Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Medienpolitik für Europa | Medienpolitik | bpb.de

Medienpolitik Medienpolitik und Medienrecht Grundlagen: Medienpolitik Das deutsche Rundfunk- und Medienrecht Medienpolitik für Europa Was ist Medienpolitik im digitalen Zeitalter? Interaktive Grafik: Medienpolitik Medien, Meinungsvielfalt und Meinungsmacht Meinungsbildung, Meinungsmacht und Konzentrationskontrolle der Medien Wie unabhängig sind die Medien? Migration und Medien Bürger*innenprotest als Medienevent Inklusion und Teilhabe als Aufgabe der Medien Die Transformation des DDR-Fernsehens 1989 Veränderungen in Gesellschaft und Medien Künstliche Intelligenz im Internetzeitalter Verschränkte Veränderungsprozesse von Medien und Gesellschaft Öffentliche Kommunikation im Übergang zum Internetzeitalter Die Bedeutung von Medienintermediären und die Frage ihrer Regulierung Public Value – Gemeinwohlorientierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und sein Wert für die Gesellschaft Aspekte von Berichterstattung und Information Medien als Inhalte- und Wertevermittler? Neue Formen des Journalismus Gewalttaten, Katastrophen und ihre mediale Darstellung in Wort und Bild Grafiken Glossar Quizze Quiz - Medienpolitik I Quiz – Medienpolitik II Redaktion Archiv Besser Fernsehen – mit dem Internet? Bürgerbeteiligung im Kontext des Internets Gewalttaten in den Medien Katastrophen und ihre Bilder Debatte 2012: öffentlich-rechtlicher Rundfunk im digitalen Zeitalter Einführung in die Debatte Standpunkt: C. Albert Standpunkt: R. Amlung Standpunkt: J. Beermann Standpunkt: C. Grewenig Standpunkt: L. Marmor Standpunkt: T. Schmid

Medienpolitik für Europa

Christina Holtz-Bacha

/ 22 Minuten zu lesen

Die Internationalisierung des Mediengeschäfts hat im Laufe der Jahre erheblich zugenommen. Damit hat neben der deutschen Gesetzgebung insbesondere die Europäische Union an Einfluss auf den deutschen Mediensektor gewonnen.

Das Europäische Parlament in Straßburg (© picture-alliance, CHROMORANGE | Udo Herrmann)

Die Mitgliedschaft Deutschlands in den europäischen Staatengemeinschaften bringt es mit sich, dass diese auch Einfluss auf die nationale Medienpolitik nehmen. Die Gründungsgeschichte von Interner Link: Europarat und Interner Link: Europäischer Union (EU) und die damit verbundenen Ziele haben zu unterschiedlichen Perspektiven auf die Medien geführt. Im Unterschied zum Europarat besitzt die EU gegenüber ihren derzeit 27 Mitgliedstaaten gesetzgebende Kompetenz, ihre Entscheidungen haben also bindenden Charakter. Daher konzentriert sich dieser Beitrag auf die Medienpolitik der EU.

Die medienpolitischen Aktivitäten der EU sind gekennzeichnet durch eine ökonomische Perspektive auf die Medien. Diese ergibt sich aus der Gründung der Union als Wirtschaftsgemeinschaft und ihren rechtlichen Grundlagen, die sich auf die Wirtschaftspolitik konzentrieren und der Gemeinschaft auch eine entsprechend eingeschränkte Kompetenz zuweist. Durch Änderungen in den Verträgen entwickelten sich im Laufe der Jahre Möglichkeiten, kulturelle Aspekte zu berücksichtigen. Die Inkraftsetzung der Externer Link: Charta der Grundrechte und des Interner Link: Vertrages von Lissabon (2009) verändern zwar nicht die Kompetenz der EU hinsichtlich der Medien. Sie erweitern mit ihrer Betonung der europäischen Werte aber die Begründungen für ihre medienpolitischen Aktivitäten und berücksichtigen die Bedeutung der Medien für die Demokratie.

Die rechtlichen Grundlagen der EU – Primärrecht und Sekundärrecht

Rechtliche Grundlage der EU sind die von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Verträge, sie bilden das sog. Primärrecht. Zurzeit gelten der Vertrag über die Interner Link: Europäische Union (EUV) sowie der Interner Link: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die als Vertrag von Lissabon im Dezember 2009 in Kraft getreten sind.

Der EUV benennt die demokratischen Werte und die Ziele der Union, der AEUV fixiert die Zuständigkeiten und den institutionellen Aufbau der Union. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist nicht Teil des Lissabon-Vertrages, aber Artikel 6 Absatz 1 EUV erklärt die Charta für rechtsverbindlich und stellt sie auf eine Ebene mit den Verträgen.

Mit der Charta der Grundrechte erhielt die EU erstmals eine eigene Grund- und Freiheitsrechtebasis. Sie war bereits beim Gipfeltreffen in Nizza im Dezember 2000 proklamiert worden, konnte aber wegen des Scheiterns des geplanten europäischen Verfassungsvertrages erst 2009 in Kraft treten. Bis dahin hatte sich der Europäische Gerichtshof bei Bedarf auf die Interner Link: Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gestützt, die alle Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet haben.

Das Sekundärrecht umfasst solche rechtlichen Regelungen, die auf der Grundlage des Primärrechts erlassen werden.

Die wichtigsten rechtlichen Instrumente sind:

  1. Verordnungen, die unmittelbar für die Mitgliedstaaten verbindlich sind, sowie

  2. Richtlinien, die verbindliche inhaltliche und zeitliche Vorgaben für die Mitgliedstaaten machen. Es wird den Staaten jedoch selbst überlassen, in welcher Form sie diese Vorgaben in innerstaatliches Recht umsetzen.

  3. Entscheidungen, die für diejenigen verbindlich sind, an die sie sich richten

  4. Empfehlungen und Stellungnahmen, die keine Verbindlichkeit haben.

Die Rechtsetzungsgewalt der EU teilen sich das Interner Link: Europäische Parlament, der Rat bzw. der Interner Link: Europäische Rat und die Interner Link: Europäische Kommission. Für die Auslegung und die Anwendung des EU-Rechts ist der in Luxemburg ansässige Interner Link: Gerichtshof der Europäischen Union zuständig.

Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten

Zur Klärung des Verhältnisses von Union und Mitgliedstaaten unterscheidet der AEUV drei Arten von Zuständigkeiten:

  1. die ausschließliche Zuständigkeit, bei der allein die Union gesetzgeberisch tätig wird, die für die Mitgliedstaaten verbindlich ist und von diesen umgesetzt wird;

  2. die geteilte Zuständigkeit, bei der die Mitgliedstaaten gesetzgeberisch tätig werden können, sofern die Union die Zuständigkeit nicht wahrnimmt;

  3. die unterstützende Zuständigkeit, bei der die Union Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten erlassen kann.

Für die meisten Politikbereiche gilt die geteilte Zuständigkeit. Hier kommt das Interner Link: Subsidiaritätsprinzip zur Anwendung, das ein Tätigwerden der Union nur erlaubt, wenn sich eine Angelegenheit nicht effizient durch die Mitgliedstaaten regeln lässt.

Ausschließliche Zuständigkeit hat die Union insbesondere für die Wettbewerbspolitik im europäischen Binnenmarkt und die Durchsetzung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräften und Kapital. Unterstützende, koordinierende oder ergänzende Maßnahmen kann die Union u. a. im Bereich der Kultur vornehmen.

Für die Medienpolitik der EU besteht daher eine schwierige Situation:

  • Als Wirtschaftsunternehmen fallen die Medien in den Bereich des Binnenmarktes und die Regulierung des Wettbewerbs, für den die Union ausschließliche Zuständigkeit hat.

  • Als Kulturinstitutionen fallen sie dagegen in den Bereich, in dem die Union nur unterstützende Zuständigkeit hat.

Relevant für die medienbezogenen Aktivitäten der EU sind darüber hinaus:

  • Die Charta der Grundrechte der EU: Sie verbrieft in Artikel 11(1) die Meinungs(äußerungs)- sowie die Informationsfreiheit. Laut Artikel 11(2) werden die Freiheit der Medien und ihre Pluralität „geachtet“. Der erste Absatz entspricht dem ersten Absatz von Artikel 10 der EMRK.

  • Unsicherheit besteht hingegen bei der Auslegung des zweiten Absatzes von Artikel 11, der bezüglich der Freiheit der Medien und ihrer Pluralität das relativ schwache „geachtet“ verwendet. Die vom Konvent, der die Grundrechtecharta erarbeitet hat, vorgelegten Erläuterungen verweisen hier speziell auf Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes in einem Urteil von 1991 (Stichting Collectieve Antennevoorziening Gouda u. a.), das das Allgemeininteresse an der Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunks festgestellt hat, sowie das seit 1997 rechtsverbindliche Protokoll über den Interner Link: öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten, das die Formulierung seines Auftrags und Entscheidung über dessen Finanzierung in die Hände der Mitgliedstaaten legt.

  • Die europäischen Werte: Artikel 2 EUV nennt als gemeinsame Werte, auf die sich die Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.

  • Der Berichte zur Rechtsstaatlichkeit: Diese legt die Kommission seit 2020 vor. Sie stehen im Zusammenhang mit solchen Maßnahmen, die der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedstaaten dienen sollen. Dazu gehört das 1997 mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführte Artikel 7-Verfahren, das einen Präventionsmechanismus für den Fall einer Gefahr einer Verletzung der Grundwerte und einen Sanktionsmechanismus bei Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung vorsieht. Zusätzlich trat am 1. Januar 2021 eine Verordnung zum Schutz des EU-Haushalts und der europäischen Werte in Kraft, die es dem Rat erlaubt, mit qualifizierter Mehrheit Zahlungen aus EU-Mitteln an die Mitgliedstaaten zu kürzen oder auszusetzen, wenn diese gegen die Grundwerte der EU verstoßen.

Die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“

Die Medien gerieten Anfang der 1980er Jahre erstmals in das Blickfeld der europäischen Politik. Neue Technologien ermöglichten nun auch grenzüberschreitendes Fernsehen. Zunächst war es das Europäische Parlament, das darin eine Möglichkeit erkannte, das Fernsehen für die europäische Integration nutzbar zu machen: Es setzte Hoffnungen auf die Einrichtung eines europäischen Fernsehsenders. Diese scheiterte jedoch vor allem an der Finanzierung, nicht zuletzt, weil ein Fernsehprogramm in mehreren Sprachen hohe Kosten verursacht(e).

Aufgrund der technischen Entwicklungen (Kabel, Satelliten) entdeckte jedoch bald danach die Europäische Kommission im Fernsehen ein Betätigungsfeld. Sie setzte sich zum Ziel, die Freiheit des Angebots und des Empfangs von Fernsehen über die Grenzen der EG-Mitgliedstaaten hinweg zu gewährleisten. Als hilfreich erwies sich dabei, dass der Europäische Gerichtshof bereits 1974 Fernsehen zu einer Dienstleistung erklärt hatte. Da der freie Verkehr von Dienstleistungen zu den Säulen des europäischen Binnenmarktes gehört, konnte die Kommission sich bezüglich des grenzüberschreitenden Fernsehens für zuständig erklären. Ein entscheidender Schritt bei diesen neuen medienpolitischen Aktivitäten war die Vorlage eines Interner Link: Grünbuches im Juni 1984, das schon in seinem Titel die Richtung vorgab: „Fernsehen ohne Grenzen – Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel“.

Es folgten jahrelange Beratungen, geprägt von kontroversen Auseinandersetzungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten: Mehrere von ihnen zweifelten die Zuständigkeit der EG wegen ihrer fehlenden Kompetenz in Sachen Kultur an und lehnten die nur ökonomische Perspektive auf den Rundfunk ab. Manche hätten die Regulierung des grenzüberschreitenden Fernsehens lieber beim Europarat gesehen, der laut seiner Satzung auch für gemeinsames Handeln auf dem Gebiet der Kultur zuständig ist und daher gegenüber den Medien eine andere Perspektive einnimmt als die EU. Für die EU verabschiedete der Rat am 3. Oktober 1989 die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“, meist einfach Fernsehrichtlinie genannt. Die Mitgliedstaaten hatten zwei Jahre Zeit, um die Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Das Sendestaatsprinzip

Eine wichtige Voraussetzung für den freien Verkehr von Fernsehangeboten auf dem europäischen Binnenmarkt, den die Fernsehrichtlinie gewährleisten sollte, ist das Interner Link: Sende- oder Herkunftslandprinzip: Die Kontrolle über die Einhaltung der Richtlinienvorschriften übernimmt jeweils das Land, in dem der Fernsehsender seinen Sitz hat. Nur in Ausnahmefällen kann ein anderes Land dann die Verbreitung grenzüberschreitender Fernsehsendungen untersagen.

Regelungen der Fernsehrichtlinie

Zu den wichtigsten Regelungen der Fernsehrichtlinie gehörten

  • der Jugendschutz,

  • die Festlegung maximaler Werbeanteile,

  • das Gegendarstellungsrecht sowie

  • Förderung der Verbreitung und Herstellung europäischer Werke ("Quoten").

Förderung der europäischen audiovisuellen Industrie

Die Fernsehrichtlinie bestimmte, dass der Hauptanteil der Sendezeit europäischen Werken (ausgenommen Nachrichten, Sport, Spielshows) vorbehalten war. Außerdem sollten mindestens 10 % der Sendezeit oder der für das Programm vorgesehenen Mittel für unabhängige Produzenten zur Verfügung stehen. Als europäische Werke galten neben den Produktionen aus EG-Ländern auch solche aus den anderen Mitgliedstaaten des Europarates.

Die Fernsehrichtlinie wurde 1997 überarbeitet. Während die Quotenvorgaben gleich blieben, führte die geänderte Richtlinie die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten ein, Listen mit Ereignissen aufzustellen, denen sie hohe gesellschaftliche Bedeutung beimessen. Diese sind im frei zugänglichen Fernsehen zu zeigen, können also nicht exklusiv dem Bezahlfernsehen (Pay TV) vorbehalten bleiben. Deutschland hat diese Möglichkeit genutzt und neben den Olympischen Spielen auch Fußballspiele verschiedener nationaler und internationaler Turniere in die Liste aufgenommen. Andere Länder haben weitere Sportarten oder kulturelle Ereignisse in ihre Listen aufgenommen. In Österreich gehören zu den Großereignissen zum Beispiel auch Ski-Wettbewerbe und das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, in Italien die Aufführung zur Eröffnung der Spielzeit an der Mailänder Scala und das Neujahrskonzert vom Teatro La Fenice in Venedig.

Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste

Auch die technologische Entwicklung brachte neuen Regelungsbedarf mit sich. Dies führte zu einer weitreichenden Neufassung der Richtlinie, die Parlament und Rat 2007 unter dem Titel „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ (Externer Link: AVMD-Richtlinie) verabschiedeten.

Die neue Richtlinie sollte vor allem dem Problem Rechnung tragen, dass für die Übermittlung derselben Inhalte über verschiedene Kanäle (insbes. Online-Kommunikation) unterschiedliche Regelungen bestanden. Aufgrund der Interner Link: technischen Konvergenz orientierte sich die neu gefasste Richtlinie daher nicht mehr am Übertragungsweg, sondern am Inhalt. Grundlegend für die neue Richtlinie war die Unterscheidung in lineare und nichtlineare audiovisuelle Mediendienste.

Was sind lineare/nichtlineare Dienste?

Lineare Dienste bezeichnen das herkömmliche Fernsehen, bei dem der Anbieter den zeitlichen Ablauf des Programms festlegt und der Nutzer keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Übertragung nehmen kann.

Nicht-lineare Dienste dagegen erlauben es dem Nutzer, aus einem Angebot auszuwählen und den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem ein spezifisches Programm abgerufen wird.

Als audiovisuelle Mediendienste bezeichnete die Richtlinie Fernsehprogramme sowie auf Abruf bereitgestellte audiovisuelle Angebote, die den Charakter von Massenmedien haben und für den Empfang durch eine breite Öffentlichkeit bestimmt sind. Lineare Mediendienste sind traditionelle Fernsehprogramme, die ihre Sendungen auf der Grundlage eines festgelegten Sendeplans ausstrahlen. Nichtlineare Mediendienste sind Angebote auf Abruf aus einem Programmkatalog, für deren Empfang Wahlmöglichkeiten bestehen. Die neue Richtlinie sollte nun auch für die nichtlinearen Dienste zumindest Grundvorschriften machen. Ebenso wie beim Fernsehen berief sich die Kommission hier auf ihre Kompetenz für die Durchsetzung des Binnenmarktes und betonte außerdem die Notwendigkeit einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene, um den Unternehmen Rechtssicherheit zu bieten und Verzerrungen aufgrund ungleicher Wettbewerbsbedingungen zu vermeiden.

Weil der individuelle Einfluss und die Auswahlmöglichkeiten bei nicht-linearen Angeboten größer sind als bei linearen, sah die Richtlinie für traditionelles Fernsehen und die Abrufdienste unterschiedlich weit reichende Regelungen vor. Für die nicht-linearen Angebote gelten nur einige grundlegende Bestimmungen, während die herkömmlichen, audiovisuellen Angebote einer strengeren Regulierung unterzogen bleiben. Für alle Mediendienste besteht das Herkunftslandprinzip. Allerdings hat die Richtlinie die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten erweitert, bei einem missbräuchlichen Verhalten Maßnahmen gegen einen in einem anderen Land ansässigen Mediendiensteanbieter zu ergreifen und die Weiterleitung zu verhindern. Das gilt zum Beispiel bei Verstößen gegen den Jugendschutz oder bei Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Staatsangehörigkeit. Die Richtlinie lässt dabei jedoch zugleich erkennen, dass es sich nur um seltene Ausnahmen handeln kann.

Ebenfalls für alle audiovisuellen Mediendienste gelten die Grundregeln für die „kommerzielle Kommunikation“ (Schutz der Menschenwürde, Diskriminierungsverbot, Verbot von Werbung für Tabakwaren und Arzneimittel, Jugendschutz). Damit bezeichnet die Richtlinie Fernsehwerbung, Sponsoring, Teleshopping sowie Produktplatzierung. Diese Mindestregeln betreffen Mediendienste auf Abruf, während für Fernsehwerbung zeitliche Vorgaben gelten.

Der Umgang mit Produktplatzierungen war bis zur Verabschiedung der Richtlinie umstritten und führte zu einer Kompromissregelung, die Produktplatzierungen generell untersagte. Abweichend von dieser Regelung sollten sie aber unter bestimmten Bedingungen in Kinofilmen, Filmen und Serien für audiovisuelle Mediendienste, Sportsendungen und Sendungen der leichten Unterhaltung zulässig sein.

Es ist den Mitgliedstaaten freigestellt, eine strengere Regelung vorzunehmen, also etwa Produktplatzierungen gar nicht zuzulassen.

Während die Quotenregelungen für Fernsehveranstalter erhalten blieben, sieht die AVMD-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste lediglich vor, dass sie die Produktion europäischer Werke und den Zugang zu europäischen Produktionen fördern. Diese Förderung könnte durch eine finanzielle Beteiligung an der Produktion europäischer Werke, den Erwerb von Rechten oder eine besondere Hervorhebung in den Programmkatalogen geschehen.

Neu war die Einführung eines Rechts auf Kurzberichterstattung. Dafür trug die Richtlinie den Mitgliedstaaten auf, Regelungen vorzusehen, die ihren Fernsehveranstaltern die Kurzberichterstattung zu Ereignissen von großem öffentlichen Interesse auch dann erlauben, wenn ein anderer Fernsehveranstalter die exklusiven Übertragungsrechte erworben hat.

Die AVMD-Richtlinie war bis zum 19. Dezember 2009 in nationales Recht umzusetzen. Allerdings machte die fortschreitende Konvergenz schon bald neuen Änderungsbedarf für die Richtlinie deutlich. Im Mai 2016 unterbreitete die Kommission einen Entwurf für die Überarbeitung. Nach Abschluss der Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen lag der neue Text vor, so dass die Änderung der AVMD-Richtlinie Ende 2018 in Kraft treten konnte.

Mit der neuen Richtlinie kam es zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf Video-Sharing-Plattformdienste wie z. B. YouTube, die der deutsche Medienstaatsvertrag als solche Dienste definiert, die der Allgemeinheit Sendungen mit bewegten Bildern oder nutzergenerierte Videos anbieten, für die der Diensteanbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt. Die Richtlinie gilt auch für die sozialen Netzwerke, sofern sie ebenfalls dieser Definition entsprechen.

QuellentextMedienstaatsvertrag (MStV)

§ 2 Begriffsbestimmungen

(2) Im Sinne dieses Staatsvertrages ist

1. Rundfunkprogramm eine nach einem Sendeplan zeitlich geordnete Folge von Inhalten,
[…]

22. Video-Sharing-Dienst ein Telemedium, bei dem der Hauptzweck des Dienstes oder eines trennbaren Teils des Dienstes oder eine wesentliche Funktion des Dienstes darin besteht, Sendungen mit bewegten Bildern oder nutzergenerierte Videos, für die der Diensteanbieter keine redaktionelle Verantwortung trägt, der Allgemeinheit bereitzustellen, wobei der Diensteanbieter die Organisation der Sendungen oder der nutzergenerierten Videos, auch mit automatischen Mitteln oder Interner Link: Algorithmen , bestimmt,
[…]

Quelle: Medienstaatsvertrag (MStV) in der Fassung des Vierten Staatsvertrags zur Änderung medienrechtlicher Staatsverträge (Vierter Medienänderungsstaatsvertrag) in Kraft seit 01. Januar 2024 (Externer Link: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Medienstaatsvertrag_MStV.pdf)

Es blieb bei der Differenzierung nach linearen und nichtlinearen Diensten. Allerdings führte die Richtlinie die Bestimmungen für Video-Sharing-Dienste in einem eigenen Kapitel auf, behandelt diese Dienste also vorerst als eine gesonderte Kategorie.

Für alle Mediendienste gilt die Verpflichtung der Anbieter auf den Schutz Minderjähriger vor solchen Inhalten, die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können, außerdem den Schutz der Allgemeinheit vor Inhalten, die Aufrufe zu Gewalt oder Hass gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer Gruppe enthalten oder deren Verbreitung eine Straftat darstellt. Überdies werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, durch geeignete Maßnahmen (z. B. Wahl der Sendezeit) zu gewährleisten, dass für solche Mediendienste, die die körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigen können, sichergestellt ist, dass sie von Minderjährigen üblicherweise nicht gehört oder gesehen werden können.

Für Fernsehanbieter brachte die veränderte Richtlinie die lange geforderte Flexibilisierung der Werbung. Die insgesamt zulässige Werbezeit beträgt nun 20 % der täglichen Sendezeit zwischen 6:00 und 18:00 Uhr und darf in dem als Primetime definierten Zeitraum zwischen 18:00 und 24:00 Uhr 20 % nicht überschreiten. Eigenwerbung der Sender, Sponsorenhinweise; Produktplatzierungen neutrale Einzelbilder zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung bzw. zwischen einzelnen Spots werden nicht eingerechnet.

Produktplatzierungen sind nun erlaubt. Ausgenommen bleiben weiterhin Nachrichtensendungen und Sendungen zur politischen Information, Verbrauchersendungen, Sendungen religiösen Inhalts sowie Kindersendungen.

Produktplatzierungen

  • müssen zu Sendungsbeginn und -ende sowie bei Fortsetzung einer Sendung nach einer Werbeunterbrechung eindeutig gekennzeichnet sein;

  • dürfen die redaktionelle Unabhängigkeit der Anbieter in ihren inhaltlichen Entscheidungen nicht beeinträchtigen;

  • dürfen nicht unmittelbar zum Kauf anregen und das betreffende Produkt nicht zu stark herausstellen;

  • sind nicht zulässig zugunsten von (elektronischen) Zigaretten und anderen Tabakerzeugnissen oder der diese produzierenden Unternehmen sowie zugunsten bestimmter Arzneimittel oder medizinischer Behandlungen, die nur auf ärztliche Verordnung erhältlich sind.

Die Quoten für europäische Werke blieben unverändert. Allerdings verlieh die Richtlinie dem Anliegen mehr Nachdruck, indem sie die Anbieter audiovisueller Mediendienste auf Abruf verpflichtete sicherzustellen, dass ihre Kataloge einen Mindestanteil europäischer Werke von 30 % enthalten und diese herauszustellen.

Mit der Revision der AVMD-Richtlinie erfolgte auch die Formalisierung und Stärkung der Europäischen Regulierungsgruppe für audiovisuelle Mediendienste (ERGA), die die Europäische Kommission 2014 gegründet hatte. In der ERGA sind die nationalen Aufsichtsinstitutionen vertreten. Sie berät die Kommission bei der Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten und in allen Angelegenheiten, die audiovisuelle Mediendienste betreffen. Die Einsetzung der ERGA durch die Richtlinie sollte auch der Stärkung und einer verbesserten Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsinstitutionen sowie der Wahrung ihrer Unabhängigkeit vom Staat dienen.

Die Mitgliedstaaten sollten die Richtlinie bis zum 19. September 2019 in nationales Recht umsetzen. Dabei gilt immer, dass die Mitgliedstaaten strengere Regeln (z. B. für Werbung) vorsehen, nicht aber großzügiger als die Richtlinienvorgaben sein dürfen. Die Umsetzung in nationales Recht erfolgt in Deutschland größtenteils mit dem Medienstaatsvertrag, der zuvor Rundfunkstaatsvertrag hieß.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck

Nichts spiegelt die Konflikte, die sich aus der beschränkten Kompetenz der Union für medienpolitische Aktivitäten ergeben, besser als der Umgang der Europäischen Kommission mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten. Dieser geriet ab den 1990er Jahren in den Fokus der Kommission, als bei ihr Beschwerden kommerzieller Rundfunkveranstalter aus verschiedenen EU-Ländern eingingen. Sie zwangen die Kommission zu klären, ob die Beihilfebestimmungen des EG-Vertrages auf die Interner Link: Rundfunkgebühren anzuwenden und womöglich als wettbewerbsverzerrende Beihilfen einzustufen sind.

Nach Artikel 107 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der 2009 an die Stelle des EG-Vertrages getreten ist, „sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Sie können jedoch mit dem Binnenmarkt vereinbar sein „zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft“.

Diejenigen, die Rundfunkgebühren nicht als unzulässige Beihilfen verstanden wissen wollen, führen dagegen AEUV-Artikel 106 Absatz 2 ins Feld, wo es heißt:

Zitat

Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind [...], gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.

Artikel 108 des AEUV-Vertrages überträgt der Kommission die Überprüfung der mitgliedstaatlichen Beihilferegelungen und räumt ihr das Recht ein, Maßnahmen gegen etwaige unstatthafte Beihilfen zu ergreifen.

Wenn also:

  1. die Gebühren und andere Formen der staatlichen Unterstützung als Beihilfen eingestuft werden, die

  2. den Wettbewerb auf dem Rundfunkmarkt beeinträchtigen können,

wäre die in vielen EU-Staaten gängige Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage zu stellen.

Die Staats- und Regierungschefs ließen sich bei ihrem Gipfeltreffen in Amsterdam im Juni 1997 in einer Protokollerklärung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk „die Befugnis der Mitgliedstaaten [zusichern], den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, sofern die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen ist“. Das Protokoll trat mit dem Vertrag von Amsterdam am 1. Mai 1999 in Kraft und ist nun auch Teil des AEUV-Vertrages.

Dennoch wurde die Kommission tätig und verabschiedete im Oktober 2001 zunächst eine Mitteilung „über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Diese sollte ein einheitliches und transparentes Vorgehen festlegen, nach dem zu prüfen ist, inwieweit diese Beihilfen zulässig bzw. geeignet sind, den Wettbewerb zu verzerren.

Demnach wollte die Kommission Ausnahmegenehmigungen nur erteilen, wenn eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vorliegt und vom Mitgliedstaat als solche auch klar definiert ist. Außerdem muss jeder Mitgliedstaat den öffentlich-rechtlichen Auftrag definieren. Er wird durch eine „förmliche Rechtshandlung“ einem oder mehreren Unternehmen übertragen und durch die Einrichtung einer geeigneten Aufsichtsstelle ergänzt. Diese ist von den Rundfunkanstalten unabhängig und überwacht die Einhaltung des Auftrages. Die Wahl der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten blieb dabei den Mitgliedstaaten überlassen. Die Betonung der Transparenzanforderungen als Grundlage für die Beurteilung staatlicher Beihilfen sowie weitere Ausführungen machen deutlich, dass es der Kommission hier vor allem auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung ankam: Die Beihilfe dürfe die Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrages nicht überschreiten; eine Überkompensation der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen beeinträchtige den Wettbewerb.

Seitdem hat die Kommission mehrmals Prüfungen punktueller Finanzhilfen sowie der allgemeinen Gebührenfinanzierung bzw. der Einnahmen und Ausgaben von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in mehreren Mitgliedstaaten vorgenommen. Nach Verfahren in anderen Mitgliedstaaten gerieten schließlich auch die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ins Visier der Kommission. Sie reagierte damit auf Beschwerden gegen verschiedene Aktivitäten von ARD und ZDF, die über das Gebührenaufkommen der Anstalten finanziert würden. Diese wären aber nicht durch ihren Auftrag gedeckt und daher geeignet, den Wettbewerb auf dem Rundfunkmarkt zu verzerren. Dabei spielte eine Rolle, dass die deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten auch Einnahmen aus der Werbung haben, und insofern mit den kommerziellen Rundfunkanbietern ebenfalls auf dem Werbemarkt konkurrieren.

Letztlich ging die Sache glimpflich für die öffentlich-rechtlichen Anstalten aus: Für Rückzahlungen wie in anderen Ländern sah die Kommission keinen Anlass, sondern forderte insbesondere Präzisierungen beim Auftrag und Beschränkungen bei den Online-Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sender.

Die Auseinandersetzung führte daher u. a. zur Aufnahme des Interner Link: Drei-Stufen-Tests für neue oder veränderte Telemedienangebote (als Interner Link: Telemedien bezeichnete der Rundfunkstaatsvertrag elektronische Informations- und Kommunikationsdienste). Dieser soll den public value der neuen Angebote einschätzen. Für die Genehmigung dieser Angebote müssen die ARD-Anstalten, das ZDF und das von ihnen betriebene Deutschlandradio sich einem Verfahren unterziehen, in dem in drei Stufen zu prüfen ist:

  1. inwieweit das neue Telemedienangebot oder die wesentliche Änderung den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht,

  2. in welchem Umfang das neue Telemedienangebot oder die wesentliche Änderung in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beiträgt,

  3. welcher finanzielle Aufwand für das neue Telemedienangebot oder die wesentliche Änderung erforderlich ist.

Das zuständige Gremium für die Beurteilung geplanter Telemedienangebote ist der Rundfunk- bzw. Fernsehrat, der Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat. Die gutachterliche Beratung der Gremien durch unabhängige Sachverständige sowie die im Rundfunkstaatsvertrag geforderten Gutachten zu den Auswirkungen für den Markt hat nicht nur erheblichen Aufwand, sondern vor allem auch beträchtliche Kosten mit sich gebracht, die von den Rundfunkanstalten zu tragen sind. Andererseits sind diese externen Stellungnahmen auch deshalb angebracht, weil die gewissermaßen interne Prüfung geplanter Telemedienangebote umstritten ist.

Neue Akzente in der europäischen Medienpolitik

Die Rechtslage hinsichtlich medienpolitischer Aktivitäten der EU hat sich nicht geändert, dennoch setzt die Kommission seit einigen Jahren neue Akzente, die eine über die ökonomische Perspektive hinausgehende, stärker an den europäischen Werten orientierte Sichtweise erkennen lassen. Diese Entwicklung ist gut ablesbar an den Rechtsstaatlichkeitsberichten, die die Kommission seit 2020 jährlich vorlegt. Bei diesen Berichten beruft sich die Kommission auf Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV).

QuellentextVertrag über die Europäische Union (EUV)

Titel I: Gemeinsame Bestimmungen, Artikel 2:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet."

(Quelle: Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vvertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2016/C 202/01) Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:12016ME/TXT)

Die Rechtsstaatlichkeitsberichte, die neben einem Gesamtbericht detaillierte Berichte über die 27 Mitgliedstaaten umfassen und diesen mit dem Bericht von 2023 erstmals auch spezifische Empfehlungen unterbreiteten, betonen die Unverzichtbarkeit freier und pluralistischer Medien für die Demokratie. Daher bewerten die Berichte Medienfreiheit und Medienpluralismus als einen von vier zentralen Pfeilern, wobei die Kommission fokussiert auf

  • die Unabhängigkeit der Medienaufsichtsbehörden,

  • die Transparenz und Konzentration der Eigentumsverhältnisse im Medienbereich,

  • die Transparenz und Fairness bei der Zuweisung staatlicher Werbung,

  • die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten und den Zugang zu Informationen sowie

  • die Verwaltung der öffentlich-rechtlichen Medien.

Dass die Kommission in diesem Zusammenhang die öffentlich-rechtlichen Medien thematisiert und strenge Schutzmaßnahmen zur Verhinderung von deren Politisierung sowie ihre stabile Finanzierung fordert, spiegelt in besonderer Weise die neue Akzentsetzung der Kommission hinsichtlich ihrer Medienpolitik wider.

Die vielfältigen Aktivitäten der Kommission in den letzten Jahren zur Sicherung von Freiheit, Unabhängigkeit und Pluralismus der Medien gipfelten im Herbst 2022 in der Vorlage des Entwurfs für ein Externer Link: Europäisches Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act – EMFA). Auch wenn die Kommission in ihrer Medienpolitik in letzter Zeit immer wieder ihre Orientierung an den europäischen demokratischen Werten und der Grundrechtecharta betont hat, muss sie sich für das Medienfreiheitsgesetz dennoch auf ihre rechtliche Kompetenz für die Angleichung der Vorschriften zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes (Art. 114 AEUV) stützen. Daher begründet die Kommission die Notwendigkeit des supranationalen (überstaatlichen) Vorgehens mit den Hindernissen für den Binnenmarkt und die grenzüberschreitenden Aktivitäten im Mediensektor. Dazu gehört auch das Schließen von Regelungslücken bei der Mediendienste-Richtlinie.

Wie wichtig der Kommission das Medienfreiheitsgesetz ist, zeigt sich darin, dass sie hier zum Instrument der Verordnung greift (siehe Infokasten oben). Eine Verordnung ist für alle Mitgliedstaaten rechtsverbindlich, lässt also anders als eine Richtlinie keinen Spielraum bei der Umsetzung in nationales Recht und vermeidet auch einen langwierigen Umsetzungsprozess. Für das Medienfreiheitsgesetz gilt jedoch, dass die Mitgliedstaaten schärfere Maßnahmen vorsehen dürfen.

Nach zahlreichen Stellungnahmen, die das geplante Gesetz kritisierten oder denen es nicht weit genug ging, kam es im Dezember 2023 zu einer vorläufigen Einigung zwischen Rat und Parlament über den Gesetzestext. Im März 2024 lag der endgültige Text des Medienfreiheitsgesetzes in allen Sprachen vor , und soll nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten.

Der EMFA gilt für solche Dienstleistungen, die „unter der redaktionellen Verantwortung eines Mediendiensteanbieters der Allgemeinheit – gleich auf welche Weise – Sendungen oder Presseveröffentlichungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung bereit[zu]stellen“. Indem das Gesetz auch Presseveröffentlichungen einbezieht, erweitert es den Aktivitätsradius der Kommission um einen Mediensektor, aus dem sie sich bisher weitgehend herausgehalten hat. Ausdrücklich bezieht sich der EMFA auch auf die öffentlich-rechtlichen Mediendienste.

An den Anfang stellt es das Recht des Publikums „auf Zugang zu einer Vielzahl von redaktionell unabhängigen Medieninhalten“ und trägt den Mitgliedstaaten auf, Rahmenbedingungen zu gewährleisten, „um dieses Recht zum Nutzen des freien und demokratischen Diskurses zu schützen“. Die Rechte und Pflichten der Mediendiensteanbieter konkretisieren diese Rahmenbedingungen, allen voran die Unabhängigkeit vom Staat. Das Gesetz fordert den Schutz journalistischer Quellen und vertraulicher Kommunikation, wobei der Einsatz „intrusiver Überwachungssoftware“ nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein soll.

Mit dem Medienfreiheitsgesetz, wie zuvor schon mit den Rechtsstaatlichkeitsberichten, zeigt sich auch eine neue Bewertung der öffentlich-rechtlichen Medien durch die Kommission. Das Gesetz trägt den Mitgliedstaaten auf sicherzustellen, dass die öffentlich-rechtlichen Anbieter redaktionell und funktional unabhängig sind und dass sie entsprechend ihrem Auftrag auf unparteiische Weise eine Vielzahl von Informationen und Meinungen bieten. Die Forderung nach Unabhängigkeit bezieht sich explizit auch auf das Verfahren für die Ernennung und Entlassung des Geschäftsführers, das objektive, nichtdiskriminierende und verhältnismäßige Kriterien anlegen soll. Während die Entscheidung über das Verfahren der Finanzierung bei den Mitgliedstaaten liegt, verlangt das Medienfreiheitsgesetz von den Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die öffentlich-rechtlichen Anbieter über „angemessene, nachhaltige und vorhersehbare finanzielle Mittel verfügen, die der Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags und ihrer Kapazität zur Entwicklung im Rahmen dieses Auftrags entsprechen“. Die finanzielle Ausstattung öffentlich-rechtlicher Mediendiensteanbieter soll so beschaffen sein, dass die redaktionelle Unabhängigkeit gewahrt wird.

Wie ebenfalls schon früher die Rechtsstaatlichkeitsberichte der Kommission, bezieht das Medienfreiheitsgesetz die Publikumsmessung ein (Erhebung und Analyse von Daten, die die Grundlage für die Zuweisung von Werbung oder die Verbreitung von Inhalten bilden). Es fordert auch Transparenz bei den Eigentümerstrukturen der Mediendiensteanbieter und den ihnen zugehenden Mitteln aus staatlichen Quellen sowie Regeln für eine faire und transparente Praxis bei der Vergabe staatlicher Werbung.

Für die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen etabliert das Gesetz außerdem das supranationale Europäische Gremium für Mediendienste, das die Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Audiovisuelle Mediendienste (ERGA) ersetzen soll. Ebenso wie die ERGA setzt sich auch das neue Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Regulierungsbehörden zusammen. Das unabhängige Gremium berät die Kommission zu regulatorischen, technischen und praktischen Aspekten bei Umsetzung und Anwendung des EMFA.

Zum Schutz der in den Medien Tätigen haben Parlament und Rat ebenfalls im März 2024 eine Externer Link: Anti-SLAPP-Richtlinie verabschiedet. SLAPP steht für strategic lawsuits against public participation (strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung). Gemeint sind offensichtlich unbegründete Klagen oder missbräuchlich angestrengte Gerichtsverfahren vor allem gegen im Journalismus, in der Kunst und in der Wissenschaft sowie in der Menschenrechtsverteidigung tätige Personen und Organisationen, die diese einschüchtern, in finanzielle Schwierigkeiten bringen und auf diese Weise mundtot machen sollen. Die Richtlinie weist in im Begründungsteil darauf hin, dass solche Verleumdungsklagen von Einzelpersonen, Unternehmen und Lobbygruppen ausgehen, aber auch von staatlichen Organen angestrengt werden, die diese mit anderen Maßnahmen gegen unabhängige Medienorganisationen und den unabhängigen Journalismus verbinden. Dabei lässt sich ein sog. forum shopping oder libel tourism beobachten, bei dem Klagen vor einem Gericht in dem Land eingebracht werden, das den größten Erfolg verspricht.

Die Anti-SLAPP-Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten auf, Regelungen zu finden, die bestimmte Verfahrenstaktiken wie die Verzögerung von Verfahren oder nachträgliche Rücknahme oder Änderung von Klagen unterbinden, Unterstützung von Beklagten in Gerichtsverfahren durch einschlägige Organisationen sowie Sicherheiten für die Verfahrenskosten der Beklagten ermöglichen. Die Richtlinie fordert von den Mitgliedstaaten außerdem sicherzustellen, dass Gerichte offensichtlich unbegründete Klagen in einem frühen Stadium des Verfahrens abweisen und zur Abschreckung von missbräuchlichen Klagen geeignete Maßnahmen, wie die Zahlung von Schadenersatz oder die Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung, gegen den Kläger verhängen können.

Fazit

Die Europäische Kommission startete ihre medienpolitischen Aktivitäten zu Beginn der 1980er Jahre, als die technologische Entwicklung das grenzüberschreitende Fernsehen mit sich brachte. Allerdings konnte sich die Gemeinschaft in diesem Politikfeld nur auf ihre Kompetenz zur Durchsetzung des freien Binnenmarktes stützen, da Kultur Sache der Mitgliedstaaten ist. Mit dem Vertrag von Maastricht, der 1993 in Kraft trat, eröffnete sich der EU dann doch eine, wenn auch begrenzte, kulturelle Perspektive. Seitdem enthält der Vertrag (heute AEUV) einen Titel zur Kultur, der betont, dass die Union „einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes [leistet]“. Die so genannte Kulturverträglichkeitsklausel verpflichtet die Union, bei ihren Maßnahmen „den kulturellen Aspekten Rechnung [zu tragen], insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“. Diese Kulturklausel begründet jedoch keine weitergehende Kompetenz der EU für den Medienbereich, so dass sie sich in ihrer Medienpolitik immer zuerst auf ihre Zuständigkeit für den europäischen Binnenmarkt stützen muss.

Mit der Digitalisierung hat sich das Tätigkeitsfeld der EU über das Fernsehen hinaus auf die Online-Medien erweitert. Auch wenn sich die Kompetenzverteilung nicht geändert hat und die Kommission die Begründungen für ihr Vorgehen weiterhin aus ihrer Zuständigkeit für das Funktionieren des Binnenmarktes herleiten muss, lassen die medienpolitischen Aktivitäten der EU der letzten Jahre eine zunehmende Orientierung an den europäischen Werten und der Rolle der Medien in der Demokratie erkennen. Damit haben die Unabhängigkeit der Medien vom Staat, Pluralismus, Vielfalt und auch der Schutz der in den Medien Tätigen als Ziele der EU-Medienpolitik an Bedeutung gewonnen. Das Medienfreiheitsgesetz von 2024, das auch Pressepublikationen einbezieht, spiegelt diese neuen Akzente und insofern auch die Anerkennung der gesellschaftlichen Relevanz freier Medien. Ob allerdings die Union zur Verteidigung der Medienfreiheit in den Mitgliedstaaten den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus aktivieren würde, ist fraglich.

Weitere Inhalte

Dr. Christina Holtz-Bacha ist Professorin a.D. für Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Politische Kommunikation, Europäische Medienpolitik und Mediensysteme.