würden sexuelle Übergriffe oft durch fremde Täter, überfallartig im öffentlichen Raum, unter hoher Gewaltanwendung, bei starker Gegenwehr und gegebenenfalls mit deutlichen Verletzungsfolgen geschehen. Aufgrund derartiger Vorstellung zweifeln nicht zuletzt sogar manche Betroffene, ob sich das Erlebte mit einer Vergewaltigung deckt, wenn es nicht den stereotypen Abläufen entspricht. So zeigt die Forschung beispielsweise, dass Delikte in diesen Fällen weniger häufig bei der Polizei angezeigt werden.
Damit verbunden ist die Akzeptanz sogenannter Vergewaltigungsmythen, also bestimmter „Überzeugungen bezüglich Vergewaltigung, Vergewaltigungsopfern und Vergewaltigern“. Diese beinhalten, dass Betroffene vermeintlich oft selbst am Erlebten mit schuld seien oder die Taten gar provoziert hätten – beispielsweise durch ihr Verhalten, ihren Aufenthaltsort oder ihre Kleidung. Derartige gesellschaftliche Bewertungen belasten Betroffene oft zusätzlich, da sie das Gefühl einer (zumindest unterstellten) „Mitschuld“ und damit verbundene Schamgefühle fördern können.
Auch die Täter sexueller Gewalt unterliegen gesellschaftlichen Bewertungen. Einerseits kann hier, in Zusammenhang mit den Vergewaltigungsmythen, eine Tendenz zur Verharmlosung der Taten beobachtet werden – beispielsweise hätte der Täter die Signale der Betroffenen falsch gedeutet oder sei einer vermeintlichen sexuellen Provokation „erlegen“. Andererseits ist auch die Tendenz zu verzeichnen, dass Sexualstraftäter entmenschlicht, dämonisiert und nicht als Teil der eigenen Gesellschaft gesehen werden. Eine derartige Haltung verkennt allerdings die tiefe gesellschaftliche Verwurzelung der Hintergründe sexueller Gewalt, die nicht zuletzt auch in der Verbreitung von Sexismus und Vergewaltigungsmythen zu suchen sind.
Anzeigeverhalten und Entwicklung in der Polizeilichen Kriminalstatistik
Behördlich werden Zahlen zu Sexualkriminalität in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst, die das so genannte Hellfeld der Kriminalität abbildet. Hierin können ausschließlich Taten wiedergeben werden, von denen die Polizei weiß. Im Falle der hier beschriebenen Sexualdelikte erlangt sie üblicherweise durch eine Anzeige der Betroffenen oder dritter Personen Kenntnis von den Taten. Hat die Polizei keine Kenntnis von einer Tat, verbleibt diese im so genannten Dunkelfeld.
Das Dunkelfeld ist bei Sexualstraftaten groß, da viele Opfer auf eine Anzeige verzichten. Eine Studie aus dem Jahr 2004 zeigt, dass im Falle von sexueller Gewalt gegen Frauen etwa fünf Prozent der Betroffenen Anzeige erstattet haben. Lagen auch körperliche Verletzungen vor, waren die Anteile etwas höher. Eine Studie aus 2014 berichtet von knapp 16 Prozent, in denen die Polizei Kenntnis von den berichteten Taten erlangt hat. Schwankungen dieser Zahlen sind auch auf die schwierige Erfassung und die unterschiedliche Art der Durchführung der Studien zurückzuführen. Gründe für den häufigen Verzicht auf eine Anzeige können unter anderem sein:
Scham- oder Peinlichkeitsgefühle, Intimität des Erlebten
Angst vor dem Täter beziehungsweise der Täterin
Angst vor weiteren psychischen Belastungen durch das Strafverfahren
die Annahme, die Tat sei nicht „schlimm genug“ für eine Anzeige
Zweifel am Erfolg polizeilicher Ermittlungen beziehungsweise Befürchtungen, die Polizei würde den Schilderungen keinen Glauben schenken.
Eine Studie aus dem Jahr 2019 hatte zum Ergebnis, dass unter anderem eine gute Beweislage, eine höhere Tatschwere, aber auch Unterstützung durch das Hilfesystem sowie das soziale Umfeld die Wahrscheinlichkeit einer Anzeige erhöhen. Auch wurde nochmals deutlich, dass die Anzeigebereitschaft niedriger ist, wenn der Täter oder die Täterin aus dem nahen sozialen Umfeld stammen. Zusätzlich liegt nahe, dass Männer in der Regel eine noch geringere Anzeigebereitschaft aufweisen, da das Erleben einer Sexualstraftat nicht den gesellschaftlichen Rollenbildern entspricht.
Laut PKS zeigt sich in Bezug auf Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und schwere sexuelle Übergriffe seit 2017 ein Anstieg der Fallzahlen (siehe Abbildung 1), der insbesondere seit 2022 noch deutlicher geworden ist. Inwiefern es sich hier um einen tatsächlichen Anstieg, um einen Anstieg der Anzeigebereitschaft, oder um eine Kombination aus diesen und möglichen weiteren Ursachen handelt, hat die Forschung bisher nicht umfassender untersucht.
Wie lassen sich die Zahlen interpretieren?
Die dargestellten Zahlen bilden die Entwicklung polizeilich registrierter Fälle nach dem so genannten Summenschlüssel 111000 ab, der die Vergewaltigung, die sexuelle Nötigung und den sexuellen Übergriff im besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge nach §§ 177, 178 StGB umfasst. Solche Summenschlüssel werden in der PKS verwendet, um bestimmte Gruppen von Straftaten zusammenzufassen und beispielsweise deren Entwicklung im Gesamten zu analysieren. Hierbei ist zu bedenken, dass sich solche Zusammenfassungen im Verlauf der Zeit ändern können, zum Beispiel wenn Gesetze und Tatbestände verändert werden – ein Beispiel ist die Einführung der sogenannten „Nein-heißt-nein“-Reglung im Jahr 2016. Durch solche gesetzlichen Neuerungen kommt es zu Schwankungen der Zahlen in der PKS – nicht etwa, weil sich die „tatsächliche“ Häufigkeit von Tatbeständen ändert, sondern weil mehr Handlungen unter Strafe stehen. Dann steigt auch die Anzahl an Handlungen, die zur Anzeige kommen können und damit die Zahlen in der PKS. Außerdem ist zu bedenken, dass in der PKS zwar alle bei der Polizei angezeigten Taten enthalten sind, dass jedoch noch kein Gericht über diese Taten beziehungsweise die Personen, die verdächtigt werden, geurteilt hat. Die in der PKS enthaltenen Delikte spiegeln die rechtliche Einordnung der Polizei wider und die verdächtigten Personen sind stets als Tatverdächtige, anstatt als Täterinnen oder Täter, zu bezeichnen.
Bei Betrachtung der Abbildung 1 zeigt sich zunächst ein relativ konstanter Verlauf der Fallzahlen. Der Anstieg im Jahr 2017 ist durch eine Gesetzesänderung und eine damit verbundene zeitweilige Änderung der Zusammensetzung des Summenschlüssels bedingt; deshalb sind Vergleiche mit den Jahren davor und danach nur eingeschränkt möglich. Nach 2017 stabilisieren sich die Zahlen zunächst auf einem etwas erhöhten Niveau, was auf die Gesetzesänderung, aber auch auf eine gestiegene Anzeigebereitschaft, zum Beispiel im Zuge der #MeToo-Bewegung, zurückgeführt werden könnte.
Seit 2022, nach dem Ende der Corona-Pandemie, zeigt sich ein recht deutlicher Anstieg. Dieser ist noch nicht hinreichend beforscht und eine Erklärung noch weitgehend offen. So könnten Gründe in einem tatsächlich gestiegenen Fallaufkommen, in nachgeholten Anzeigen aus der Zeit der Corona-Pandemie, einer weiter gestiegenen Anzeigebereitschaft oder einer Kombination aus diesen Faktoren liegen.
Forschung im Dunkelfeld
Da die PKS nur angezeigte Straftaten erfasst, bleibt ein großer Teil sexueller Gewalt im sogenannten Dunkelfeld verborgen. Um dieses besser zu beleuchten, können Bevölkerungsbefragungen zu Erfahrungen mit sexueller Gewalt eingesetzt werden. Entsprechende Erlebnisse werden hierbei direkt bei den potenziell betroffenen Menschen erfragt und Informationen zum Ausmaß des Phänomens im Dunkelfeld gewonnen. Aufgrund des intimen und belastenden Charakters von sexueller Gewalt ist die Forschung herausfordernd: Die Befragung von Bürgerinnen und Bürgern zu diesem Thema kann Irritationen und bei Betroffenen auch Reaktionen bis hin zu einer Retraumatisierung auslösen. Aufgrund dieser Besonderheiten liegen die letzten großen, deutschlandweiten Studien speziell zur Thematik sexueller Gewalt länger zurück. Derzeit befindet sich eine aktuelle Studie des Bundeskriminalamts in der Umsetzung.
Eine nur auf Frauen bezogene Studie aus dem Jahr 2004 fand heraus, dass 13 Prozent der befragten Frauen im Laufe ihres Lebens versuchte oder vollendete Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen erlebt haben. Eine Studie aus 2014 berichtet Anteile von drei Prozent, zu denen alle Menschen in der Bevölkerung bereits in ihrem Leben eine Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung erlebt haben. Ausschließlich in Bezug auf Frauen liegen diese Anteile bei etwa fünf Prozent. Da derartige Zahlen schwer zu erheben sind und je nach Art der Durchführung die Ergebnisse variieren können, kann hieraus aber nicht auf eine Entwicklung geschlossen werden.
Ausgewählte Erkenntnisse zu den Taten
Forschungsbefunde machen deutlich, dass klischeehafte Vorstellungen von Vergewaltigungen meist nicht der Realität entsprechen. Die meisten schweren Sexualdelikte gehen nicht von fremden Tätern aus. Vielmehr geschehen sie oft aus dem näheren sozialen Umfeld, zum Beispiel aus (ehemaligen) Partnerschaften heraus, oder Täter und Opfer kennen sich zumindest flüchtig. Untersuchungen zeigen außerdem, dass Vergewaltigungen am häufigsten in privaten Wohnungen stattfinden, weniger häufig liegen die Tatorte dagegen im Freien beziehungsweise im öffentlichen Raum – dieser Befund hängt auch mit der oft guten Bekanntschaft zwischen den Tatbeteiligten zusammen. Dennoch sind gerade Sexualdelikte durch fremde Täter im öffentlichen Raum häufiger Gegenstand von Befürchtungen und Ängsten als Taten im sozialen Nahraum.
In einem wesentlichen Anteil der Fälle leisten die Betroffenen keinen körperlichen Widerstand oder wehren sich nicht durchgehend körperlich gegen die Tat. Keinesfalls kann jedoch von einer fehlenden körperlichen Gegenwehr auf die „Echtheit“ einer Vergewaltigung geschlossen werden: Gründe dafür sind oft Angst, vor allem bei körperlicher Unterlegenheit oder auch einer aktiven Bedrohung, oder eine Art Schockstarre.
Selbst bei Vergewaltigungen bleibt etwa die Hälfte der Opfer körperlich unverletzt. Kommt es zu Verletzungen, sind diese häufig leichter und bedürfen keiner körperlichen Behandlung. Dies darf aber keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass Sexualdelikte vielfältige weitere körperliche Folgen wie zum Beispiel sexuell übertragbare Krankheiten, Schwangerschaften und psychosomatische Probleme haben können. Dazu können akute beziehungsweise längerfristige, zum Teil schwerwiegende psychische Folgen wie etwa posttraumatische Belastungsstörungen, Ängste, Depressionen, Schlafstörungen, geringes Selbstwertgefühl oder sexuelle Probleme kommen.
Von den in Abbildung 1 dargestellten Sexualstraftaten konnten im Jahr 2024 84 Prozent aufgeklärt werden – das bedeutet, dass die Polizei in diesen Fällen mindestens eine tatverdächtige Person ermitteln konnte. Diese vergleichsweise hohe Zahl erklärt sich durch die oben beschriebenen Täter-Opfer-Beziehungen in diesem Deliktsbereich: Viele Betroffene können der Polizei durch die persönliche Bekanntheit direkte Hinweise auf die Identität der tatverdächtigen Person geben.
Wer sind die Täterinnen und Täter?
Einen „typischen“ Sexualstraftäter beziehungsweise eine -täterin gibt es nicht. Die meisten Täter von Sexualdelikten sind männlich. Das häufigste Täteralter liegt Studien zufolge im jüngeren Erwachsenenalter, bei etwa 20 bis 40 Jahren, grundsätzlich kommen aber auch alle anderen Altersstufen vor.
Die PKS des Jahres 2024 weist in Bezug auf Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und schwere sexuelle Übergriffe 6.892 deutsche und 4.437 nichtdeutsche Tatverdächtige aus. Damit sind Interner Link: nichtdeutsche Tatverdächtige im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert. Allerdings muss bei der Interpretation berücksichtigt werden, dass diese Hellfeldzahlen aus vielerlei Gründen verzerrt sind: Beispielsweise sind überproportional viele junge Männer unter den nichtdeutschen Personen in Deutschland. Nachweislich begehen junge Männer derartige Taten unabhängig von ihrer Nationalität anteilig häufiger. Daneben werden nichtdeutsch wahrgenommene Personen häufiger angezeigt, sie haben also im Vergleich zu deutsch wahrgenommenen Personen eine höhere Wahrscheinlichkeit, in der PKS registriert zu werden. Insgesamt sollte ein sachlicher Umgang mit der komplexen Thematik „zwischen Dramatisierung und Dämonisierung von Gruppen einerseits und Verharmlosung und Verdrängung […] andererseits“ angestrebt werden.
Die Ausübung sexueller Gewalt geht insgesamt oft mit eigenen Gewalterfahrungen, familiären Problemen oder Schulproblemen in der Kindheit beziehungsweise Jugend, sowie mit sozialen Problemlagen wie Arbeitslosigkeit oder Suchtproblematiken im späteren Leben einher. Auch psychische Auffälligkeiten sind bei Sexualstraftätern häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Nicht zuletzt zeigt die Forschung, dass klischeehafte sexistische oder frauenfeindliche Einstellungen mit der Ausübung sexueller Gewalt zusammenhängen. Studien weisen außerdem darauf hin, dass sexuelle Gewalttäter regelmäßig bereits polizeiliche Vorerkenntnisse haben. Entgegen der oft vorherrschenden Vorstellung, es handele sich dabei um spezialisierte Täter, die nahezu ausschließlich Sexualstraftaten verüben, begehen diese oft eine Vielzahl an verschiedenen Delikten.
Ahndung und Verhinderung von Sexualstraftaten
Die Verurteilungsquoten bei Sexualdelikten können nur auf Basis aufwändiger Studien – so genannter Verlaufsstudien, die den gesamten Prozess von der Anzeige bis zur möglichen Verurteilung abbilden – verlässlich ermittelt werden. Solche Studien sind selten und die Ergebnisse hängen auch von deren Zuschnitt ab. In etwa schwanken die Anteile verurteilter Tatverdächtiger bei den hier betrachteten Sexualdelikten zwischen 15 und 30 Prozent. Viele Taten werden nicht vor einem Gericht verhandelt, weil sie nicht durch die Staatsanwaltschaften angeklagt werden. Die vergleichsweise niedrige Zahl verurteilter Täter resultiert aus der oft schwierigen Beweisbarkeit der Taten, bei denen oft Aussage gegen Aussage steht, relevante Spuren nicht immer vorliegen und meistens keine direkten Zeugen anwesend waren.
Auch die Rückfallquoten nach einer Bestrafung sind schwierig zu erfassen: Sie variieren beispielsweise je nach Durchführung der Studie oder Art der Delikte – also etwa ob sich die Taten gegen Kinder oder Erwachsene gerichtet haben. Zudem basieren Rückfallstudien ganz überwiegend auf Hellfelddaten. Das bedeutet, dass Rückfälle nur dann einfließen können, wenn sie behördlich bekannt geworden und nicht im Dunkelfeld verblieben sind. Es muss außerdem unterschieden werden, ob erneut ein Sexualdelikt begangen wird – dann spricht man von einem einschlägigen Rückfall – oder ob in einer anderen Form gegen das Strafgesetz verstoßen wird. Bei Vergewaltigungen geht man von einer einschlägigen Rückfallquote zwischen drei und 30 Prozent aus.
Ein wichtiger Baustein zur Verhinderung von Sexualstraftaten ist die Rückfallverhinderung von bereits auffällig gewordenen Täterinnen und Tätern. Insgesamt ist die zielgerichtete Prävention von Sexualstraften aber schwierig: Vermeintlich wohlmeinende Hinweise an mögliche Betroffene – beispielsweise „Verhaltensregeln“ für Frauen im öffentlichen Raum – schränken Freiheiten eher ein, die jedem Menschen zustehen und zementieren ein Verständnis, das eine gewisse Verantwortung für Taten bei den Betroffenen sieht. Nichtsdestotrotz können einige solcher Hinweise situativ ein wirksamer Selbstschutz sein, wie etwa das eigene Getränk in Diskotheken stets im Blick zu behalten, um die Beigabe sogenannter K.O.-Tropfen zu verhindern. Grundsätzlich sollte allerdings vielmehr als präventive Maßnahme früh begonnen werden, allen Menschen Respekt vor der sexuellen Selbstbestimmung und den individuellen Grenzen anderer zu vermitteln.
Hilfsangebote
Betroffene sexueller Gewalt, oder auch deren Freundinnen und Freunde beziehungsweise Angehörige, können sich auf folgenden Seiten informieren: