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Auflösung der PKK: (K)eine Chance auf Frieden

Gülistan Gürbey

/ 11 Minuten zu lesen

Am 12. Mai 2025 verkündete die PKK das Ende ihres seit 1984 geführten bewaffneten Kampfes gegen den türkischen Staat sowie die Auflösung ihrer organisatorischen Strukturen. Der Beschluss wurde auf dem 12. Parteikongress vom 5. bis 7. Mai gefasst. Ob dieser Paradigmenwechsel den Weg für eine Lösung des Kurdenkonflikts ebnet, hängt von inneren und regionalen Dynamiken sowie dem politischen Willen der türkischen Regierung ab.

Mitglieder der DEM-Partei geben am 27. Februar 2025 auf einer Pressekonferenz in Istanbul die Erklärung Abdullah Öcalans bekannt, die PKK aufzulösen. (© picture-alliance/AP, Khalil Hamra)

Bahçelis Vorstoß „Terrorfreie Türkei“ und Öcalans Aufruf

Die Entscheidung der PKK erfolgte nach einem Aufruf zur Waffenniederlegung und Auflösung durch ihren Gründer Abdullah Öcalan Ende Februar 2025, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel İmralı bei Istanbul inhaftiert ist. Dem vorausgegangen war ein überraschender Vorstoß des Vorsitzenden der ultranationalistischen Interner Link: MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) und Koalitionspartner der Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Devlet Bahçeli – jenem Politiker, der in der Vergangenheit wiederholt öffentlich die Hinrichtung Öcalans gefordert und den ersten Friedensprozess (2013 bis Juni 2015) scharf kritisiert hatte. Im Oktober 2024 suchte Bahçeli erstmals das Gespräch mit der prokurdischen DEM-Partei (Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie), die er zuvor mehrmals als politischen Arm der PKK diffamiert und deren Verbot er gefordert hatte. Gleichzeitig rief er Öcalan dazu auf, vor dem türkischen Parlament zu sprechen und die bedingungslose Auflösung der PKK zu verkünden.

Nachdem Präsident Erdoğan seine Unterstützung für Bahçelis Vorstoß bekundet hatte, erhielten Vertreter der DEM – der Nachfolgepartei der Interner Link: HDP (Demokratische Partei der Völker) – erstmals seit über einem Jahrzehnt die Erlaubnis, Öcalan zu besuchen. Eine DEM-Delegation besuchte ihn am 27. Februar 2025 zum dritten Mal auf der Gefängnisinsel İmralı. Noch am selben Tag gab die DEM-Delegation Öcalans Aufruf auf einer Pressekonferenz in Istanbul bekannt. In diesem „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ forderte Öcalan die PKK auf, einen Kongress einzuberufen, um die Auflösung und Eingliederung in den türkischen Staat zu beschließen. Kurz darauf erklärte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand. Ein Schreiben Öcalans wurde an die kurdische Führung in Syrien sowie an die Autonomieregierung in Kurdistan-Irak übermittelt. Während des 13 Jahre andauernden Bürgerkriegs in Syrien gelang es den dort lebenden Kurden, eine weitgehend autonome Selbstverwaltung aufzubauen, die als Rojava (kurdisch: Westkurdistan) bekannt ist; und im Norden des Irak besteht seit 2005 die verfassungsmäßige autonome Region Kurdistan. Sowohl die syrisch-kurdische als auch kurdisch-irakische Seite begrüßte den Aufruf. Mazloum Abdi, Kommandeur der kurdisch geführten und im Kampf gegen den IS (Islamischer Staat) von den USA unterstützten Syrian Democratic Forces (SDF) betonte jedoch, dass dieser Aufruf nicht für die SDF gelte, deren Kern die kurdische Miliz YPG (Volksverteidigungseinheiten) bildet. Die SDF besiegte während des Bürgerkriegs mit Unterstützung der USA den IS.

Regionale Einbettung und strategische Neujustierung

Bahçelis Vorstoß und Öcalans Aufruf sind eng mit den geopolitischen Entwicklungen in und um Syrien verbunden. Eine rein innenpolitische Erklärung, etwa Erdoğans Machtstreben nach einer weiteren Amtszeit, greift zu kurz.

Der Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 löste eine Kettenreaktion aus: Der Krieg Israels in Gaza sowie gegen die Hisbollah im Libanon eskalierte und zielte zugleich auf eine Schwächung des Iran ab. Dies begünstigte schließlich die Externer Link: Machtübernahme der islamistischen HTS (Hay’at Tahrir al-Sham) in Damaskus am 8. Dezember 2024.

Der iranische Einfluss wurde zurückgedrängt, ein strategisches Vakuum entstand, das regionale Kräfteverhältnis verschob sich zugunsten der Türkei und Israels – und die geopolitische Konkurrenz zwischen beiden Staaten verschärfte sich deutlich. Die neuen Dynamiken bewegten sowohl die türkische Regierung als auch die PKK und die syrischen Kurden unter der Führung der PKK nahestehenden PYD (Partei der Demokratischen Union) zu einer strategischen Neubewertung – nicht zuletzt verstärkt durch die angekündigte Reduzierung der US-Militärpräsenz in Syrien, die alle Akteure unter Anpassungsdruck setzt.

Hinzu kam die militärische Schwächung der PKK: Seit 2015 greift die türkische Armee mittels Drohnen-, Luft- und Bodenoperationen Stellungen der PKK in der Türkei, Irak und Syrien an. Dabei geriet auch das kurdische Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Nordostsyrien zunehmend unter Druck. Die türkische Regierung betrachtet die Region als „PKK-Terrorgebiet“ und drang wiederholt mit von der Türkei unterstützten islamistisch-nationalistischen Milizen der sogenannten SMO (Nationale Armee Syriens) dort ein, besetzte strategisch wichtige Gebiete und errichtete türkische Kontrollzonen. Dies führte auf kurdischer Seite zu Gebietsverlusten, Vertreibungen, zivilen Opfern und zur Zerstörung von Infrastruktur.

Die bereits erwähnte verstärkte Rivalität zwischen der Türkei und Israel durch die geopolitischen Machtverschiebungen seit dem 7. Oktober 2023 haben aus türkischer Sicht ihren Grund auch darin, dass sie Israels wachsenden Einfluss als Bedrohung für ihre hegemonialen Ambitionen sehen. Präsident Erdoğan bezeichnet Israel als „Terrorstaat“ und verteidigt die Hamas als legitime „Befreiungsbewegung“. Innenpolitisch propagiert er, dass Israel und „imperialistische Mächte“ die Türkei bedrohten und zu kontrollieren versuchten. Auch sehen sie in Israel eine Gefahr für ihre Bemühungen, das kurdische Selbstverwaltungsgebiet zu schwächen. Während die israelische Regierung eine föderale Staatsstruktur Syriens und die Schwächung der HTS verfolgt, setzt Ankara auf ein zentralistisches Syrien unter HTS-Dominanz. Eine israelisch-kurdische Allianz sowie eine gestärkte politische Position der Kurden in Syrien widersprechen den Interessen der Türkei.

Zugleich gewannen die Kurden als prowestliches, säkular-demokratisches Gegengewicht zur HTS an strategischer Bedeutung. Dies zeigt sich in einem zunehmenden geopolitischen Wettbewerb um die Kurden als strategischen Faktor in der regionalen Machtbalance: Israel strebt eine engere Kooperation mit den Kurden an, auch die USA und Frankreich befürworten eine starke kurdische Präsenz in Syrien. Die USA und Frankreich unterstützten als Vermittler den seit Langem laufenden Annäherungsprozess zwischen den beiden rivalisierenden kurdischen Lagern in Syrien – dem Bündnis „Partei der geeinten Nation Kurdistans“ (PYNK) unter Führung der PYD sowie dem Kurdischen Nationalrat (KNC/ENKS), einem Zusammenschluss kurdischer Parteien mit Nähe zur irakisch-kurdischen KDP unter Masoud Barzani. Ziel war es, die innerkurdische Einheit zu festigen und eine gemeinsame Verhandlungsposition gegenüber Damaskus zu entwickeln.

Einen Durchbruch erreichten die Kurden am 26. April 2025: In der nordsyrischen Stadt Qamischli fand eine kurdisch-nationale Konferenz statt, an der mehrere Hundert Repräsentant:innen kurdischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen aus allen Teilen Kurdistans – den kurdisch besiedelten Regionen Syriens, der Türkei, des Irak und Irans – teilnahmen. Im Mittelpunkt stand die Formulierung einer einheitlichen kurdischen Position zur künftigen politischen Ordnung Syriens. Die Teilnehmer einigten sich auf zentrale Forderungen: die Anerkennung der kurdischen Sprache als Amtssprache, die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft für unter dem Assad-Regime entrechtete Kurden sowie die Einführung eines dezentralen, föderalen und inklusiven Staatsmodells. Diese Positionen stehen in klarem Widerspruch zu denen des Verfassungskomitees, das im März 2025 vom ehemaligen HTS-Führer und jetzigen Übergangspräsidenten Ahmad al-Sharaa eingesetzt wurde und jede Form föderaler oder dezentraler Ordnung ausdrücklich ablehnt. Zudem wurde die Bildung einer gemeinsamen kurdischen Delegation für künftige Gespräche mit Damaskus beschlossen.

Vor dem Hintergrund dieser gesamten Gemengelage bemüht sich Ankara, die Kurden auf die Seite der Türkei zu ziehen, um – so Erdoğan und Bahçeli – die „innere Front“ zu stärken, eine kurdisch-israelische Kooperation zu verhindern, den regionalen Einfluss der Türkei auszubauen und zugleich die Kurden zu kontrollieren.

Zielgerade: Die „türkisch-kurdische Allianz“

In seinem Aufruf vom 27. Februar 2025 lehnt Öcalan Föderalismus, Autonomie oder kulturalistische Ansätze ab. Stattdessen plädiert er für eine demokratische Gesellschaft innerhalb der Türkei, die auf Teilhabe, Gleichberechtigung und Kompromiss basiert. Er ruft zur Wiederbelebung einer historischen türkisch-kurdischen Allianz auf, die sich über Jahrhunderte hinweg gegen „hegemoniale Mächte“ formiert habe und heute durch die „kapitalistische Moderne“ bedroht sei. Bereits in seinem Aufruf zum kurdischen Neujahrsfest Newroz im März 2013 forderte Öcalan – im Kontext der damals laufenden Friedensgespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK – einen Waffenstillstand und den Rückzug der PKK aus dem türkischen Staatsgebiet.

Die bereits in dieser Rede verkündeten Narrative einer „antiimperialistischen Schicksalsgemeinschaft“ und „türkisch-kurdischen Brüderlichkeit“ korrespondieren mit der nun vorgetragenen Perspektive von Erdoğan und Bahçeli. Beide setzen auf eine Rückbesinnung auf die osmanisch-muslimische Vergangenheit und propagieren ihrerseits ebenfalls eine „türkisch-kurdische Brüderlichkeit“. Auch innerhalb der kurdischen Bewegung gibt es Strömungen, die eine strategische Kooperation mit der Türkei befürworten. Öcalan und die PKK knüpfen daran an – nicht zuletzt, um langfristig die Errungenschaften in Interner Link: Rojava abzusichern. Dort konnte seit dem syrischen Bürgerkrieg in Nord- und Ostsyrien eine selbstverwaltete autonome Administration aufgebaut werden, die auf demokratischen Grundsätzen, Geschlechtergleichheit, ethnischer und religiöser Vielfalt sowie Ökologie basiert, sich als Gegenmodell zum Autoritarismus versteht und internationale Resonanz findet.

Im Einklang mit Öcalans Aufruf vom Februar 2025 betonte die PKK in ihrer Erklärung vom 12. Mai, dass ihre „historische Mission“ erfüllt sei: Sie habe die jahrzehntelange Verleugnung der kurdischen Frage durchbrochen und diese dauerhaft auf die politische Agenda gebracht. Der bewaffnete Kampf gelte nun als überholt; künftig solle daher der Einsatz für kurdische Rechte zivil, demokratisch und gleichberechtigt erfolgen. Angesichts der geopolitischen Umbrüche im Nahen Osten sei eine grundlegende Neuausrichtung der kurdisch-türkischen Beziehungen notwendig – basierend auf einer gemeinsamen Heimat und gleichberechtigter Staatsbürgerschaft in einer demokratischen Republik Türkei, in der Kurden und Türken als Gründungsvölker gleichgestellt sind. Dabei könne nur Öcalan diesen neuen Kurs umsetzen, weshalb seine Einbindung sowie die rechtsverbindliche Absicherung des neuen Weges unverzichtbar sei. Während die kurdische Bevölkerung – insbesondere Frauen und Jugendliche – aufgerufen wird, demokratische Strukturen auf Grundlage von Sprache, Identität und Kultur zu schaffen und so eine kommunale, demokratische Gesellschaft zu etablieren, appelliert die PKK gleichzeitig an Parlament, Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft, gemeinsam Verantwortung für Frieden und Demokratie zu übernehmen.

Rojava als neuralgischer Punkt

Rojava bleibt der zentrale Streitpunkt zwischen der türkischen Regierung und der PKK sowie der syrisch-kurdischen PYD. Die Friedensgespräche von 2013 bis 2015 scheiterten vor allem an Erdoğans kategorischer Weigerung, die syrischen Kurden politisch anzuerkennen. Die türkische Regierung betrachtete PYD, YPG und SDF stets als Ableger der PKK, die PKK wiederum sieht in Rojava ihr ideologisches und strategisches Projekt.

Gegenwärtig verfolgt die türkische Regierung eine vielschichtige Strategie, um die Kurden entlang der Irak-Syrien-Achse einzudämmen und zugleich ihren regionalen Einfluss im durch den Rückzug des Iran entstandenen Machtvakuum auszubauen: Einerseits bemüht sie sich, Kurden mit dem Narrativ einer „türkisch-kurdischen Brüderlichkeit“ zu gewinnen – um sie gleichsam als Schutzmacht zu kontrollieren. Andererseits verschärft sie im Inland die Repressionen gegen kurdische Politiker und die Zivilgesellschaft – etwa durch Verhaftungen und die Externer Link: Absetzung gewählter DEM-Bürgermeister. Parallel dazu fordert Ankara die bedingungslose Entwaffnung der PKK sowie die Eingliederung der kurdischen Selbstverwaltung in einen stark zentralisierten syrischen Staat, der den Kurden nur verfassungsmäßig formale Gleichstellung zugestehen soll. Um diese Ziele zu erreichen, erhöht Ankara den Druck auf die HTS-Führung, führt Luftschläge gegen PKK-Stellungen in Rojava und im Nordirak durch und drängt die US-Regierung unter Donald Trump dazu, ihre Unterstützung für die SDF einzustellen. Gleichzeitig sucht die Türkei die sicherheitspolitische Kooperation mit Syrien, dem Irak und Jordanien, um durch die Einrichtung eines gemeinsamen Grenzschutzmechanismus die US-Präsenz und deren Bündnis mit der SDF überflüssig zu machen.

Am 10. März 2025, kurz nach den Massakern an der alawitischen Bevölkerung in der nordwestlichen Küstenregion Syriens durch Mitglieder der HTS, kam es unter Vermittlung der USA zu einer Rahmenvereinbarung zwischen der syrischen Übergangsregierung und der kurdisch geführten SDF. Bis Ende 2025 sollen unter US-Aufsicht acht Kommissionen zentrale Streitfragen klären. Dazu zählen etwa die Integration von SDF und YPG in eine künftige syrische Armee, die Frage einer fortbestehenden Selbstverwaltung Rojavas sowie die künftige staatliche Struktur Syriens – ob zentralistisch oder föderal. Hier gehen die Vorstellungen der Türkei und der kurdischen Seite weit auseinander. Die türkische Regierung fordert die vollständige Auflösung der kurdischen Selbstverwaltung und ihrer militärischen Strukturen, die Kurden hingegen bevorzugen ein föderales Modell, das Rojavas institutionelle Eigenständigkeit sichert.

Insgesamt stärkt die Vereinbarung die Kurden als politischen Akteur und als Gegengewicht zur islamistischen HTS, während mit der wachsenden internationalen Legitimität der islamistischen Machthaber in Damaskus – insbesondere durch die Aufhebung westlicher Sanktionen – ihre Verhandlungsposition zunehmend unter Druck gerät.

Gleichwohl hängt der Erfolg dieses Abkommens maßgeblich vom weiteren Verhalten der Türkei im syrischen Kontext ab. Ankara hat erheblichen Einfluss auf die HTS-Führung und ist für die US-Regierung unter Trump – neben Saudi-Arabien und den Golfstaaten – ein wichtiger Partner im Wiederaufbau Syriens. In diesem Zusammenhang wurde der US-Botschafter in Ankara, Thomas J. Barrack, zum Sondergesandten für Syrien ernannt. Beide Länder arbeiten zudem in einer gemeinsamen Syrien-Arbeitsgruppe zusammen, was die Rolle und den geopolitischen Einfluss der Türkei zusätzlich stärkt.

Ausblick

Die DEM-Partei spielt eine zentrale Rolle im aktuellen Prozess. Sie führt Gespräche mit Öcalan, Parlamentsfraktionen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und der kurdischen Führung im Irak. Ebenso bemüht sie sich um die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission, die unter Einbeziehung aller Fraktionen den Prozess begleiten soll. Auch Bahçeli schlug eine solche Kommission vor, vermeidet jedoch – ebenso wie Erdoğan – ausdrücklich Begriffe wie „Dialog“ oder „Verhandlungen“ und spricht stattdessen von einer „terrorfreien Türkei“ – gemeint ist die bedingungslose Auflösung der PKK.

DEM und PKK erwarten von der Regierung konkrete Maßnahmen zur Unterstützung des Prozesses, darunter die Aufhebung der Zwangsverwaltung in kurdischen Kommunen, die Freilassung politischer Gefangener, die Stärkung der lokalen Verwaltung sowie rechtliche Schritte zur Förderung der kurdischen Sprache und zur Begleitung eines geordneten Entwaffnungsprozesses.

Gleichzeitig ist die Entwaffnung der PKK eng mit dem Status Rojavas verknüpft. Eine nachhaltige Lösung würde erforderlich machen, Rojava von türkischer Seite nicht länger kategorisch abzulehnen, sondern ähnlich wie gegenüber der Autonomen Region Kurdistan im Irak zu verfahren. Dort besteht eine nunmehr jahrelang andauernde enge Kooperation. Während PKK und syrische Kurden grundsätzlich zu einem solchen Schritt bereit wären, zeigt sich die Türkei bislang zögerlich. Erdoğan dürfte sorgfältig abwägen, ob ein Kurswechsel seinen strategischen Interessen – innenpolitisch wie geopolitisch – nützt.

Die Strategie einer „terrorfreien Türkei“ ist weniger als Friedensinitiative zu verstehen, sondern vielmehr als Teil einer strategischen Neupositionierung im Kontext regionaler Machtverschiebungen und sich wandelnder Allianzen. Ob daraus der Beginn einer neuen politischen Phase entsteht oder es bei einem taktischen Manöver bleibt, hängt entscheidend davon ab, ob die türkische Regierung dem Prozess substanzielle politische Schritte folgen lässt. Regionale Kräfteverhältnisse und insbesondere die US-Politik werden diesen Kurs maßgeblich mitbestimmen. Klar ist: Die Kurden sind längst unverzichtbare Akteure der geopolitischen Dynamik im Nahen Osten – sie prägen die Machtstrukturen der Region und werden zugleich von ihnen geprägt.

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Gülistan Gürbey ist habilitierte Politikwissenschaftlerin und Privatdozentin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Friedens- und Konfliktforschung, Autoritarismus, Defekte Demokratien, De-facto-Staaten und Internationaler Minderheitenschutz mit regionalem Focus auf Nahost, die Türkei, Zypern und Kurdistan. guerbey@zedat.fu-berlin.de